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Mörder und Gespenster – Band 1 – 10. Teil

August Lewald
Mörder und Gespenster
Band 1

Der Werwolf

Kapitel 10

Von diesem Augenblick an war das Haus des Metzgers der Tummelplatz böser Geister geworden, die, von allen anderen unbemerkt, nur ihn zur Verzweiflung brachten.

Als er am nächsten Morgen aufstand und in den Laden trat, um sich von den wüsten Bildern der Nacht zu zerstreuen, gewahrte er zu seinem Schrecken mitten unter dem frischen Fleisch die abgehauene Hand. Entsetzt ergriff er sie und entfernte sich so schnell wie möglich, um sie unbemerkt in den tiefen Brunnen zu werfen, den er vor Kurzem in einem Winkel seines Hofes hatte graben lassen.

Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er den plumpen Sturz der Hand vernahm. Er kehrte etwas beruhigter in seinen Laden zurück, obgleich ihn weder das Geschwätz der Kundschaft noch andere Ereignisse des Tages zu zerstreuen vermochten.

Der Tag verging und je näher der Abend heranrückte, desto größer wurde seine Unruhe.

Nach einer sorgenvoll und beängstigt verbrachten Nacht betrat er am nächsten Morgen früher als gewöhnlich seinen Laden, in dem alles reinlich und aufgeräumt wirkte. Da erblickte er mit Schrecken erneut die abgehauene Hand auf der Metzgerbank. Er wollte seinen Augen nicht trauen, doch es war tatsächlich so. Er griff nach ihr, hielt sie fest und eilte, wie beim ersten Mal, schnell fort, um sich ihrer, wie er hoffte, für immer zu entledigen. Im finstersten Winkel seines Gartens grub er ein tiefes Loch, warf die Hand hinein und schüttete dann Erde darauf, die er mit beiden Füßen feststampfte. Danach kehrte er in sein Haus zurück. Er war nicht beruhigt von seinem Tun, denn eine höhere, unerklärliche Macht war im Spiel, eine grauenvolle Macht, die ihm der fromme Geistliche beschrieben hatte und an deren Existenz in seiner unmittelbaren Nähe er nicht denken wollte.

Der Tag verlief wie der vorherige, die Nacht wie die vorherige. Schon bildeten Angst und Schrecken tiefe Furchen auf dem Antlitz des Metzgers. Er sah bereits jetzt einem Bösewicht ähnlich, der sein Verbrechen gestanden hatte und auf das Urteil des Richters wartete. So trat er am nächsten Morgen wieder in seinen Laden.

Welch ein abscheulicher Dunst hatte sich hier aber verbreitet? Das roch nach Fäulnis und Verwesung und konnte dem Ruf des Metzgers großen Schaden zufügen. Er schaute sich um, doch überall sah und spürte er nur die gewohnte Reinlichkeit und frisches Fleisch. Aber dort, in jener Ecke, auf dem appetitlichen Braten, sah er – o Schrecken! – die abgehauene Hand, die sich bereits im Zustand der Verwesung befand, aufgedunsen und grünlich. Ein ekelerregender Anblick!

Den Ekel zu überwinden, sie zu ergreifen und sorgfältig eingewickelt mit ihr davonzueilen, war die Sache eines Augenblicks. Wie im Wahnsinn eilte er mit ihr in die Kammer auf dem Boden. Hier verschloss er sie bis zum Abend in einen alten Schrein.

Als der Abend kam, stieg er langsam und ächzend die finstere Stiege hinauf, öffnete den Schrein, nahm die Hand heraus und schlich mit seiner grässlichen Last zum Dorf hinaus.

Es war tiefer Abend, als er auf dem Hügel seitwärts vom Dorf ein schwarzes Gitter erreichte. Vor dessen geöffnetem Tor erwartete ihn ein kleines graues Männchen. Es war der Kirchhof, und der, mit dem er sprach, war der Totengräber. Durch ein Goldstück hatte der Meister das Schweigen seines Gevatters erworben, der die verhängnisvolle Hand in geweihter Erde begraben sollte. Dies würde ihn für immer von ihrer Wiederkehr befreien. Mit Zuversicht hoffte er, dass es so sein würde. Das Werk war vollbracht und diesmal beruhigter als je zuvor schritt er seiner Wohnung zu.

Mit ängstlicher Scheu begab er sich am nächsten Tag frühmorgens in seinen Laden. Er spähte und forschte, er durchsuchte alle Winkel, doch die Hand war nicht wiedergekommen. Ein längst entbehrtes Gefühl zog wieder durch sein Inneres.

So vergingen einige Tage, ohne dass sich das Wunder erneuerte, und die Zuversicht des Metzgers wuchs.

Eines Morgens, als er sich, sorgloser als zuvor, noch in seinem Bett streckte, wurde er durch ein lautes Geschrei an das Fenster gezogen. Erblickte er doch unten vor der Tür einige Nachbarn, die voller Verwunderung waren. Als sie ihn sahen, erhoben sie einen großen Lärm.

In diesem Augenblick fuhr dem Metzger ein glühendes Schwert durch die Brust. Er eilte hinab, das Schlimmste befürchtend. Da stand er nun unten und sah die fürchterliche, in Fäulnis übergegangene Hand an seiner Tür genagelt. Wahnsinn erfasste ihn. Schäumend und mit wildem Geschrei riss er sie herunter. Ehe die von Schreck erstarrten Nachbarn sein Tun noch ahnen konnten, war er wie der Sturmwind fort. Sie sahen aus der Ferne, wie er sich in den Brunnen stürzte.

Auch er kam wieder. Nach wenigen Stunden hatte man ihn herausgezogen. Er lag in seinem Hof auf dem Rasen, zerschellt vom Sturz, angeschwollen vom verschluckten Wasser. In seiner krampfhaft zusammengeballten Hand hielt er die abgehauene Hand, die man ihm nur stückweise entreißen konnte, da man sie nicht mit ihm begraben wollte, da sie als unheilig galt.

Auf den Rat erfahrener Männer wurde sie mit einem glühenden Pflock durchstoßen und anschließend verbrannt. Sie kehrte nicht mehr wieder.

Und auch der Metzger spukte nicht. Als das Trauerjahr vorüber war, freite der einhändige Simon, der im Dorf längst als Werwolf anerkannt und geflohen war, die schöne Witwe. Er war vorher mit ihr in ein anderes, weit entferntes Dorf gezogen.

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