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Nick Carter – Band 18 – Ein Dynamitattentat – Kapitel 7

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein Dynamitattentat
Ein Detektivroman
Kapitel 7
Die schöne Abenteurerin

Der Meisterdetektiv hörte, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Dann war es für einen Moment still, bis plötzlich die Zimmertür aufging und eine der schönsten Frauen, die der Detektiv je gesehen hatte, das Zimmer betrat – eine hochgewachsene, stolze Frau mit sprühenden schwarzen Augen.

Sie schloss die Tür und blieb lächelnd vor dem Gefesselten stehen.

Sie war nach der neuesten Mode gekleidet und mit verschwenderischem Luxus ausgestattet.

Ein radgroßer Hut mit überlangen Straußenfedern und Diamantagraffen bedeckte ihr Lockenhaar. In der Hand trug sie einen Sonnenschirm aus duftigem Spitzengewebe, der allein ein Vermögen wert war.

Triumph und Neugierde prägten ihre Züge, und sie ließ eine volle Minute verstreichen, ehe sie das Schweigen brach.

»Habe ich wirklich die Ehre, den berühmten Nick Carter zu begrüßen?«, fragte sie spöttisch.

Nick konnte ihr natürlich keine Antwort geben, da er geknebelt war.

»Wirklich – ein anziehendes Schauspiel!«, setzte sie im gleichen Ton hinzu.

»Doch was sehe ich! Man hat Sie recht rücksichtslos geknebelt, und ich ziehe eine Unterhaltung einem Selbstgespräch vor!«, unterbrach sie sich und ließ gleichzeitig eine Klingel ertönen.

Sofort traten zwei der Kerle, welche Nick gefangen genommen hatten, ins Zimmer. Die schöne Frau befahl ihnen, das Taschentuch vom Mund des Detektivs zu entfernen.

»Nun werden wir uns besser verständigen können«, bemerkte sie, als die beiden Burschen ihrem Befehl nachgekommen waren und wieder aus der Tür gegangen waren.

»Ich denke, Sie werden nicht so töricht oder hasenherzig sein, um den Versuch zu machen, nach Hilfe zu schreien … hahaha! Wie ausgezeichnet mein Plan arbeitet!«, unterbrach sie sich lachend. »Es hätte nicht besser gehen können, wären das kleine Hotel und das Seitengässchen zu diesem Zweck extra errichtet worden! Bin ich nicht eine vorzügliche Gedankenleserin, Mr. Carter?«

»Mir fehlen die Worte, um meine Bewunderung auszudrücken!«, erklärte Nick mit heiterer Gelassenheit.

»Prächtig gesagt!«, versetzte sie, sich in einen Sessel werfend. »Doch setzen Sie sich, warum stehen Sie in der Ecke? Sind Sie wirklich so zaghaft?«

»Das wurde mir noch nie nachgesagt«, entgegnete der Detektiv im gleichen Ton wie zuvor. »In meiner jetzigen Verfassung vermöchte ich mich selbst mit Unterstützung Ihrer Freunde draußen auf keinen Sessel niederzulassen. Man hat mich zu reichlich mit Stahlschmuck bedacht!«

»Was sehe ich!«, rief das schöne Weib nun mit geheucheltem Erstaunen. »Man hat Sie so stark gefesselt, dass Sie nicht einmal die Knie bewegen können. Hand aufs Herz, Mr. Carter, so sind Sie noch niemals ins Garn gegangen, oder?«

»Ich habe mich schon in ähnlichen Lagen befunden«, meinte Nick lachend.

»Aber mit solcher berechneten Kunst wurden Sie noch nie eingefangen, oder?«

»Madame, ich ziehe meinen Hut vor Ihnen!«, meinte der Detektiv ironisch.

»Sehr verbunden – doch wo ist Ihr Hut geblieben?«

»Er ging so treulos von mir wie mein Glück!«, scherzte Nick gut gelaunt.

»Nein, nein, das darf nicht sein!«, rief die schöne Frau bestürzt und setzte die Klingel auch schon wieder in Bewegung.

Dann wandte sie sich den Eintretenden befehlend zu: »Nehmt die Stahlspangen von den Knien Mr. Carters und helft ihm auf einen Stuhl.

Eilt dann nach dem Gässchen und sucht den Hut des Herrn, er muss dort verloren gegangen sein.

Ihr sollt ihn nicht hereinbringen, bis ich es befehle, denn ich will ungestört bleiben!«

Die Männer hatten die Kniefesseln geöffnet, doch da Nicks Fußknöchel ihn nach wie vor am Gehen hinderten, mussten sie ihn wie einen Kranken zu dem Stuhl tragen und in diesen niederlassen.

»Hahaha!«, lachte das schöne Weib, als sich die Tür hinter den Männern wieder geschlossen hatte.

»Es ist zu drollig, sich den großen Nick Carter hilflos wie ein Kind vorzustellen. Wissen Sie, warum ich Sie eingefangen habe?«, fragte sie unvermittelt.

»Ich glaube, ich habe es erraten!«, gab Nick gelassen zurück.

»Nein! Das ist unmöglich! Ich tat es, weil ich mit Ihnen bekannt werden wollte, weil ich Ihr Interesse erwecken wollte!«, rief sie hastig.

»Allerdings hätten Sie zu solchem Behuf gar nicht liebenswürdiger verfahren können – sehr verbunden, Madam!«, meinte der Detektiv trocken.

»Nein, Scherz beiseite!«, verwahrte sich das schöne Weib. »Ich habe viel von Ihnen gehört und ich halte Sie für den genialsten Detektiv der Welt!«

»Sehr schmeichelhaft!«, entgegnete Nick ironisch.

»Nein, ich spreche im Ernst – und ich möchte Sie als meinen Partner gewinnen!«

Der Detektiv verharrte unbeweglich, seine Züge zeigten weder Interesse noch Überraschung.

»Solche Geschäftsgründungen sind mir schon wiederholt vorgeschlagen worden«, meinte er kurz.

»Mag sein, doch noch nie von einer Person meinesgleichen. Hören Sie mich an, Mr. Carter. Ich heiße Cecile Gerard und bin Abenteurerin und Hochstaplerin im großen Stil.«

»Das sehe ich!«, schaltete der Detektiv trocken ein.

»Kurz gesagt, ich glaube, ich bin Ihnen ebenbürtig!«, setzte sie lächelnd hinzu.

»Nein, Sie sind mir überlegen, Madame!«, brummte Nick. »Insofern wenigstens, als ich mich in Ihrer Gewalt befinde!«

»Vergessen Sie das nicht!«, rief ihm Cecile Gerard mit blitzenden Augen zu. »Ja, Sie sind in meiner Gewalt. Wollen Sie wissen, wie ich die große Leuchte des Jahrhunderts einfing? Ich schlug Sie mit Ihren eigenen Waffen. Ich beschattete Sie. Ich wusste, dass Sie sich in Chicago aufhielten, und heftete mich an Ihre Fährte. Ich wusste auch, dass Sie die Glenn’sche Mordgeschichte bearbeiten. Ja, das wusste ich.«

»Allerdings!«, unterbrach sie Nick trocken. »Natürlich wussten Sie das!«

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte sie erstaunt.

»Nichts mehr und nichts weniger, als dass Sie mit dem Fall Glenn vertrauter sind als ich.«

Betroffen nahm Cecile Gerard einen Fächer vom Tisch und wehte sich Kühlung zu. In Wirklichkeit aber setzte sie das spöttische Lächeln des Detektivs in Verlegenheit.

»Ich weiß, wer das Verbrechen begangen hat!«, sagte sie schließlich zögernd.

»Führte er es genauso aus, wie Sie ihm vorschrieben?«

»Er? – Sie meinen sie!«, rief Cecile in hellem Erstaunen.

»Wirklich – meine ich?«, fragte der Detektiv mit überlegener Miene zurück. »Sie haben schon eingeräumt, dass das Verbrechen unter Ihrer Leitung begangen wurde.«

Sie sprang auf, warf den Fächer auf den Tisch und durchmaß erregt das Zimmer.

»Nein, das ist nicht wahr!«, rief sie schließlich. »Doch das ist ja einerlei! Es ist sehr kühn von Ihnen, dass Sie, hilflos wie Sie sind, versuchen, mich zu erschrecken – doch das werden Sie nicht schaffen, zumindest jetzt nicht!«

»Nein, jetzt nicht!«, setzte sie unter schrillem Auflachen hinzu, während sie sich wieder in den Polsterstuhl sinken ließ. »Der große Nick Carter befindet sich in meiner Macht und wird sich dieser niemals wieder entziehen – verstehen Sie mich nun besser?«

»Ich habe wenigstens gehört, was Sie sagten!«, meinte der Detektiv lakonisch.

»Doch Sie glauben meinen Worten nicht?«

»Meine Höflichkeit verbietet mir, an den Worten einer Frau zu zweifeln – besonders, wenn es sich um eine hinreißende Schönheit wie Cecile Gerard handelt!«, bemerkte er spöttisch.

»Ich weiß, dass ich schön bin!«, versetzte sie gelassen. »Jeder sagt mir das – und nicht zuletzt mein Spiegel – doch ich weiß auch, dass ich Verstand habe! Hören Sie nun, was ich bereits sagen wollte, als Sie so unhöflich waren, mich zu unterbrechen!«

»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung!«

»Dieser spöttische Ton wird Ihnen noch vergehen! Doch zur Sache! Ich sah Sie das Glenn’sche Haus verlassen und folgte Ihnen bis zu dem kleinen Hotel.«

»Das entging mir nicht!«, räumte Nick ein.

»Selbstverständlich. Hätte ich Schimmel vor meinen Wagen gespannt, hätte ich Ihren Verdacht nicht erregen wollen«, rief sie triumphierend. »Natürlich konnte ich nicht wissen, dass Sie sich in das kleine Hotel begeben würden. Doch als es geschah, war mein Plan sofort fertig. Ist das nicht ein Zeichen von geistiger Bedeutung, wenn man geistesgegenwärtig und blitzschnell handeln kann?«

»Aber selbstverständlich! An Gerissenheit übertreffen Sie sogar Stammmutter Eva!«

»Ich rechnete damit, dass Sie Ihre Beschattung entdeckt hatten und dieser zu entgehen beschließen würden. Der Zufall kam mir zugute, denn die Rückseite meines Hauses geht auf dasselbe Seitengässchen, das Sie benutzen mussten – Sie können sich denken, dass ich die Gegend genau kenne. Also fuhr ich bis zu meiner Vordertür, unterrichtete meine Leute – einer von ihnen ist ein sehr geschickter Lassoschleuderer – und fuhr langsam zum Hotel zurück. Ich sah Sie am Fenster stehen, ganz wie ich gehofft hatte. Wie lange Sie im Haus bleiben wollten, das konnte ich wieder nicht wissen, doch angesichts der von mir getroffenen Maßnahmen war das unerheblich. Als der Mann vom Hauptquartier sich allein aus dem Hotel entfernte, wusste ich, dass Sie durch die Hintertür und die Seitengasse entschlüpfen würden. Sie waren schon so gut wie gefangen. Gestehen Sie, war das nicht schlau ausgedacht?«

»Ich kann Ihnen nur mein Kompliment machen!«, versetzte Nick Carter trocken.

»Nun, Mr. Carter«, fuhr sie fort und dämpfte dabei ihre Stimme zu einem Flüstern, »begreifen Sie nicht, was zwei solch ebenbürtige Geister gemeinsam zu vollbringen vermöchten?«

»In welcher Hinsicht?«, fragte Nick humoristisch, denn die Frau begann, ihn zu amüsieren.

»Geld, Geld, Geld!«, rief sie feurig. »Wir könnten ungeheure Reichtümer erwerben. Sagen Sie selbst, sind Sie bei Ihrem Geschäft nicht auf den Gelderwerb aus?«

»Gewiss!«, pflichtete der Detektiv spöttisch bei. »Sie und ich würden starke Partner abgeben. Doch ich glaube kaum, dass Sie ehrliche Detektivarbeit befriedigen dürfte.«

»Detektivarbeit!«, stieß sie verächtlich hervor. »Nein, gemeinsam wollen wir die Spürhunde der Gerechtigkeit an der Nase herumführen, wie es mir allein mit dem Größten von ihnen – mit Ihnen selbst – gelang.«

»Ach so, ich soll fortan durch Verbrechen ein Vermögen machen?«, fragte Nick ironisch.

»Das ist ein plumpes Wort! Wir wollen Gold zusammenscharren – geloben Sie mir, gemeinsame Sache mit mir zu machen, und ich folge Ihnen durch dick und dünn!«

»Ach nein, Cecile«, unterbrach er sie, »Sie sind nicht die Frau, die sich fremdem Willen beugt!«

»Keinem anderen Willen – doch Ihrem Willen, Nick Carter, ganz gewiss!«, sagte sie schnell.

»Der Gedanke muss Ihnen ziemlich plötzlich gekommen sein!«, bemerkte der Detektiv gelassen. »Denn als Sie zuerst hörten, dass ich den Fall Glenn übernommen hatte, wollten Sie mich durch ein recht niedliches Bombenattentat aus dem Weg räumen.«

»Schrecklich!«, flammte das schöne Weib auf. »Sie haben kein Recht, mir eine solche Schändlichkeit zuzutrauen!«

»Doch, doch!«, beharrte Nick lächelnd. »Als der Dynamitanschlag fehlschlug, planten Sie, mich einzufangen. Sie überlegten, dass es Ihnen vielleicht durch Zwang und Drohungen gelingen könnte, mich meiner Pflicht abspenstig zu machen.«

»Nicht wahr? Ich leugne alles, außer dem, was ich selbst gesagt habe!«, unterbrach sie ihn heftig. »Doch das ist ganz einerlei – ich gebe Ihnen mit meinem Vorschlag eine Möglichkeit, am Leben zu bleiben! Sie haben zwischen unserer Gemeinschaft und dem Tod zu wählen!«

Um ihre Worte zu bekräftigen, raffte sie vom Tisch einen zierlichen Dolch mit juwelengeschmücktem Knauf auf.

»Diese Dolchspitze durchbohrte bereits das Herz eines Mannes, der meinem Willen entgegen war!«, stieß sie voller unbändiger Wildheit hervor. »Sie sind wehrlos in meiner Macht, denn auch Ihre Riesenkraft vermag die Fesseln nicht zu brechen!«

»Das gebe ich bedingungslos zu!«, räumte der Detektiv gelassen ein.

»Wenn Sie um Hilfe schreien sollten, würde ich Sie mit dieser scharfen Dolchspitze nur berühren müssen und Sie wären sofort tot! Niemand hat Sie in dieses Haus eintreten sehen – Ihre Fährte endet in dem kleinen Hotel und Ihre Leiche würde im Keller meines Hauses mit ungelöschtem Kalk begraben werden. Die Spürhunde der ganzen Welt würden keine Spur von Ihnen entdecken können, denn niemand ahnt, dass Sie sich in diesem Haus und in meiner Gewalt befinden!«

»Ich denke ebenso wenig daran, um Hilfe zu schreien, wie ich glaube, dass diese Dolchspitze für mich bestimmt ist!«, bemerkte der Detektiv mit der ihm eigenen Ruhe. »Im Übrigen bedarf es wohl keiner weiteren Aussprache. Habe ich wirklich nur die Wahl, der Verbrecher eines gewissenlosen, schönen Weibes zu werden oder sterben zu müssen, so ziehe ich tausendmal den Tod vor!«

Sie erbleichte und starrte ihn mit unheimlich funkelnden Augen an.

»Am besten wäre es, ich tötete Sie auf der Stelle!«, stieß sie heiser hervor. »Doch Ihr Mut flößt mir wider Willen Bewunderung ein. Warten wir einige Stunden und sehen zu, ob Sie sich meinen Vorschlag nicht doch noch überlegen!«

Sie berührte die Klingel, und die beiden Männer traten augenblicklich in das Gemach.

»Ihr kennt meine Befehle!«, herrschte sie diese an.

Sofort befestigten die beiden Männer wieder das Taschentuch um die Lippen des Detektivs und legten ihm erneut die Stahlfesseln an die Knie. Dann hoben sie den Gefesselten auf und trugen ihn aus dem Zimmer.

Zunächst ging es eine Treppe hinunter, dann durch einen Korridor, der zum Hinterhaus führte. Anschließend ging es über eine weitere Treppe. Schließlich fand sich Nick Carter in einem Raum wieder, der so dunkel war, dass er nichts erkennen konnte.

Plötzlich legten die beiden Männer den Gefangenen auf einen kalten, zementierten Boden und entfernten sich lautlos.

Als ihre Schritte verhallt waren, konnte Nick nichts hören und ebenso drang kein Lichtstrahl in seinen Kerker.

Der Detektiv begriff, dass es das Beste war, ruhig liegen zu bleiben, denn er konnte nicht wissen, ob eine Bewegung seines gefesselten Körpers ihn nicht etwa in eine Grube oder dergleichen beförderte. So blieb er gelassen liegen, wo die Männer ihn abgelegt hatten.

Ehe fünf Minuten verstrichen, war der Gefesselte so friedlich eingeschlafen, als ob er sich fern von jeglicher Gefahr daheim in seinem Bett befand.

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