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Secret Service Band 3 – Kapitel 13

Francis Worcester Doughty
Secret Service No. 3
Old and Young King Brady Detectives
The Bradys after a million
Oder: Ihre Verfolgungsjagd zur Rettung einer Erbin
Eine interessante Detektivgeschichte aus dem Jahr 1899, niedergeschrieben von einem New Yorker Detective

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Detektiv Old King Brady, der mehr Rätsel gelöst hat als jeder andere Detektiv, von dem man je gehört hat.

In der Reihe der Geschichten, die in SECRET SERVICE veröffentlicht werden, wird ihm ein junger Mann zur Seite stehen, der als Young King Brady bekannt ist und dessen einziges Lebensziel darin besteht, Old King Brady darin zu übertreffen, gefährliche Fälle aufzuklären und die Verbrecher zur Strecke zu bringen. Wie gut ihm dies gelingt, wird in den folgenden, im SECRET SERVICE veröffentlichten Geschichten ausführlich geschildert.

Kapitel 13

Die Tragödie

Der ehrenwerte Mister Bond widersprach nicht.

Es waren die kleinen Tyranneien der Frauen, die Männer seines Schlages erfreuten. Also nickte er nur und nippte an einem schlanken Glas Absinth.

Es ist ein bemerkenswerter Fakt, dass alte Halunken wie Mr. Bond dem Absinth ungewöhnlich stark zugeneigt sind.

Die Ladendiebin Black Jennie nahm Liscombs Arm und sie betraten den Tanzsaal.

»Also hast du den alten Baron in der ersten Runde ausgeschaltet?«, fragte Liscomb salopp.

»Das weißt du doch.«

»Das war geschickt gemacht. Gab es kein Risiko?«

»Der einfachste Job meines Lebens, auch wenn ich seitdem ziemlich vorsichtig war. Aber, übrigens, wo ist das Mädchen?«

Ein Fluch entfuhr Liscombs Lippen.

»Das ist mehr, als ich weiß«, knirschte er. »McCue ist verschwunden, ebenso Meg Pierce.«

»Aber sie haben keine Nachricht geschickt?«

»Kein Laut! Verdammt sei dieser McCue! Ich glaube, er ist ein Verräter.«

»Und du weißt nicht, wo sie sind?«

»Nein!«

»Aber das Mädchen, ich dachte, du hättest sie unter einem Hypnosezauber. Kannst du sie nicht von ihnen weglocken?«

»Der Zauber ist weg. Ich konnte ihn nicht erneuern. Das gibt mir eine Idee!«

»Was?«

»Du kannst mir helfen!«

»Vertraust du mir dann?«

»Warum sollte ich nicht? Du hast mich bisher nicht enttäuscht!«

»Nun, was ist die Aufgabe?«

»Du kannst McCue oder die Pierce-Frau besser finden als ich. Mach das für mich, und ich werde dich gut bezahlen!«

»Das ist ein Geschäft!«

Liscomb war entzückt.

»Jennie«, sagte er ungestüm. »Du bist eine Ehre in deinem Fach. Ich habe noch nie mit so einem ehrlichen Gauner Geschäfte gemacht.«

»Ehre unter Dieben!«, erwiderte sie lachend.

»Gut gesagt, und du bist ihre Verkörperung. Du wirst gut bezahlt werden, wenn ich die Millionen des alten Barons erhalte.«

»Das erwartest du!«

»Das tue ich!«

»Nun, ich wünsche dir Glück. Jetzt gehe ich zurück zu meinem Mr. Bond. Sobald ich von McCue höre, lasse ich es dich wissen. Ah!«

Dieser letzte Ausruf wurde durch ein Ereignis verursacht.

Ein grobschlächtiger Mann betrat den Tanzsaal.

Er durchstreifte den Raum mit seinem Blick und wählte Liscomb aus.

Er ging auf ihn zu und fragte: »Sind Sie Mister Liscomb?«

»Das ist mein Name!«

»Hier ist etwas für Sie!«

Liscomb wurde ein gelber Umschlag in die Hand gedrückt. Liscomb warf einen Blick auf die unregelmäßige Handschrift. Als er aufschaute, war der Mann verschwunden.

So war der Umschlag adressiert:

Mister B. Liscomb!

New York

»Hm!«, entgegnete der Intrigant und blickte Black Jennie an. »Was ist das?«

Sie lächelte neckisch.

»Vielleicht ist es von McCue«, vermutete sie.

»Du bist eine gute Raterin!«, rief er. »Ich erkannte seine geschickte Handschrift. Aber lass uns sehen, was er zu sagen hat!«

Langsam öffnete Liscomb den Brief. Die Ladendiebin tat so, als würde sie den Kopf abwenden. Doch Liscomb bemerkte dies und sagte: »Ach, ich vertraue dir, Jennie. Lies ihn auch und lass uns sehen, was er schreibt!«

Also warf auch sie einen Blick auf das beschmutzte Blatt.

Darauf stand in schmerzhaft unregelmäßigen Zeilen geschrieben:

Lieber Liscomb,

ich hatte keine Zeit, dir vorher zu schreiben. Die verdammten Detektive haben uns einen schweren Kampf geliefert. Aber wir haben das Mädchen sicher, und du kannst es sofort abholen. Komm heute Nacht, wenn du diesen Brief erhältst, nach Weehawken. Eine Holzhütte unter dem Hügel, eine halbe Meile die Bahngleise hinunter. Sei bis zwölf hier. Dein wahrhaftiger

McCue.

Liscomb lachte über das grobe Schreiben ebenso wie Black Jennie.

Dann steckte der Meisterintrigant den Brief in eine Innentasche und sagte: »Ich werde vor zwölf Uhr dort sein. Jetzt gehe ich zur Weehawken-Fähre. Komm mich im Grand besuchen, Jennie. Gute Nacht.«

»Gute Nacht!«

Liscomb hob seinen Hut und war fort.

Die Ladendiebin kehrte zu dem hustenden alten Mann zurück. Sie sprach im Flüsterton: »Ich habe den Ort genau im Blick. Heute Nacht gibt es Arbeit für uns.«

»Hm?«, flüsterte der Pseudo-Millionär. »Er hat eine Nachricht erhalten?«

»Ja!«

»Von wem?«

»McCue!«

»Hm!«, schnaufte Old King Brady. Denn zweifellos hat der Leser bis jetzt seine Identität erraten. »Das bedeutet Arbeit für uns!«

Gemeinsam verließen die beiden Detektive den Ort.

Sie gingen in eine dunkle Gasse und entledigten sich innerhalb kurzer Zeit ihre Verkleidungen.

Als sie wieder auf die Straße kamen, waren sie die beiden Brady-Detektive.

Schwere Arbeit lag vor ihnen.

Das wussten sie nur zu gut.

Old King Brady schaute auf die Uhr.

Es war gerade elf Uhr.

Sie durften keine Zeit verlieren, um zur Weehawken-Fähre zu gelangen. Sie machten sich sofort auf den Weg.

In angemessener Zeit bestiegen sie die Fähre und überquerten den North River.

Es gab keinen Anlass, Liscomb zu folgen oder zu beschatten.

Das war nicht notwendig.

Der Schurke würde mit Sicherheit zum angegebenen Ort gehen, und die Detektive wussten, wo sie ihn finden konnten.

In Weehawken verließen die beiden Detektive das Boot und schlugen den Weg entlang der Bahngleise ein.

Niemand war vor oder hinter ihnen, soweit sie es sehen konnten.

Die Nachricht von McCue hatte gesagt, dass die Hütte eine halbe Meile die Strecke hinunter sei. In diese Richtung gingen die beiden Detektive.

Nachdem sie die geforderte Entfernung zurückgelegt hatten, fanden sie sich unter den hohen Steilfelsen einer Klippe wieder.

»Das muss der Ort sein«, flüsterte Old King Brady.

»Aber ich sehe kein Anzeichen einer Hütte.«

»Aber ich sehe eins«, erklärte Young King Brady.

»Wo?«

»Ein Licht – dort oben.«

Ein schwacher Lichtschimmer war weit oben an der Klippenwand zu sehen.

Die Detektive suchten einige Momente lang und fanden schließlich einen Fußweg.

Vorsichtig schlichen sie diesen hinauf.

Als sie auf halber Höhe des Pfades waren, packte Old King Brady plötzlich den Arm des jüngeren Detektivs.

»Warte!«, flüsterte er.

Aus einem Punkt an der Klippenwand direkt vor ihnen kamen seltsame Geräusche. Es schien, als seien das hastige Schritte und das Rutschen von Kies und ausgerissener Erde.

»Was ist das?«, flüsterte Young King Brady.

»Sie müssen eine Warnung erhalten haben und versuchen zu fliehen!«

»Glaubst du das?«

»Wir werden sehen!«

Mit diesen Worten schlich Old King Brady den Pfad hinauf. Nach einigen Momenten wurde die schlichte Hütte an der Klippenwand im Dunkeln sichtbar.

Kein Licht leuchtete aus den Fenstern.

Die beiden Detektive hielten inne.

Was bedeutete das?

War der Ort verlassen?

Hatten die Schurken die Flucht ergriffen?

Es war riskant, sich offen dem Ort zu nähern. Im dunklen Inneren könnte ein mörderischer Feind lauern.

Eine bessere Todesfalle konnte man sich nicht vorstellen. Einige Zeit waren die Detektive unschlüssig. Dann verschob Old King Brady seine Position mehr in Richtung des Gebäudes.

Er zuckte zusammen.

Die Hüttentür stand weit offen.

Dem Anschein nach war der Ort leer. Mutig trat Old King Brady heraus und näherte sich.

Er erreichte die Tür, Young King Brady an seiner Seite.

Es war zu dunkel, um etwas vom Inneren der Hütte zu erkennen.

Doch dann zog Old King Brady den Schieber seiner Blendlaterne auf und ließ deren Strahlen in den Raum fallen.

Dann zuckten beide erschüttert zusammen.

Auf dem splittrigen Boden der Hütte lag die Leiche eines Mannes, der mit dem Gesicht nach unten lag. Ein großer Blutfleck umgab ihn.

Ohne zu zögern, traten die beiden Detektive in den Raum ein.

Es gab keine weiteren Insassen.

Old King Brady kniete nieder und drehte den Körper um. Der Laternenstrahl fiel auf das fahle Gesicht.

Ein langer, gezackter Schnitt verlief über die Drosselvene. Die Gesichtszüge waren ruhig und den Detektiven vertraut.

Es war Bertrand Liscomb.

Er war tot!

Mit einem Gefühl des Entsetzens starrten die beiden Detektive auf den toten Hypnotiseur. Sie verstanden alles.

McCue hatte seine Rache vollstreckt.

Die Nachricht, die Liscomb im Musiksaal erhalten hatte, war ein cleverer Köder gewesen. Der Schurke und Meisterintrigant hatte für seine Verbrechen gebüßt.

Soweit es sie anging, war der Fall abgeschlossen. Sie hatten keinen weiteren Vorwurf gegen ihn.

»Puh!«, rief Old King Brady und erhob sich.

»Dieser Kerl ahnte nicht, dass er in eine Falle ging.«

»Dieser McCue ist ein Teufel!«

»Aber nicht größer als sein Opfer.«

»So ist es.«

»Wir sind fertig mit ihm!«

»Ja!«

»Unsere Aufgabe ist nun McCue und Meg Pierce.«

»Und ihre Masche …«

»Ist Lösegeld!«

»Genau das!«

»Aber sie werden es nie bekommen. Wir müssen das Mädchen sofort aus ihren Fängen befreien.«

Die Entfernung Liscombs hätte den Fall leichter lösbar erscheinen lassen können.

Doch die Detektive sollten bald feststellen, dass McCue und Meg Pierce ebenso wie Jake Danton ein hartes Kaliber waren. Sie besaßen nicht Liscombs List und Scharfsinn, waren aber dennoch gefährlich.

Allerdings hatten die beiden Bradys die Verfolgung jeden Tag enger gefasst. Wenn es ihnen nur gelänge, McCue und Danton zu schnappen, wäre das berüchtigte Big Six Geschichte.

Sie hätten den größten Detektiv-Coup des letzten Jahrzehnts geschafft.

Beide wussten das nur zu gut.

Sie suchten die Palisaden und die Flussufer ab. Aber von den Mördern fehlte jede Spur.

Dann kehrten sie nach New York zurück.

Der Mord wurde gemeldet und die Behörden übernahmen die Leiche. Ein enormer Aufruhr entstand.

Natürlich unternahmen Detektive und Reporter alle Anstrengungen, um das Geheimnis von Liscombs Mord zu lüften.

Doch nur zwei Männer in New York kannten die Wahrheit – abgesehen von den Tätern. Das waren die beiden Bradys.

 

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