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Das Geisterschiff – Kapitel 23

John C. Hutcheson
Das Geisterschiff
Kapitel 23

In Reichweite

»Bei Gott! Ist das wahr?«, rief der Kapitän aus und griff hastig nach seiner Mütze, die er in seiner Aufregung während der Erzählung des Obersts auf einen nahegelegenen Schrank geworfen hatte. »Ich bin sofort auf der Brücke! Gott sei Dank für diese Nachricht!«

»Hurra!«, rief Garry O’Neil, und wir sprangen alle sofort von unseren Sitzen auf, um diese freudige Nachricht zu hören, auch wenn sie lange auf sich warten gelassen hatte. Selbst der arme Oberst schob sein bandagiertes Bein vom Stuhl, auf dem es ruhte, und stand auf, bereit, dem Kapitän ohne Verzögerung an Deck zu folgen. »Bei Gott! Ich wusste, dass wir diese Teufel noch vor Sonnenuntergang einholen würden! Ich habe es Ihnen doch gesagt, Oberst, ich habe es Ihnen gesagt, das wissen Sie!«

Doch gerade in diesem Moment wurden wir durch eine unerwartete Unterbrechung aufgehalten, als wir zum Niedergang gingen, um wieder an Deck zu gelangen.

»Hören Sie mal, Oberst!«, rief eine Stimme aus der Kapitänskajüte achtern, in der der Kommandant der SAINT PIERRE eigentlich in einem fast bewusstlosen Zustand ruhen sollte. »Verschwinden Sie von hier! Ihr seid es nicht wert, dass man sich über euch ärgert.«

»Begorrah, da ist euer armer Freund drin!«, sagte Garry O’Neil zum Oberst. »Was redet der arme Kerl da? Anstatt wie ein Christ zu schlafen, wenn er die Gelegenheit dazu hat, redet er Unsinn. Ich muss ihm das Geschwätz dort verbieten, sonst wird er nie gesund!«

»Warten Sie einen Moment, er fängt schon wieder an«, bemerkte der Oberst und hob die Hand.

»Hören Sie!«

»Ihr Schurken! Nehmt das!«, rief der Franzose mit lauter Stimme und in zornigem Ton, als würde er erneut mit den Schwarzen an Bord der SAINT PIERRE kämpfen.

Und dann, nach einer Pause, hörten wir einen kläglichen Schrei. »Mein Gott! Sie werden mich erschießen! Sehen Sie! Sehen Sie! Zur Rettung, Oberst, schnell, schnell, zur Rettung.«

»Verdammt, er ist in einer ganz schlechten Verfassung!«, meinte Garry, als der Oberst und er, gefolgt von mir, die Achterkabine betraten. Dort sahen wir Kapitän Alphonse aufrecht im Bett des Skippers sitzen und wild gestikulieren. »Was kann er jetzt wohl sagen, Sir?«

»Er spielt die Szene auf dem Achterdeck unseres unglücklichen Schiffes durch, als die haitianischen Schwarzen, wie ich Ihnen bereits erzählt habe, ihn und die anderen Matrosen angriffen, bevor ich von unten heraufstürmte – zu spät, um ihn zu retten, den armen Kerl!«, erklärte der Oberst. »Er ruft um Hilfe, wie er es wohl auch damals getan hat, obwohl ich ihn nicht gehört habe!«

»Es klingt jedenfalls sehr seltsam«, fuhr der Ire fort. »Pst! Da, er macht es schon wieder! Was bedeutet dieses seltsame Kauderwelsch jetzt? Ich kann mir keinen Reim darauf machen, Sir!«

»Hissen Sie sofort die Flagge! Fahren Sie das Großsegel ein!«, rief der Verwundete in kurzen, abgehackten Sätzen. Er saß dort oben in der schaukelnden Koje, riss mit den Händen an dem Verband, der um seinen Kopf gebunden war, und sah aus, als wäre er gerade von den Toten auferstanden. Das erinnerte mich an ein Bild, das ich einmal gesehen hatte und das die Auferweckung des Lazarus darstellte. Auch seine Augen rollten in wildem Delirium. Nachdem er uns ein oder zwei Sekunden lang unverwandt angestarrt hatte, ohne dass sich ein Anzeichen von Wiedererkennung auf seinem blassen Gesicht zeigte, fiel er wieder auf die Matratze zurück und stieß einen kläglichen Schrei aus: »Wehe dem Schiff! Zu spät, zu spät, zu spät.«

»Himmel!”, sagte der Oberst und wandte sich an Garry. »Können Sie nichts für ihn tun?«

»Ich werde etwas Kühles auf die Wunde legen. Das wird dem armen Kerl Erleichterung verschaffen«, antwortete der andere und tat, was er gesagt hatte. »Eis wäre sicher besser, aber leider haben wir kein bisschen an Bord!«

Was auch immer er auftrug, es hatte eine beruhigende Wirkung. Bald nachdem er sich krampfhaft von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, schloss Kapitän Alphonse seine großen, starren Augen und begann laut zu schnarchen.

»Gott sei Dank!«, sprach Oberst Vereker. »Jetzt schläft er wieder!«

»Das ist auch gut so für ihn, den armen Kerl«, sagte Garry. »Es geht ihm schlecht, das sage ich Ihnen, Sir! Und es ist besser, wenn er in Ruhe stirbt, als dass er einen Aufstand macht, der ihm nichts nützt.«

»Was!«, erwiderte der Oberst. »Glauben Sie, dass er sterben wird?«

»Bei Gott, alle Ärzte der Welt könnten ihn nicht retten!«

»Mein armer Freund, mein armer Freund!«, rief der Oberst. »Dann werde ich bei ihm bleiben, bis zum Ende, um ihm seine letzten Momente zu erleichtern!«

Offensichtlich rang Oberst Vereker mit sich selbst: Einerseits wollte er seine Pflicht gegenüber dem Sterbenden erfüllen, andererseits wollte er an Deck sein und an der Verfolgung des entkommenen Schiffes und dem bevorstehenden Kampf mit den Haitianern teilnehmen, bei dem die schwarzen Schurken für all das Elend und Blutvergießen, das sie verursacht hatten, zur Rechenschaft gezogen werden würden.

Garry O’Neil sah dies und lehnte die Idee ab, dass der Oberst unten bleiben sollte.

»Glauben Sie mir, es hat überhaupt keinen Sinn, hier unten zu bleiben, Sir«, sagte er in seiner lebhaften, energischen Art.

»Der arme Kerl wird sich in den nächsten zwei Stunden oder länger nicht mehr rühren. Und selbst wenn, würde er Sie oder irgendjemanden anderen nicht erkennen.«

»Aber, Herr Doktor …«

»Heiliger Moses! Ich sage Ihnen, Oberst, es hat keinen Sinn, noch eine Minute länger hier zu bleiben!«, konstatierte der gutmütige Ire ungeduldig und unterbrach seinen halbherzigen Widersacher. »Verschwinden Sie sofort von hier! Gehen Sie an Deck und sagen Sie den mordenden Schurken, dass der Kampf vorbei ist. Ich werde mich jetzt um meinen Gefangenen kümmern, bis dieser alte Dieb Weston alle Reste vom Mittagessen aufgegessen hat. Dann wird er sich um ihn kümmern und ich werde auch hochkommen, um das letzte Wort zu sprechen. Jetzt gehen Sie, Oberst, mein Lieber. Sie können mit dem armen Kerl reden, wenn der Tumult vorbei ist. Dick Haldane, biete dem Oberst deinen Arm. So, jetzt geht ihr beide. Weg mit euch!«

Mit diesen Worten schob er uns regelrecht aus der Kabine. Während der Oberst an meiner Seite humpelte und meine Schulter wie zuvor als Krücke benutzte, stiegen wir die Niedergangstreppe hinauf und erreichten das Heck.

Die Szenerie hier bildete einen auffälligen Kontrast zu der, die wir gerade verlassen hatten. Die frische Luft, die strahlende Sonne und das glitzernde Meer strahlten Leben und Bewegung aus – im Gegensatz zur stickigen Atmosphäre des dunklen Salons, die Assoziationen mit Krankheit und nahendem Tod weckte.

Eine steife Brise wehte aus südlicher Richtung, und da wir nach Norden fuhren, direkt vor dem Wind, hatte der Skipper angeordnet, alle unsere Rahsegel vorzulegen, um den Wind zusätzlich zu unserer Dampfkraft optimal zu nutzen. Die alte Bark schoss mit voller Geschwindigkeit voran. Ihre Toppsegel und Vorsegel waren bis zum Äußersten ausgebreitet. Ihre Achterlieks hoben sich gelegentlich mit einem Flattern, wenn sie den Wind überholte. Die Schothornblöcke klapperten, wenn die Schoten nachließen und wieder straff wurden. Der Wind summte wie tausend Bienen, die um die Takelage herumschwirrten, durch die Segel.

Auch der schwarze Rauch schoss aus dem Schornstein empor und wirbelte unentschlossen in der Luft über uns, da die Geschwindigkeit des Schiffes ihn nach achtern ziehen ließ, während der steife Südwind ihn nach vorne blies. So trugen wir ihn die ganze Zeit mit uns, er hing wie ein Sonnensegel über unserer Windfahne, während wir vorwärts rasten und auf beiden Seiten eine tiefe Furche aus wogendem Wasser hinter uns herzogen. Wir pflügten durch die tanzenden, sonnenbeschienenen Wellen und hinterließen eine lange weiße Spur, die durch das Blau leuchtete. Sie zog sich weit entfernt in der Ferne dahin, wo Meer und Himmel zu einer Einheit verschmolzen, entlang der Horizontlinie.

Old Masters, der Bootsmann, stand auf dem Achterdeck, als der Oberst und ich von unten kamen. Er war gerade dabei, das Patentlog zu holen, um unsere Geschwindigkeit zu ermitteln.

»Nun«, fragte ich, als er auf den Zeiger des unansehnlichen Geräts schaute, das wie eine Mischung aus Haifischhaken und Miniatur-Schraubenpropeller aussieht. »Was macht sie, Bootsmann?«

»Was sie macht? Was sie macht, Sir?«, antwortete er und wiederholte meine eigenen Worte mit großer Begeisterung. »Nun, Sir, sie fährt immer noch sechzehn Knoten, und der verdammte alte Wal hält dieses Tempo seit vier Glockenschlägen. Sie hat auch den Wind im Rücken. Als wir vor einer Weile nach Norden abbogen, um das Verfolgte einzuholen, drehte der Wind glücklicherweise ebenfalls nach Süden und blieb wie zuvor hinter uns!«

»Wo ist das Verfolgte?«, fragte ich, da ich wegen des geblähten Focksegels und anderer Hindernisse nicht nach vorne sehen konnte. »Ich nehme an, es ist direkt vor uns, oder?«

»Nein, Sir. Kommen Sie einfach hierher neben mich an die Reling«, sagte er. »Folgen Sie jetzt meinem Finger, Sir. Sehen Sie, da ist sie, zwei Punkte vor unserem Steuerbordbug. Gerade eben war sie noch unterhalb der Wasserlinie, aber wir holen schnell auf. Sehen Sie, da ist sie, direkt unter dem Fockmast!«

Ich schaute in die Richtung, die er mir zeigte, und konnte in der Ferne ganz schwach etwas Weißes erkennen, das wie ein Segel aussah und kaum noch auf dem Meer vor uns zu sehen war.

»Aber Master«, sagte ich, da ich kein Fernglas dabei hatte und sie zu weit entfernt war, um sie mit bloßem Auge erkennen zu können, »sind Sie sicher, dass es dasselbe Schiff ist?«

»So sicher wie das Amen in der Kirche, Master Haldane«, antwortete er feierlich. »Ja, so sicher, wie dass wir, wenn wir an Bord gehen – und wir müssen an Bord gehen – beide in den Tod gehen werden! Das ist das Geisterschiff, Master Haldane, das Sie und ich schon dreimal gesehen haben. Ich möge in dieser Minute sterben, wenn es nicht so ist!«

»Sterben! Redet keinen Unsinn, Master.«

»Das ist kein Unsinn, Master Haldane«, erwiderte er und sah dabei aus wie das personifizierte Elend und Unglück. »Dieses Schiff bedeutet weder Ihnen noch mir noch irgendjemandem, der es zuvor gesehen hat, etwas Gutes, das weiß ich. Es ist ganz sicher dieses Schiff. Kein sterbliches Schiff könnte seit Freitag ununterbrochen so segeln, direkt vor dem Wind, und immer noch unsere Trossen kreuzen, obwohl seine Segel zerfetzt sind und sich keine Menschenseele an Bord befindet, wie wir gesehen haben. Das ist auf keinen Fall natürlich. Ja, es ist das Geisterschiff, daran gibt es keinen Zweifel – und Gott stehe uns allen bei!«

In diesem Moment bemerkte ich ein Fernglas auf dem Oberlicht des Salons. Mr. Fosset musste es in seiner Eile zurückgelassen haben, als er von der Brücke kam, um den Kapitän zu rufen, und dann zu seinem Posten zurückeilte. Ich griff schnell danach und suchte das entfernte Segel ab, das von Minute zu Minute deutlicher zu erkennen war.

Ja, es gab keinen Zweifel.

Es war ein voll getakeltes Schiff, das vor dem Wind segelte, aber hin und wieder von seinem Kurs abkam, als ob es nicht richtig gesteuert oder geführt würde. Alle seine Segel waren zerrissen und flatterten wild im Wind, und seine Spieren und Takelage waren offenbar völlig durcheinander, als ob es vom Wetter schwer in Mitleidenschaft gezogen worden wäre.

»Um Himmels willen, sagen Sie es mir!«, rief der Oberst, der sich unbemerkt genähert hatte, während ich durch das Fernglas schaute. »Sagen Sie mir, ist es da? Können Sie es sehen?«

»Ja, Sir«, sagte ich. »Ich kann es sehen, und es ist dasselbe Schiff, das ich neulich Nacht gesehen habe. Es ist die SAINT PIERRE!«

»Ha!«, rief er aus. Seine schwarzen Augen blitzten vor Wut, und er schien seine Lahmheit vergessen zu haben. Er schritt zur Seite des Schiffes, stützte eine Hand auf die Reling und zeigte mit der anderen drohend auf das unglückselige Schiff, dessen Rumpf nun weit über dem Horizont zu sehen war. »Ah, ihr schwarzen Teufel, wir werden euch endlich fertigmachen!«

Inzwischen kehrte der Kapitän, der uns so plötzlich verlassen hatte, um sich Mr. Fosset auf der Brücke anzuschließen, nach achtern zurück. Als der Oberst sich von der Reling umdrehte, stand der Kapitän hinter ihm und blickte über seine Schulter auf das Schiff, dem wir uns näherten.

Der Kapitän war ganz aufgeregt.

»Bei Gott!«, rief er aus. »Wir nähern uns ihr jetzt schnell, Oberst!«

»Wie lange, Señor Applegarth, glauben Sie, dauert es noch, bis wir neben ihr sind?«

»Höchstens eine halbe Stunde, Sir, es sei denn, etwas gibt nach. Wir wären schon früher bei ihr gewesen, wenn sie vor Anker gelegen hätte. Aber sie fährt wie wir weiter und kommt auch gut voran, wenn man bedenkt, in welchem Zustand sie sich oben befindet und wie sie hin und her schwankt. Es ist erstaunlich, wie sie sich hält!«

»Oh je! Oh je! Sie ist besessen, wie Ihr Begleiter gerade zu dem jungen Señor Haldane gesagt hat.«

»Oh, Sie dürfen sich nicht um das kümmern, was der Bootsmann sagt«, bemerkte der Skipper. »Er ist voller alter Aberglauben der Seefahrt und macht aus einer Mücke einen Elefanten.«

»Zum Teufel! Was die SAINT PIERRE angeht, liegt er allerdings nicht ganz falsch, denn wenn jemals ein Schiff den Teufel an Bord hatte, dann sicher dieses, in Gestalt dieses schurkischen schwarzen Marquis

»Dann sollten wir uns besser so schnell wie möglich darum kümmern, Ihren Teufel zu verbrennen«, rief der Skipper mit einem Lachen, das, wie ich wusste, ernst gemeint war. »Ich werde jetzt die Mannschaft nach achtern rufen und sie auf den Kampf vorbereiten. Sie werden es schwer haben, das kann ich Ihnen sagen«, meinte er.

»Haben Sie genug Waffen für sie, Sir? Diese Schurken werden hartnäckigen Widerstand leisten, und es sind noch viele von ihnen auf dem Schiff. Vergessen Sie das nicht!«

Der Kapitän lachte laut darüber.

»Gott segne Sie, Oberst!«, sagte er. »Die Dampfschiffe unserer Linie sind in ihrer Art sehr ähnlich wie Kriegsschiffe ausgerüstet. Ich habe genug Gewehre und Entermesser in der Waffenkiste unter Deck, um mehr als doppelt so viele Besatzungsmitglieder auszurüsten. Außerdem gibt es Revolver für alle Offiziere. Das wird jedoch eine kurze und scharfe Angelegenheit werden, da wir Ihre schwarzen Teufel am Bart packen werden. Daher werde ich nur Entermesser ausgeben.«

»Aber Sie werden mir einen Revolver überlassen, Señor Applegarth? Ich habe meinen, wie Sie wissen, zurückgelassen«, sagte er mit einem Lächeln. »Ich würde gerne noch ein oder zwei Schüsse auf meinen Freund, den Marquis, abgeben!«

»Jawohl, Oberst, Sie sollen einen haben, und zwar einen guten, ebenso wie alle, die mit einer Pistole umzugehen wissen. Aber für den Nahkampf bevorzuge ich selbst kalte Stahlwaffen.«

Oberst Vereker stimmte in das grimmige Lachen des Skippers ein, das gut zu seiner Stimmung passte.

»Ja, Sir, das ist wahr«, erwiderte er, »aber ein Revolver ist trotzdem nicht zu verachten!«

»Nein, Oberst, Ihr Bein wird das bezeugen«, sagte der Kapitän, als er sich zu mir umdrehte. »Laufen Sie schnell hinunter zu der Waffenkiste in meiner Kabine, Haldane. Hier sind die Schlüssel. Holen Sie ein Dutzend Entermesser und Enterhaken, dazu einen Revolver für jeden auf dem Achterdeck und ein halbes Dutzend Schuss Munition. Weston kann Ihnen helfen, alles hierherzubringen. Beeilen Sie sich, ich möchte die Waffen sofort verteilen, da wir uns dem verfolgten Schiff nähern und keine Zeit zu verlieren haben.«

Ich eilte mit dem Schlüsselbund des Kapitäns in den Salon hinunter und bat den Steward um Hilfe. Dann ging ich in die Achterkabine, wo Garry O’Neil noch immer mit größerem Fingerspitzengefühl als die erfahrensten und flinksten Krankenschwestern den Verband um den Kopf des französischen Kapitäns feucht hielt.

Garry war begeistert, als ich ihm den Grund für meinen Besuch verriet.

»Heiliger Moses!«, rief er aus. »Das ist doch genau die richtige Aufgabe für mich. Hier, Weston, du hässlicher Kerl, komm her! Es wird gleich einen heftigen Kampf an Deck geben. Da ich weiß, dass du dir dein hübsches Gesicht nicht verderben lassen willst, setz dich einfach dort hin, Alannah. Kümmere dich um diesen armen Kerl, bis ich wieder herunterkomme. Ich helfe Master Haldane mit diesen mörderischen Waffen, die einem schon beim Anblick eine Gänsehaut bereiten. Verdammt seien sie.«

Er zwinkerte mir dabei verschmitzt zu, was Weston jedoch nicht bemerkte. Weston nahm die Änderung seiner Aufgabe mit einer Schnelligkeit an, die zeigte, dass er keine Lust auf Kriegsgeschäfte hatte. Garry und ich brachten jeweils ein Bündel Waffen sehr schnell auf das Achterdeck und legten sie neben den Skipper, der an der Reling stand.

»Ah, Doktor«, sagte der Oberst, der in der Nähe auf der Luke zum Oberlicht saß und sich vor Beginn der Schlacht ausruhte, als er Garry die Luke hinaufkommen sah. »Wie geht es meinem armen Freund jetzt?«

»Er ist immer noch bewusstlos«, antwortete Garry und reichte ihm einen großen Revolver mit einem Patronengurt. »Ich gehe davon aus, dass das auch so bleiben wird, bis Sie Zeit hatten, den Rest der Schurken, die wir jagen, zu erledigen, Oberst. Ich fürchte, dass es für den armen Kerl so enden wird, wenn es so weit ist. Ich glaube nicht, dass er in diesem Leben noch einmal sprechen oder sich bewegen wird.«

Doch Garry irrte sich mit seiner Diagnose, wie sich herausstellte. Gerade als der Oberst ihm antworten wollte, hämmerte der Skipper mit einem Marlingspike auf das Deck, um Aufmerksamkeit zu erregen, und rief mit lauter Stimme, dass wir alle zusammenzuckten – so laut und unerwartet war es.

»Ahoi dort vorne!«, rief er mit donnernder Stimme, die wie eine Trompete von Bug bis Heck hallte. »Bootsmann, schicken Sie die Männer nach achtern.«

»Sagen Sie, Kapitän«, rief Mr. Fosset von der Brücke, »soll ich die Jungs unten im Heizraum heraufrufen, Sir?«

»Ja, läuten Sie die Gongglocke im Maschinenraum. Ich will jeden Mann an Deck, den Mr. Stokes entbehren kann. Sagen Sie ihm das.«

Während der alte Masters seine Bootsmannspfeife blies und geschäftige Füße nach achtern trampelten, begannen sich die Männer in der Mitte des Schiffes, unmittelbar unterhalb des Hecks, zu versammeln. Hier stand Kapitän Applegarth, streng und aufrecht wie ein alter Löwe, die Mütze abgenommen, sodass sein welliges graues Haar vom Wind über den Kopf geblasen wurde. Währenddessen konnten wir das entfernte Läuten der Glocke im Maschinenraum hören. Dann kam ein Ruf von Mr. Fosset.

»Mr. Stokes schickt alle von unten nach oben, Sir«, rief der Erste Offizier. »Er sagt, er komme jetzt, da wir fast auf der Jagd sind. Mit der Hilfe von ein paar anderen Heizern komme er alleine zurecht. Und die Ingenieure und Heizer, alle zusammen, haben sich freiwillig gemeldet, an Deck zu kommen und sich der Entermannschaft anzuschließen.«

»Das ist typisch für dich, mein Lieber«, rief der Kapitän begeistert. Er blickte auf die Menge aufgeregter Gesichter unter ihm. Sie schauten erwartungsvoll zu ihm auf und warteten auf die mitreißenden Worte, von denen sie wussten, dass sie kommen würden. Schließlich hatten alle von der bevorstehenden Schlacht Wind bekommen. »Nun, Männer, ich habe euch alle nach achtern gerufen, weil – nun, weil ich euch etwas zu sagen habe.«

»Gut gemacht, alter Mann«, rief einer der Männer inmitten eines lauten Jubels. Während ich über die anderen Stimmen der Besatzung hinweg das Lachen von Accra Prout, dem mulattischen Koch, heraushören konnte, rief er zustimmend: »Golly, dat so, sonny!«

»Himmel!«, rief Oberst Vereker aus, der die Stimme offenbar ebenso sofort erkannte wie ich. »Wer ist das?«, fragte er scharf.

Accra Prout, der einen Kopf größer war als alle anderen Männer, die sich um ihn versammelt hatten, erblickte den Oberst. Als dieser seinen Blick nach unten richtete, erhob sich Accra Prout von seinem Platz und trat an die Seite des Skippers. Die Augen des Mulatten wurden groß wie Untertassen, während seine Augäpfel vor Freude rollten und sich sein breiter Mund von Ohr zu Ohr dehnte.

»Bress de Lor’!«, rief er mit der ganzen emphatischen Begeisterung eines Negers und brach in ein fast hysterisches Gelächter aus. Es ist der Massa, es ist Massa Vereker von der Plantage, ganz sicher!«

»Ja, ich bin es, Prout, und ich freue mich sehr, dich zu sehen«, sagte der Oberst ebenso erfreut.

»Na, Señor Applegarth, habe ich Ihnen nicht gesagt, dass einige meiner alten louisianischen Matrosen mich gerne wiedersehen würden, trotz meiner Äußerungen über diese verdammten Schwarzen, die unser Schiff gekapert haben?”

»Ja, das haben Sie, Oberst, das haben Sie«, antwortete der Skipper und winkte mit der Hand in der Luft. »Aber das ist jetzt egal – ich werde mit der Besatzung sprechen. Also, meine Jungs, alle zusammen«, rief Garry O’Neil und blickte über den Rand der Luke zum Niedergang. »Dreimal Hurra für den Kapitän!«

»Hurra!«, brüllten alle unten mit gleicher Begeisterung. »Hurra!«

Als das Echo des letzten ohrenbetäubenden Jubels verklungen war, rief Mr. Fosset von der Brücke: »Wir sind jetzt fast in Rufweite des Verfolgten, Sir. Ich werde langsamer fahren, damit wir längsseits gehen können.«

»Genau darauf habe ich gewartet«, antwortete der Skipper. »Nun, Männer, seht ihr das Schiff vor uns?«

»Aye«, rief der vorderste Mann, der zuvor gesprochen hatte – der übliche Anführer und Witzbold des Vorschiffs, »das Geisterschiff, Kapitän.«

»Nun, Geisterschiff, Teufelsschiff oder was auch immer es sein mag, meine Jungs, wir werden es entern und eine junge Dame retten, ein Kind noch, die Tochter meines Freundes, Oberst Vereker hier, und eine Menge weißer Männer wie euch, die jetzt einer Bande schwarzer Dämonen ausgeliefert sind. Sie haben den Rest der Passagiere und der Besatzung ermordet und das Schiff in Besitz genommen. Steht ihr zu mir, Jungs?«

Die Antwort war ein weiterer ohrenbetäubender Jubel, noch herzlicher und lauter als zuvor.

»Ah, ich wusste, dass ich auf eure Hilfe zählen kann«, rief der Kapitän mit stolzer Zufriedenheit und warf einen Blick auf den Oberst. »Ich habe auch eure Werkzeuge für euch bereit, meine Jungs. Wenn ihr in einer Reihe die Backbordleiter hinaufsteigt und über die Steuerbordgangway wieder hinuntergeht, wird jeder der Reihe nach versorgt. Mr. O’Neil, bitte verteilen Sie die Entermesser und Enterhaken. Nun, meine Männer, hoch hinaus! In einer Reihe und nicht drängeln, dann sind wir schneller fertig!«

Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, hatten die Männer bereits begonnen, sich zu bewaffnen, und innerhalb weniger Minuten waren die Entermesser und langen Enterhaken verteilt, sodass jeder Mann eine Waffe hatte.

»Nun, Bootsmann, pfeifen Sie die Männer auf ihre Posten«, rief der Skipper, der seinen Aktionsplan offenbar bereits ausgereift hatte.

»Die Steuerbordwache geht nach vorne, die Backbordwache geht nach hinten. Und alle Heizer und Feuerleute gehen mittschiffs unter der Brücke in Stellung. Ein paar Mann sollen auch mit einem Trossen und einem Enterhaken an den Vorankern bereitstehen, um das Schiff festzumachen, wenn wir längsseits kommen.«

»Aye, aye, Sir«, rief Masters zurück. »Steuerbordwache, ahoi! Los, nach vorne mit euch, folgt mir!«

Unsere Maschinen hatten bereits an Geschwindigkeit verloren. Nachdem das Ruder herumgeworfen worden war, kamen wir mit der Breitseite in den Wind, auf der Leeseite des Schiffes, keine halbe Kabellänge von ihm entfernt.

»Haltet euch vorne bereit«, rief der Skipper. »Schiff ahoi! Gebt auf, oder wir rammen euch.«

Als Antwort ertönte ein wilder, barbarischer Schrei von einer Gruppe halbnackter Neger, die sich im hinteren Teil des Schiffes sowie auf dem Vordeck versammelt hatten. Kein einziger Weißer war zu sehen und die Trikolore, die zuvor so auffällig gewesen war, war nun nicht mehr zu sehen. Ich hatte sie, wenn ich mich richtig erinnerte, noch vor einer halben Stunde durch das Fernrohr gesehen.

Hatten sich unsere schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet?

Ein weiterer wilder Schrei bestätigte diesen Gedanken beinahe.

»Himmel!«, rief Oberst Vereker, fast außer sich vor Kummer und Aufregung, als er die erschreckenden Beweise für den Triumph der Haitianer bemerkte. Wir sahen uns entsetzt an. »Mein armes Kind und diese tapferen Männer, die ich zurückgelassen habe – wo sind sie alle? Wo sind sie? Um Gottes willen, findet sie! Ach, ach, diese schwarzen Teufel haben sie alle ermordet.«

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