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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nächtlicher Besuch

Nächtlicher Besuch

Mit einem Ruck fuhr Claudia aus dem Schlaf hoch. Sie lauschte in die Stille, und obwohl sie nicht hätte sagen können, was sie geweckt hatte, brach ihr plötzlich der Schweiß aus.
»Claudia?« Die Stimme ließ sie herumfahren. Im Dämmerlicht, das durch die halb heruntergelassenen Jalousien fiel, erkannte Claudia einen Mann in der Ecke ihres Schlafzimmers.
»Klaus!«, entfuhr es ihr. »Was machst du hier?«
»Claudia. Ich wollte dich endlich einmal wieder sehen.« Klaus’ Stimme klang rauer als sie sie in Erinnerung hatte.
»Wie … wie bist du denn überhaupt hier hereingekommen? Du hast mir doch meinen Schlüssel zurückgegeben. Damals. Du hast dir doch nicht etwa heimlich einen Nachschlüssel anfertigen lassen?«
Er schüttelte den Kopf, langsam, kaum merklich in der Düsternis des Schlafzimmers. Claudia richtete sich auf und zog die Bettdecke automatisch bis an ihr Kinn hoch. Klaus lächelte. Es wirkte müde, erschöpft.
»Du musst dich nicht vor mir verstecken. Oder gar schämen. Ich weiß, wie du in deinen Schlafklamotten aussiehst. Erinnerst du dich?«
Claudia schnaubte, ihre Hand fasste zur Nachttischlampe. Dann ging die schwache 25-Watt-Birne an und tauchte das Zimmer in diffuses Zwielicht.
»Das gibt dir noch lange nicht das Recht, einfach hier einzudringen.« Nach dem ersten Schreck wallte Zorn in Claudia auf.
Was bildet dieser Kerl sich eigentlich ein?, dachte sie.
»Ich habe versucht, dich anzurufen,« verteidigte er sich, »habe dich aber nie erreicht.«
»Warum hast du nicht auf den Anrufbeantworter gesprochen?«
Klaus zuckte mit den Schultern.
»Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Ich meine, bevor du am Telefon mit mir Schluss gemacht hast?«, fragte er, statt eine Antwort zu geben.
»Verdammt Klaus, was soll das alles? Wir sind schon über ein Jahr nicht mehr zusammen. Und jetzt platzt du einfach hier herein und stellst seltsame Fragen.« Claudias Stimme war vor Aufregung fast eine Oktave höher. Sie blickte Klaus nun intensiv an und erkannte, dass er sich ziemlich verändert hatte. Er war unrasiert. Früher wäre das undenkbar gewesen. Klaus hatte immer penibel auf sein Äußeres geachtet, selbst nachts, wie jetzt, wäre er nicht mit einem Dreitagesbart herumgelaufen. Er war dünner geworden, sah regelrecht ausgezehrt aus. Unter seinen Augen befanden sich tiefe, schwarze Ringe. Die Augen selbst sahen aus, als wäre er drogensüchtig, große Pupillen und rot geädert.
Vielleicht ist er drogensüchtig?, durchzuckte es Claudia. Vielleicht ist er mit unserer Trennung doch nicht so gut fertig geworden, wie ich gedacht hatte. Er hat sich kein einziges Mal mehr gemeldet. Er hat nicht gebettelt oder mich gebeten, es mir noch einmal zu überlegen. Ich dachte, es sei ihm egal gewesen. Er sieht schlimm aus.
Jetzt vermischten sich ihre Empörung und Wut mit Sorge und Angst. Sorge um Klaus und Angst um sich selbst. Klaus war immer ein ruhiger und besonnener Typ gewesen. Gewalt war ihm völlig fremd. Er hätte ihr niemals wehgetan. Aber galt das auch jetzt noch? Immerhin ist ein Jahr manchmal eine lange Zeit. Besonders, wenn diese Zeit nicht gut, sondern eine Zeit des Leidens war.
»Dein Freund ist auf Geschäftsreise, nicht wahr?«, sagte Klaus unvermittelt. Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Woher …?«
»Ich bin gut informiert.«
»Du beobachtest mich? Wieso? Wenn dir etwas – irgendetwas – an unserer Beziehung gelegen hat, warum hast du dich nie mehr gemeldet? Warum hast du nicht um mich gekämpft?« Claudias Stimme war mit den letzten Worten immer leiser geworden.
»Gekämpft?«, gab Klaus zurück. Es klang aggressiv und zynisch in Claudias Ohren.
»Wie hätte ich denn kämpfen sollen? Hätte ich deinen neuen Liebhaber verprügeln sollen? Nachdem du mir gesagt hast, ich wäre dir zu konservativ und langweilig? Oder schon davor, damit es erst gar nicht so weit gekommen wäre? Hast du je ein Wort darüber verloren, dass du dich bei mir nicht wohlfühlst? Ich kann mich nicht erinnern.« Claudia war bis zum Kopfende des Bettes zurückgewichen. Klaus war nicht laut geworden, aber seine Stimme hatte sich zu einem aggressiven Zischen gewandelt.
Angst loderte wie ein heißes Fanal in Claudia auf.
Was war mit diesem Mann geschehen? Warum war er hier? Warum hasst e er mich? Hatte ich ihn so sehr verletzt?
»Ich … ich war dumm. Peter ist auch kein Glücksgriff. Er ist … unzuverlässig. Ein Herumtreiber«, sagte sie schnell, hauptsächlich, um Klaus zu beruhigen. Sie blickte zur Seite. Wo war ihr Handy? Es musste doch einen Ausweg aus dieser vertrackten Situation geben. Sie sollte die Polizei rufen. Schließlich war das ein Einbruch. Nur, wie sollte sie das, von Klaus unbemerkt, bewerkstelligen?
»Was hältst du davon, wenn ich uns einen Kaffee mache, Klaus? Dann setzten wir uns in die Küche und reden in Ruhe weiter.«
Klaus schüttelte abermals leicht den Kopf. »Ich trinke keinen Kaffee. Jedenfalls nicht um diese Zeit.«
»Aber, du siehst müde aus. Ein Kaffee würde dir gut tun. Hier ist es für mich so … so seltsam«, erwiderte sie, glitt unter der Decke hervor und griff sich ihren Morgenmantel. Klaus war so schnell auf den Beinen, dass sie die Bewegung erst wahrnahm, als er direkt neben ihr stand und ihr den Morgenmantel aus der Hand riss. Claudia taumelte erschrocken zurück und fiel wieder auf ihr Bett.
»Was … was ist denn mit dir, Klaus?«, stotterte sie. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange. Sie atmete heftig. Der Schweiß lief ihr in Strömen den Nacken hinunter.
»Was sollte mit mir sein, hmm? Was denkst du, Claudia?« Er warf den Morgenmantel einfach in die Ecke und setzte sich wieder in den kleinen Sessel.
»Ich weiß nicht, was mit dir sein sollte, aber offensichtlich geht es dir nicht gut. Wir hätten doch Freunde bleiben können, du hättest dich nur einmal melden müssen.«
»Warum hast du dich nicht gemeldet? Kaum hattest du diesen Peter im Bett, war ich schon vergessen, nicht wahr? Du hast keinen einzigen Gedanken mehr an mich verschwendet. Aber ich habe dich nicht vergessen können. Selbst nach so langer Zeit nicht.« Klaus schnaubte. »Oh ja, dir mag dieses Jahr nicht lange vorgekommen sein. Für mich war es eine kleine Ewigkeit.«
Claudia versuchte, sich selbst zu beruhigen und atmete einige Male tief ein und aus. Ihre Finger nestelten nervös an der Bettdecke herum, gleichzeitig huschte ihr Blick durch ihr Schlafzimmer. Gab es hier irgendetwas, das sie als Waffe benutzen konnte? Klaus’ Verhalten wurde ihr immer unheimlicher. Früher war er ein so ruhiger Mann gewesen. Zu ruhig eben, langweilig. Plötzlich ertönte die Melodie von Agatha Christies Fernsehfilmen. Ihr Handy! Jetzt wusste sie, wo es sich befand. Sie hatte ihre Handtasche mit ins Schlafzimmer genommen und an das Frisiertischchen gelehnt. Darin befand sich ihr Telefon. Ihr Blick zuckte von ihrer Tasche zu Klaus und wieder zurück.
»Das wird Peter sein. Er ruft oft mitten in der Nacht an, der Spinner«, sagte sie und lächelte verkrampft.
»Das glaube ich nicht«, murmelte Klaus. Claudia hatte ihn trotz der geringen Lautstärke verstanden. Die Melodie verstummte. Claudias Lächeln erlosch. Sie kniff ihre Augen zu zusammen.
»Was? Was hast du gesagt?«, flüsterte sie.
Klaus schwieg.
»Warum glaubst du nicht, dass Peter angerufen hat?«
Klaus stand langsam auf.
»Nun, dort, wo er sich befindet, gibt es kein Telefon«, gab er lapidar zurück.
»Wie? Warum weißt du, wo er sich befindet? Und wo ist das?« Claudias Stimme schwankte und zitterte.
»In der Hölle?«, schlug Klaus vor.
Claudias Mund öffnete sich erschrocken, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Sie wich immer weiter zurück, blickte hektisch zur Tür und erwog ihre Chancen, ob sie vor Klaus aus dem Raum flüchten könnte. Dann rollte sie blitzschnell herum, sprang auf die Füße und spurtete zur offenstehenden Tür. Dort angelangt prallte sie gegen Klaus, der wie durch Zauberei plötzlich vor ihr stand. Er umfasste ihre Oberarme und hielt sie fest. Claudia keuchte entsetzt. Sie wollte schreien, aber sie konnte nicht. Sie wollte um sich schlagen, war aber zu keiner Bewegung fähig.
»Ruhig, Claudia. Ich werde dich jetzt auf eine Reise mitnehmen, wie du noch keine gemacht hast. Es wird dir gefallen«, hauchte er leise in ihr Ohr. Dann senkte er den Kopf in ihre Halsbeuge. Sie spürte seine kalten Lippen, seine Zunge und seine scharfen Zähne. Dann drang etwas Spitzes in ihr Fleisch ein. Ein jäher Schmerz durchzuckte sie. Plötzlich wandelte sich der Schmerz zu lodernder Ekstase.

Copyright © 2007 by Helmut Marischka