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Der Welt-Detektiv Band 6

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Colorado Sunrise – Folge 6

Freie Entscheidung

Die Dämmerung setzte bereits ein und die ersten Cowboys der umliegenden Ranches ritten in die Stadt. Mae schritt auf das Haus zu. Sie hätte nie gedacht, noch einmal dorthin zu gehen, doch dieses Unrecht durfte sie nicht zulassen. Wenn sich niemand anderer einsetzte, musste sie es tun. Energisch pochte sie an die Tür. Als habe dahinter jemand gewartet, wurde diese sogleich aufgerissen. Das Lächeln auf den Lippen der Frau erstarb, stattdessen zog sie fragend die Augenbrauen hoch.

»Miss Dunlay. Falls Sie sich um Claudia Sorgen machen, ihr geht es gut.«

»Das freut mich, Mrs. … äh, Phyllis. Wäre es möglich die junge Frau zu sprechen, die heute zu Ihnen kam? Natürlich nur, wenn es keine Umstände macht«, erklärte Mae rasch, als Phyllis die Augenbrauen noch höher zog.

»Warum wollen Sie eines meiner Mädchen sprechen?«

»Ich möchte ihr einen Vorschlag unterbreiten.«

Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber in diesem Fall war eine Notlüge durchaus in Ordnung, wie Mae fand.

»Ach, Sie wollen Moralapostel spielen. Sie verhielten sich uns gegenüber sehr anständig, Sie sollen Ihren Willen haben. Möchten Sie im Haus warten?«

Unwillkürlich trat Mae einen Schritt zurück.

»Danke, das ist nicht nötig.«

Die Tür schlug zu und sie wartete eine ganze Weile, bis sie wieder geöffnet wurde. Eine junge Frau trat heraus und zog ihr Schultertuch nach vorne um ihr großzügiges Dekolleté zu verbergen. Das blonde Haar war seitlich hochgesteckt, der Rest hing im Rücken weit nach unten. Ihre Lippen waren grell bemalt, das tannengrüne Kleid stand ihr sehr gut, es betonte ihre schlanke Figur.

»Ich bin Miss Dunlay, Lehrerin in Coldwell. Es tut mir sehr leid, was mit Ihrem Vater geschah.«

Wenn Mae dachte, sie stünde einer gebrochenen Frau gegenüber, so wurde sie eines Besseren belehrt. Die Frau blickte ihr in die Augen und hob stolz den Kopf. Ihr Blick war fragend.

»Haben Sie Verwandte?«

»Nein. Meine Mutter ist schon lange tot und meine Geschwister ebenfalls.«

»Das ist entsetzlich. Darf ich fragen, wie Sie heißen?«

»Emma.«

Besonders gesprächig war Emma nicht.

»Ich möchte Sie vor einem großen Fehler bewahren. Bleiben Sie nicht in diesem Haus. Es gibt andere Möglichkeiten.«

»Wo soll ich sonst hin? Hier hab ich ein Dach über dem Kopf und zu essen. In der Stadt gibt es keine Arbeit.«

»Ich setze mich ein, dass Sie Arbeit bekommen. Wir finden einen Weg, denn hier können Sie nicht bleiben.« Mae schüttelte entschieden den Kopf. Es erstaunte sie, dass Emma beabsichtigte, hier zu bleiben.

Emma verschränkte die Hände vor ihrer Brust und legte den Kopf schief. »Sind Sie im Komitee für Sitte und Anstand?«

»Nein. Ich möchte Ihnen helfen.«

»Kümmern Sie sich nicht um mich. Das kann ich sehr gut selbst. Sehen Sie mich an. Früher hatte ich nie Zeit, mein Haar zu kämmen. Wozu auch? Bei der Arbeit auf dem Feld war es egal, wie ich aussah. Nie zuvor trug ich ein schöneres Kleid.«

Ehrfurchtsvoll strich sie über den Stoff. »Es ist fast so schön wie Ihres.«

»Das kann doch kein Grund sein, hier zu bleiben.«

»Was wissen Sie von meinem Leben?« Nun zeigte Emma Emotionen. »Kennen Sie den Alltag eines Farmers? Können Sie sich vorstellen, täglich hungrig und müde ins Bett zu fallen? Wissen Sie, wie es ist, vertrieben zu werden, weil ein Großrancher Weideland benötigt und die Siedler kurzerhand verjagt? Wissen Sie, wie es ist, die Ernte durch Regen, Feuer oder Heuschrecken zu verlieren? Ich habe dieses Leben satt und nun lassen Sie mich in Ruhe.«

Sie drehte sich um und öffnete die Tür.

»Wie alt sind Sie. Ich schätze fünfzehn.«

Zum ersten Mal lachte Emma, doch es war kein freundliches Lachen. »Ich bin alt genug.«

Phyllis erschien in der Tür. »Kommst du, Emma? Es wird Zeit.«

Emma wandte sich zu Mae. »Ich danke Ihnen trotzdem.« Dann drehte sie sich um und ging hinein.

Nachdem sich Mae und Phyllis eine Weile schweigend musterten, sagte Phyllis: »Auch wenn Sie Lehrerin sind, können Sie die Welt nicht ändern.« Sie nickte ihr kurz zu und ging ebenfalls ins Haus.

Mit zusammengepressten Lippen starrte Mae auf die geschlossene Tür. Das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Oh, nein. Sie wusste, was zu tun war.

Die Dunkelheit war fortgeschritten. Grace würde sich Gedanken über ihren Verbleib machen, doch dieses Vorhaben hatte Vorrang. Sie ignorierte die neugierigen Blicke der eintreffenden Cowboys. Nach Einbruch der Dunkelheit sah man selten Frauen auf der Straße, ehrbare Frauen. Doch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen.

***

»Tür zu, is kalt«, nuschelte eine Stimme hinter der Zeitung, die das Gesicht verdeckte. Der Mann wippte mit dem Stuhl und stützte sich mit seinen schmutzigen Stiefeln am Tisch ab. Das Sheriffs Office war ein kleiner Raum, dessen Wände mit Steckbriefen und Zeitungsausschnitten tapeziert waren.

Mae schloss die Tür hinter sich. »Guten Abend, ich suche den Sheriff.«

Der Mann verlor beinahe die Balance. Füße vom Tisch nehmen, aufspringen und Hut vom Kopf reißen, das alles geschah beinahe gleichzeitig. Wenn die Angelegenheit nicht so ernst gewesen wäre, hätte Mae gelacht.

»Miss Dunlay.«

»Ich möchte den Sheriff sprechen.«

»Der Sheriff dreht seine Runde. Möglicherweise ist er im Saloon, aber er wird sicher bald hier sein. Wenn Sie so lange warten möchten?«

Burt Rowell, der Deputy war klein und krummbeinig und nicht mehr ganz jung. Seine Kleidung, abgesehen von seinen Stiefeln, war gepflegt, sein Gesicht frisch rasiert.

»Danke, ich komme später wieder.« Mae wandte sich zur Tür.

»Ich begleite Sie. Eine Lady sollte um diese Zeit nicht mehr auf der Straße sein.«

Ein übereifriger Deputy fehlte ihr noch.

»Das ist sehr liebenswürdig, aber dann ist das Office unbesetzt. Ich möchte nicht, dass Sie Schwierigkeiten mit dem Sheriff bekommen. Es ist nicht weit nach Hause. Mir wird nichts geschehen.«

»Das kann ich unmöglich zulassen, Miss.«

»Ich will nicht, dass Sie meinetwegen Ärger bekommen.«

Rowell kratzte sich am Kinn.

Entweder er war im Denken langsam, oder ihr Besuch hatte ihn durcheinandergebracht. Doch das war nicht ihr Problem. Sie hatte etwas zu erledigen.

Er eilte zur Tür und öffnete. Als sie ihm dankend zulächelte, grinste er über das ganze Gesicht.

***

Mae hatte keineswegs vor, unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen. Wenn der Sheriff im Saloon war, würde sie ihn eben dort treffen.

Lautes Stimmengewirr führte sie. Ein Cowboy, der den Saloon betreten wollte, sah sie verblüfft an, zog seinen Hut und ließ ihr den Vortritt. Rauch brannte in ihren Augen. Der Dunst von Alkohol, Tabak und ungewaschenen Männern erschwerte das Atmen. Sie sah sich um. Durch die Rauschschwaden, der wie feiner Nebel die Menschen umhüllte, erkannte sie die Gesichter nur undeutlich. Irritierte, schmunzelnde und erwartungsvolle Mienen blickten ihr entgegen. Gläser und Flaschen klirrten, Karten wurden an den Tischen ausgeteilt. Über der Bar hing ein großes Bild. Die leichtbekleidete Frau darauf veranlasste Mae, ihren Blick rasch abzuwenden.

»Süße, bischt du neu?« Der Mann in der abgetragenen Kleidung saß an einem der Tische und prostete ihr zu. Seine Augen glänzten bereits zu dieser frühen Abendstunde vom Alkohol.

»Halts Maul! Das ist die Lehrerin«, rief eine Stimme.

Raunen erfüllte den Raum, Getuschel, dann wurde es still. Mae fühlte sich unwohl. Alle Blicke waren auf sie gerichtet.

»Weiß sie nicht, dass Unterröcke hier nichts zu suchen haben?«, fragte jemand.

»Miss, Sie sollten besser nach Hause gehen«, empfahl ein älterer, bärtiger Mann, der neben ihr stand. »Das ist kein Ort für anständige Frauen.«

Von überall klangen Stimmen, die mehr oder minder dasselbe aussagten, dass sie sich hier nicht aufhalten durfte. Trotzig hob Mae das Kinn.

»Honey, leiste mir … Gesellschaft.« Der Betrunkene von vorhin stemmte sich schwerfällig von seinem Stuhl hoch.

»Lass die Lady in Ruhe, sonst schmeckst du meine Faust.«

Ein junger Cowboy trat mit stolz geschwellter Brust nach vorne. Er gefiel sich in der Rolle des Beschützers.

»He, beleidige meinen Kumpel nicht, sonst kriegst du eine auf die Schnauze«, polterte einer, der am selben Tisch mit dem Betrunkenen saß, und erhob sich.

Maes Beschützer trat dem anderen mit drohendem Blick entgegen.

Nun wurde es Mae mulmig. Sie würde das Angebot des Deputys in Anspruch nehmen und im Office auf den Sheriff warten. Ehe sie sich versah, legte der Betrunkene seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie auf seinen Schoß. Sie wollte hochschnellen, doch er verstärkte seinen Griff.

»Du bischt ein schnuckliges Honey«, lallte er und lachte.

Unwillkürlich streckte sie eine Hand nach unten, um sich hochzustemmen. Der Jauler seinerseits und die Hitzewelle, die sie durchfuhr, als sie erkannte, wo sich ihre Hand befand, waren eins. Die Erde sollte sich auftun und sie verschlingen, doch dies geschah zu ihrem Leidwesen nicht. Sie musste sich schnellstens befreien. Sie versuchte wieder aufzuspringen, wobei sie sich noch fester abstemmte und entlockte dem Mann einen gellenden Schrei. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden richtete sich auf sie. Weiter hinten Stehende drängten sich nach vorn, um besser zu sehen. Mit glühendem Gesicht versuchte sie sich zu wehren, doch in seinem Schmerz hielt er sie fest umklammert und egal, wo ihre Hand sich abstützte, es fühlte sich alles weich an.

»Verdammtes Weib«, stammelte er.

»Der beleidigt unsere Lehrerin. Dem geben wir eins aufs Maul«, schrie jemand.

Die Situation eskalierte. Gläser barsten, Flüche wurden laut und Männer brüllten. Plötzlich wurde Mae aus den Armen des Betrunkenen gerissen und zwischen kämpfenden Männern durch den Raum getragen. Manche brachten sich in Sicherheit, andere stürzten sich ins Getümmel und plötzlich schien jeder auf den anderen einzuprügeln.

»Lassen Sie mich sofort runter.«

Sie hing mit dem Oberkörper über der Schulter eines Mannes und hieb mit der Hand auf seinen Rücken, doch das schien ihn nicht weiter zu stören. Im Freien stellte er sie auf den Boden.

»Was fällt Ihnen ein?«

Sie richtete ihr Kleid. Im Schein der beleuchteten Fenster erkannte sie den Sheriff.

»Ich habe Sie gerettet. Sie sollten sich ein wenig dankbarer zeigen«, entgegnete er.

»Dankbar? Sie haben mich wie eine Ware herumgetragen.«

Aus dem Saloon waren die Laute einer wilden Schlägerei zu hören.

»Chuck«, rief der Sheriff einem Vorbeigehenden zu. »Lauf zu Burt, er soll hier nach dem Rechten sehen.« Dann wandte er sich wieder Mae zu. »Sie zetteln eine Rauferei an, kastrieren fast einen Cowboy und regen sich auf?«

Dieses eine Wort befand sich nicht in ihrem Wortschatz, doch sie hatte eine Ahnung, in welche Richtung es ging. Sie spürte die Hitze der Schamesröte, die sich vom Nacken bis zur Stirn zog.

»Ich habe nichts getan. Gar nichts.«

»Was denken Sie sich dabei, hier aufzukreuzen? Das ist kein Ort für Frauen.«

»Ich suche Sie, was denn sonst.«

Mae war außer sich. Er beschuldigte sie an dem Schlamassel schuld zu sein, dabei war er der Schuldige.

»Wenn Sie im Office gewesen wären, dann wäre das alles nicht geschehen.«

»Ich habe mehr Aufgaben, als nur im Office einen gemütlichen Abend zu verbringen. Dank Ihnen, jetzt mehr Arbeit.«

Burt Rowell lief an ihnen vorbei, bedachte sie mit einem sonderbaren Blick und verschwand im Saloon.

»Mehr Arbeit, dass ich nicht lache. Ihr Deputy wird wohl in der Lage sein, die Meinungsverschiedenheiten dort drinnen zu klären.«

Ben Tucker schüttelte den Kopf und lachte schallend. »Also, in welch dringender Angelegenheit wollen Sie mit mir sprechen? Ich nehme an, dass es dringend ist.«

»Natürlich ist es dringend, verstehen sie? Oder warum sollte ich Sie wohl sonst hier suchen?«

»Ich versteh Sie sehr gut, denn Sie sprechen ziemlich laut. Ich bin nicht schwerhörig, falls Sie das annehmen.«

Der Lichtschein war hell genug, um sein Grinsen zu sehen.

Es war ihr entgangen, dass sie inzwischen sehr laut sprach. Das war nur seine Schuld. Dieser Mensch regte sie auf und sie wusste nicht einmal warum. Sie atmete ein paar Mal tief durch.

»Sheriff, heute kam ein Mädchen in die Stadt, um nach Arbeit zu fragen. Ihr Vater ist verstorben und sie hat nun niemanden der für sie sorgt. Sie ist im Haus …« Mae überlegte, wie sie es richtig formulieren sollte.

»Im Hurenhaus, ich hab davon gehört.«

Wie beiläufig er davon sprach. Erstens das widerliche Wort und zweitens schien es ihn nicht zu stören.

»Emma ist sehr jung. Sie dürfen nicht zulassen, dass ein Mädchen …« Nun wusste sie nicht mehr weiter.

»Dass ein Mädchen was?« Er schmunzelte.

»Machen Sie sich nicht lustig über mich. Sie müssen es verbieten. Ich bestehe darauf.«

»Glauben Sie mir. Phyllis‘ Haus gehört zu den nobleren. Die Mädchen könnten es weit schlechter haben.«

Phyllis. Er kannte die Besitzerin beim Namen. Kein Wunder, als alleinstehender Mann.

»Das ist einerlei. Das Mädchen ist zu jung und Sie haben die Pflicht sie dort herauszuholen. Und zwar gleich.«

»Ich denke nicht daran, etwas Derartiges zu tun. Ich nehme nicht an, dass die Frau in dem Haus gefangen gehalten wird. Und jetzt begleite ich Sie nach Hause.«

»Wenn Sie vergessen haben, Ihre Pflicht als Sheriff wahrzunehmen, dann hole ich das Mädchen selbst heraus. Und zwar sofort.«

»Das werden Sie nicht tun.«

»Oh doch.«

Aus den Fenstern der umliegenden Häuser ragten Köpfe, auf der Straße hatten sich zahlreiche Gaffer und Zuhörer eingefunden. Wetten wurden abgeschlossen, wer von ihnen die Oberhand behielt. Die meisten hielten zum Sheriff, einige der Cowboys wetteten auf Mae.

»Sehen Sie, was Sie angerichtet haben?« Mae zeigte auf die Menschenansammlung.

»Ich?« Der Sheriff schob seinen Hut in den Nacken. »Sie borstiges Frauenzimmer. Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit, mich mit Ihnen zu unterhalten. Kommen Sie, ich bring Sie nach Hause.«

Mae war zu stolz, um nachzugeben. »Ihnen mag das Leben dieses Mädchens egal sein, mir nicht.«

»Ich hab diese Diskussion satt. Ich verhafte Sie.«

Plötzlich wurde es ringsum ruhig. Sein Gesichtsausdruck war ernst. Sie suchte nach einem Lächeln, einer Geste, die ihr zeigte, dass es ein Scherz war. Doch sein Blick war hart. Du lieber Himmel, in was war sie nur hineingeraten? Und wer trug die Schuld daran? Dieser Nichtsnutz von Sheriff.

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