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Schmuck und Rache – Eine Ashilfas-Geschichte

Schmuck und Rache
Eine Ashilfas-Geschichte

Gelangweilt schaute Rish durch das schmierige Glas des Fensters nach draußen. Das Warten zwischen einem vergangenen und dem neuen Auftrag zog sich jedes Mal mehr in die Länge. Aber was wunderte sie sich. Die wirtschaftliche Lage in der kleinen Stadt Reikward hatte sich in den letzten Jahren immer mehr verschlechtert und bei niemandem saß das Gold noch locker in der Tasche.

Die Diebin nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Humpen. Seit mehreren Wochen lungerte sie im Rostigen Ochsen herum, der schmuddeligsten Schenke im ganzen Hafen, und wartete auf Kundschaft. Gewöhnlich schaffte es nicht einmal die verrufene Gegend, in der das Gasthaus lag, zahlungswillige Interessenten von einem Besuch ab zu schrecken. Auch nicht die in der Hafengegend üblichen Überfälle und Morde.

Und doch ließ sich seit einiger Zeit keiner mehr blicken. Dabei gab es genug zum Stehlen in den Häusern der Reichen und Gierigen, die mit ihren feisten Hintern auf den Reichtümern hockten.

Schuld an der Misere war der Krieg mit den Elfen, finanziert durch die vom Kanzler erhobene Reichssteuer. Diese hatte die kleine Hafenstadt nach und nach ausbluten lassen. Wie ein Schwein, das beim Schlachter aufgeschlitzt von der Decke hing. Die Steuereintreiber summten wie geschäftige Fliegen in den Straßen und stocherten in jedem Beutel, in jedem Winkel und jedem noch so kleinen Versteck der Bevölkerung nach zurückgehaltenem Vermögen. Verschont blieben nur diejenigen, welche rechtzeitig eine entsprechende Summe bereithielten, um das ein oder andere suchende Auge für einen Moment zu verschließen.

Dahin gehend war es nicht besonders verwunderlich, dass niemand mehr das Gold hatte, einen professionellen Dieb an zu heuern. Schon gar nicht Rish, die weithin als die Geschickteste und Erfolgreichste ihrer Zunft galt. Qualität hatte nun mal ihren Preis. Somit gab es für sie nichts anderes zu tun, als auf bessere Zeiten zu warten.

»Hey, Rish! Kundschaft.«

Der Ruf ihres Partners holte sie aus ihren Überlegungen. Na endlich, dachte die Diebin und sah sich um. Pattis, gleichsam Gaukler und Freund, steuerte auf ihren Tisch zu. Im Schlepptau hatte er eine kleine, gedrungene Gestalt. Der grobe Stoff einer fadenscheinigen Kapuze bedeckte den Kopf der Gestalt, so dass man das Gesicht nicht erkennen konnte. Dafür schwappte eine Woge üblen Gestanks in Rishs Richtung, die nur mit Mühe ihren letzten Schluck im Magen behielt.

»Der hier will zu dir. Sagt, er hätte einen Auftrag für dich.«

»Was ist das denn für einer? Der stinkt ja erbärmlich. Schaff ihn wieder raus. Das ist ja nicht zu ertragen.«

»Du hast die Lady gehört. Sieh zu, dass du fort kommst.«

Die Gestalt verharrte und blieb auf der Stelle stehen. Der Kunde rechnete sich wohl gerade aus, was ihn die Überzeugung der Diebin, seinen Auftrag anzunehmen, wohl zusätzlich kosten möge. Die Taktik der scheinbaren Ablehnung sorgte meist lukrativ dafür, dass sich der Endpreis im Kopf des Auftraggebers erheblich erhöhte, bevor die Verhandlungen über das Honorar überhaupt begonnen hatten. Rish liebte diesen Teil des Geschäfts. Fast genauso sehr wie den Moment, kurz bevor sie die anvisierte Beute in ihren Händen hielt.

Sie legte nach.

»Pattis, bring ihn endlich weg oder muss ich dir helfen?«

»Warte.«

Die Stimme des Unbekannten klang schnarrend und unangenehm.

»Raukdrax hat geschaft fur dik.«

Mit seinen knorrigen Händen schob er die Kapuze nach hinten und entblößte einen kahlen, lehmfarbenen Schädel, an dem die spitz zulaufenden Ohren schräg zur Seite abstanden. Kleine Reißzähne blitzten aus den wulstigen Lippen hervor und verliehen dem Unbekannten ein noch groteskeres Aussehen.

»Ein Snirfel? Ich arbeite nicht für Snirfelabschaum. Was immer du willst, erzähl es jemand anderen. Ich bin nicht interessiert.«

»Raukdrax hat viel Gold. Gibt viel Gold dik.«

»Vergiss es. Ich will dein Gold nicht. Es stinkt.«

Der Snirfel schüttelte den Kopf.

»Du mögen Funkelsteine? Raukdrax besorgen.«

»Ich glaube, du verstehst nicht. IK ARBEITEN NIKT FUR SNIRFEL. Und jetzt verschwinde. Ich wiederhole es nicht noch einmal.«

»Aber Gakdrax hat Auftrag. Von Hauptling. Du kommen.«

»Pattis. Bitte.« Rish war sichtlich entnervt. Sie konnte diese hinterhältigen Wichte auf den Tod nicht ausstehen.

Der Gaukler vollführte eine Geste und murmelte ein paar unverständliche Worte. Seine Hände entflammten in grünem Feuer, mit denen er auf Raukdrax deutete. Der Snirfel, der kein bisschen standhafter als die Übrigen seiner abergläubischen Art war, riss vor Entsetzen die Augen auf und gab Fersengeld. An der Tür der Schenke drehte er sich jedoch noch einmal um und blickte sie hasserfüllt an.

»Raukdrax wiederkommt. Ihr bezahlen.«

Dann verschwand er.

»Was sollte das denn? Glaubt dieser Abfall wirklich, er könne mir Angst einjagen? Lächerlich.«

»Vielleicht hätten wir ihn wenigstens erst einmal anhören sollen. Du weißt, ich halte von diesen Schmutzkriecher genauso wenig wie du. Aber das Gold wäre gut für uns gewesen. Sogar Funkelsteine hat er uns angeboten. Wahnsinn. Was hätte er wohl gezahlt?«

Pattis zog ein enttäuschtes Gesicht. Er ließ sich nur ungern ein profitables Geschäft entgehen. Vor allem, wo Rish die meiste Arbeit erledigte. Er sorgte in der Regel nur für die passende Ablenkung im richtigen Moment.

»Hör auf, dir darüber Gedanken zu machen. Einem Snirfel kann man nicht trauen, das weiß doch jedes Kind. ´Nem Snirfel du traust, aus toten Augen du schaust«, sagte Rish. »Er hätte bei nächster Gelegenheit versucht, uns über das Ohr zu hauen.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Seiner Reaktion nach zu urteilen, schien sein Anliegen sehr dringend zu sein.«

»Vergiss es einfach. Zeig mir lieber den neuen Trick, den du seit Tagen übst. Ich bin schon schwer gespannt.«

Rish lehnte sich entspannt zurück und betrachtete die Vorbereitungen des jungen Gauklers. Sie und Pattis waren schon seit einigen Jahren Partner, nein, eigentlich mehr als das. Über die Zeit waren sie dicke Freunde geworden. Manchmal argwöhnte sie, dass er sogar noch etwas mehr Interesse an ihr hegte, aber er hatte bisher nie auch nur ein Wort darüber verlauten lassen.

Beide ergänzten sich hervorragend und hatten sich schon so manches Mal gegenseitig aus brenzligen Situationen geholfen. Rish war die beste Diebin, die man für Gold anheuern konnte. Sie beherrschte ihr Handwerk auf eine Weise, die ihre Konkurrenten vor Neid grün werden ließ. Mit katzenhafter Anmut verschmolz sie mit den Schatten, beinahe bis zur Unsichtbarkeit wenn es sein musste, und konnte sich absolut geräuschlos bewegen. Ihre beiden Dolche, die sie todbringend führte, hatten etlichen Gegner den Weg ins kalte Reich gezeigt.

Pattis dagegen bremste ihren Übermut, sobald es nötig war.

Die Diebin war auf den jungen Mann gestoßen, als er gerade von einem wütenden Mob durch die Straßen gejagt worden war. Sie rettete ihn. Im Allgemeinen war er besonnener und vorsichtiger als Rish, was auch gut war, denn ihre Verwegenheit ließ sie oftmals unvorsichtig und unbedachter handeln, als für beide gesund war.

Pattis war ein Taschenspieler wie er im Buche stand. Als Kind hatte er einige Jahre in der Akademie der Hohen Künste verbracht, aus der er unter anderem einige magische Kniffe der vier Schulen mitgebracht hatte. Zu mehr reichte es leider nicht, obwohl ihn die Magister für ein hoffnungsvolles magisches Talent gehalten hatten. Letztendlich konnten sie irgendwann nicht mehr über seine kleinen Schummeleien hinwegsehen und setzten ihn vor die Tür.

Pattis hatte er sich mit Tricks und Illusionen über Wasser gehalten. Manchmal auch mit Betrügereien, bis zu dem Tag, an dem ihn Rish zu ihrem Partner gemacht hatte.

 

Durch die Straßen gellte plötzlich ein Warnruf. Die Stadtwache!

Rish und Pattis warfen sich einen kurzen Blick zu, dann rafften sie ihre Habseligkeiten zusammen und verschwanden durch den Hinterausgang. Ottin, der Wirt, schrubbte weiter unbeeindruckt über den Tresen. Der dickbäuchige Besitzer des Rostigen Ochsen kannte die nervende Prozedur der Stadtwache. Alle paar Tage schneiten sie herein, brachten jede Menge durcheinander und fanden doch nichts. Und erfolglos gegangen waren sie bisher jedes Mal. Daher machte er sich keine besonderen Sorgen.

Die beiden Gefährten hetzten derweil durch die dunklen Hafengassen.

»So ein Mist. Wenn man es sich gerade einmal gemütlich gemacht hat. Konnten die nicht ein anderes Mal kommen?«, maulte Pattis im Laufen.

»Ich wundere mich nur, dass die Soldaten gerade jetzt auftauchen. Normalerweise schauen sie doch erst gegen Ende der Woche vorbei.«

»Vielleicht wurden sie ja von einem Geldsack auf irgendeinen armen Trottel angesetzt, der bei seinem Streifzug zu unvorsichtig gewesen ist.«

»Komisch ist es trotzdem. Naja, wir werden es ja vielleicht noch hören. In den Straßen spricht sich so etwas ja schnell herum.«

Als sie um die nächste Ecke bogen, stand eine gedrungene Gestalt mitten auf dem Pflaster.

»Der Snirfel. Verpfeif dich, wir haben es eilig«, herrschte Rish ihn atemlos an.

»Raukdrax sagen, er wiederkommen. Da ist er.«

»Geh aus dem Weg oder ich prügele dich zur Seite.«

»Nein. Ihr jetzt bezahlen.«

Rish zog ihre Dolche und Pattis webte eine schnelle Illusion. Der Snirfel quiekte verschreckt auf angesichts einer geifernden Riesenechse, die ihn plötzlich anfauchte. Er bellte einen rauen Befehl in die Dunkelheit hinter ihm. Weitere Gestalten traten hervor, Snirfel mit langen Messern und Blasrohren bewaffnet. Kleine Pfeile jagten durch die Luft und trafen die beiden Menschen. Pattis griff sich röchelnd an den Hals und brach zusammen. Seine Illusion ebenfalls.

Die Diebin zog mit Mühe die piekende Spitze aus ihrem Oberarm, dann sackte sie in die Knie.

»Was habt ihr verdammten …?

»Das Snirfelgift. Wirken gut. Wirken schnell. Für dik extra langsam gemakt. Raukdrax nok Reknung haben.«

Damit hob der Snirfel eine kurze Keule und begann auf Rish einzudreschen. Wehrlos wie sie war, dauerte es nicht lange und ihr Bewusstsein versank in einem Feuerwerk aus Blut und brennendem Schmerz.

 

***

 

Das Trommeln von eilenden Füßen auf festem, erdigem Grund ließ sie erwachen. Ihr Kopf schmerzte höllisch. Vorsichtig öffnete sie ihre Lider. Grelles Sonnenlicht blendete sie und raubte ihr die Sicht. Als sie sich einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt hatte, nahm sie vorsichtig ihre Umgebung in Augenschein. Gefesselt an Händen und Füßen hing sie an einem stabilen Ast, der von zwei Snirfeln getragen wurde. Pattis wurde gleichsam transportiert, direkt neben ihr, war jedoch ohne Bewusstsein. Er sah schlecht aus, fand Rish.

Die Gruppe der Entführer bestand aus einem guten Dutzend der kleinen, drahtigen Wesen und bewegte sich schnellen Schrittes über die Ebene. Wie lange sie schon unterwegs waren, konnte die Diebin nur schätzen. Die Stadt Reikward war jedenfalls nicht mehr auszumachen.

Die Snirfel hatten ein forsches Tempo an den Tag gelegt. Vermutlich wollten sie so schnell wie möglich in ihr Stammesgebiet zurück, das irgendwo in den weiten Ebenen lag.

Rish prüfte die Festigkeit ihrer Fesseln, doch diese waren so stramm angezogen, dass ihr die groben Stricke das Blut abschnürten. Keine Chance zur Flucht. Selbst wenn sie die Fesseln irgendwie lösen könnte, blieben immer noch ihre zahlreichen Bewacher. Und sie war unbewaffnet, im Gegensatz zu den Snirfeln. Einer ihrer Bewacher hatte die Bewegung gesehen und gab einen Laut von sich. Der Trupp lief ungerührt weiter. Nur eine Gestalt löste sich von dem hellen Hintergrund des Flachlandes und steuerte auf sie zu. Raukdrax.

»Ah. Du wak. Wir nok nikt bei Hauptling. Du weiter schlafen.«

Sein hämisches Grinsen, mit dem seine Reißzähne in voller Pracht aufblitzten, ließ erahnen, was folgen würde.

Ein erneuter Hieb auf den Kopf der Diebin schickte sie auf unangenehme Weise zurück in das traumlose Dunkel.

 

***

 

»Rish.«

Eine Stimme bohrte sich in ihren Kopf und nagte an ihrer Bewusstlosigkeit.

»Rish, wach auf. Bitte.«

Pattis. Das war Pattis. Mühsam öffnete sie die Augen und hob den Kopf. Sie stöhnte auf. Schwarze und blaue Blitze tanzten in ihrem Blickfeld und es dauerte einen Moment, bis sich ihre Sicht aufklarte. Ihr Freund lag neben ihr auf dem Boden, immer noch gefesselt. Genau wie sie. Sein Gesicht war vor Schmerz verzogen und kalter Schweiß überzog die bleiche Haut.

»Was ist mit dir? Was haben diese Dreckskerle mit dir gemacht?«

»Sie … sie haben mir eins ihrer … miesen Gifte verabreicht«, keuchte der Gaukler. »Sie haben gelacht und … und gesagt, dass ich bald tot sei. Rish, die wollen mich essen. Mich. Du musst etwas tun.« Er schüttelte sich vor Entsetzen.

»Mach dir keine Sorgen. Ich schaffe das schon. Offensichtlich haben sie mit mir andere Pläne. Der Giftpfeil, den sie mir verpasst haben, hat mich nur betäubt, nicht vergiftet. Wird wohl Zeit herauszufinden, warum.«

Sie wälzte sich auf die Seite. Ihr Gefährte und sie lagen in einem primitiven Unterschlupf, gebaut aus unbehandeltem Holz und irgendwelchen Tierhäuten. Vermutlich stammten diese von gejagten Crisbas, den vierbeinigen Riesenvögeln, die in den Ebenen hinter dem Grenzplateau lebten. Sie waren also im Land der Snirfel.

»Hey, Snirfelabschaum. Ich will mit euch reden. Kommt gefälligst her, elendes Pack.«

Rish brüllte und schimpfte aus vollem Hals. Trotzdem dauerte es noch einige Minuten, bis sich etwas regte. Drei Snirfel, bewaffnet mit Langmessern betraten den kleinen Zeltbau. Sie musterten sie kurz hasserfüllt, packten sie grob und schleiften sie nach draußen. Vor einem breiten Thron aus Knochen und bunten Federn ließen sie die Diebin zu Boden fallen. Sie hob den Kopf und sah den fettesten Snirfel, den sie je zu Gesicht bekommen hatte. Fett und hässlich. Sein Gesichtsausdruck sprach nicht unbedingt von Vertrauen und Gutmütigkeit. Im Gegenteil. Es war verschlagen und hinterhältig. Damit war klar, warum ausgerechnet er der Anführer dieser Bande von Dreckkriechern war. Um seinen Hals hing neben diversen Amuletten aus Federn und Knochen eine filigrane Silberkette, an der einer der überaus seltenen blauen Funkelsteine baumelte.

Eindeutig keine Snirfelarbeit, aber in jedem Fall ein Vermögen wert. Wer wusste schon, welchem Unglücklichen das Schmuckstück zuvor gehört hatte oder ob dieser sogar in den Bäuchen der Snirfel gelandet war. Ein grober Stoß ließ sie aufstöhnen.

»Du nicht gucken den großen Flikbakdraux, Hauptling der Ebenen. Er sonst beleidigt. Machen dich kaputt.«

»Schon gut, schon gut. Ich tue ja, was ihr sagt.«

Folgsam verbeugte sie sich, bis ihr Gesicht zu Boden zeigte. Raukdrax war also wieder da, zusammen mit seiner höflichen Art.

Der fette Snirfel brabbelte etwas auf Snirf und stieß den geschmückten Speer in seiner Rechten auf den Boden. Rish verstand kein Wort. Er wiederholte seine Anrede, diesmal wütend und aufgebracht. Die Diebin zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

Der Hauptling brummte unwirsch und sprach sie in ihrer Sprache an.

»Du. Du Mensch. Du Dieb.«

»Ja natürlich. Was sonst?« Rish nickte bestätigend.

»Du helfen Snirfel. Sonst Mann sterben. Snirfelgift zerreißen ihn.«

»Ich habe ja kaum eine andere Wahl. Also was soll ich tun?«

»Erde wackelt, zerstoren Dorf. Du finden Grund. Schnell. Oder Mann tot.«

»Ja ja, soweit hab ich schon verstanden. Er stirbt, wenn ich nicht tue, was ihr wollt. Ich soll also die Ursache finden. Und wo soll ich anfangen?«

»Bei Geist des Berges. Du finden, dann wissen.«

»Wie denn? Wenn ich nicht einmal weiß, wo dieser Geist ist.«

»Nikt einfach Geist. Geist des Berges. Du dort gehen. Du finden. Wenn nein, Freund tot. Wenn ja, Freund vielleikt auch tot.« Der fette Hauptling grinste. »Du schnell sein. Raukdrax dik fuhren.«

Ein Grollen erhob sich irgendwo unter der Erde und rollte über die Ebenen. Die folgende Erschütterung ließ den gesamten Platz heftig beben. Alles wackelte und Rish hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Eine der primitiven Hütten, die um den freien Platz vor dem Thron herum angeordnet waren, fiel scheppernd in sich zusammen. Ein Erdbeben.

»Geist des Berges tobt. Zerstoren Dorf, toten Snirfel. Geh. Jetzt. «

»In Ordnung. Ich gehe ja schon. Sorgt dafür, dass mein Freund am Leben bleibt, sonst habt ihr Schlimmeres zu Fürchten als einen erbosten Geist. Verlasst euch drauf.«

 

Raukdrax zerschnitt ihre Fußfesseln half ihr auf und schubste sie dann grob aus dem kleinen Snirfeldorf. Sie liefen eine Weile in westlicher Richtung, auf die Berge zu. Dann hielt es Rish nicht mehr aus.

»Was ist das eigentlich für ein selten dämlicher Einfall von euch Lehmköpfen? Was glaubt ihr denn, was ich mit diesem Berggeist machen soll? Ein Kaffeekränzchen mit Keksen, bei dem wir uns locker darüber unterhalten, warum er die Erde wackeln lässt? Wenn er so sauer ist, wie es den Anschein hat, dürfte das ziemlich ungemütlich werden.«

»Dein Problem, Mensch. Du horen Hauptling.«

»Das habt ihr jetzt oft genug wiederholt. Ich bin ja nicht schwer von Begriff. Also, was kannst du mir über den Geist des Berges erzählen? Wie sieht er aus?«

»Weiß nikt. Geist nie sehen.« Raukdrax zuckte mit den Schultern.

»Du weißt es nicht? Prima, ihr schickt mich zu einem wütenden Steinfritzen und wisst nichts über ihn? Na toll. Das kann ja nur noch besser werden.«

»Snirfel schicken immer Diener fur Geist. Wenn kalte Tage da. Geist machtig«, erklärte Raukdrax.

»Sklaven? Wieso überrascht mich das nicht.«

»Nicht Sklaven, Snirfel. Sie arbeiten, dann wiederkommen.«

»Aha. Und seit wann bedroht er euch? Wann haben die Beben angefangen?«

»Als Arbeiter wiederkommen. Andere Snirfel schicken. Kurz danak.«

»Na na na, da wird doch nicht etwa einer …«

»Genug jetzt. Da Eingang. Du gehen.«

Sie hatten einen flachen Felsen erreicht, der an einer Seite einen scharfen Einschnitt aufwies. Die Spalte war mit typisch snirfelischem Schmuck verziert, Speere, Totems und dergleichen und führte hinab in den Boden. Raukdrax schob sie unsanft darauf zu.

»Bekomme ich wenigstens eine Fackel? Dort ist es sicher so düster wie in einem Crisbasarsch.«

Der Snirfel antwortete nicht. Er hockte sich auf den Boden und wartete. Sein Langmesser legte er vor sich auf die Knie. Rish drehte sich seufzend um und machte sich an den Abstieg.

 

***

 

Als Rish wenige Stunden später schmutzig und erschöpft zurückkehrte, hatte die Dämmerung bereits Einzug gehalten. Raukdrax saß immer noch unbewegt an gleicher Stelle. Er musterte sie geringschätzig. Dann stand er in einer fließenden Bewegung auf und hob das Messer.

Die Diebin streckte beschwichtigend die Hände nach vorne.

»Langsam, Snirfilein. Mach jetzt keine Dummheiten.«

»Raukdrax nikt dumm. Er dik toten, wenn Diebin kommen mit leere Hand. Hauptling wollen so. Und Raukdrax auch.«, fügte der Snirfel grinsend hinzu.

»Das solltest du dir noch ein Weilchen aufheben. Ich habe Neuigkeiten, die deinen Hauptling interessieren dürften. Sehr sogar. Du bringst mich also besser zurück. Lebend.«

Raukdrax überlegte einen Moment, dann knurrte er unwillig und stapfte in Richtung Dorf los. Rish folgte ihm, fürs erste erleichtert. Das wäre überstanden. Sie würde ein wenig improvisieren müssen, sobald sie das Dorf der Snirfel erreicht hätten. Bis dahin würde es dunkel sein und das kam ihrem Vorhaben sehr entgegen.

 

»Dik Geist nik toten. Du Bescheid wissen?«

Der Hauptling hatte seine Fettwülste vom Thron herabgewuchtet und kam, mit dem Speer drohend, auf sie zu. Er keuchte und schwitzte, wohl wegen der ungewohnten Bewegung. In seinem Arm hatte sich eine grienende Snirfelin eingehakt, die nur unwesentlich schlanker war als er selbst. An Hässlichkeit übertraf sie ihn allerdings um Längen. Seine Tochter, vermutete die Diebin.

Der Rest der Dorfgemeinschaft stand versammelt um sie herum und gaffte. Fackeln erhellten den Platz. Niemand der Snirfel wollte sich das erwartete Spektakel entgehen lassen.

»Wie geht es meinem Freund?«

»Mensch lebt. Nok.«

»Bringt ihn her. Ich will ihn sehen, verlangte Rish. Und haltet das Gegengift bereit. Wenn er stirbt, dann …«

»Dann du zu langsam. Und wir Festmahl heute.«

Offensichtlich hoffte er, Angst und Entsetzen im Gesicht der Diebin zu lesen, doch Rish blieb gelassen. Er wartete noch einige Sekunden erwartungsvoll ab. Als sich nichts tat, wedelte er unwirsch und enttäuscht mit seinem Speer. Einige Krieger holten Pattis aus dem Zelt. Sein Gesicht hatte mittlerweile einen grünlichen Unterton angenommen. Rish erkannte, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb.

»Das Gegengift.«

»Erst reden, sonst Mann kaputt.«

Zähneknirschend stimmte sie zu. Sie beugte sich zu Pattis hinüber und flüsterte: »Schaffst du es noch ein Weilchen?«

»So gerade, keuchte er. Besser du beeilst dich.«

»Ich mach so schnell es geht. Hast du noch das Glühwürmchen?«

»Falls du das meinst, das in meiner Gürteltasche versteckt ist, dann ja. Die Snirfel haben es nicht gefunden, als sie mir meine Sachen abgenommen haben. Was hast du denn vor?«

»Lass dich überraschen. Pass auf, es geht los.«

Mit einer unauffälligen Bewegung klaubte sie die kleine Kugel aus Pattis Gürtel und verbarg sie in der Hand.

»Hauptling der Lehmköp … äh Snirfel.«, ahmte die Diebin den gauklerischen Erzählstil ihres Freundes nach.

»Ich bin aus dem Berg des Geistes zurückgekommen mit dem Wissen um ein Kleinod von unschätzbarem Wert. Es wurde gestohlen. Der Geist ist über die Maßen erbost über den Verlust seines Eigentums. Er wird den Stamm der Snirfel vernichten.«

Ein erschrockenes Gemurmel setzte ein. Wie zur Unterstreichung ihrer Worte rumpelte die Erde bedrohlich unter ihren Füßen. Leichte Panik breitete sich unter den Anwesenden aus.

»Aber. Es gibt eine Möglichkeit auch zu retten. Gebt das Kleinod dem Berggeist zurück und er wird Gnade walten lassen. Ansonsten …« Sie ließ die unverhohlene Drohung in der Luft hängen.

»Snirfel nikt stehlen Geist. Snirfel nikt dumm. Geist irrt.«, protestierte der Hauptling.

»Der Geist des Berges irrt nicht. Es gibt einen Dieb unter euch.«

»Beweise es.«

»Das werde ich. Der Geist des Berges gab mir etwas mit, das mir helfen wird, den Schuldigen zu benennen. Einen magischen Diebfinder. Seht.« Rish öffnete die Hand und das Glühwürmchen, jetzt aufgrund der Dunkelheit zu einer leuchtenden Kugel geworden, schwebte empor. Eine Handbreit über ihrem Kopf verharrte es.

»Das Licht wird von Snirfel zu Snirfel wandern und prüfen. Wenn es den Dieb gefunden hat, wird es in Flammen aufgehen und den Übeltäter verzehren.«

»Ich hoffe, du weißt was du da tust.«, schaltete sich Pattis leise ein. »Ein Glühwürmchen, das einen Dieb findet. So etwas kann man auch nur Snirfeln erzählen.«

»Du solltest lieber alle Daumen drücken, dass funktioniert. Wenn nicht, sitzen wir fürchterlich in der Patsche.«

»Mehr als jetzt geht ja wohl kaum.«

Die leuchtende Kugel wanderte langsam durch die Menge und jedes Mal, wenn sie für einen Moment an Leuchtkraft zunahm, ächzten die Snirfel erschrocken auf. Einige lagen bereits wimmernd vor Angst am Boden und bedeckten ihren Kopf mit den Händen.

 

Die Minuten verstrichen und noch hatte sich nichts getan. Als sich das Glühwürmchen auf den Hauptling und seine Tochter zu bewegte, quiekte diese vor lauter Verzweiflung auf.

»Nikt. Nikt. Ik war Dieb. Ik. Nikt verbrennen. Bitte.«

Rish hielt die Kugel an. Ihre Arbeit war offensichtlich getan.

»Sagigax, du? Was du stehlen?«

»Es hubsch. Hubsch fur Sagigax. Es meins. Nikt geben zurück. Nie.«

Die Diebin trat auf die Snirfelin zu und entwand ihr mit einem schnellen Griff das gestohlene Schmuckstück. Es war eine winzige Anstecknadel aus Bergkristall.

Sagigax kreischte und ging auf Rish los, wurde aber von ihrem Vater und zwei weiteren Snirfeln festgehalten.

»Meins, meins, das meins«, heulte sie. Erst als ihr der Hauptling einen Hieb mit dem Speer versetze, verstummte sie.

»Gebt das hier dem Berggeist zurück und er wird euch am Leben lassen. Die Bestrafung des Diebes überlässt er euch. Und jetzt das Gegengift. Bitte.«

 

***

 

»Und es ging wirklich nur um eine kleine Nadel aus Bergkristall?«, fragte Pattis, als die Gefährten zurück nach Reikward wanderten. »Die bringt doch überhaupt nichts ein.«

»Das stimmt. Aber für die Snirfelin hatte sie wohl einen unschätzbaren Wert. Sowie auch für den Berggeist. Der im Übrigen gar kein Er, sondern eine Sie ist.«

»Eine Sie? Na, das erklärt so einiges. Trotzdem, bei all den Schätzen, die der Geist unter der Erde hortet, fällt so eine winzige Nadel doch überhaupt nicht auf.«

»Das ändert nichts daran, dass sie ihren Besitz um jeden Preis zurück haben wollte. Sie hängt halt an ihrem Schmuck. Ich kann das sehr gut verstehen.«

»Frauen … Sag mal, kann es sein, dass die Erde immer noch ein wenig bebt? Ich dachte, wenn der Dieb gefunden ist …«

»Das, mein lieber Pattis, ist ein besonderes Abkommen zwischen mir und dem Berggeist. Das wird die Snirfel noch eine Weile Mores lehren, insbesondere die Nadel ein zweites Mal verschwunden ist.«

Rish zwinkerte dem Gaukler verschmitzt zu. »Ich gebe sie dem Berggeist lieber persönlich zurück. So in ein paar Tagen, habe ich mir gedacht.«

»Du bist unverbesserlich. Aber sie haben es verdient. Apropos verdienen. Schade, dass wir dieses Mal nichts herausholen konnten.«

»Wer behauptet das denn?« Lächelnd zog die Diebin ein silbernes Kettchen mit einem blauen Funkelsteinanhänger aus dem Hemd. »Ich glaube nicht, dass der Hauptling gerade Zeit genug hat, um sie zu vermissen.«

Pattis lachte amüsiert. »Schmuck und Rache, das sind wirklich eure liebsten Beschäftigungen.«

Die Diebin nickte schmunzelnd.

»Na du weißt doch, wie wir Frauen manchmal sein können.«

(cst)