Felsenherz der Trapper – Teil 01.2
Felsenherz, der Trapper
Selbst Erlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Überarbeiteter Text
Band 1
Die Felsenfarm
Zweites Kapitel
Ein ernster Besuch
Dass die Familie Felsen sich ausgerechnet in einem Gebiet niedergelassen hatte, das von den in der Nähe siedelnden Indianerstämmen der Apachen, Wacos und Comanchen heiß umstritten war, war bei ihrer Ankunft im Hafen von Galveston durchaus nicht ihre Absicht gewesen, sondern eher dem Zufall geschuldet.
An demselben Morgen hatten die vor fünf Tagen auf der Halbinsel des Rio Mazapil eingetroffenen Ansiedler sehr früh mit ihrer Arbeit begonnen.
In der Stadt El Paso am Rio Grande del Norte hatten sie einen früheren Farmer kennengelernt, der ebenfalls Deutscher war. Dieser Franz Birth, der inzwischen Pelzjäger geworden war, hatte den Felsens geraten, seine Farm am Rio Mazapil zu beziehen. Er hatte die Farm erst vor eineinhalb Jahren verlassen, weil seine Frau und seine beiden Söhne bei einem Bootsunfall im Mazapil ertrunken waren.
Er hatte betont, dass die beiden Blockhäuser fraglos noch gut erhalten seien und dass es in nächster Nähe vortrefflichen Ackerboden gäbe. Mit den Indianern sei es nicht so schlimm, wie die meisten Einwanderer dächten. Bis nach Mazapil verirrten sich selten Rothäute.
Dieser Vorschlag des alten Birth wurde von den Felsens schließlich angenommen, obwohl man sich auf eine monatelange Wagenfahrt durch unbewohnte Einöden gefasst machen musste.
Nach einer zehnwöchigen, unfallfreien Reise erreichte man schließlich die Halbinsel Mazapil, wo man die beiden geräumigen Blockhäuser, die Birth erbaut hatte, genauso vorfand, wie er sie einst, gramerfüllt durch den Tod seiner Lieben, aufgegeben hatte.
Die Familie Felsen bestand aus dem früheren Tischlermeister Albert Felsen, seiner Frau Bertha, den Kindern Arnold und Helene (19 und 18 Jahre alt) sowie den Geschwistern Harry und Anna. Ihr Vater Gustav Felsen war vor langer Zeit als recht unsteter Geist nach Nordamerika ausgewandert und hatte sich dort schnell Reichtümer zu erwerben gehofft.
Dieser Gustav Felsen, ein Bruder des Tischlermeisters, war dann verschollen. Die letzte Nachricht von ihm war vor fünfzehn Jahren aus El Paso bei seinen Angehörigen eingetroffen. Kurz darauf starb seine Frau, und so nahm sein Bruder Albert die Kinder Harry und Anna bei sich auf. Als auch dem Tischlermeister die deutsche Heimat darauf zu eng wurde, schlossen sich Harry, der inzwischen fünfundzwanzig Jahre alt geworden war, und seine Schwester den Verwandten an, da diese ja seit Langem an ihrer Stelle als Eltern vertreten hatten.
In diesen fünf Tagen seit ihrer Ankunft in Mazapil waren die früheren Farmgebäude von Birth hauptsächlich infolge der Arbeitsfreudigkeit, Ausdauer und Umsicht von Harry Felsen wieder völlig instand gesetzt worden.
Harry, von Beruf Kunstschlosser, war ein schlanker, stattlicher junger Mensch mit einem sympathischen Gesicht. Neben all seinen sonstigen guten Eigenschaften besaß er jene Heiterkeit, die sowohl ihm selbst als auch seinen Verwandten schon oft über manche trübe Stunde hinweggeholfen hatte.
Während sein Vetter Arnold sich auf der langen Wagenreise nur ungern von dem alten, erfahrenen Birth belehren ließ, der sich leider dem Trunk ergeben hatte, war Harry ein eifrigerer Schüler des jetzigen Trappers gewesen. Er erlernte das Reiten, Schießen, das Lesen von Fährten sowie das Schleudern von Lasso und Wurfbeil genauso leicht und schnell, wie er sich schon daheim in Deutschland als Kunstschlosser durch Geschicklichkeit und einen hellen Verstand ausgezeichnet hatte.
Der alte Felsen und seine Leute dankten Birth nun immer wieder, dass er sie auf diesen sehr geeigneten Siedlungsplatz aufmerksam gemacht hatte.
Die etwa hundert Yards lange und zweihundertzwanzig Yards breite Halbinsel vereinigte alle wünschenswerten Vorzüge in sich.
Die beiden Blockhäuser lagen flussabwärts auf einer sechs Yard hohen Felsterrasse, die nur einen einzigen, engpassähnlichen Zugang hatte. Der Fluss war fischreich und auf der Halbinsel selbst befand sich gutes Weideland für die sechs mitgebrachten Rinder, während nach Norden zu eine große Talsenke fruchtbaren Ackerboden aufwies.
An diesem Morgen hatte Harry mit dem Bau einer Hütte für die Rinder begonnen, nachdem man gemeinsam vor dem Wohnhaus das Frühstück eingenommen hatte. Das Haus wirkte mit seinen blanken, neu eingesetzten Fenstern recht freundlich.
Harry schwang unverdrossen seine Axt und fällte im nahen Wald dünne Kiefern, die er sofort auf die richtige Länge kürzte.
Heiter wie immer pfiff er dabei ein Lied. Gegen zehn Uhr brachte ihm Helene Felsen einen Imbiss. Sie war ein hübsches, frisches Mädchen und es stand außer Zweifel, dass aus ihr und Harry ein Paar werden würde, obwohl Harry seiner Base bisher nur als guter Freund und Kamerad gegenübergetreten war.
Er machte nun eine Arbeitspause, legte die Axt beiseite, dehnte und reckte sich und meinte dann lachend zu Helene: »Heute Abend ist die Viehhütte fix und fertig!«
Helene nickte nur. Dann sagte sie sehr ernst: »Harry, Birth ist wieder betrunken und streitet mit dem Vater über den Kaufpreis der beiden Blockhäuser. Es ist schrecklich, wie anders er sich benimmt, wenn er der Rumflasche zugesprochen hat!«
Harry seufzte: »Du hast ganz recht. Seit gestern stört er hier die Gemütlichkeit, Helene. Am besten wäre es, wenn er nach El Paso zurückkehren würde. Wir brauchen ihn nicht mehr. Ich werde den Farmbetrieb schon allein …«
Helene war mit einem Schrei von dem Baumstamm hochgefahren, auf dem sie gesessen hatte.
Aus einem nahen Gebüsch war ein mit Kriegsfarben bemalter Indianer auf einem kohlschwarzen Mustang herangekommen. Er trug die lange Doppelbüchse quer über dem Sattel. Dicht vor ihnen parierte er sein Pferd und saß nun wie eine Erzstatue minutenlang regungslos auf seinem ebenso regungslosen Tier.
Nur seine dunklen Augen glitten immer wieder prüfend über Harry und Helene hinweg, und der vom Fluss herüberwehende Wind bewegte die Adlerfedern sacht hin und her, die er in dem Schwarzen, zu einem Schopf hochgebundenen Haar auf dem Scheitel trug.
Trotz der Bemalung des Gesichts erkannte Harry, dass der Indianer noch jung sein musste. Sein Kleidung aus Wildleder war reich mit Raubtierzähnen und Glasperlen verziert. In einem bunt gefärbten Ledergürtel steckten ein Jagdmesser und ein Tomahawk.
Seine Augen fraßen sich nun förmlich in Harrys Antlitz fest. In diesem Blick lag zugleich etwas Drohendes, Stolzes und Gebieterisches.
»Was tun die Bleichgesichter hier?«, fragte er dann plötzlich. »Dieses Land gehört den Comanchen. Habt ihr meinen Vater, den Weißen Adler, um Erlaubnis gebeten, euch hier niederzulassen?«
Harry, der auf Births Rat hin stets seine Büchse mit zur Arbeit nahm, hatte die Waffe längst aufgehoben und in den rechten Arm gehängt.
»Nein«, erwiderte er nun auf Englisch, das er mittlerweile durch Birth und mithilfe einiger Bücher erlernt hatte. »Wir haben niemanden um Erlaubnis gefragt. Dieses Gebiet gehört zu Texas, und in El Paso sagte man uns, wir könnten uns ansiedeln, wo wir wollten.«
Der junge Comanche blickte ihn noch drohender an.
»Ihr seid Diebe! Chokariga, der Schwarze Panther, weiß, dass ihr Diebe und Mörder in euren Hütten am Ende der Halbinsel aufgenommen habt! Ihr werdet sterben.«
Harry Felsen war trotz seines Frohsinns eine leicht erregbare Natur und diese unbegründete Anschuldigung brachte sein Blut in Wallung.
»Hüte deine Zunge, Rothaut!«, rief er nicht minder drohend. »Du würdest sonst schnell erfahren, dass ich nicht der Mann bin, der sich dergestalt beleidigen lässt! Du nennst uns Diebe. Beweise es, oder du bist nichts als ein frecher Lügner!«
In den Augen des jungen Unterhäuptlings der Comanchen flammte es auf.
Ein leiser Schenkeldruck – sein Mustang machte einen Satz – direkt auf Harry zu.
Doch der war auf der Hut.
Blitzschnell warf er sich zur Seite, packte zu und bekam den linken Arm des Comanchen gerade noch zu fassen.
Ein Ruck, und der Schwarze Panther flog zu Boden.
Aber Harry hatte nicht mit der Gewandtheit seines Gegners gerechnet.
Wie ein Pfeil schnellte der Comanche hoch, umklammerte Harrys linkes Handgelenk und holte mit dem Messer zum Stoß aus.
Auch Harry hatte sein Jagdmesser gezogen und stand stoßbereit da.
Helene Felsen schrie auf und rief mehrmals um Hilfe.
Die beiden Gegner maßen sich mit feindseligen Blicken, in denen sie jede Bewegung des anderen belauerten.
Und abermals rief Helene in ihrer Kopflosigkeit: »Vater, zu Hilfe! Zu Hilfe …!«
Dabei waren diese Rufe zwecklos. Die Entfernung bis zu den Blockhäusern war viel zu weit.
Regungslos, wie gebannt, verharrten der Schwarze Panther und sein weißer Gegner in derselben Stellung.
Wer würde zuerst zustoßen? Und würde der andere diesem Angriff zuvorkommen können?
Da wurden des Comanchen Blicke plötzlich sanfter. Sein Gesicht entspannte sich gleichsam.
Harry hatte den Eindruck, als hätte der Indianer den letzten Hilferuf Helenes ganz besonders beachtet, obwohl sie sich doch der deutschen Sprache bedient hatte.
Dann ließ der Comanche Harrys Handgelenk los, trat zurück und sagte: »Ihr werdet uns die beiden Mörder ausliefern, die ihr verbergt. Tut ihr es nicht, dann lebt ihr keine Stunde mehr. Die Blockhäuser sind umstellt. Ich habe gesprochen. Ich bin der Schwarze Panther, und dort sind meine Krieger.«
Harrys Kopf flog herum. Helene sank vor Schreck in die Knie, denn aus den Büschen waren nun etwa zwanzig ebenso scheußlich bemalte Rothäute hervorgetreten.
Harrys Herz schlug schneller. Es waren die ersten wilden Indianer, die er zu Gesicht bekam. In El Paso war er nur auf halb zivilisierte, elende, schmutzige Yumas getroffen.
Seine Gedanken arbeiteten blitzschnell. Er wusste, in welch furchtbarer Gefahr seine Verwandten, seine Schwester, Birth und er selbst schwebten.
»Der Schwarze Panther spricht von zwei Mördern«, sagte er ruhig, obwohl er bemerkte, dass die Indianer ringsum ihre Büchsen schon halb erhoben hatten. »Wir halten keine Mörder verborgen. Der Schwarze Panther kann unsere Blockhäuser durchsuchen.
Ich lüge nicht! Wir sind erst seit fünf Tagen hier und in dieser Zeit ist kein Fremder zu uns gestoßen.«
Helene hatte sich erhoben, nickte eifrig und rief, während sie den Comanchenhäuptling offen anschaute: »Es ist die Wahrheit, Schwarzer Panther!«
Der junge Indianer blickte Harry ernst und stolz an.
»Das Bleichgesicht soll mich zu den seinen führen!«, befahl er dann, winkte den Kriegern zu, die sofort lautlos in die Büsche zurückglitten, hob seine Büchse auf und war mit einem leichten Satz auf dem Rücken seines Pferdes verschwunden.
Harry und Helene schritten voran. Als sie sich der Felsterrasse näherten, brüllte der betrunkene Birth vom Rand des Felsens herab: »He, Harry, wo hast du den roten Burschen aufgegabelt? Sind etwa noch mehrere in der Nähe?«
Er hatte Englisch gesprochen, da er Deutsch bereits halb verlernt hatte.
Harry rief ärgerlich zurück: »Verhaltet euch gefälligst ruhig, Birth! Die Sache ist verdammt ernst.«
Birth lief plötzlich davon. Harry ahnte bereits, dass der alte Trapper in seinem unzurechnungsfähigen Zustand eine Dummheit begehen würde.
Der Comanche ließ sein Pferd am Fuß der Terrasse zurück und schritt den Engpass empor.
Oben bemerkte Harry sofort, dass Birth seine Büchse geholt hatte. Er hatte sich in drohender Haltung vor dem Eingang des Blockhauses aufgepflanzt.
»Birth, weg mit dem Gewehr! Die Farm ist umzingelt!«, warnte er den Alten, der wie alle Trapper in jedem »wilden« Indianer nur einen Todfeind sah.
Birth lachte grölend. »So, so, umzingelt! Dann ist es höchste Zeit, diesen Burschen, der ja ein Häuptling ist, festzunehmen! Der junge Halunke gibt ein gutes Unterpfand.«
Harry war auf den Alten zugesprungen.
»Seid ihr verrückt?!«, brauste er auf. »Wollt ihr alles verderben? Gebt die Büchse her!«
Birth stieß Harry vor die Brust.
»Greenhorn, willst du mich belehren, wie …«
Harry, der zurückgetaumelt war, erkannte, dass die Wut und der Alkohol dem Alten die klare Überlegung vollends geraubt hatten. Birth wollte nun auf den Comanchen anlegen.
Harry sprang zu, holte mit der geballten Faust aus und versetzte dem Sinnlosen einen solchen Hieb unter das Kinn, dass Birth hintenüber flog und regungslos in der Tür liegen blieb.
Der Häuptling hatte diese Szene, leicht auf seine Büchse gestützt, scheinbar teilnahmslos beobachtet.
Dann wandte er sich an Harry: »Das Bleichgesicht hat eine Faust wie ein Felsen. Der Schwarze Panther weiß genug. Ihr werdet, wenn die Sonne zum dritten Mal aufgeht, diesen Platz verlassen haben. Ich habe gesprochen.«
Er wollte davongehen.
»Halt!«, rief Harry rasch. »Der Schwarze Panther wollte sich doch überzeugen, ob wir …«
Der Comanche hatte mit der rechten Hand eine stolze, befehlende Geste gemacht.
»Ihr habt keine Mörder verborgen«, erklärte er kurz. »Dieses Land aber gehört den roten Kindern Manitus, nicht euch! Die Bleichgesichter kommen in Scharen und verdrängen den roten Herrn dieser Gebiete. Ihr werdet nach drei Sonnen verschwunden sein – oder!« Dabei deutete er mit einer Handbewegung einen Messerstoß an.
Dann verließ er die Terrasse und war mit seinem Mustang gleich darauf im Wald verschwunden.
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