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Perry Rhodan Band 2872 – Leccores Wandlungen

band-2872-leccores-wandlungenMichael Marcus Thurner
Perry Rhodan Band 2872
Leccores Wandlungen

Der Gestaltwandler Attilar Leccore, ein Koda Aratier, kann wie andere Lebewesen aussehen. Und mehr als das: Er schlüpft in verschiedene Körperformen und Identitäten, denn er nimmt mit der Verwandlung auch Charakter und Gedächtnis des Nachgeahmten an. In diesem Roman erkundet er die Tiuphorische Zivilisation und die Machtspiele der Tefroder.

Attilars stetig wachsende Schwierigkeiten, in der Rolle Reste seiner Identität als Wahlterraner zu bewahren, also sein Ringen um das eigene Ich einerseits und sein Drang, in anderen aufzugehen, andererseits ist das eigentlich tragende Anliegen des Romans. Seine Identitätssuche verschärft mit jeder neuen Identität, mit jedem Wechsel zwischen den Identitäten, die Leccore annimmt, um die Milchstraße zu retten. Jedenfalls solange er sich an diese Absicht erinnert.

Als Leiter des Terranischen Ligadienstes und Wahlterraner will er die Tiuphoren auskundschaften und wurde ein Tiuphore, um durch sein Doppelspiel das Täuschungsmanöver mit der BRITOMARTIS anzubahnen: Man will den Tiuphoren glaubhaft machen, dass die Milchstraßenvölker nur einen unwirksamen Schutz gegen die Indoktrinatoren gefunden hätten, um Zeit für die Massenproduktion der neuen Waffe zu gewinnen. Hierzu lässt Leccore sie die BRITOMARTIS selbst präparieren, ehe der waghalsige Flug beginnt, den Leo Lukas in Der Flug der BRITOMARTIS (PR 2871) erzählt.

Um entsprechenden Einfluss zu gewinnen, hat sich Leccore des Orakelpagen Paqar Taxmapu bemächtigt und tritt in seiner Gestalt und seiner Persönlichkeit an Bord des Sternengewerks CIPPACOTNAL auf. In verbalen Gefechten und Rangkämpfen rund um das Catiuphat, das Jenseits der Tiuphoren, das sich im Seelenbanner des Schiffes manifestiert, setzt er sich mit Maxal Xommot auseinander und dem Orakel Urccale.

Der Leser folgt den einander Bekämpfenden immer tiefer in das tiuphorische Jenseits, das sie als gebauschte Membran aus rotgoldenen Tiucui-Hyperkristallen von etwas 30 Metern Durchmesser, dem sogenannte Sextadim-Banner, am Bug jedes ihrer Schiffe mit sich führen. Es ist voll von den eigenen unvergänglichen Toten und den erbeuteten Bewusstseine – Seelen – ÜBSEF-Konstanten tapferer Gegner, die den Aufenthalt als durch nichts begrenzte Qual empfinden. Leccore streift in der kristallinen Welt des Banner herum, erlebt sie als Erfüllung und Ort seiner Sehnsucht. Er erlebt von Ebene zu Ebene verschiedenartige Begegnungen.

Der Konflikt in seiner Außenwelt erreicht die nächste Phase im Helitassystem, in dem die Tiuphoren eine Einigung der Terraner mit den Tefrodern zu untergraben suchen. Sie erpressen ihren Herrscher Vetris-Molaud: Er soll die lebende Statue des Meisters der Insel Zeno Kortin ausliefern, damit dessen besondere Seele ins Catiuphat eingehen kann. Nach der Landung auf Tefor. Attilar/Paqar knüpft Kontakt zu einem tefrodischen Geheimdienstagenten, Ev-Pothennen, den er ausschaltet, um sein Leben zu »übernehmen«.

Ev-Pothennen ist ein Frauenheld, der mit vielen weiblichen Personen aus dem Umfeld des Matan schläft. So erfährt Leccore in den jeweiligen Betten von dem Druckmittel, mit dem der Tomcca-Caradocc Vetris-Molaud gefügig macht: Er hat seine kleine Tochter Saliana in seiner Gewalt, das einzige Wesen, das Vetris-Molaut liebt.

Sobald Leccore wieder Orakel-Page an Bord der CIPPACOTNAL ist, kann er das sexuelle Interesse, in dem er eben noch schwelgte, nicht mehr verstehen. Erneut taucht er in das Catiuphat ein, findet Erfüllung und Ruhezone. Die ins Catiuphat eingegangenen Seelen – ÜBSEFS – werden nach und nach in die inneren Schichten, die Tori, geführt, wenn sie sich unter der Anleitung der Orakel an ihre neue Existenz gewöhnen. Bis in den zweiten Torus der Trostreichen kann Leccore ihnen folgen, doch in den dritten Torus der Ahnen kommt er nicht und erst recht nicht in den »Schimmer« und in die »Namenlosen«, die Tori fünf bis sieben. Doch er bekommt Kontakt zu anderen Bannern und erfährt den Namen des tiuphorischen Drahtziehers hinter der Entführung.

Leccore übernimmt die Rolle des Tiuphoren Dekknotay und erfährt alles über die Erpressung und wie Vetris-Molauts treue Technoskorpione von Indoktrinatoren verseucht sind und das Kind gefangen halten. Leccore wird wieder Ev-Pothennen. Er kontaktiert den begabtesten aller Mutanten, Assan-Assoul, der vollständig entsetzt ist über die Forderung der Tiuphoren, ihn und Zeno Kortin dem Catiuphat zu übergeben. Leccore als Dekknotay besorgt ihm eine abgeschirmte Box mit passiven Indoktrinatoren zum Üben: Der Mutant soll die befallenen Technoskorpione ausschalten.

Assan-Assouk verzweifelt angesichts der eigenen maßlos überlegenen Paragaben: Er kann nicht nur als Para-Konfigurator die Kräfte andere Mutanten übernehmen, sondern er ist auch ein Para-Dysfaktor. Hat er seine Gaben jemals voll entfaltet, kann er, gleich einem Gott, ausnahmslos alles beeinflussen, indem er physikalisch-technisch-biologische Abläufe verändert, wie er will: Er kann Menschen blind und taub machen, Raumschiffe detonieren lassen und Monde zum Absturz bringen, wenn er seine Fähigkeiten entfaltet. Nun soll er sich mit der übermächtigen Geheimwaffe der Gegner beschäftigen: den Indoktrinatoren, die jegliche befallene Technik übernehmen und zweckentfremden.

Sobald der Mutant die Indoktrinatoren im Griff hat, spricht Attilar als Ev-Pothennen bei Vetris-Molaud vor. Die Statue von Zeno Kortin stimmt dem Plan zu. Die beiden befreien Saliana. Attilar benutzt das Chaos, um die Leiche des originalen Ev-Pothennen zu platzieren. Dann wird er wieder Dekknotay und macht dem Tomcca-Caradocc weis, dass weiterhin alles in Ordnung sei. Als Paqar Taxmapu geht er zurück in sein Sternengewerk. Als er sich ins Catiuphat zurückziehen will, der »Vor-Hall des Rufes zur Sammlung« erreicht das Banner, als er sich gerade ins Catiuphat zurückziehen will. Vetris-Molaud wiederum hat seine geliebte Tochter zurück und kann nun eine Flotte zusammenstellen, um nach Vergeltung zu streben.

Die Stärke des Romans ist der Identitätskonflikt der Zentralfigur. In einem Eintrag auf seinem Blog berichtet Michael Marcus Thurner, dass er Attilar Leccore nicht kannte und nachlesen und recherchieren musste. Anscheinend war dies das Beste, was dem Roman passieren konnte.

Seit Längerem experimentiert der Autor mit der Ich-Perspektive und der Ausrichtung auf die Sichtweise der Hauptfigur, vielen gefällt es, aber mir sagt mir das Ergebnis gerade bei Anführern wie Perry Rhodan nicht so zu: zu wenig dynamisch, zu wenig entschlossen. Aber bei diesem im Nirgendwo zwischen den Identitäten lavierenden Protagonisten passen die Charakterzeichnung, die Perspektive und das rastlose Wechseln zwischen den Orten, bei dem Leccore inmitten all der Intrigen immer wieder um sein bisschen Restidentität als Wahlterraner ringen muss, hervorragend zusammen.

Das Schwanken der Persönlichkeit bildet die echte Handlung, während die ehrgeizigen Konflikte der Tiuphoren und Tefroder, die wenig romantischen Liebeleien mit schönen, unangenehmen Frauen zum Zwecke der Informationsbeschaffung und die Naturszenen mit fliegenden Wasserratten die inneren Vorgänge beleben und dynamisch halten. Es passiert wirklich viel, aber es wechselt nicht der Protagonist, aus dessen Perspektive erzählt wird, sondern es wechseln dessen Identitäten und Umfelder.

Michael Marcus Thurners frühere Romane interessierten mich. Danach traf ich auf zu viele, die beim zweiten Lesen oder Hören sehr abfallen, die sich im Effekt erschöpfen. Mit dieser Geschichte habe ich mich mal wieder wirklich wohlgefühlt. Ich habe sie jetzt einmal im Heft gelesen, einmal am Computer gehört und einmal am Smartphone, in dessen Display das Titelbild erst so richtig zur Geltung kommt, und bin des Textes nicht überdrüssig.

(at)