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Die Totenhand – Teil 48

Die-TotenhandDumas-Le Prince
Die Totenhand

Fortsetzung von Der Graf von Monte Christo von Alexander Dumas
Dritter Band
Kapitel 8 – Der Brand

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und schon stand die Equipage des Grafen Monte Christo bereit, die Reise fortzusetzen, nachdem der Graf einen Boten zu der nächsten Poststation geschickt hatte, um für das Pferd, welches auf eine so auffallende Weise getötet worden war, ein anderes holen zu lassen.

Der Graf und Haydee nahmen Abschied von der armen Familie und schritten auf dem Fußpfad der Landstraße zu, auf welcher der Wagen ihrer wartete. Aber der Graf wendete sich mehr als einmal zurück und richtete die Blicke auf das bescheidene Dach der Hütte, ohne sich Rechenschaft von der Anziehungskraft geben zu können, welche zu machen schien, dass er sich nur mit Widerstreben entfernte.

In dem Maße, wie er die Hütte weiter hinter sich ließ, empfand er eine eigentümliche Bedrückung, und es schien ihm, als mangele ihm die Luft, um Atem zu holen.

Haydee, welche auf seinen Arm gestützt neben ihm ging, teilte seine Aufregung. Unwillkürlich entrannen Tränen ihren Augen. Beide schienen zu zögern, einander anzureden.

Zuweilen begegnete der Blick Haydees schweigend dem ihres Gatten, und beide richteten ihn dann unwillkürlich auf die ländliche Hütte, in welcher sie die Nacht zugebracht hatten.

Noch waren nicht fünf Minuten verflossen, als sie schon bei ihrem Wagen standen, dessen Tür ihnen zu öffnen der Bedienstete sich beeilte.

Haydee stieg zuerst hinein, aber es geschah nicht, ohne noch einen letzten Blick auf die Hütte am Saum des Fußpfades zu richten.

Der Graf, welcher ihr folgte, wollte dies ebenfalls tun, als der Diener gleichgültig den Wagenschlag schloss und dem Kutscher zurief: »Vorwärts!«

Der Wagen fuhr schnell auf der Straße dahin.

Als er an eine Stelle kam, wo der Weg eine Biegung machte, um das Tal zu verlassen, rief der Graf plötzlich mit lauter Stimme: »Halt!«

Der Postillon gehorchte.

»Weshalb wollen wir noch anhalten?«, fragte Haydee den Grafen, der zu ersticken schien.

»Sieh!«, sagte er. »Ist es nicht dort im Hintergrund des Tales, wo die bescheidene Hütte steht, in welcher wir die Nacht zubrachten, Haydee?«

»Ja! Ich sehe sie von hier aus! Dort liegt sie!«

Die Sonne glänzte bereits am Horizont, und ihre in das Tal hinabfallenden Strahlen beschienen das Dach der Hütte, aus deren Schornstein ein leichter, bläulicher Rauch aufstieg, der sich nach und nach in den Wolken verlor.

Der Graf und Haydee betrachteten einige Augenblicke schweigend die bescheidene Wohnung. Ein unerklärliches Gefühl bedrückte sie bei diesem Anblick.

»Haydee«, sagte endlich der Graf, »was meinst du? Müssen die Bewohner dieser Hütte nicht sehr glücklich sein?«

»Ja, ja, sehr glücklich!«, antwortete die junge Frau, indem sie eine Träne unterdrückte.

Der Graf blieb regungslos sitzen, die Augen fest auf die Hütte gerichtet, die sich im Hintergrund des Tales zeigte. Plötzlich bemerkte er mit Staunen, dass dicke Säulen schwarzen Rauches aus der Mitte des kleinen Gebäudes aufstiegen. Diese Rauchsäulen vergrößerten sich, und der Graf begann unruhig zu werden. Aber noch hatte er nicht die Zeit gefunden, einen Entschluss zu fassen, als er das Dach der Hütte zusammenstürzen sah. Ein Schrei des Schreckens, der aus jener Richtung zu kommen schien, wurde hörbar, obgleich man die Menschen, die das Geschrei ausstießen, nicht sehen konnte.

»Feuer! Feuer! Dort unten brennt es!«, riefen die Bedienten des Grafen.

»Das ist nur allzu wahr!«, sagte dieser mit schmerzlichem Ton.

»Ach, eilen wir den Unglücklichen zu Hilfe!«, bat Haydee.

»Das ist nutzlos!«, entgegnete der Graf. »Schon stürzt die Hütte auf allen Seiten zusammen, aber ihre Bewohner sind gesund und wohlbehalten. Ich höre ihr Geschrei. Gott möge sie beschützen! Vorwärts!«

»Ach nein, nein, mein Gebieter!«, flehte Haydee. »Sie sind gut und großmütig. Lassen Sie uns ihnen zu Hilfe eilen! Die gute Frau ist Mutter – vielleicht wird sie dem größten Elend preisgegeben! Lassen Sie uns eilen!«

Der Graf vermochte dieser Regung der Barmherzigkeit nicht zu widerstehen. Er gab den Bitten Haydees nach. Den Arm zu dem Wagenfenster hinausstreckend, gab er dem Postillon ein Zeichen, umzulenken und bis zu dem Fußsteig zurückzukehren.

Der Wagen wurde sogleich gewendet, doch in dem Augenblick, in welchem er in das Tal hinabbog, sprengten zwei Reiter, in eine dichte Staubwolke gehüllt, mit verhängtem Zügel daran vorüber.

»Jesus!«, rief Haydee.

Der Graf erbebte unwillkürlich und war bemüht, die beiden Reiter zu erkennen, aber die Schnelligkeit ihres Rittes machte das Bemühen Monte Christos vergeblich.

Kurze Zeit darauf hielt der Wagen an dem Eingang des Fußpfades still. Der Graf stieg aus, und Haydee wollte ihn bis zu der Brandstätte begleiten, wo man deutlich die klagende Stimme einer Frau hörte.

Ein dampfender Schutthaufen nahm die Stelle der Hütte ein, in welcher der Graf von Monte Christo die vergangene Nacht zugebracht hatte.

»Schweigt, gute Frau, und beruhigt Euch«, sagte Haydee in schlechtem Italienisch, sobald sie das Ende des Fußpfades erreicht hatte. »Verzweifelt nicht an der Barmherzigkeit des Himmels, denn er ist unendlich! Wir kommen zu Eurem Beistand her.«

»Zurück, Elende!«, rief die Frau des Jägers, indem sie der schüchternen Haydee mit den geballten Fäusten drohte. »Du bist es, die das Feuer in unsere Hütte legte!«

»Mein Gott, was sagt Ihr da?«, rief Haydee erschrocken.

»Die Wahrheit – und dieser verhängnisvolle Mann, – dieser Verfluchte, der dich begleitet, er weiß es wohl, er, ob es die Wahrheit ist, welche ich sage!«

»Sie ist wahnsinnig!«, murmelte Haydee mit einem bitteren Gefühl, indem sie sich zu ihrem Gatten wendete, dessen regungsloses Gesicht auf wunderbare Weise gegen den Ausdruck der Wut abstach, die sich in allen Zügen der Frau des Jägers aussprach und durch die Heftigkeit aller ihrer Bewegungen verraten wurde.

Der Graf sah sich nach allen Seiten um, als suchte er das abschreckende Gesicht des Waldhüters zu entdecken.

Er stand in der Tat in der Nähe, mit der linken Hand gegen den Stamm eines Baumes gelehnt, in der rechten sein Gewehr haltend.

»Ich bin nicht verrückt!«, schrie die Frau. »O nein, ich bin nicht verrückt! Sie scheinen es mir aber zu sein. Sie, die Sie, nicht zufrieden mit dem Bösen, das Sie angerichtet haben, alle beide die Verwegenheit so weit treiben, zurückzukehren, um Ihr Werk zu betrachten! O, ich weiß alles – alles! Ihre Mitschuldigen haben so laut gesprochen, dass ich sie hören konnte! Ich weiß alles, ja, alles!«, wiederholte sie voll Verzweiflung, indem sie mit dem Fuß stampfte und sich die Haare raufte.

»Gute Frau«, sagte jetzt der Graf von Monte Christo mit seiner unwandelbaren Kaltblütigkeit und einem milden Ernst, »das Übermaß Eurer Verzweiflung ist entsetzlich! Beruhigt Euch und erklärt uns nicht etwa Eure Worte, denn diese sind die Kinder Eures aufgeregten Zustandes, sondern was hier vorgegangen ist.«

»Richten Sie die Augen auf diesen Aschenhaufen und auf dieses unschuldige Geschöpf, das jetzt ohne Brot ist«, antwortete der Jäger, indem er seine Worte mit einem wilden Blick begleitete und dabei wechselweise auf den Ort deutete, wo seine Hütte gestanden hatte und auf ein Kind, das neben einigen Sträuchern auf dem Moos lag.

»Ihre Mitschuldigen, Signore, haben Ihnen diesmal nicht gut gedient!«, fuhr er dann fort.

»Was sprecht Ihr da?«, fragte der Graf mit strengem Ton. »Auf welche Mitschuldigen spielt Ihr an? Wisst Ihr, mit wem Ihr sprecht?«

»Ob ich es weiß! Ich will es Ihnen sagen«, rief der Jäger, indem er sich hoch aufrichtete und einen Schritt näher trat.

»Ach, fliehen wir! Fliehen wir!«, flehte Haydee und umschlang voll Besorgnis ihren Gatten mit den Armen.

»Still, Haydee!«, sagte er sanft. »Wir wollen diesen Mann anhören. Sprecht!«, sagte er dann, sich wieder zu dem Jäger wendend.

»Dazu bedarf ich weder Ihrer Erlaubnis noch Ihrer Aufforderung«, sagte der Jäger, mit trotzigem Ton. »Wenn ich spreche, so geschieht es, weil es mir gefällig ist, denn ich will, Sie sollen es wissen, dass meine Absicht zuerst war, Ihnen nachzulaufen und Ihnen eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wie ich gestern eine in die Brust Ihres Pferdes schickte. Sie sollen auch wissen, dass, wenn ich das nicht tat, ich es ganz gegen meinen Willen unterlassen habe, wie ich es noch in diesem Augenblick gegen meinen Willen nicht tue, weil Sie da Ihre Bedienten haben, und diese Sie an mir rächen würden. Aber nur Geduld – nur Geduld! Der richtige Tag und die passende Stunde werden schon noch kommen. Bis dahin will ich Ihnen einstweilen sagen, wer Sie sind! Sie sind ein Elender, ein hundertmal größerer Schelm, als ich selbst einer bin! Was tue ich denn auch so gar Schlimmes? Ich lauere an der Straße auf den Wagen eines Reisenden. Ich schieße ihm dann aus dem Hinterhalt ein Pferd nieder. Dadurch verhindere ich ihn ganz einfach für einige Stunden an der Fortsetzung seiner Reise. Dann gehe ich zu meiner Hütte und erwarte dort die Reisenden, welche zu mir kommen, um die Nacht in meiner bescheidenen Wohnung zuzubringen, wofür sie mir dann einige Piaster bezahlen. Sie aber! Sie fahren in einer glänzenden Kutsche. Sie schicken zwei Männer voraus, die ein Kind von zwei bis drei Jahren mit sich führen. Diese Männer klopfen an die Tür meines Hauses, das ihnen bezeichnet worden ist, und bitten, dass man das arme kleine Geschöpf annehmen möchte. Das ist ein Hinterhalt, ein tückischer Überfall wie irgendein anderer. Dann kommen Sie selbst, Sie klopfen an die Tür meines Hauses. Man nimmt Sie auf. Sie stellten sich, als wären Sie freigebig, weil man Sie nicht vor der Tür ließ. Einige Zeit darauf reisen Sie wieder ab, nachdem Sie Ihren Mitschuldigen den Ort bezeichnet haben, an welchem man, wie Sie vermuten, das Geld aufbewahrt. Ihre Mitschuldigen rauben es, nehmen das Kind wieder zurück, legen Feuer und verschwinden, um an irgendeinem anderen Ort denselben Streich zu wiederholen!

Du siehst wohl, dass ich nicht wahnsinnig bin«, setzte der Jäger nach dieser Erklärung hinzu.

Der Graf zuckte nicht einmal mit den Augenwimpern, indem er diese ebenso außerordentlichen wie überspannten Worte anhörte. Er wartete mit vollkommener Ruhe, bis der Wildhüter zu Ende war und schwieg.

»Vortrefflich!«, sagte er dann. »Nur die Zeit kann mich gegen diese ebenso falsche wie unsinnige Beschuldigung rechtfertigen. Indes gestattet uns, Euch die Mittel anzubieten, Euer Haus wieder aufzubauen und Eurem Kind Brot zu geben. Aber erklärt Euch deutlicher und sprecht mit Ruhe von den Mitschuldigen, die Ihr mir zuschreibt, und von dem Kind, das sie bei sich hatten!«

Bei diesen Worten bot der Graf dem Wildhüter eine mit Gold gefüllte Börse, aber die Lippen des Menschen verzogen sich zu einem Lächeln der höchsten Geringschätzung.

»Ich danke für Ihre Freigebigkeit«, sagte er. »Ich kenne das Geld, das Sie mir bieten!«

»Es ist falsche Münze!«, rief die Frau. »Ja, es ist falsches Geld! Ich habe das wohl aus den Worten Ihrer Mitschuldigen erfahren, als sie mitten in der Nacht miteinander sprachen.«

»Behalten Sie Ihr Geld, mein edler Signore«, sagte heftig der Jäger, »und beeilen Sie sich, an irgendeinen anderen Ort zu kommen, wo Sie nicht so genau gekannt sind wie hier.«

»Mein guter Mann«, entgegnete der Graf, »Ihr befindet Euch unter dem Einfluss einer gewaltigen Täuschung. Ich bin der Graf von Monte Christo.«

»Hinweg von hier, Betrüger!«, rief der Jäger, indem er den Kolben seines Gewehres heftig gegen die Erde stieß. »Hinweg! Schmähen Sie nicht noch obendrein das Elend!«

»Lass uns fliehen! Lass uns fliehen! Sie sind wahnsinnig!«, sagte Haydee und suchte den Grafen mit sich fortzuziehen.

»Nein, meine teure Freundin, nein! Ich muss aufdecken, wer der Urheber dieser nichtswürdigen Intrige ist. Sprecht! Im Namen Gottes beschwöre ich Euch, sprecht, ehrlicher Mann. Ich verzeihe Euch alle die Schmähungen, die Ihr an mich gerichtet habt. Aber sagt mir, ich beschwöre Euch nochmals, wer waren die Menschen, die Ihr unter Euer Dach aufgenommen habt und die ein Kind bei sich hatten?«

»Sie wollen mich außer mir bringen!«, kreischte der Wildhüter, schäumend vor Wut und indem er den Hahn seines Gewehres spannte. »Ich jage Ihnen eine Kugel durch den Leib, wenn Sie mich nicht von Ihrer Gegenwart befreien!«

»Barmherzigkeit!«, rief Haydee und trat hastig vor den Grafen, um ihn mit ihrem Leib zu schützen.

»O, mein Gott!«, murmelte Monte Christo und ein langer schmerzlicher Seufzer entrang sich seiner Brust. »Soll es mir denn unmöglich sein, den Schlüssel dieses entsetzlichen Geheimnisses zu finden?«

In alledem lag nichts, was in den Augen des Jägers die Unschuld des Grafen bewies. Den Auftritt zu verlängern, wäre daher eine Unbesonnenheit gewesen. Der Graf von Monte Christo fügte sich daher in den Willen des Himmels und entfernte sich langsam von dem Ort, an welchem sein Name für immer verflucht zurückblieb.

Bei jedem Schritte wendete Haydee zitternd den Kopf, um die Bewegungen des furchtbaren Jägers zu beobachten, der das gespannte Gewehr noch immer in den Händen hielt.

Einige Minuten darauf kamen sie zu dem Wagen, der ihrer an der Landstraße wartete und sogleich machten sie sich auf den Weg.

Nachdem der Graf seine Augen einige Sekunden auf das engelbleiche Gesicht Haydees gerichtet hatte, erhob er den Blick gen Himmel, als wollte er dessen Schutz für sie anflehen. Monte Christo hatte ohne Zweifel eine Ahnung von dem, was kommen würde.

Als der Weg in dem Tal eine Biegung machte, fiel plötzlich ein Schuss und der Graf sowie seine Gattin hörten das Pfeifen einer Kugel, die quer durch den Wagen schlug und kaum zwei Zoll hoch über ihren Köpfen hingefahren war.

»Jesus!«, rief Haydee und schmiegte sich mit ihrem zarten Körper fest an den Grafen an, den sie mit ihren Armen umschlang.

»Ich will mit dir sterben!«, fügte sie dann mit zitternder Stimme hinzu.

Das einzige Mittel, einer Katastrophe zu entgehen, war Schnelligkeit. Der Graf rief daher dem Postillon zu, und die Pferde flogen im Galopp davon.

Der Wagen verschwand auf der Straße, eingehüllt in eine dichte Staubwolke.

Eine oder zwei Minuten darauf ertönte der Knall eines zweiten Schusses. Diesmal aber flog die Kugel in ziemlich großer Entfernung von dem Wagen harmlos vorüber.

Die erschreckten Pferde verdoppelten ihre Schnelligkeit. Sah man sie so wild dahinfliegen, so hätte man glauben können, der Sturmwind trage sie auf seinen Flügeln davon.