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Advocatus Diaboli

Herausgeberin Alisha Bionda hat in der vorliegenden Anthologie 15 Autorinnen und Autoren versammelt, denen für ihre Geschichten ein gemeinsames Thema vorgegeben wurde, nämlich, sich der Frage zu stellen: »Was qualifiziert eine Seele für einen Platz in der Hölle?« und »Wie kann eine solche Bewerbung vonstattengehen?«

14 Geschichten düsterer Phantastik sind daraus entstanden, die überwiegend einem hohen Qualitätsstandard genügen.

Herr Sanders von David Grashoff

präsentiert einen Dämon im Außendienst, der nicht nur einem Nebenerwerb nachgeht, sondern auch den Plan verfolgt, Luzifer von seinem Thron zu stürzen.

Der Dämon sucht den Zollbeamten und Serienmörder Joachim Sanders auf und bietet diesem einen Handel an. Doch die nächtliche Unterhaltung zeitigt ein anderes Resultat als erwartet.

Eine pointierte, böse Geschichte, die sich einer lockeren, modernen Sprache bedient und bei der man schon bei den Kapiteln vorangestellten Zitaten, die teilweise der Populärkultur entlehnt sind, schmunzeln muss.

Die Bewerbung von Thomas Plischke

macht schon im Titel eindeutig klar, um was hier geht, nämlich um ein Bewerbungsgespräch für einen Job in der Hölle. Ein Gespräch, welches sich für den Personalverantwortlichen alsbald als zweischneidiges Schwert herausstellt.

Eine schwarzhumorige Satire auf Verfahrensmuster im Recruitmentprozess.

Die Beichte von Nicolaus Equiamicus

Ein gerade verstorbener Pfarrer erlebt bei seinem Treffen mit Luzifer eine böse Überraschung, war doch der Pakt, den er zu Lebzeiten zu schließen glaubte, etwas einseitig.

Eine launige Geschichte, in der ebenfalls die Bewerbung für die Hölle im Vordergrund steht.

Engelsfall von Dave T. Morgan

Der Engel Jack will sich umorientieren, doch ehe er sich endgültig für die Hölle entscheidet, will er sich vorab informieren und qualifizieren, doch das geht nur mit einem Umweg über die Welt der Menschen.

Vom sprachlichen Ausdruck her steht diese Geschichte ihren Vorgängern in nichts nach, doch erfährt sie etwa drei Seiten vor ihrem Ende gefühlsmäßig einen Bruch, gerade so, als wolle der Autor endlich zum Schluss kommen. Festzustellen ist weiterhin, dass Eingangsprämisse und Ende der Geschichte irgendwie nicht richtig zusammenpassen.

Dein Name sei Antobaal von Bernd Rümmelein

Der Protagonist Anton Haslinger ist auf der Suche nach einem Mädchen, welches er verderben und dem Teufel opfern kann, um so selbst zum Prinzen der Hölle zu werden.

Wenn auch thematisch bedingt, ist die Darstellung von Kindesmissbrauch wie auch die Anstiftung des Kindes zum Mord, auch in einer Horrorgeschichte, eine recht zwiespältige Angelegenheit und sollte keinesfalls unkritisch überlesen werden.

Wahrscheinlich die härteste Geschichte dieser Anthologie hinsichtlich der expliziten Darstellung von Gewalt.

Virus von Gian Carlo Ronelli

Ein kleines Mädchen, die 10jährige Patricia Darlington, verschafft sich Zugang zum Teufel, steht ihr Name doch ganz oben auf der Bewerberliste der Seelen, die Einlass in die Hölle begehren. Und Patricia hat eine Geschichte zu erzählen, die den Teufel durchaus zu faszinieren weiß und gleichsam nachlässig werden lässt.

Ronelli schildert die Handlung aus der Sicht des Höllenfürsten, lässt Satan als Ich-Erzähler auftreten, sodass der Leser nicht schlauer ist als der Teufel selbst.

Die Person eines kleinen Mädchens als Protagonistin zu wählen, macht die Geschichte besonders perfide, ist Patricia doch ein wirklich böses, böses Mädchen.

Die Vernunft im Blute von Marc-Alastor E.-E.

Dr. Otto Hartmann von Wimmer muss sich vor Gericht verantworten. Ist er doch auffällig geworden durch eine, im Vergleich zu anderen Kollegen seiner Zunft, beträchtliche Anzahl von Obduktionen, die zudem von Auftrag, Verfahrensweise und Entlohnung nicht dem üblichen Rahmen entsprechen.

Als Erzähler tritt hier ein gewisser Dr. Seferenzi auf, offensichtlich Anwalt des Beklagten, der sich aber mehr in der Rolle des Beobachters als des Verteidigers gefällt.

Mit einem Täuschungsmanöver versucht er, sich Zugang zur Hölle zur verschaffen.

Wer den Autor kennt, weiß, dass dieser sich gerne einer etwas antiquierten Sprache bedient und so lässt Marc-Alastor E.-E. auch hier Worte des Mittelhochdeutschen einfließen. Nicht unpassend und sicherlich auch dem Handlungszeitraum, dem Beginn des 18. Jahrhunderts, geschuldet.

So sind auch erwähnte Personen wie die Prinzessin Eleonore von Lobkowitz (1682 – 1741), spätere Fürstin von Schwarzenberg, historisch verbürgt, die Handlung aber selbstverständlich fiktiv.

Mit 43 Seiten hat Marc-Alastor E.-E. die längste Geschichte und damit das Kernstück dieser Anthologie beigesteuert, weshalb dem Text auch eine etwas ausführlichere Betrachtung gewidmet ist. Die Vernunft im Blute ist nicht immer ganz einfach zu lesen und das nicht nur wegen des angewandten Sprachduktus, sondern aufgrund des häufigeren Wechsels der Erzählperspektive, manchmal innerhalb zweier direkt aufeinander folgender Sätze von der Dritten zur Ersten Person, was durchaus verwirrend sein kann.

Die Geschichte spielt auf mehreren Ebenen (was durchaus positiv zu werten ist). Es geht um Untote und Vampire wie auch um das Einlassbegehren in die Hölle, um Historie und gleichsam um Unterhaltung.

Beim Lesen drängte sich mir die These auf, dass der Autor diese Vampirgeschichte eventuell bereits vorliegen hatte und sie erst nachträglich in den Rahmen der Storyanforderung dieser Anthologie eingepasst hat, womit sich auch der etwas uneinheitliche Eindruck, den die Geschichte hinterlässt, erklären ließe.

Als habe der Autor die potenzielle Kritik an der sich stellenweise im Kreis drehenden Handlung selbst bemerkt, lässt er zum Ende des 10. Kapitels genau dieses den Richter feststellen, nämlich, dass der Prozess auf der Stelle trete und ein Fazit immer noch ausstehe.

Letztendlich überrascht Die Vernunft im Blute mit einer doppelten Pointe, wobei allerdings beide nicht wirklich überzeugen können, aufgesetzt und wie aus dem Hut gezaubert wirken.

Mein persönliches Fazit geht konform mit einem Zitat Luzifers auf der letzten Seite der Geschichte: »Du hast mich getäuscht, wahrlich, das ist dir gelungen. Aber unterhaltsam war es keinesfalls.«

Passion Killer von Aino Laos & Christoph Marzi

Eine Selbstmörderin, die zuvor ihren Geliebten und eine seiner Gespielinnen ermordet hat, erhält ein zweites Leben, eine zweite Chance. Gleiches widerfährt auch ihrem Opfer, einem gelangweilten Snob und Serienmörder.

Dieselbe Geschichte erzählt aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln, mit einem schon fast zynischen, ausweglosen Ende. Die Hölle muss nicht immer eine geografische Ausprägung haben.

Poison Eve von Tanya Carpenter

macht ihrem Namen alle Ehre, mordet sie doch mit Schlangengift, mit dem Ziel, selbst den Thron der Hölle zu besteigen.

Etwas klischeebeladen und nicht immer ganz einer inneren Logik folgend, weist die Geschichte einen relativ starren, man könnte aber auch sagen, sehr geradlinigen Handlungsverlauf auf.

Tag der offenen Tür von Torsten Stäter

Ein Rasiermesser-Mörder, der zu Karneval sein Unwesen treibt, wird im Jenseits einer Prüfung unterzogen. Wie sich am Schluss zeigt, kann es durchaus von Vorteil sein, sich in trivialkulturellen Dingen auszukennen.

Surreal, absurd, satirisch, böse und gleichzeitig sympathisch ob der zur Schau gestellten Karneval-Antipathie.

Unlicht von Ascan von Bargen

Ein Auftragskiller, der, während er selbst im Koma lag, dem Teufel begegnet sein will, stirbt auf mysteriöse Art und Weise in seiner Zelle, in einer abgelegenen Anstalt. Die Tochter des einstigen Opfers, als Kriminalpsychologin tätig, hat vor seinem Ableben Gelegenheit, den Täter zu befragen. Ist dieser wahnsinnig, lügt er oder spricht er am Ende gar die Wahrheit?

Eine ziemlich krude, fragmentarische Story, innerhalb derer der Autor versucht, eine Lovecraftsche Atmosphäre zu schaffen, zugleich aber Schwierigkeiten hat, seinem eigenen Handlungsbogen zu folgen. Indem von Bargen plakative Ausdrücke wie »blasphemische Albträume« nutzt, von Wahnsinn und Psychiatrie spricht, versucht er eine gedankliche Assoziation zum Sanatorium der Kurzgeschichten H.P. Lovecrafts wie auch dem Arkham Asylum des DC-Comic-Universums herzustellen. Doch diese Versatzstücke allein generieren noch kein unheilvolles Fluidum.

Die Macht der Ewigkeit von Melanie Stone

Der Todesengel Esmael, der schon jahrhundertelang die Seelen der Verstorbenen zu den »Schleiern« begleitet, um sie dem Jenseits zu übergeben, wird ermordet, landet in der Hölle und wird mit Luzifer konfrontiert, dessen Untergebener er werden will.

Esmaels Sinneswandel resultiert aus der Tatsache, dass er zu Lebzeiten entdecken musste, dass er – wie auch die übrigen Todesengel – im Grunde überflüssig sind, denn das Gros der Seelen findet seinen Weg von ganz alleine zu den Schleiern.

Doch will man den Teufel von seinen Qualitäten und seinem Nutzen für die Hölle überzeugen, sollte man sich beeilen, denn die Zeit für ein solches Bewerbungsgespräch ist limitiert. Wird Esmael sein Ziel erreichen können?

Eine unterhaltsame Geschichte, die keinen Anlass zu Kritik bietet.

Rolfs Methode von Sören Prescher

erzählt von einem Unternehmensberater, der eine marode Textilfirma wieder auf Vordermann bringen soll und dabei über Leichen geht.

Prescher schildert Unternehmensalltag und langweilt mit dem seitenlangen Herunterbeten von Sanierungsmaßnahmen. Das Ganze ist so unterhaltsam wie ein Wikipedia-Eintrag und strotzt zudem vor Fehlern. Allein 13 Rechtschreibfehler sind mir in diesem kurzen Text aufgefallen (wobei die übrigen Seiten dieses Buches fast fehlerfrei sind!). Auch ist ein »Desktop« kein Gerät, das man sich eben mal unter den Arm klemmt, sondern »die sichtbare Arbeitsfläche von grafischorientierten bzw. objektorientierten Benutzeroberflächen wie zum Beispiel Windows …« (PC-Lexikon: www.bullhost.de)

Der Autor arbeitet hier mit einer Anhäufung von Klischees und lässt oft auch eine innere Logik seiner Geschichte vermissen. Es ist z. B. nicht nachvollziehbar, dass ein solch` gewiefter Unternehmensberater wie besagter Rolf bei der ersten kleinen Schwierigkeit – und sein Job besteht ja gerade aus dem Lösen von Problemen – als einzigem Ausweg zu Mord greift. Auch ist der Charakter nicht eindeutig ausgearbeitet: Mal ist Rolf der Halunke und Täuscher, dann wiederum das engagierte Arbeitstier.

Bei dieser, aber wohlgemerkt nur bei dieser Geschichte, hat das Lektorat erheblich gepatzt.

Rolfs Methode ist sowohl inhaltlich als auch formal eindeutig die schwächste Story der Anthologie, bei der man zudem den Eindruck gewinnt, als hätte sich der Autor sogar noch eigenen Frust von der Seele geschrieben.

Der Engel von Andrä Martyna

Im Jahre 1831 wird die Bremer Giftmörderin Gesche Timm hingerichtet und landet in einer Art Übergangszone, wo sich der weitere Weg der Seelen entscheidet. Dort trifft sie auf Kain (!), der Gesche zu verstehen gibt, dass das Geschäft mit den Seelen eine Art Wettstreit zwischen Himmel und Hölle ist. Gesche ist entsetzt, hat sie doch zu Lebzeiten gezielt auf einen Platz in der Hölle hingearbeitet, so glaubt sie zumindest, die nun so gar nicht ihren Vorstellungen entspricht. Sie erhält die Chance, Luzifer ihre Lebensgeschichte zu erzählen, doch dessen Ziel ist ein ganz anderes als sie vermuten kann.

Gesche Gottfried, geb. Timm, hat tatsächlich gelebt (1785 – 1831). 15 Morde wurden ihr nachgewiesen und ihr Tod auf dem Schafott war die letzte öffentliche Hinrichtung in Bremen. Martyna ist somit der zweite Autor dieser Anthologie, der sich einer historischen Person bedient und um deren Leben bzw. Tod eine Geschichte strickt.

Aber es geht dabei nicht nur um Phantastik, Martyna thematisiert hier auch den Glauben an sich und dessen Bedeutung.

Advocatus Diaboli ist ein Buch, das zu allererst durch seine Optik besticht. Ein schmuckes Hardcover, Fadenheftung, hochwertiges Papier, Vignetten als obere Randverzierung auf jeder Seite sowie als stilvolle Kapiteltrenner.

Jeder Geschichte ist eine Schwarz-/Weiß-Grafik des Hannoveraner Künstlers und Autors Andrä Martyna vorangestellt, der auch das Titelbild geschaffen hat. Grafiken, die sehr gut auf den Folgetext einstimmen, diesen symbolisieren, wobei besonders unheimlich und beeindruckend die bildlichen Interpretationen Luzifers gelungen sind (mein Favorit ist der medusenhäuptige Satan). Martynas Technik, unter Verwendung des Computers, kann mal wohl am besten als »Fotocomposing« bezeichnen. Leider ist dieser talentierte Künstler und Autor, im Alter von nur 53 Jahren, am 06.08.2011 verstorben, sodass seine Arbeit an Advocatus Diaboli mit zu seinem erinnerungswürdigen Vermächtnis gezählt werden kann und muss.

Neben der Herausgeberin und dem Künstler werden im Anhang auch sämtliche Autorinnen und Autoren biografisch vorgestellt.

Deutsche und internationale Autorinnen und Autoren sind in dieser Anthologie vertreten und offenbaren dem geneigten Leser ihre morbidesten Phantasien, an denen der Teufel wahrlich seinen Spaß hätte.

Fast alle Geschichten befinden sich auf einem sprachlich wie auch erzählerisch hohen Niveau und die meisten können, für sich alleine betrachtet, auch inhaltlich vor einem kritischen Lesepublikum bestehen.

Doch gerade hier offenbart sich alsbald ein Manko dieser Anthologie, wenn man sie denn in ihrer Gesamtheit betrachtet. Aufgrund der geforderten Handlungselemente wie »Dialog des Verstorbenen mit dem Teufel«, »die Schilderung seiner Schandtaten«, die Bewerbung um einen/den Platz in der Hölle, kommt es, logischerweise, gerade inhaltlich zu einigen Parallelen in Handlung und Ablauf der Geschichten. Trotz oft origineller Grundidee und unterschiedlicher Herangehensweise an die Storyvorgabe holt das gewünschte Konzept den Erzähler schnell wieder ein. Und nach dem Lesen von vier, fünf Geschichten in Reihe, stellten sich bei mir als Rezipient dann doch gewisse Ermüdungserscheinungen ein. Somit hege ich durchaus ambivalente Gefühle für diese Anthologie. Zum einen originelle Plots und hohes Niveau hinsichtlich deren Umsetzung, zum anderen Wiederholungen inhaltlicher Elemente, die sich beispielsweise nur in Art oder Anzahl der geschilderten Grausamkeiten unterscheiden.

Interessant auch, dass sich die Autoren/Autorinnen überwiegend der Vorstellungen wie auch dem Sprachgebrauch der christlichen Theologie, bei der Verwendung von Namen und Bezeichnungen wie Teufel, Satan, Luzifer und Hölle, bedienen. Bei den Beschreibungen des optischen Erscheinungsbildes ähnelt der Teufel allerdings eher einem Al Pacino in Im Auftrag des Teufels oder Robert DeNiro in Angel Heart als einem Hellboy.

Müsste ich einen persönlichen Favoriten dieser Anthologie benennen, wäre es wohl Tag der offenen Tür von Torsten Sträter, der mit seiner Story zudem das vorgegebene Schema aufbricht, so wie es übrigens auch Passion Killer tut.

Fazit: Advocatus Diaboli ist ein, trotz mancher Kritik, durchaus empfehlenswertes und hochwertiges Buch, dessen Geschichten man aber am besten über einen längeren Zeitraum verteilt lesen sollte, um so der »Wiederholungsfalle« zu entgehen.

Copyright © 2012 by Stefan Bellack

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Alisha Bionda (Hrsg.)
Advocatus Diaboli
Titelillustration: Andrä Martyna
Umschlaggestaltung: Atelier Bonzai
Innenillustrationen: Andrä Martyna
Anthologie, düstere Phantastik
Hardcover
Edition Roter Drache
Rudolstadt
November 2010
336 Seiten, 20,00 €
ISBN: 9783939459224