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Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 4 – Die Weltallschiffer – 3. Teil

Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 4
Die Weltallschiffer
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901

Kapitel 3

Im Inneren

Fünf Meilen pro Sekunde – das ist eine gewaltige, ja, überhaupt ganz unbegreifliche Geschwindigkeit! Da muss es den Weltallschiffern schwindlig werden! Aber spüren wir denn, dass wir auf der Erde mit einer nur wenig geringeren Geschwindigkeit durch das Weltall sausen? Merken wir etwa, dass wir manchmal mit den Füßen am Erdball kleben und mit dem Kopf nach unten in den Weltraum hineinbaumeln? Im Weltraum gibt es eben kein unten und oben, diese Begriffe bilden wir uns nur ein.

So wusste der gewöhnliche Arbeiter in dem Schiff auch nicht mehr, was unten und was oben war. Er stand aufrecht, wie er es von der Erde gewohnt war. Für dieses stabile Gleichgewicht sorgte die Anziehungskraft der Almitwände. Von der enormen Geschwindigkeit war nichts zu bemerken.

Überall waren, den Bullaugen eines Schiffes entsprechend, Gucklöcher angebracht. Diese bestanden jedoch nicht aus Glas, sondern aus einer anderen durchsichtigen Masse, die jedem Druck widerstand. Außerdem konnten Almitplatten über wirkliche, große Fenster zurückgeschoben werden.

Von diesen Fenstern aus hätten die Wunder des Weltalls betrachtet werden können – wenn es solche für den gegeben hätte, der Wunder erwartete.

Hier stand die Sonne als feuriger Ball, dort sah man den Mond als matte Scheibe – alles genau wie von der Erde aus. Da keine Bewegung zu bemerken war, wäre nur das Verschwinden der Erde interessant gewesen, wenn dies nicht auch so ungemein langsam vor sich gegangen wäre.

Als die Luftschiffer sich bewusst wurden, mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 36 000 Metern pro Sekunde zu fliegen, sprangen sie an die Fenster. Da aber bereits eine Minute vergangen war, sahen sie die Erde seitwärts unter sich als einen ungeheuren Ball schweben. Durch ein gutes Fernrohr konnte man noch Wasser von Land unterscheiden, mehr aber auch nicht. Von nun an ging die Verkleinerung durch die Zunahme der Entfernung so langsam vor sich, dass man sie beim bloßen Hinsehen nicht mehr wahrnehmen konnte, ebenso wenig wie man dem Fortrücken des kleinen Zeigers auf der Taschenuhr folgen kann. Nur in längeren Pausen konnte man die Abnahme der Erdgröße beurteilen.

Durch den Weltraum schwirren, oft in endlosen Schwärmen vereint, Myriaden von Meteoren – Reste von zertrümmerten Himmelskörpern, die man Kometen nennt. Was wäre, wenn das Schiff mit einem solchen Schwarm oder nur mit einem einzelnen Meteor, der vielleicht hundertmal so groß wie das Schiff war, zusammenstieß? Die Almitplatten würden zwar nicht zerbrechen, aber bei einem Zusammenprall, der nicht rechtzeitig abgeschwächt werden könnte, würden die Insassen an den inneren Wänden zu Brei zerquetscht werden.

So dachte auch der weniger Ängstliche.

Nun, auf den Ozeanen der Erde treiben auch hier und da mastenlose Wracks, die dort etwa die Rolle von Meteoren spielen. Denkt etwa ein Kapitän oder ein Passagier daran, zufällig mit solch einem Wrack zusammenzustoßen? Und doch wäre dies kein so kolossaler Zufall, wie wenn das Luftschiff einem Meteor direkt in der Flugbahn begegnen würde. Man befand sich eben im Weltall.

Schließlich dachte selbst der Besorgteste nicht mehr an diese Möglichkeit.

Tage vergingen, die aber von keiner Nacht mehr unterbrochen wurden. Denn die Sonne hatte keinen Körper mehr, hinter den sie sich verstecken konnte. Die Erde sah jetzt aus wie ein großer Luftballon. Der Mond war inzwischen genauso groß geworden. Man beobachtete ihre Flugbahnen wie die der Sonne, die bald größer, bald kleiner wurde. Der Kapitän, die Offiziere und die Gelehrten mochten über nichts im Unklaren sein, die gewöhnlichen Seeleute aber nahmen alles, wie sie es sahen, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen oder neugierige Fragen zu stellen. So war ihnen alles schon nach wenigen Tagen zur Gewohnheit geworden. Wir anderen Menschen leben doch auch unter den Wundern des Sternenzeltes, und nur sehr wenige werden von ihrer Wissbegierde zur Erforschung derselben angetrieben. Die meisten wissen nicht einmal, wie der Wechsel der Jahreszeiten eigentlich zustande kommt.

Ja, diese Fahrt durch den Weltenraum war geradezu langweilig, denn sie war so eintönig. Zwar war für jede Bequemlichkeit und Zerstreuung gesorgt worden – es gab eine Bibliothek und ein Spielzimmer mit Billardtisch –, doch wurde es eintönig. Auch wer sich weiterbilden wollte, konnte dies tun, denn die Maschinen und Instrumente konnten beobachtet werden. Außerdem aß und trank man zu regelmäßigen Zeiten gut, die Betten waren weich und es wurde auch für Arbeit gesorgt. Es fehlte jedoch das, was Angsthasen von einer Seereise abhält und was diese doch gerade so anziehend macht: die Gefahr, deren angenehmen Nervenkitzel man allerdings erst richtig zu schätzen weiß, wenn man sie überstanden hat.

Hier musste man zunächst keine Seekrankheit durchmachen, es gab keinen Sturm, der den Äther aufrüttelte, sodass das Schiff darin tanzte und alles zusammenschüttelte. Hier ergoss sich keine Woge über Deck, es gab kein Überbordwaschen und es musste kein Rettungsboot ausgesetzt werden.

Die Tage verliefen gleichmäßig und in tiefstem Frieden, einer wie der andere. Für die einstige Generation von Ätherseeleuten versprachen diese Weltallfahrten also wenig romantische Abenteuer, die einen Knaben derart verlocken konnten, dass er bei Nacht und Nebel von zu Hause fortlief, um Weltallschiffsjunge zu werden.

Man musste auf das Landen an fremden Himmelskörpern warten und sehen, was sich dem unternehmenden Geist dort bot.

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