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Die Gespenster – Vierter Teil – 29. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Neunundzwanzigste Erzählung

Ein Tagelöhner aus R. ist im Sarg noch erbost über seine hinterlassene Witwe

Die in mehr als einer Hinsicht beherzigenswerten Briefe über die wichtigsten Gegenstände der Menschheit erwähnen einen verstorbenen Ehemann, dessen Schicksal im Sarg nicht ohne ein Lächeln erwähnt wurde. Er verdient hier ein Plätzchen, da seine Geschichte eine dem Zweck dieses Abschnitts angemessene Belehrung enthält.

In R. starb ein Tagelöhner, dessen Witwe ihn nach alter, grausamer Sitte sogleich auf das Totenbett legte.

Ich nenne diesen Gebrauch grausam, weil alle Ärzte der Meinung sind, dass unter denen, die auf diese Art als wirklich Verstorbene behandelt werden, immer einige sind, die sich im warmen Bett noch einmal erholt hätten. Bei ihnen wird nun die Rückkehr der Lebenskraft, wenn nicht unmöglich gemacht, so doch sehr erschwert.

Selbst die unter dem gemeinen Volk herrschende Sage, dass der Leiche, die auf dem Brett noch einmal seufzt, bald jemand aus der gleichen Familie nachfolge, rechtfertigt die Besorgnis dieser Menschenfreunde. Denn nur die vom Wahn und Vorurteilen betörte Einfalt kann glauben, dass eine Leiche seufzen könne oder eine seufzende Scheinleiche wirklich tot sei. Doch nun zurück zur Sache!

Die Frau des Verstorbenen war arm, ja bettelarm, dennoch wollte sie ihrem Mann die letzte Ehre erweisen. Sie kleidete ihn daher des anderen Tages ihren dürftigen Vermögensumständen gemäß an. Um jedoch keine neuen Strümpfe opfern zu müssen, die mit dem Leichnam im Schoß der Erde vermodern würden, wickelte sie die Beine in alte Lumpen, die sie unten, längs der Wade, wo die Naht nicht ins Auge fiel, mit einigen weiten Stichen zusammenheftete.

Am dritten Tag, als man ihn in die fertige Gruft hinablassen wollte, erwachte der bisher in bloßer Starrsucht gelegene Scheintote plötzlich und bekam auf einmal wieder Kraft, seine bisher völlig ungelenken und starren Glieder willkürlich zu bewegen. Das Erste, was er nun versuchte, war, seine Ehehälfte zu züchtigen!

»Du unvernünftiges Weib«, rief der erzürnte Wiedererwachte, »du hast beim Annähen deiner Lumpen die Heftnadel wenigstens zehnmal durch meine Waden gestochen. Jeden Stich habe ich gespürt. Ich hätte vor Schmerz laut aufschreien und dich am liebsten gleich auf der Stelle hinter die Ohren schlagen mögen, wenn ich nur gekonnt hätte.«

Zugleich versicherte er, dass er bei zugedrückten Augen alles gehört habe, was um ihn herum gesprochen worden sei, und dass seiner Aufmerksamkeit nichts entgangen sei, was mit ihm vorgenommen worden sei. Indessen sei er schlechterdings nicht imstande gewesen, dies im Geringsten zu erkennen zu geben. Im Schmerzgefühl der Wadenstiche habe er seiner Frau jedoch geschworen, dass er den ersten Gebrauch seiner Glieder an ihr dafür machen wolle.

Die Ärzte, die während seiner ganzen Krankheit nicht gerufen worden waren, nun aber auf das Gerücht von diesem seltenen Vorgang ungerufen herzukamen, nannten diese Erscheinung gehobene Starrsucht.

Wenn diese Krankheit aber bis zum dritten Tag dauern kann, warum nicht auch bis zum vierten – also über die allgemein übliche Beerdigungszeit hinaus?

Es reicht also nicht aus, die Angst zu haben, auf diese Weise lebendig begraben zu werden und im Grab wieder zu sich zu kommen. Man kann auch, bei allem äußerlichen Schein des Todes, schon während der gesamten Zeit vor der Beerdigung bei Bewusstsein sein, ohne dies den Umstehenden andeuten zu können.

Eine schauerliche Möglichkeit! Aber sollen wir den Gedanken an diese Möglichkeit in Bezug auf uns selbst lieber ganz unterdrücken, nur weil er ein Grausen verursacht, wie es eine unserer meistgelesenen Zeitungen neuerdings zu wollen schien? Und ist das überhaupt möglich, wenn dieser Gedanke erst einmal aufgekommen ist?

Sollen wir den an sich so wohltuenden Gedanken an das endliche Schicksal aller Sterblichen, der oft viel zu geflissentlich entfernt wird, ängstlich vermeiden, nur weil die Verwahrlosung der Menschen und deren gefühllose Gleichgültigkeit dem Tod eine schreckliche Seite geben?

Ich denke nein! Im Gegenteil, lasst uns die Gefahren des Scheintodes immer lauter zur Sprache bringen und die grausame Nachlässigkeit und Verwahrlosung der Überlebenden gegenüber den vielleicht nur scheinbar Verstorbenen immer ernster rügen!

Endlich wird man doch dahin kommen, dass kein lebendig Begrabener uns weiter fluchen darf.

Endlich wird man doch einsehen, dass der Tod nur eine besonders schreckliche Seite hat, die ihm ein gewissenlos geführter Lebenswandel erst gibt.

Wollte man aber, aller Erfahrung und der milderen Keckheit unseres Zeitgeistes zum Trotz, den Ärzten ins Gesicht, selbst die Möglichkeit des zuweilen sehr späten Erwachens der Scheintoten in der engen Behausung ihres Sarges frisch hinweg leugnen, so würde man nicht so sehr Widerlegung, sondern Mitleid und Achselzucken verdienen.

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