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Nick Carter – Band 18 – Ein Dynamitattentat – Kapitel 12

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein Dynamitattentat
Ein Detektivroman
Kapitel 12

Ein Ende mit Schrecken

Etwa eine halbe Stunde später befand sich Cécile Gérard allein im prunkvoll ausgestatteten Wohnzimmer.

Lässig fächelte sie sich Kühlung zu.

Jedes Anzeichen von Entsetzen und Furcht war aus ihrem schönen Antlitz verschwunden. Die Röte war in dieses zurückgekehrt und ihre Züge erschienen so friedlich, als wohnte nicht die Hölle in der Seele der verruchten Frau.

Dennoch starrte sie zuweilen auf die Standuhr über dem Kamin. In solchen Momenten trat ein beunruhigter, gespannter Ausdruck in ihre Mienen, der jedoch rasch wieder verschwand.

Kurz vor Mitternacht wurde die Hausglocke gezogen, und gleich darauf ließ das Dienstmädchen jemanden ins Haus eintreten.

Im nächsten Moment trat Kenneth Glenn in das Wohnzimmer.

»Cecile!«, rief er erregt, kaum dass sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.

»Du hast dir reichlich Zeit gelassen und kommst sehr spät!«, entgegnete die schöne Frau in kaltem Ton.

»Auf diese Weise empfängst du mich – und zu dieser Zeit noch obendrein?«, konterte er, sich beherrschend, voller bitterer Enttäuschung und blickte sie vorwurfsvoll an.

»Zu solcher Zeit!«, ahmte sie ihm spöttisch nach. »Ich sagte, dass es mittlerweile sehr spät geworden ist!«

»Ich kam, sobald ich nur konnte«, versetzte er nun schmeichelnd. »Du weißt doch, im Haus sind Wächter!«

Ein Schauer überlief ihn, als er unwillkürlich daran denken musste, aus welchem Grund am Bett seines Adoptivvaters die Spürhunde der Gerechtigkeit Wache hielten.

»Ich konnte mich nicht eher entfernen, ohne dass sie es wahrnahmen – und ich wollte um keinen Preis verfolgt werden – du verstehst«, begann er demütig von Neuem, als die schöne Frau noch immer schwieg.

»Also machst du dir mehr aus den Wächtern als aus mir!«, stieß sie voller Hohn hervor.

»Aber, Cecile, wie kannst du nur so etwas aussprechen!«, rief er leidenschaftlich. »Du bist mir ja alles – die Sonne meines Lebens – meine Göttin, deren Dienst ich mich weihe und um deren willen ich vor nichts – auch vor der schlimmsten Tat nicht – zurückschrecke. Ich hätte gewiss nicht getan, was ich begangen habe, hätte ich es nicht deinetwegen getan, Cecile! Um dich wagte ich mein Leben!«

Sie schaute ihn verächtlich an und zuckte dann mit den Schultern.

»Pah, lass dieses einfältige Deklamieren!«, meinte sie spöttisch. »Hast du etwa aus lauter Liebe für mich den verschlagensten Detektiv, den die Welt kennt, ausgesucht?«

»Ich konnte doch nicht wissen, dass dieser Nick Carter sich in Chicago aufhielt. Hermann sagte mir, was ich vollbringen sollte – und ich gehorchte ihm willenlos!«

»Nun, es war der größte Narrenstreich, den ich mir vorstellen kann. Was hättest du, Jammermann, angefangen, hätte ich es nicht auf mich genommen, diesen gefährlichen Spürhund für immer unschädlich zu machen?«

Allein der Gedanke daran ließ den jungen Menschen erzittern.

»Ah, ich weiß nicht. Dieser Carter ist ein schrecklicher Mann, und mit seinem Blick vermag er einem bis zum Seelengrund zu dringen«, versetzte er schwach. »Doch, unbesorgt, Cecile, wir haben ihn dennoch in den Wahn versetzt, dass May die Tat begangen habe!«

»Bah, du törichter Knabe, bilde dir keine Schwachheiten ein!«, unterbrach sie ihn hohnlachend. »Nie und nimmer gelang dir das!«

»Nein?«

Mit einem halb erstickten Aufschrei fuhr der junge Mensch herum und wurde weiß wie eine Kalkwand.

»Nick Carter sollte vermuten … er sollte ahnen … o ewiger Himmel …«

»Mensch, deine Nerven sind in einem schrecklichen Zustand!«, versetzte Cecile spöttisch. »Du brauchst nicht so memmenhaft zu zittern. Es ist ganz einerlei, was Nick Carter vermutete oder sich einbildete.«

»Dann hast du ihn also beiseitegeschafft?«

Kenneth war so erregt, dass ihm der Hals zugeschnürt war und er kaum sprechen konnte.

»Ja, er wird uns nicht mehr schaden!«, entgegnete die schöne Frau hart. »Sein Körper steckt in einem Koffer, der außerdem mit Eisengewichten beschwert ist. Vermutlich weilt er nun schon auf dem Grund des Sees.«

»Aber dann ist ja alles gut und jegliche Gefahr vorüber!«, sprach Kenneth wie verwandelt. »Du hast mir gelobt, mich heiraten zu wollen, sobald alles vorüber sein würde, Cecile. Darf ich dich morgen mein Eigen nennen?«

Er kniete neben ihr und versuchte, ihre Hand zu ergreifen.

Doch da öffnete sich eine Tür, und Hermann Melville trat ins Zimmer.

»Nun ist es aber genug!«, versetzte dieser barsch. »Von derartigem Unsinn habe ich jetzt mehr als genug ansehen müssen!«

Damit packte er Kenneth auch schon derb beim Kragen und schlenderte ihn rücksichtslos durch das halbe Zimmer.

»Was soll das heißen, Hermann?«, stammelte der Fassungslose. »Hast du den Verstand verloren?«

»Nein, aber du gebärdest dich wie ein Verrückter!«, schnitt ihm Melville rau das Wort ab. »Du weißt so gut wie ich, dass Cecile meine Gattin ist!«

Eine Sekunde lang stand Kenneth sprachlos da, wie schreckgelähmt. Dann aber ergriff ihn eine ungeheure Erregung.

»Es ist eine Lüge!«, schrie er auf und wandte sich mit beschwörend gefalteten Händen an die schöne Frau. »Sag ihm, dass es gelogen ist, Cecile!«, stöhnte er.

Doch der schöne Dämon lachte nur spöttisch.

»Sei kein Kind, Kenneth, und schicke dich ins Unvermeidliche«, sagte sie dann leichthin. »Was Melville sagt, ist wahr – ja, ich bin seine Frau!«

»Dann habt ihr also nur mit mir gespielt?«

Kenneth Glenn sprach mit unnatürlich leiser Stimme und ließ den Blick von einem zum anderen wandern.

»Du gelobtest mir, mich zu heiraten, sobald ich ein reicher Mann sein würde, Cecile«, fuhr er fort. »Ihr beide habt mich gewarnt, dass mein Vater sein Testament ändern und mich enterben könnte. Ihr habt mich überredet, ihn aus dem Weg zu räumen, ehe es zu spät sei. Ich ließ mich von euch verleiten und wurde – zum Mörder! Ich blöder Tor! Nun bin ich reich, doch wozu dient mir der Reichtum? Warum habt ihr mich verlockt?«

»Das sollst du sofort erfahren«, entgegnete Melville kaltblütig. »Du bist in unserer Macht. Wann immer wir es wünschen, können wir dich des Vatermordes überführen. Doch wir wollen gnädig mit dir sein. Du erkaufst unser Schweigen mit der Hälfte deines Vermögens!«

Kenneth starrte ihn an, als habe er nicht recht gehört.

»Gewiss, das war von Anfang an unsere Absicht«, fiel ihm Cecile mit ihrem entzückendsten Lächeln ins Wort, »und du tust gut daran, dich unseren Bedingungen willenlos zu fügen – wir sind Abenteurer und wollten mit einem Schlag ein Vermögen machen – da führte ein gefälliger Zufall dich, blöden, dummen Jungen, in unseren Weg – und wir fassten einen Plan, in dessen Verfolgung dir Hermann großmütig gestattete, mir den Hof machen zu dürfen, was ohnehin schon dein halbes Vermögen wert ist.«

»Das geschah, bevor mein Vater hinter meine Spielverluste kam?«, fragte Kenneth kurz und finster und blickte sie scharf an.

»Gewiss, das gehörte zu unserem Plan. Wir waren es sogar, die deinem Vater die Augen öffneten – doch sei nicht traurig, mein Büblein, du bist nicht der erste Falter, der sich an meiner Schönheit die Flügel versengt, und wirst auch nicht der letzte sein.«

»Halt! Was ist das?«, unterbrach sie Melville plötzlich.

Sie hörten, dass jemand durch die Haustür eintrat.

»Das sind nur die Leute, die den Koffer weggebracht haben!«, versetzte der schöne Dämon gleichmütig.

Sie hatte recht, es waren wirklich nur die Kofferträger von vorhin.

Die Zimmertür wurde aufgerissen und Nick Carter drang mit Chick in das Zimmer.

»Hände hoch!«, kommandierte Nick streng. »Wehe dem, der sich rührt!«

In jeder Hand hielt er schussbereit einen Revolver.

Hinter den Detektiven drang uniformierte Polizei in großer Anzahl ins Haus, verteilte sich darin und nahm alle Insassen gefangen.

»Die Toten stehen auf – Nick Carter«, stammelte Cecile, die plötzlich aufgesprungen war, und ihre Augen quollen ihr aus den Höhlen.

Melville sprang zurück, als wollte der Verbrecher hartnäckigen Widerstand leisten.

Doch da krachte auch schon ein Schuss, und Melville fiel mit durchbohrtem Herzen tot nieder.

Kenneth Glenn hatte den Schuss abgefeuert.

Im selben Moment drückte er, halb verborgen durch die junonische Gestalt des schönen Weibes, den Revolver auch schon gegen die eigene Stirn.

»Ich habe meinen Verführer gerichtet – nun richte ich mich!«, schrie er gellend auf.

Bevor Nick Carter zu ihm gelangen konnte, hallte ein zweiter Pistolenschuss durch das Zimmer und der Unselige brach mit zerschmettertem Gehirn entseelt nieder.

Seine rasche Tat hatte ihn dem Henker entzogen!

Cecile Gerard war wie schreckgelähmt. Sie starrte nur entsetzt auf den Detektiv und ließ sich widerstandslos fesseln.

Inzwischen hatte die Polizei auch all jene Männer verhaftet, die sich zu Helfershelfern der schönen Cecile und ihres Gatten hergegeben hatten.

Sie wurden später vor Gericht gestellt und zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt.

Der Mann, den Chick bei seinem Versuch, in das Haus der Gerards zu gelangen, gefangen genommen hatte, bequemte sich zu einem Geständnis. Daraus ging hervor, dass Anwalt Waller von Melville mit dem Dolch seiner Frau ermordet worden war.

Mit Dietrichen war er in das Haus des Unglücklichen eingedrungen und hatte ihn kaltblütig umgebracht – nur, um den letzten Willen, den Matthew Glenn wirklich tags zuvor geändert hatte, an sich zu nehmen und Kenneth so zum unbestrittenen Miterben des Riesenvermögens zu machen.

Erst auf der Rückreise nach New York hatte Nick Gelegenheit, seinen Cousin zu befragen, wie es ihm gelungen war, hinter das Geheimnis des Gerard’schen Hauses zu kommen und in dieses zu gelangen.

Wie in den meisten unmöglichen Fällen war auch hier die Aufklärung leicht und einfach.

Das Auffinden von Nicks Hut hatte Chicks Verdacht geweckt und er hatte das Haus beschattet.

Als nun ein barhäuptiger Mann in großer Eile die Hintertür verließ, um etwas zu besorgen, hatte Chick ihn einfach gefangen genommen und auf der Polizeiwache dem gefürchteten dritten Grad mit solchem Erfolg ausgesetzt, dass der von Natur aus feige Veranlagte alles eingestanden und berichtet hatte, wie Nick Carter gefangen gehalten und getötet werden sollte.

Da dem Gefangenen dabei selbst eine Rolle zugedacht war, hatte sich Chick diese genau erklären lassen. Er hatte sich täuschend ähnlich geschminkt, die Kleider mit dem Gefangenen gewechselt und dann dessen Dienerrolle gespielt – wie der freundliche Leser weiß, mit gutem Erfolg!

Cecile Gerard überlebte ihre Gefangennahme nicht lange. Sie starb im Zuchthaus an einer schleichenden Krankheit.

May Glenn fand dagegen an der Seite ihres treuen und liebevollen Gatten George Stratton Trost für den jähen Verlust des Vaters und reiches Glück.

Mit unauslöschlicher Dankbarkeit gedenkt sie jedoch des Meisterdetektivs, denn ohne seinen Scharfsinn wäre der Anschlag ihres entarteten Pflegebruders sicherlich geglückt und sie hätte dessen Schuld am Galgen büßen müssen.

Ende

Der nächste Band enthält die Geschichte

Ein schrecklicher Fund

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