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Paraforce Band 51

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Timetraveller – Episode 23

Der Hauch Gottes

Spa­ni­en – Ca­talu­ni­en

Clai­re hat­te noch et­was Zeit.

Ihr Flug war für 22:00 Uhr an­ge­setzt. Von ih­rem spa­ni­schen Ur­laubs­ort Cas­tel­lo de Em­pu­ries bis Bar­ce­lo­na wür­de sie es al­le­mal recht­zei­tig schaf­fen. Also schlen­der­te sie bei hoch­som­mer­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren un­ge­zwun­gen über den mit­tel­al­ter­li­chen Floh­markt der Alt­stadt. Zahl­rei­che Tou­ris­ten tum­mel­ten sich hier. Ein An­ti­qui­tä­ten­stand zog sie ma­gisch an. Hier wur­de viel Tand feil­ge­bo­ten, aber es gab auch wirk­lich alte und in­te­res­san­te Bü­cher. Sie ließ die Au­gen schwei­fen und ihr Blick blieb auf ei­nem leicht zer­fled­der­ten, braun ver­bli­che­nen Buch haf­ten. Mit Mühe konn­te man noch den Ti­tel ent­zif­fern.

Der ge­hei­me Le­o­nar­do da Vin­ci.

Clai­re zog das Buch schein­bar des­in­te­res­siert aus dem Sta­pel und schlug die ers­te Sei­te auf. Das Buch war in alt­spa­ni­scher Spra­che ab­ge­fasst und zeig­te zahl­rei­che Al­ters­fle­cke. Aber sie lieb­te alte Bü­cher und vor al­lem … Ge­heim­nis­se.

Sie er­stand das Buch für acht Euro. Der Bur­sche, der es ver­kauf­te, hat­te von An­ti­qui­tä­ten kei­ne Ah­nung.

Lang­sam schlen­der­te sie wei­ter. Fer­nes Don­ner­rol­len kün­dig­te ein Ge­wit­ter an.

 

***

 

In strö­men­dem Re­gen er­reich­te Clai­re Bar­ce­lo­na und rann­te vom Taxi auf das Flug­ha­fen­ge­bäu­de zu. Ihre Füße – we­gen des war­men Wet­ters trug sie nur of­fe­ne Sand­alet­ten und kei­ne Strümp­fe – zeig­ten sich klatsch­nass und das Le­der der Schu­he quatsch­te.

Sie zerr­te den Roll­kof­fer hin­ter sich her und er­reich­te end­lich den Ab­fer­ti­gungs­schal­ter ih­rer Flug­ge­sell­schaft.

Är­ger­lich muss­te sie er­fah­ren, dass der Flug nach San Fran­cis­co auf un­be­stimm­te Zeit we­gen des Un­wet­ters ver­scho­ben wor­den war.

»Dann hät­te ich mir die Eile spa­ren kön­nen«, mur­mel­te sie. Es war am Ende doch noch et­was knapp ge­wor­den. Sie hat­te sich aus der Alt­stadt von Cas­tel­lo nicht los­rei­ßen kön­nen.

Er­ge­ben such­te sie das Flug­ha­fen-Restau­rant auf und be­stell­te sich Cap­puc­ci­no. Durch die gro­ßen Fens­ter starr­te sie auf das Roll­feld. Der Re­gen lief in fet­ten Bah­nen über das ge­tön­te Glas.

Eher spie­le­risch zog sie das Buch aus der Rei­se­ta­sche und blät­ter­te da­rin. Clai­re be­herrsch­te das Alt­spa­ni­sche leid­lich und so konn­te sie – wenn auch lang­sam – den Text der ver­schnör­kel­ten Schrift le­sen. Es ging um Le­o­nar­do da Vin­cis tech­ni­sche Ideen.

Da fiel ihr auf, dass das Buch im hin­te­ren Teil eine un­na­tür­li­che Di­cke auf­wies. Sie be­trach­te­te die Sei­ten ge­nau­er und stell­te zu ih­rem Er­stau­nen fest, dass je­mand dort et­was ein­ge­klebt hat­te. Eine Klad­de ohne Um­schlag. Nun er­wach­te Clai­res Neu­gier.

Sie fum­mel­te die Klad­de aus den Sei­ten, dreh­te sie in den Hän­den und schlug sie auf.

»Ein hand­schrift­li­ches Ma­nu­skript wie ein Ta­ge­buch … von 1979 …« Clai­re staun­te. Es ge­hör­te ei­nem Dr. Ser­gio Va­len­ti­no. Pro­fes­sor in Har­vard.

Him­mel! Wie kam ein Ta­ge­buch ei­nes Pro­fes­sors aus den Staa­ten in die­ses Buch und dann nach Spa­ni­en?

Da wur­de ihr Flug auf­ge­ru­fen. Rasch steck­te sie al­les in die Rei­se­ta­sche zu­rück, be­zahl­te den Kaf­fee und lief zum Si­cher­heits­check.

Es dau­er­te noch fast drei­ßig Mi­nu­ten, dann saß sie in der Ma­schi­ne. Min­des­ten zwölf Stun­den Flug la­gen vor ihr. Sie seufz­te. Aber dann husch­te ein Lä­cheln über ihre Züge. Zeit ge­nug, um sich dem Ge­heim­nis zu wid­men.

 

***

San Fran­cis­co

Fran­ci­ne hol­te sie vom Air­port ab.

Die Freun­din­nen um­arm­ten sich stür­misch.

»Na? Al­les im grü­nen Be­reich?«, frag­te Fran­ci­ne.

Clai­re zuck­te die Schul­tern. »Hun­de­mü­de.«

Fran­ci­ne lach­te me­lo­disch. »Da weiß ich was!«

Auf Clai­res fra­gen­den Blick ant­wor­te­te sie nicht, son­dern bug­sier­te sie zum Park­haus. Dort stand ihr Old­ti­mer Chevy.

Die Fahrt führ­te nicht zur Stadt, son­dern über die Rand­ge­bie­te zum Meer. End­lich schwenk­ten sie in eine Sied­lung aus klei­nen Holz­häu­sern ein.

»Man­no! Ist das schön!«, rief Clai­re aus und schau­te auf die schnu­cke­li­gen Ge­bäu­de mit gro­ßen Ter­ras­sen zum Strand hin.

Fran­ci­ne hielt vor ei­nem in sanf­tem Blau ge­stri­che­nen Haus. »Ge­hört ei­nem Be­kann­ten. Hier kön­nen wir noch ein paar Tage aus­span­nen. Der All­tag kommt schnell ge­nug.«

Clai­re war von der Idee be­geis­tert.

Sie schlepp­te ihre Sa­chen in das Haus und schau­te sich um. Es war zweck­mä­ßig und trotz­dem ge­müt­lich ein­ge­rich­tet. Es be­saß Charme!

Von ei­nem gro­ßen Fens­ter aus schau­te man aus der Cou­che­cke über das Meer.

»Herr­lich!«, rief Clai­re aus. Fran­ci­ne grins­te nur.

Clai­re pack­te aus und gönn­te sich nach dem lan­gen Flug eine Du­sche. Es war schon spä­ter Nach­mit­tag, als ein le­cke­rer Duft durch das Haus zog. Schnup­per­nd kam Clai­re aus ih­rem Zim­mer.

»Hm …«, mach­te sie. »Was ist das?«

»Him­beer-Pfann­ku­chen!«, rief Fran­ci­ne aus der Kü­che.

»Toll«, kam es be­wun­dernd von Clai­re.

»Du dach­test wohl, ich kann so was nicht? Ich lau­fe nicht den gan­zen Tag mit ’ner Ka­no­ne he­rum oder übe Ka­ra­te.«

Clai­re muss­te la­chen. »Das habe ich nie an­ge­nom­men.«

In der klei­nen Ess­ecke lie­ßen sie es sich mit Pfann­ku­chen und Wein gut­ge­hen.

Clai­re schau­te zum Fens­ter und be­merk­te, wie sich eine merk­wür­di­ge graue, teil­wei­se ins gift­grü­ne wech­seln­de Wand auf­bau­te. Gel­be und röt­li­che Blit­ze zuck­ten da­rin zeit­wei­lig.

Fran­ci­ne folg­te Clai­res Blick. »Ei­nes die­ser üb­len Un­wet­ter, die in letz­ter Zeit im­mer mehr zu­neh­men«, merk­te sie an.

»Es ist mir schon in Spa­ni­en auf­ge­fal­len. Sie bra­chen ur­plötz­lich des Nachts aus.«

Fran­ci­ne stütz­te das Kinn in die rech­te Hand­flä­che. »Un­se­re Me­te­o­ro­lo­gen ste­hen vor ei­nem Rät­sel. Die­se Häu­fung von Stür­men mit Ge­wit­tern ist un­ge­wöhn­lich. Sie ha­ben oft­mals kei­ne Chan­ce, sie vor­her­zu­sa­gen. Auf ein­mal bil­det sich so eine Wand und dann …«

»Die­se au­ßer­ge­wöhn­li­chen Far­ben …«, mur­mel­te Clai­re.

Es wur­de so fins­ter, dass sie das Licht ein­schal­ten muss­ten. Clai­re trat nahe an das brei­te Fens­ter. Die Wel­len don­ner­ten dro­hend mit ei­ner Ur­ge­walt auf den Strand und bra­chen sich dann an den Fel­sen. Ein­zel­ne Gischt­trop­fen setz­ten sich auf die Fens­ter­schei­be und lie­fen dann wie sal­zi­ge Trä­nen ab­wärts. Das Zu­cken der Blit­ze in­ten­si­vier­te sich.

Fran­ci­ne schal­te­te den Fern­se­her ein. Ge­ra­de lief ein Son­der­wet­ter­be­richt.

»… wir war­nen alle Bür­ger, bei dem sich an­bah­nen­den Un­wet­ter ins Freie zu ge­hen. Blei­ben sie in den Häu­sern.«

Fran­ci­ne lehn­te sich im Ses­sel zu­rück. »So geht das be­reits seit ei­ner Wo­che.«

Auf dem Bild­schirm folg­ten Bil­der von ei­nem Sa­tel­li­ten. Dort zeig­te sich eine wir­bels­turm­ar­ti­ge Front. Im Zen­trum schien es zu pul­sie­ren.

Clai­re beug­te sich et­was vor. »Das ist aber kein üb­li­ches Hur­ri­kanau­ge«, mein­te sie.

Fran­ci­ne run­zel­te die Stirn. »Du hast recht. Ko­misch.«

Das Un­wet­ter ent­wi­ckel­te sich zum aus­ge­mach­ten Sturm und Fran­ci­ne ließ die au­to­ma­ti­schen Kunst­stoff­blen­den he­rab­fah­ren.

»Mein Be­kann­ter hat sie an­brin­gen las­sen, nach­dem der letz­te Hur­ri­kan die Front rich­tig in Mit­lei­den­schaft ge­zo­gen hat­te.«

Wie Pis­to­len­schüs­se peitsch­te der Re­gen bald an die Au­ßen­wand. Doch im Haus fühl­ten sich die bei­den Frau­en ge­bor­gen.

Sie ver­trie­ben sich die Zeit mit ei­ni­gen Par­ti­en Schach.

Ge­gen Mit­ter­nacht klang das Un­wet­ter ab. Fran­ci­ne schal­te­te die Nacht-Nach­rich­ten ein. Bil­der von ver­wüs­te­ten Küs­ten­ab­schnit­ten lie­fen über den Schirm.

»Zahl­rei­che Häu­ser – teil­wei­se gan­ze Wohn­blocks – sind ohne Strom. In San Fran­cis­co wur­den die Pa­ra­bol­an­ten­nen ei­ner For­schungs­sta­ti­on ab­ge­ris­sen.«

»He!«, rief Clai­re. »Doch hof­fent­lich nicht bei uns?!«

Fran­ci­ne hat­te schon ihr Mo­bil­te­le­fon in der Hand. Doch die Net­ze zeig­ten sich hoff­nungs­los über­las­tet. Clai­re ließ die Blen­den hoch­fah­ren. Auf der Ter­ras­se la­gen Son­nen­schirm und Stüh­le als wir­rer Hau­fen auf­ei­nan­der. Über dem Meer schweb­te eine ein­zel­ne, schein­bar ver­ti­kal ro­tie­ren­de Wol­ke. Da­rin blitz­te es manch­mal bläu­lich.

»Hast du so was schon ein­mal ge­se­hen?«, woll­te Clai­re wis­sen. Fran­ci­ne schüt­tel­te den Kopf. Sie öff­ne­te die Ter­ras­sen­tür. Küh­le, nach Ozon rie­chen­de Luft ström­te ein. Das Meer rausch­te wild. All­er­dings be­ru­hig­te sich die Bran­dung et­was.

Plötz­lich kniff Clai­re die Au­gen zu­sam­men. Sie zeig­te nach links. »Was ist das dort?«

Fran­ci­ne folg­te dem Blick und rief un­ter­drückt: »Zounds! Sieht aus wie ein Fuhr­werk. Wie kommt das hier­her?«

We­nig spä­ter stan­den sie bis zu den Wa­den im kal­ten Meer­was­ser und schau­ten ir­ri­tiert auf ei­nen Lei­ter­wa­gen. Ein Se­gel­tuch­dach wa­ber­te nass halb im Meer.

Sie sa­hen we­der ei­nen Men­schen noch Pfer­de.

»Hat der Sturm ihn hier he­rü­ber ge­trie­ben?«, frag­te Fran­ci­ne lei­se. »Aber wer hat so et­was hier … Amisch sind nicht in der Ge­gend. Nicht hier!«

Clai­re ar­bei­te sich nä­her an das Fuhr­werk he­ran. Die Ach­sen und Na­ben zeig­ten kei­ne Rost­spu­ren. »Das Ding ist sehr neu.«

Dann ent­deck­te sie eine Ta­sche. Sie wirk­te sehr mo­dern. Clai­re wa­te­te zu­rück zum Strand.

»Das passt aber gar nicht zu­sam­men«, mein­te Fran­ci­ne.

Et­was rat­los stan­den sie da. Clai­re öff­ne­te die Hand­ta­sche, die ohne Wei­te­res von ei­nem be­kann­ten De­sig­ner hät­te ent­wor­fen sein kön­nen. Aber es stand kein Name als Emb­lem da­rauf.

In der Ta­sche ent­deck­te Clai­re alle mög­li­chen Uten­si­li­en, die eine mo­der­ne Frau so mit sich trägt. Und … ei­nen Aus­weis.

Sie hielt ihn Fran­ci­ne ent­ge­gen. Die­se nahm das feuch­te Plas­tik­do­ku­ment in die Hand.

»Anne Mer­cu­ry, ge­bo­ren 1989 – San Fre­de­ri­co.« Sie schüt­tel­te et­was ver­wirrt den Kopf. Das gescann­te Foto zeig­te eine jun­ge, dun­kel­haa­ri­ge, apar­te Frau. »Wo liegt den San Fre­de­ri­co?«

Dann schau­te sie auf den ein­ge­präg­ten Wap­pen­stem­pel. »Da kom­me ich jetzt gar nicht mehr mit. Es han­delt sich ein­wand­frei um ei­nen Aus­weis der Uni­ted Sta­tes, aber … mit dem Wap­pen des Pon­ti­fex.«

Clai­re nahm der Freun­din die ID aus der Hand. »Du hast recht«, mur­mel­te sie. »Ein ame­ri­ka­ni­scher Aus­weis mit ei­nem Stem­pel, der sehr dem Va­ti­kan äh­nelt.« Sie schau­te Fran­ci­ne mit gro­ßen Au­gen an. »Das soll­ten wir mal bei dei­ner Be­hör­de klä­ren las­sen.«

Fran­ci­ne steck­te die klei­ne scheck­kar­ten­gro­ße ID ein. »San Fre­de­ri­co … San Fran­cis­co …«, mur­mel­te sie und blick­te da­bei zum Ho­ri­zont, wo im­mer noch eine – wenn auch klei­ne­re – Wol­ke ro­tier­te.


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