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Mörder und Gespenster – Band 1 – 12. Teil

August Lewald
Mörder und Gespenster
Band 1

Der Erbe des Teufels

Kapitel 2

So vergingen seine Tage und er wurde alt und schwach. Denn bei seiner Lebensweise sind achtundsechzig Jahre ein sogenanntes schönes Alter – nur nicht für den, der es erreicht hat. Er ging in sich, überdachte seinen langen Lebenslauf, sah, was er getan und gewirkt hatte, und war damit zufrieden. Daraufhin beschloss er, seine apostolischen Arbeiten zu beenden und sich mit den hunderttausend Talern, die er sich im Schweiße seines Angesichts wohlverdient hatte, in Ruhe zu setzen. Anschließend wollte er nur noch Damen des vornehmsten Standes mit seinem frommen Eifer beistehen. Dies erregte den Neid aller anderen so sehr, dass trotz der besten Bemühungen sehr tüchtiger junger Geistlicher allgemein behauptet wurde, dass keiner von ihnen imstande sei, die Seele einer Frau von jedweder Last zu befreien und zu reinigen, außer dem alten, reichen Kanonikus, der in seinem schönen Haus neben der Domkirche wohnte.

Nach den Gesetzen der Natur vergingen die Jahre, und unser alter Herr war nach und nach ein schöner Neunziger geworden, mit schneeweißem Haupt und zitternden Händen. Dabei war er rund wie ein Turm, sodass er sich kaum noch von seinem Stuhl erhob. Er hatte stets einen guten Appetit und trank noch besser, sprach aber nur wenig, sodass man ihn, das Essen und Trinken abgerechnet, leicht für ein stummes Bild hätte halten können, das irgendein geschickter Künstler dem lebendigen Kanonikus nachgeformt hatte.

Jetzt aber begannen seltsame Gerüchte im Volk umherzugehen. Zunächst keimten sie im engen, dunklen Kreis, dann verbreiteten sie sich mit wundersamer Schnelligkeit immer weiter. Die Tatsache, dass unser Kanonikus starr und stumm in seinem Sessel blieb, seine Abgeschiedenheit von aller Welt, seine blühende Gesundheit, sein junges Greisenalter, um es kurz zu sagen, und andere Gerüchte, die sich mit oder ohne Grund über ihn verbreiteten, nebst allerlei Geschichten, die man sich über seinen früheren Lebenswandel erzählte, den man nun unbescheiden einen bösen nannte, machten auf die stets neugierige und unwissende Menge einen seltsamen Eindruck und zugleich wurde sie empfänglich für eine wunderbare Kunde. Es hieß nämlich, der alte, wahrhaftige Kanonikus sei schon vor längerer Zeit gestorben, allein der Teufel in eigener Person sei in den Leichnam gefahren und spiele die Rolle des Toten fort, solange es ihm gefalle.

Wenn diese Kunde im Volke schon großes Aufsehen erregte, so war dies bei jenen vornehmen Damen, die mit dem Kanonikus in engerer Berührung gestanden hatten, in einem viel höheren Grade der Fall. Sie überdachten nun nicht ohne Besorgnis, was sie mit ihm zu schaffen gehabt hatten bei verschiedenen Lagen und Ereignissen, und mussten sich wirklich in ihrem Innersten gestehen, dass der wackere Kanonikus denn doch den Teufel im Leibe gehabt habe, wie die Leute sagten. Es konnte nicht ausbleiben, dass solche Gedanken sie um die dereinstigen Folgen nicht wenig besorgt machten.

Freidenker, Zweifler und Ketzer, die es zu jeder Zeit und an jedem Ort gab und somit auch damals in Białystok, meinten jedoch, es sei sonderbar, den Teufel nach und nach durch seine Taten so ganz aufgerieben zu sehen. Sie fragten sich auch, warum der Teufel es so lange in dem Gewand des Geistlichen ausgehalten hatte, warum er zuweilen noch in die Kirche ging, wenn die anderen Geistlichen sich ebenfalls dorthin begaben, und was ihm einfalle, sich den Weihrauch in die Nase steigen zu lassen. Wie er das Weihwasser vertragen könne? Und viele ähnliche Dinge.

Auf diese ketzerischen Einwände hatten frommere Seelen zu bemerken, die Welt werde besser und folglich auch der Teufel; er wolle sich bekehren und habe deshalb diese Rolle erwählt, um endlich auch der Gnade teilhaftig zu werden.

Die Letzten schließlich, die sich für die Gescheitesten hielten, glaubten, den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben, und behaupteten, der Böse sei deshalb in den Körper des Kanonikus gezogen, um seinen drei Neffen und Erben einen Possen zu spielen und ihnen die reiche Erbschaft ihres Oheims bis zu ihrem eigenen Tod vorzuenthalten. Zwei von ihnen kamen tatsächlich jeden Tag, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, und hofften dabei immer, ihn endlich einmal mit geschlossenen Augen daliegen zu sehen. Wenn sie ihn aber lebend mit hellem Blick fanden, wie er sie mit seinem Basiliskenauge fixierte, so heuchelten sie Freude und Entzücken darüber und konnten nicht aufhören, zu versichern, wie sehr sie ihren guten alten Onkel liebten.

Zu all den schlimmen Gerüchten kam noch das Wichtigste hinzu, welches ein altes Weib offenbarte, deren Wahrhaftigkeit in solchen Dingen von niemandem in Zweifel gezogen wurde. Demnach sollen zwei seiner Neffen ihren Oheim nachts von einem Schmaus beim Pönitentiarius nach Hause geführt haben. Da sie selbst aber des Guten zu viel getan hatten, waren sie gestolpert und hatten den guten Alten auf einen Steinhaufen fallen lassen, der dalag, um eine Kapelle zu Ehren des heiligen Christophorus aufzuführen. Dabei hatte der Greis beim Fallen Funken gegeben, als würde ein Stück Eisen gegen Steine geschlagen. Als auf das Geschrei der lieben Neffen Menschen mit Lichtern herbeiliefen, soll der Alte ganz gerade wie ein Kegel und lustig wie ein Eichhörnchen auf den Beinen dagestanden sein und ausgerufen haben, dass der edle Wein aus dem Keller des Pönitentiarius ihm die Kraft verliehen habe, diesen schweren Fall auszuhalten. Außerdem seien seine Knochen noch hart genug, um noch manches andere zu überstehen.

Die guten Neffen, die ihn diesmal für immer verloren zu haben glaubten, waren von diesen Reden nicht wenig überrascht und sahen nun ein, dass die Zeit nicht bald kommen würde, den Onkel loszuwerden, da selbst die harten, spitzen Steine keinen nachteiligen Einfluss auf dieses alte, dauerhafte Gerüst auszuüben vermochten.

Trotz all dieser Geschichten, wahr oder nicht, lebte der alte Kanonikus gut in seinem Haus weiter und wollte nicht sterben. Seine drei Neffen waren stets um ihn, und er ertrug sie wie sein Seitenstechen und Asthma und alle anderen unangenehmen Begleiterscheinungen eines hohen Lebensalters.

Ob er indes der Kanonikus oder der Teufel war, kann dem geneigten Leser bis jetzt noch nicht mit Gewissheit verraten werden.

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