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Nick Carter – Band 17 – Das Gefängnis auf dem Meeresgrund – Kapitel 5

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Das Gefängnis auf dem Meeresgrund
Ein Detektivroman

Ein Vitriol-Attentat

Inzwischen war Ida, welche der Chef damit beauftragt hatte, die Bekanntschaft von Mrs. Violet Harding zu machen, nicht müßig geblieben.

Unter den Cabkutschern, welche sie während ihrer häu­figen Aufenthalte in Chicago in Nahrung setzte, kannte sie einen, der ihr besonders viel Mutterwitz zu besitzen schien und ihr durch seine Anstelligkeit schon manche wertvolle Unterstützung hatte angedeihen lassen. Sie begab sich nach seinem gewohnten Halteplatz und es traf sich gut, dass der Cabby kurz zuvor sich in der Reihe aufgestellt hatte, um auf neue Fahrgäste zu warten. Er kannte sie und wusste, dass sie zu den Nick Carters gehörte. So brauchte Ida ihm nur zuzuflüstern, dass sie einen neuen Fall zu bearbeiten habe, um sogleich sein ungeteiltes In­teresse rege zu machen.

Ida beauftragte ihn, sie langsam an dem Haus von Mrs. Violet Harding vorüber zu fahren und an der nächsten Straßen­ecke zu halten, wo sie ihm weitere Verhaltungsmaßregeln geben würde.

Als Idas Cab an dem stattlichen Braunsteinhaus vorüber rollte, wartete vor diesem ein schöner Viktoria mit einem paar prächtiger Jucker davor und einem Kutscher in Livree auf dem Bock.

Idas erste Annahme, dass Besuch im Haus weilte, än­derte sich sofort, als sie eine Dame durch die Haustür treten und diese mit einem Schlüssel wieder abschließen sah, ein Zei­chen, dass sie im Haus wohnen musste. Nun wusste aber Ida bereits, dass Mrs. Harding das stattliche Haus ganz allein mit ihrer Dienerschaft bewohnte.

»Das muss Mrs. Harding sein!«, schoss es dem Mädchen sofort durch den Sinn.

Es handelte sich um eine ungewöhnlich schöne, hochge­wachsene, kraftvoll und energisch sich gebende Dame. Ihre Wangen waren leicht gerötet, ihr Haar dunkel und ihre Augen schwarz und durchdringend. Ihr ganzes selbstbewusstes Auf­treten ließ darauf schließen, dass sie zu befehlen gewohnt war.

Sie schaut gefährlich aus!, dachte Ida weiter. Durch das Hinterfenster in ihrem Cab konnte das junge Mädchen deut­lich gewahren, wie Mrs. Harding – denn diese war es wirk­lich, hastig in den harrenden Wagen stieg, der sich augenblicklich in Bewegung setzte.

Ida verlor keine Zeit, ihrem Kutscher anzuweisen, dem Viktoria so nahe und unmerklich wie möglich zu folgen.

Mrs. Harding war direkt zu dem berühmten, ein ganzes Straßenviertel einnehmenden Geschäftshaus von Marshall Field & Co. gefahren und hatte sich in dieses begeben.

»Gut so«, erklärte Ida nach kurzem Besinnen, »Haben Sie einen Schraubenschlüssel bei sich?«

»Gewiss, unter meinem Bocksitz befindet sich mein ge­samtes Handwerkszeug, Miss«, antwortete der Cabby.

Vor dem Geschäftshaus hielten mindestens zwanzig Fuhr­werke der verschiedensten Art und unaufhörlich passierten an­dere die reich belebte Straße, während auf den Bürgersteigen sich eine dicht gedrängte Menge erging.

»Sagen Sie, Freund, würden Sie sich getrauen, sich an den Viktoria heranzuschleichen und unbemerkt die Schrauben­mutter eines der Räder zu lockern?«

»Alle Wetter! Offen gestanden, Miss, mit so einer Sorte von Geschäft habe ich mich bisher noch nicht abgegeben – wo so viele Menschen ringsum sind, und dort an der Ecke stehen drei Polizisten beieinander!«, meinte der Kutscher betreten.

»Wenn drei Polizisten beieinanderstehen, pflegen sie taub oder blind zu sein«, bemerkte Ida lächelnd. »Doch wenn Sie sich langsam in der Richtung zu der Kutsche bewegen, wird jedermann glauben, Sie wollten nur einmal im Vestibül des Warenhauses zuschauen, ob Ihr Fahrgast noch nicht zurückkehrt.«

»Sie können sich denken, was ich beabsichtige«, setzte sie überredend hinzu. »Es soll ein kleiner, harmloser Unfall her­vorgerufen werden. Fährt die Lady wieder weiter, so halten wir uns dicht hinter ihr, und Sie müssen es einzurichten versuchen, dass Sie an das Rad mit der gelösten Schraubenmutter ziemlich kräftig anfahren, damit es vollends lose wird und die Kutsche sich auf die Seite legt. Dadurch kann der Lady weiter kein Unfall zustoßen. Sie wird aber höchstwahrscheinlich aussteigen müssen. Ich werde Sie mit Vorwürfen überhäufen und die Lady bitten, zu mir ins Cab zu steigen. Sie wissen, dass ich nichts umsonst verlange und Ihnen beistehen werde, sollte es wirklich Ungelegenheiten mit der Polizei geben!«

Nun lachte der Kutscher schon, wie halb gewonnen und zwinkerte verstohlen.

»Sie sind wohl hinter der Lady her, Miss?«, erkundigte er sich.

»Natürlich. Ich wünsche durchaus, von ihr zum Besuch ihres Hauses eingeladen zu werden.«

»Verstehe, Miss, ich will mein Möglichstes tun!«

»Doch lockern Sie die Schraube nicht allzu sehr, denn der Unfall soll sich erst in einiger Entfernung von hier ereignen.«

»Unbesorgt, Miss, die Sache wollen wir schon zu Ihrer Zufriedenheit besorgen!«, meinte der Kutscher grinsend.

Zehn Minuten später kam er mit verschmitzten Mienen wie­der und nickte unmerklich »Well, das Verbrechen wäre geschehen, Miss – na, die feine Lady wird sich freuen!«

»Ausgezeichnet!«, lobte nun Ida. »Mas weiter zu ge­schehen hat, wissen Sie ja.«

Nach Verlauf einer weiteren Viertelstunde verließ Mrs. Harding das Kaufhaus und begab sich ungesäumt nach ihrem Wagen zurück. Hurtig setzte sich dieser in Bewegung und dicht hinter ihm folgte Idas Cab.

Drei oder vier Blocks weiter wendete der Wagen um die Ecke und sofort fuhr der Cabby dahinter schneller voran. Im selben Moment gab es auch schon einen gewaltigen Krach, denn er hatte mit dem einen Vorderrad das linke Hinterrad des Viktorias gestreift. In weitem Bogen rollte das Letztere auf den Bürgersteig zu, während die elegante Kutsche sich bedenk­lich zur Seite neigte. Wild bäumten sich die erschreckten Jucker auf, doch der geschulte Kutscher wusste sie schnell zu beruhi­gen und zum Stillstehen zu zwingen.

Blitzschnell war Ida aus ihrem Cab und an dem nieder­gebrochenen Wagen heran. Sie öffnete dessen Schlag und zu­gleich sich in tausend Entschuldigungen ergehend, half sie der schönen Insassin beim Aussteigen.

»Sie Narr, Sie trauriger Idiot!«, wandte sich Ida dann zornbebend an ihren Kutscher, der mit einer Miene auf dem Bock hockte, als sei er von Beruf Lohgerber und sämtliche Felle seien ihm weggeschwommen. »Wie konnten Sie so töl­pelhaft nachlässig sein … da sehen Sie, was Sie angerich­tet haben!«

Dann wandte sie sich auch schon wieder an Mrs. Harding.

»Es ist mir schrecklich peinlich, doch es ist alles nur die Schuld dieses ungeschickten Tölpels!«, entschuldigte sie sich.

»Es war ein Zufall, Madam«, versuchte der Kut­scher sich zu verteidigen.

»Ach was, herunter vom Bock! Sehen Sie lieber zu, ob Sie den Schaden reparieren können!«

»Nein, bemühen Sie sich nicht, es hat nichts weiter auf sich«, bemerkte nun die schöne Frau, die ein wenig bleich ge­worden war und deren Stimme etwas zitterte. »Ich bin mit dem Schrecken davongekommen. Mein Wagen freilich muss in die Werkstatt. Hier auf der Straße kann er nicht wieder repariert werden.«

»Aber das ist wirklich zu schrecklich, Madam, ich bin ganz untröstlich!«, erging sich Ida wieder in Entschuldigungen. »Bitte, verfügen Sie über meinen Wagen, ich werde schon einen anderen finden!«

»Nein, nein, wenn Sie mir einen Platz in Ihrem Cab gestatten wollen, so wäre ich Ihnen dankbar, weil kein anderer

Wagen in Sicht ist«, erklärte Mrs. Harding, die sich inzwischen wieder gefasst hatte.

»Aber mit Vergnügen, verfügen Sie ganz über mich und selbstverständlich komme ich auch für die Reparaturkosten auf«, erklärte Ida.

»Zu liebenswürdig«, versetzte Mrs. Harding, angenehm überrascht. »Die meisten unserer Geschlechtsgenossinnen würden sich über eine derartige Verpflichtung hinwegzusetzen suchen. Wenn Sie also die Güte haben wollten, mich zu meinem Haus fahren zu lassen – ich nehme an, dass Ihr Kutscher uns nicht einem weiteren Unfall aussetzen wird.«

Ida stimmte in ihr Lachen ein und drohte dann dem Cabby zürnend mit dem Finger.

»Nehmen Sie sich jetzt besser in Acht!«

Gerade, als der Cabby fortfahren wollte, kam ein Po­liceman herbei und wollte lange Ermittlungen anstellen. Doch lächelnd wiesen ihn die beiden Damen ab und erklärten, dass nichts vorliege, was seine Einmischung rechtfertigte.

»Ich wundere mich, dass der Policeman überhaupt schon so zeitig gekommen ist«, meinte Mrs. Harding spöttisch, als sich der Wagen in Bewegung gesetzt hatte. »Wäre wirklich ein Unglück geschehen, so könnten wir noch eine gute Weile auf sein Erscheinen warten!«

Lachend stimmte Ida bei.

Unterwegs kam man ins Plaudern, man tauschte Karten aus, wobei Ida eine solche ihrer neuen Bekannten gab, auf welcher sie Mrs. Mellman hieß, und als man endlich das Wohnhaus erreicht hatte, waren beide Damen schon so gut miteinander bekannt geworden, dass Mrs. Harding ihre freund­liche Retterin in der Not darum ersuchte, doch auf eine kurze Weile bei ihr einzutreten und eine Tasse Tee anzunehmen.

Ida erklärte, dazu gern bereit zu sein – und sie sagte damit wirklich keine Unwahrheit.

Sie befahl dem Kutscher, zu warten und folgte Mrs. Harding zum Haus. Im Korridor verweilte die schöne Hausfrau eine Sekunde, um einen Blick auf eine in silberner Schale liegenden Besuchskarte zu werfen. Ida verstand es ge­schickt, über die Schulter ihrer neuen Freundin hinwegzusehen und sie las auf der Karte:

»Mr. Percy Dunbar.«

Mrs. Harding geleitete ihren Besuch zum Wohn­zimmer.

»Nehmen Sie Platz, Mrs. Mellman, ich werde gleich wieder zurück sein«, sagte sie und trat durch die nur durch kostbare Vorhänge verhüllte Tür in den Korridor zurück.

»Wann sprach Mr. Dunbar vor?«, hörte Ida sie gleich darauf fragen.

»Kurze Zeit, nachdem gnädige Frau ausgefahren wa­ren«, lautete die Antwort des Dienstmädchens.

In diesem Augenblick ertönte die Hausglocke und als das Mädchen geöffnet hatte, wurde eine männliche Stimme laut.

»Ist Mrs. Harding zu Hause – ah, da sind Sie ja, Violet!«

Augenscheinlich hatte Mrs. Harding inzwischen dem Be­sucher ein Zeichen gegeben, denn er fügte kein anderes Wort hinzu. Dagegen kündeten sich entfernende Fußschritte, dass Mrs. Harding sich mit ihrem Besucher nach einem anderen Zimmer begeben hatte.

»Of course, das ist Percy Dunbar!«, ging es Ida durch den Sinn. »Er ist ein Mitglied der Firma Dunbar & Sons. Patsy hat eine gute Nase und er argwöhnt, dass diese Leute um das Verschwinden Fillmores wissen. Mir scheint es wirk­lich, als sei auch eine Frau im Spiel. Jedenfalls möchte ich mir diesen Mr. Percy Dunbar einmal ansehen!«

Sie schaute im Zimmer umher.

Auf einem Tisch befand sich in einem Stehrahmen die große Fotografie eines jungen Mannes.

Ja, Ida entdeckte auch dasselbe Bildnis wieder in klei­nerem Maßstab, diesmal in mit Brillanten besetztem Goldrahmen auf einem Prunkschrank.

Mrs. Hardings Besucher hielt sich nicht lange auf.

Ida hörte ihn wieder im Korridor und trat behände an das Straßenfenster.

Durch die Gardinen konnte sie ihn die Freitreppe hinunter­eilen sehen.

Er war derselbe Mann, dessen Bilder im Zimmer aufge­stellt waren.

Hurtig kehrte Ida zu ihrem Stuhl zurück und die Se­kunde darauf trat auch schon Mrs. Harding wieder ins Zim­mer.

»Entschuldigen Sie mich, doch es handelte sich um eine Geschäftsangelegenheit!«, erklärte sie liebenswürdig. »Ich besitze verschiedene Häuser und mein Agent sprach vor, um mit mir Rücksprache wegen notwendiger Reparaturen zu nehmen.«

»Aber Sie hätten sich meinetwegen nicht abhalten lassen sollen.«

»Durchaus nicht. Ich bin im Gegenteil froh, ihn auf gute Manier schnell losgeworden zu sein«, entgegnete Mrs. Harding, welche einen Fächer vom Tisch ergriffen hatte und sich mit ihm nun nervös Luft zufächelte.

Dem scharfen Blick Idas entging es keinen Moment, dass mit der schönen Hausherrin in der Zwischenzeit eine leb­hafte Veränderung vorgegangen war.

Sie war ziemlich einsilbig und das junge Mädchen hatte den Eindruck, als ob die Hausherrin es nicht ungern sähe, bräche sie gleichfalls auf.

Doch Ida, so zartfühlend sie auch im Privatleben war, ließ sich in Angelegenheiten ihres Berufes nur sehr schwer abweisen.

Eine Dienerin brachte Tee und Kuchen.

Mrs. Harding kostete es augenscheinlich Überwindung, die Honneurs zu machen und sie nippte kaum vom Tee, wäh­rend Ida sich dagegen den Anschein gab, als munde ihr das Vorgesetzte vorzüglich.

Die ganze Zeit über beobachtete sie die schöne Hausherrin verstohlen auf das Schärfste. Sie hatte die Empfindung, als misstraute die Letztere ihr plötzlich – und doch schien es ihr völlig ausgeschlossen zu sein, dass Mrs. Harding etwa von Percy Dunbar einen Wink zur Vorsicht erhalten haben sollte.

»Sagen Sie, Mrs. Harding«, meinte Ida in ihrer leb­haften Art dann plötzlich, indem sie auf Dunbars Bildnis deu­tete, »verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, doch dieses Bild kommt mir merkwürdig bekannt vor – es sieht einem Freund von mir außerordentlich ähnlich, einem gewissen Mr. Fillmore. Ist es …«

»Fillmore!«, unterbrach sie Mrs. Harding, augenscheinlich äußerst betroffen.

»Nein, ich drückte mich nicht richtig aus, der Mr. Fill­more, welchen ich im Auge habe, ist bedeutend älter«, erklärte Ida mit honigsüßer Stimme, »doch ich meine, so müsste er in der Jugend ausgesehen haben.«

»Nein, es ist nicht Mr. Fillmore!«, versetzte die Dame des Hauses und ihre Stimme klang schroff abweisend und hart.

»Ah! Da muss ich mich geirrt haben!«, erklärte Ida mit gut gespieltem Erstaunen.

Der Schuss hatte ins Schwarze getroffen!

Dass Mrs. Harding um das Verschwinden des Millionärs wusste, hätte die kluge Ida nun sofort mit einem Eid bekräftigt.

Es schien ihr ratsam, nunmehr aufzubrechen und Anordnungen zu treffen, um die schöne Witwe von nun an scharf beobachten zu lassen. Deshalb erhob sich Ida.

»Ehe Sie gehen, Mrs. Mellman«, versetzte Mrs. Harding hastig, »würden Sie mich verbinden, wenn Sie noch einen Augenblick mit mir nach oben gehen wollten. Ich machte heute Nachmittag einige Einkäufe, die ich Ihnen gern zeigen möchte. An hübschen Spitzen und dergleichen nimmt ja jede Frau Interesse.«

Ida ließ sich durch die Worte der schönen Hausfrau nicht täuschen. Sie erriet, dass Mrs. Harding einen wesentlich stärkeren und ungleich feindlicheren Beweggrund für ihre Auf­forderung hatte, doch gerade darum folgte ihr Ida umso be­reitwilliger.

Im oberen Stockwerk angelangt, schritt Mrs. Harding dem jungen Mädchen in ein reich ausgestattetes Wohnzimmer voran.

»Das Licht ist heute Nachmittag schrecklich grell – ich will lieber die Rouleau herunterziehen!«, erklärte Mrs. Harding und durchschritt hastig das Zimmer, während Ida dicht neben einem Toilettentisch stehen blieb. »Bitte, treten Sie doch näher«, munterte die Hausherrin auf, um dann rasch hinzuzusetzen, »wie unachtsam, da habe ich richtig die Tür offen gelassen.«

Damit eilte sie auch schon nach der Tür zurück und wusste es so einzurichten, dass sie zwischen dieser und ihrer Besuche­rin neben dem Toilettentisch zu stehen kam. Im selben Moment aber wandte sie sich auch schon jäh nach Ida um und ergriff eine kleine Flasche, die auf dem Toilettentisch gestanden hatte.

»Mrs. Mellman«, begann sie scharf, »ich weiß zwar nicht, ob dies Ihr wirklicher Name ist oder nicht, doch wer immer auch sie sein mögen, so viel ist mir klar, dass Sie sich unter betrügerischen Vorspiegelungen Eintritt in mein Haus zu ver­schaffen gewusst haben. Doch es ist zum letzten Mal gewesen, dass Ihr frecher Spürblick anderer Leute Geheimnisse zu durchdrin­gen trachtete! Sie begingen einen verhängnisvollen Irrtum, als Sie glaubten, Violet Harding überlisten zu können – neh­men Sie dies zum Angedenken!«

Noch während der letzten Worte hatte sie den Stöpsel aus der kleinen Flasche gerissen und spritzte nun deren Inhalt mit heftiger Handbewegung nach dem Gesicht und den Augen des jungen Mädchens.

Ein köstlicher Wohlgeruch erfüllte sogleich die Luft und Ida lachte herzlich auf, während die schöne Attentäterin mit einer Gebärde der Bestürzung zurückfuhr.

Bevor sie sich jedoch von ihrer begreiflichen Überraschung zu erholen vermochte, hatte Ida bereits ihren kleinen, aber gefährlichen Revolver gezogen und richtete dessen Mündung drohend nach dem Gesicht der schönen Witwe.

»Ganz ruhig, Mrs. Harding«, versetzte sie unter spötti­schem Lächeln. »Falls Sie lieber mit etwas Vitriol bedient zu werden wünschen, brauchen Sie es nur zu sagen, denn ich gestattete mir, das Fläschchen, mit dessen Inhalt Sie mich so liebenswürdig zu erfreuen gedachten, umzutauschen – ein ech­ter Detektiv muss seine Augen überall haben, und da ich mir recht gut denken konnte, dass Sie mich nicht umsonst zu diesem Zimmer hier verschleppt hatten, so war ich auf meiner Hut und das Fläschchen mit dem Totenkopf darauf ließ mich erkennen, was Sie mit mir vorhatten. wenn Sie sich nun im Geringsten

widersetzen, so werde ich Ihnen Ihre Mordabsicht mit einem Revolverschuss vergelten!«

»Fort aus meinem Haus, Sie Scheusal!«, schrie Mrs. Harding, vergeblich bemüht, sich von ihrer Betroffenheit und Bestürzung wieder zu erholen.

»Unter einer Bedingung«, erklärte Ida unentwegt.

»Nennen Sie die!«, stammelte die Witwe.

»Sagen Sie mir, wo sich Mr. Fillmore befindet!«

Rasende Wut blitzte aus den dämonisch funkelnden Augen der Hausherrin. Sie hatte sich in einen menschlichen Tiger verwandelt und würde sich am liebsten auf ihre Besucherin ge­stürzt und diese mit Nägeln und Zähnen zerfleischt haben, hätte sie der blinkende Revolver und die kühle, aber entschlossene Miene Idas nicht in respektvoller Entfernung gehalten.

»Sie werden von mir nichts erfahren … nichts … nichts … nichts!«, schrillte sie in den höchsten Tönen.

»Auch gut«, erklärte Ida kaltblütig, indem sie mit der freien Hand ihren Umhang etwas zurückschob und dadurch ihr silbernes Detektivschild zum Vorschein brachte. »Sie sehen mein Amtszeichen und ich verhafte Sie hiermit, Mrs. Harding. Sie werden mir ohne Widerrede, falls Sie nicht gefesselt wer­den wollen, zum Polizeihauptquartier folgen, um sich dort Mr. Percy Dunbar gegenüberstellen zu lassen.«

»Sie wollen doch nicht gar behaupten, dass Percy verhaftet worden ist!«, rief die Witwe, welcher vor Bestürzung die Augen weit aus den Höhlen hervortraten.

»Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich Mr. Percy Dunbar das Haus verlassen ließ, ohne ein zu seiner Verhaf­tung führendes Zeichen zu geben?«, sagte Ida, rasch ihren Vor­teil wahrnehmend.

»Dann ist Ihr Kutscher gleichfalls ein Detektiv?«, rief die Witwe erstaunt.

»Sie vermögen ausgezeichnet zu raten, Mrs. Harding. Nun setzen Sie Ihren Hut auf und wir werden eine weitere gemeinsame Spazierfahrt unternehmen.«

Nun erst schien die schöne Witwe die ihr drohende Gefahr zu erkennen. Ihre Lippen wurden schneeweiß und ein Zittern ging durch ihre üppigen Glieder.

»Mein Himmel, transportieren Sie mich nicht gleich einer gemeinen Verbrecherin durch die Straßen!«, stöhnte sie.

»Unbesorgt, niemand wird Sie für verhaftet halten. Sie können sich diese ganze Aufregung ersparen, wenn Sie mir den Aufenthaltsort von Mr. Fillmore verraten.«

»Nein, ich will nicht!«, schrie Violet Harding, im Zimmer umherrasend. »Machen Sie mit mir, was Sie wol­len – aber ich will nicht! Kein Sterbenswort verrate ich!«

»Kommen Sie!«, war alles, was Ida entgegnete.

Gemeinsam mit ihrer Gefangenen fuhr sie zum Po­lizeihauptquartier.

 

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