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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel IX, Teil 6

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel IX, Teil 6

Sie traten nun wieder unsichtbar in ein ziemlich geräumiges Gemach, welches Asmodi seinem Gefährten als die Stadtdimbascherei bezeichnete und in dem es recht lärmend, ja mitunter toll ge­nug herging.

Im Zentrum hinter einer Art Balustrade saß ein wohlgemästeter Körper, auf dessen Rumpf eine Art Kürbiskopf saß, jedoch nicht mit hohlen, sondern im Gegenteil mit wohlglotzenden, etwas stieren Augen. Es war der Herr Stadtbimbasch, er verstand zwar wenig mehr als lesen, etwas barbarisch schreiben und mit einer ewig heiseren Kastratenstimme fortwährend Ruhe und Stille zu gebieten, aber er war der Sohn eines der einflussreichsten Schmuli, weshalb man ihm diesen so wichtigen wie schwierigen und große Intelligenz er­fordernden Posten als lebenslängliche Stallfütterung und Mast übergeben hatte. Zu seiner Rechten saß ein schöner, ebenfalls wohlbeleibter Mann, der seine Hände beständig über seinen statt­lichen Bauch gefaltet hielt und unaufhörlich seine beiden Daumen kreiselte. Dies war eine Art Beisitzer des Stadtbimbaschs, zu dessen Linken noch eine Art Schreibmaschine saß, welche die Feder beständig vom Ohr an den Mund zum Kauen und dann wieder vom Mund ans Ohr brachte, bis ihm irgendein salomonisches Ur­teil oder eine Entscheidung niederzuschreiben befohlen wurde. Außer­dem standen zwei Parteien mit ihren Beihelfern vor der Balustrade. Ein Mann trat nun mit den Worten vor:

»Herr Stadtbimbasch, ich habe bittere Klage zu führen.«

»So klagt, was ist es?«

Man hört einen furchtbaren Lärm vor der Tür.

»Man hört ja sein eigenes Wort nicht«, sagte der Stadtbim­basch, »das sind die verdammten Transquatscheröser, die machen alsfort so ein Lärm, dass man sein eigenes Wort nicht hört. Pedell, sagt doch dem Volk da draußen, dass es still sein soll, mer mache ja Protokoll.«

Der Pedell geing an die Tür, öffnete sie halb und rief hinaus: »Ihr sollt still sei, es werde Protokoll gemacht!«

»Nun bringen Sie Ihre Sache vor.«

»Ich bin nur der Anwalt meines Freundes, des Tapetenhändlers Wehland dahier; wie Sie bereits wissen, Herr Stadt­bimbasch, so hat derselbe …«

Der Lärm vor der Tür wird noch ärger als das erste Mal.

»Himmelsakrament, Pedell, so sagt doch den Transquatschern, dass sie in Teufelsnamen die Mäuler halte solle, mer mache ja Protokoll.«

Der Pedell öffnete wieder die Tür und schrie hinaus: »Ihr sollt in Teufelsname die Mäuler halte, hörters dann net, es werd ja Protokoll gemacht.«

»Fahren Sie fort …«

»Mein Klient hier hat 13 Stück veloutierte Tapeten an des Holzamtsschreibers Lindwurm seine Frau verkauft, der Hr. Lind­wurm will aber die Tapete net annehme, hat sie zurückgeschickt, und gesagt, seine Frau verstünd nix, des war a Gans, und des kann sich mein Klient, der Hr. Wehland net gefalle lass. Ver­kauft is verkauft, er hat ihm die Tapete wieder ins Haus ge­schickt und so sinn sie schon zehnmal hin- und hergeschickt worde, des macht nur unnötig Lauferei und Koste. Wir bitten die wohllöbliche Stadtbimbascherei, dass sie den Herrn Lindwurm verdamme soll, die Tapete zu behalte und zu bezahle.«

»Warum wolle Sie dann die Tapete net behalte, Herr Lindwurm?«

»Es sin rote Tapete, Herr Stadtbimbasch, die Farb is net echt un da tun sie schieße.«

»Warum net gar, sie sind doch net gelade?«

Das ganze Personal der Stadtbimbascherei brach in lautes Gelächter über den geistreichen Witz des Herrn Bimbasch aus.

»Ach, des sin dumme Spaß«, schrie Hr. Lindwurm.

Der Lärm vor der Tür wurde wieder so toll, dass man sich innerhalb der Amtsstube nicht mehr verstand.

»Kotzkreuz Himmelsakrament, Pedell, sag er den ver… Transquatschern, wollt ich sage, dass wann se net still sin wann mer Protokoll mache, so soll se der Deibel gleich hole.«

Der Pedell öffnete wieder die Tür und schrie hinaus: »Wann er aber jetzt net gleich still seid, so soll euch gleich der Deibel hole, hab ichs euch dann net schon zehnmal gesagt, dass mer Protokoll mache.«

Eine Stimme von außen ließ sich hören: »Mer warte schon über zwei Stunde, komme mer dann noh net bald vor?«

»Wann die Reih an euch is«, antwortete der Pedell und machte die Tür wieder zu.

»Jetzt, Herr Wehlanb, mache Se’s korz, Se sehe, mer habe mehr zu tun als mit Ihne allän, wolle Se die Tapete widder nemme oder net?«

»Ich will se net widder nehme«, sagte Wehland.

»Sie kenne mich doch net zwinge, dass ich se behalte soll, net wohr, Herr Stadtbimbasch? Sie kenne mich, ich bin a Mann, der sein wichtig Holzschreiberamt ordentlich zu versehe versteht.«

»Des is wahr un ich hab mich net zu beklagen.1 Sehe Se, Herr Wehland, ich rat Ihne derzu, dass Se die Tapete widder nemme, Se kenne den Herr Lindwurm doch net derzu zwinge, dass er se behalte und bezahle soll. Net wohr, meine Herren?«

Die Herren Beisitzer nickten.

»Dess wolle mer sehe, ich wäs wohl, dass der Hr. Lind­wurm die Herren mit dem beste Holz aus dem Stadtwald versieht und ihnen übermäßig Maas zukomme lässt, aber ich wer mei Sach weiter treibe, und wenn ich bis vors Becklüber Gericht oder gar uff än Universitätsgericht muss, der Hr. Lindwurm muss die Ta­pete behalte.«

»Wisse Se was, Hr. Lindwurm«, sagte nun der Stadtbimbasch, wie wäre es, wenn Se sich mit dem Hr. Wehland ver­gleiche täte.«

»Hr. Stadtbimbasch, wie komme Se mer vor, wenn ich Ihne nun ach schlecht Holz besorge tät, täte Sie es behalte?

Der Stadtbimbasch zuckte mit den Achseln.

»Net wahr näh? No so geht mers ach mit die Tapete.«

»Aber die Tapete hat Ihr Fra gekauft«, schrie Wehland.

»Mein Fra is a Gans«, schrie Lindwurm.

»Was kann i derzu, dass Sie a Gans geheirat hawe«, rief Wehland, »ich hab’s Ihne net gehäße, deswege müsse Sie doch behalte und bezahle, was sie kauft.«

»Des wolle mer sehe, Sie habe nix zu befehle.«

»So viel wie Sie ach. Ich bin so gut Quitschi-Quatscher Borger wie Sie.«

»Sie sin wer ä sauberer Borger, allemal wann Se ausrücke solle, sin Se krank.«

»Das gibt Ihne nix an.«

»Herr Stadtbimbasch – mache Se der Sach an End, ich muss ufs Holzamt, Ihr Herr Schwager hat Holz bestellt.«

»Sie sehe, Herr Wehland, mer habe mehr zu tun, gebe Se nach und behalte Se Ihre Tapete. Sie kenne sie doch noh äm annern anschmiere. Der Vernünftige gibt nach, sagte der Stadtbimbasch.

»Ich schmier niemand an!«, erwiderte Wehland.

»Und der hot gar kan Vernunft«, rief Lindwurm.

Der Tumult vor der Tür wurde wieder ärger.

»Meine Herren mer müsse der Sach an End mache, Sie höre, die Transquatscher habe käh Geduld mehr.«

»Ich bin schon lang fertig, ich behalt die Tapete ebe net.«

»Nun, Herr Stadtbimbasch, was sage Sie derzu?«

»Ja, der Hr. Lindwurm hat recht, mer kann ihn net dazu zwinge.«

»So, no isses gut, dass ichs wäs, ich appellier.«

»Appelliere Sie.«

»Jetzt ruf er die zwei Transquatscher Bürger herein, Pedell, die Herren sind fertig«, befahl der Bimbasch.

Die beiden Parteien verließen die Bimbaschstube, der Tapetenhändler brummend: »Der hots ach vor Gott zu verantworte, der den zum Stadtbimbasch gemacht hat, aber ih loß es net derbei.«

Es wurden nun zwei Parteien Transquatscher mit ihren Frauen vorgelassen; das Weib des einen klagte die des anderen an, ihr Kohl entwendet zu haben, während sie die andere beschuldigt, ihr eine fette Gans gestohlen zu haben, und das Corpus delicti in der Schürze mitbrachte.

»Gucke Se, Herr Stadtbimbasch«, fiel das erste Weib in die Amtsstube tretend sogleich ein, »die geruppte Gans, die des Os in der Schürz hat, und sägt, ich hät se ihr gestohle, des is mei Eigetum, so wahr Gott im Himmel lebt.«

»Jo, des kann ich bezeuge, Herr Stadtbimbasch«, unterstützte der Mann als Beistand seine Frau.

»Das lügt Ihr, Ihr verfluchte Stickstäubeöser, in Euern Hals hinei, o dass er dran ersticke müsst. Gucke Se, Herr StadtBimbasch, ich hun die Gans mit »oh ä Meng annere Gäns uffgezoge und fett gemacht, annere von mir hawe die Frau Stadtbimbaschin selbst verspeist und se hawen ihr vortrefflich geschmeckt; aber des Os sägt nor, ich hat er die Gans gestohle, weil se mer mein Kohl gestohle hat, mehr als dreißig Köp, ich hun se derbei us mein, Krautacker erwischt.«

»Was hot Se mich erwischt, des lügt Se aus ihrem stin­kige Hals eraus, se hot mich net derbei erwischt.«

Sie riss nun der Gegnerin die Gans aus der Schürze, hielt sie hoch empor und schrie:

»Gucke Se, Hr. Bimbasch, des is die Gans, die se mer gestohle hat, ich kenn se schon am Schnawel.«

Sie riss der Gans den Schnabel auf und schrie: »Un hier an der spitze Zung.«

»Als wann net alle Gäns spitze Zunge hätte! Sehn Se Hr. Stadtbimbasch, des Weib is in unserm ganze Quartier vor ä Gans- un Krautdiebin bekannt. Un die gestohlene Gäns füt­tert se noh mit dem gestohlene Kraut.«

»Des is wohr«, fiel der Mann ein.

»Ihr seid im ganze Quartier als das infamste Diebszeug bekannt, schrie das andere Weib, der Gegnerin die geballte Faust unter die Nase haltend, »und wann’s net aus Respekt vor dem Herr Stadtbimbasch wär, so schlägt ich Euch an in’s Fress, dass er den Himmel vor ä Bassgeig ansehe sollt.«

Das andere Weib ballte nun ebenfalls beide Fäuste und ging wütend schimpfend auf die Gegnerin los, beide Männer schicken sich an, ihren Frauen Succurs zu geben, als der Stadt-Bimbasch rief: »Hört, wann er net gleich Ruh gebt hier uff der Stadtbimbascherei, dann loß ich euch all miteinander ins Katzeloch sperre, Pedell aufgepasst!

»Ich bin ka Katz, die mer ins Katzeloch sperre kann«, meinte das eine Weib, sich zusammennehmend.

»Un mich were Se doch net ins Katzeloch sperre wolle, Hr. Stadtbimbasch, ich bring immer Ihrer Frau die fettste Gäns.«

»Ihr sollt aber Ruh gewe hier auf dem Amt2. Wo sind die Beweise, dass die die Gans und die den Kohl gestohlen hat?«

»Ich hab’s mit meine eigne Auge gesehe«, rief die eine.

»Ich hab’ se derbei erwischt«, die andere, »und mei Mann do hier was es, un is mei Zeuge!«

»Un meiner ach!«

»Des sin alles kän gültige Beweise, wann er kän annere und kän Zeuge habt«, meinte der Stadtbimbasch.

»Unser Herrgott is mei Zeuge!«

»Un meiner ach!«

»Sei se still, unser Herrgott will nix von er wisse!«

»Un sie gehört schon lang mit Haut un Haar dem Deibel!«

»Jetzt halt die Mäuler mit euerm nixnutzige Geschwätz dahier, dass mer ans End komme. Eigentlich sollt ich uff die Gans Beschlag lege bis es ausgemacht is, wem se gehört, aber da es ä tote Gans is, so geht des net an, dann sie kennt bis nach ausgemachter Sach stinkig wern. Wisst ihr was, mer wollt’s mit der Gans halte wie der Salomon mit dem Kind, der Pedell soll se vonander schneide und jeder die Hälfte gewe, und dann seid zufridde.«

»Ich bin’s zufridde, Herr Stadtbimbasch.«

»Ich aber net, lieber als dass ich die Hälft von meiner Gans hawe soll, will ich se ganz dem Herrn Stadtbimbasch verehre.«

»Der Frau gehört die Gans, des is jetzt klar wie’s Sonnelicht, sie will die Gans net zerschneide lasse, wie die Mutter net ihr Kind«, urteilte nun der Stadtbimbasch.

»Ein zweiter Salomo, ein zweiter Salomo!«, rief nun die Frau aus, der die ganze Gans zuerkannt wurde.

»A sauberer Salomo der«, brummte die Gegnerin, »dem stickt nor die fett Gans in der Nas, wann die dreißig Kohlköp da wären, mächt er se ach noh schlucke.«

»Pedell, die Parteie sinn entlasse.«

Alle verließen brummend und murrend die Amtsstube.

»Sind noh annere draußen?«

»Ja, Herr Stadtbimbasch, noh zwa Paar: die wege der Werst, un die wege dem Speck.«

»Sie solle übermorge komme, es is jetzt Essenszeit; unser­eins will ach sein bissche Ruh hawe nach so am schwer Stück Arbeit.«

Der Bimbasch samt dem übrigen Personale der Stadtbimbascherei schickten sich nun an die Amtsstube zu verlassen, als ihnen Michel und Asmodi sichtbar entgegentraten, und Ersterer dem Herrn Stadtbimbasch große Komplimente über dessen weit und breit be­rühmten Scharfsinn, Weisheit und Gerechtigkeitsliebe machte, ihm zugleich auch sagte, er spreche hier nur die allgemeine Meinung aller Einwohner Quitschi – Quatschis und der dieses auf zehn Mei­len in der Runde umgebenden Völkerschaften aus. Als Anerken­nung seiner hohen Verdienste überreichte er ihm eine goldene, statt der Lorbeerblätter die in Quisschi-Quasschi wertlos sind, mit Midasohren, die man dort hoch in Ehren hält, geschmückte Krone.

Der erstaunte Stadtbimbasch konnte vor lauter Rührung und Gefühl der Dankbarkeit hinsichtlich der Anerkennung seiner Ver­dienste anfangs kein Wort hervorbringen. Endlich aber stammelte er: »Diese unverdiente Krone wird zum ewigen Andenken als ein Familienstück in unserem Hausschatz aufbewahrt werden und mir zum immerwährenden Sporn dienen, meine geringen Verdienste ferner zum Wohl und Heil einer löblichen Bürgerschaft in Bewe­gung zu setzen.«

Seine Krone in der Hand sich mit strahlendem Antlitz gnä­dig verbeugend, empfahl sich nun der Stadtbimbasch den beiden Gesellen, sie auf den kommenden Sonntag zu einem Diner a la fortune du put einladend, was diese auch untertänigst annahmen und zusagten.

Michel äußerte nun gegen Asmodi: »Jetzt habe ich den Quitschi- Quatscher Unsinn und Unfug bald satt, lass uns nach Frankreich zurückkehren, dort soll es jetzt tolle Wahlumtriebe zu den neuen Kammern geben.«

»Wie, auch hier lässt es dich nicht rasten; ich hätte ge­glaubt, dass dich die Quatscher Begebenheiten und Angelegenheiten länger unterhalten würden.«

»Auch die tollsten Dummheiten ennuieren, wenn sie sich so massenhaft häufen, so wie das toujour perdrix am Ende verlei­det; aber ich behalte mir vor, dieser guten Republik ferner von Zeit zu Zeit meine Aufwartung zu machen.«

»Doch rate ich dir, bevor wir absegeln, auch der Reisbimbascherei, so viel wie in Europa ein Polizeigericht, von Quitschi-Quatschi noch einen kurzen Besuch zu machen, da gerade in diesem Augenblick recht erzkomische, dich gewiss belustigende Szenen dort aufgeführt werden.«

»Wohlan, nehmen wir dies noch mit.«

Show 2 footnotes

  1. Um dies zu verstehen, muss man wissen, dass das Amt des Quatscher Holzschreibers deshalb sehr wichtig ist, weil es von ihm abhängt, gutes und gut gemessenes, dürres oder auch grünes schlecht gemessenes Holz zu erhalten; dass er die hohe Obrigkeit und was davon abhängt, gut versorgt, versteht sich von selbst.
  2. Wer glaubt, dass der Teufel hier übertreibt, der erkundige sich nur bei dem ersten besten Quitschi-Quatscher nach den Auftritten auf der dortigen Stadtbimbascherei.

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