Adventskalender 2024 – 6. Türchen
Ein norwegisches Märchen
In Norwegen, nicht weit von Trondheim, lebte ein mächtiger Mann, der mit jeglichem Gute gesegnet war. Ein Teil des Landes umher gehörte ihm; zahlreiche Herden grasten auf seinen Weiden, und eine große Dienerschaft schmückte sein Haus. Er hatte eine einzige Tochter, Aslog. Der Ruf ihrer Schönheit war weit umher verbreitet. Die Vornehmsten des Landes bewarben sich um sie, aber ohne Erfolg, und wer hoffnungsvoll und freudig gekommen war, ritt traurig und schweigend wieder fort. Ihr Vater, der da glaubte, dass seine Tochter das nur täte, um eine kluge Wahl zu treffen, mischte sich nicht ein und freute sich über ihre Einsicht.
Als aber zuletzt die Edelsten und Reichsten umsonst ihr Glück bei ihr versucht hatten, so gut wie die Übrigen, wurde er böse und sagte zu ihr: »Bis jetzt habe ich dir freie Wahl gelassen; da ich aber sehe, dass du ohne Unterschied alle abweist und die besten Freier ihr nicht gut genug scheinen, so will ich mir das nicht länger gefallen lassen. Soll mein Geschlecht aussterben und mein Besitztum Fremden zufallen? Ich will deinen halsstarrigen Sinn beugen. Ich gebe dir Zeit bis zum Fest der großen Winternacht. Wähle bis dahin, oder mache dich gefasst, den zu nehmen, den ich für dich bestimme.«
Aslog liebte einen hübschen, tapferen und edlen Jüngling namens Orm. Sie liebte ihn von ganzer Seele und wollte lieber sterben, als ihre Hand einem anderen geben. Aber Orm war arm, und Armut zwang ihn, im Haus ihres Vaters zu dienen. Aslogs Neigung zu ihm wurde geheim gehalten, denn ihr stolzer Vater würde nie seine Einwilligung zu einer Verbindung mit einem so untergeordneten Mann gegeben haben.
Als Aslog sein finsteres Gesicht sah und seine bösen Worte hörte, wurde sie bleich wie der Tod, denn sie kannte seine Gemütsart und wusste wohl, dass er der Mann dazu war, seine Drohungen auszuführen. Ohne ein Wort zu erwidern, zog sie sich in ihr einsames Kämmerlein zurück und dachte darüber nach, wie sie dem dunklen Ungewitter, das über ihrem Haupt drohend hing, entgehen könne. Der große Festtag kam immer näher und ihre Angst nahm immer mehr zu.
Zuletzt entschlossen sich die Liebenden, zu fliehen.
»Ich weiß einen sicheren Ort«, sagte Orm, »wo wir unentdeckt bleiben können, bis wir Gelegenheit finden, das Land zu verlassen.«
In der Nacht, als alles schlief, führte Orm die zitternde Aslog über Schnee und Eisfelder den Bergen zu. Der Mond und die Sterne, die in der kalten Winternacht immer heller scheinen, leuchteten ihnen. Sie hatten einige Kleider und Felle mitgenommen, das war alles, was sie tragen konnten.
Die ganze Nacht durch stiegen sie auf den Bergen umher, bis sie einen einsamen von Felsen umgebenen Platz erreichten. Hier geleitete Orm die ermüdete Aslog in eine Höhle, deren dunkler und enger Eingang kaum sichtbar war. Er erweiterte sich aber bald zu einer großen Halle, die tief in den Berg hineinging. Orm zündete ein Feuer an, und so saßen sie bei demselben, auf dem Felsen ausruhend, in tiefer Abgeschiedenheit von aller Welt.
Orm war der Erste, der diese Höhle entdeckt hat, die noch heutigen Tages gezeigt wird. Und da sonst niemand etwas davon wusste, so waren sie sicher vor den Verfolgungen des Vaters der Aslog. Sie brachten den ganzen Winter hier zu.
Orm pflegte auf die Jagd zu gehen und Aslog blieb in der Höhle, gab Acht auf das Feuer und bereitete die nötige Nahrung.
Oft bestieg sie die Spitzen der Felsen, aber so weit ihr Auge sehen konnte, erblickte es flimmernde Schneefelder.
Der Frühling kam; die Wälder wurden grün; die Wiesen kleideten sich in bunten Farben, und Aslog konnte nun nur selten mit großer Vorsicht die Höhe verlassen. Da kam Orm eines Abends heim, mit der Nachricht, dass er in der Entfernung ihres Vaters Leute erkannt hätte, und sicher auch von ihnen erkannt worden wäre, da sie eben so scharf sehen wie er. »Sie werden diesen Platz umgeben«, fuhr er fort, »und nicht eher ruhen, bis sie uns gefunden haben. Wir müssen daher sogleich fort.«
Demgemäß stiegen sie an der anderen Seite hinab und erreichten den Strand, wo sie glücklicherweise ein Boot fanden. Orm stieß ab und das Boot trieb in die offene See. Ihren Verfolgern waren sie zwar entflohen, nun aber Gefahren anderer Art ausgesetzt. Wohin sollten sie sich wenden. Sie durften nicht wagen zu landen, da Aslogs Vater Herr der ganzen Küste war und sie ihm in die Hände fallen würden.
Es blieb ihnen also nichts übrig, als das Boot den Wogen und den Winden zu überlassen. Sie trieben die ganze Nacht fort.
Bei Tagesanbruch war die Küste verschwunden und sie sahen nichts als Himmel und Wasser. Sie hatten nicht einen Bissen Nahrung mitgenommen; Hunger und Durst fingen an, sie zu quälen. Drei Tage wurden sie so fortgetrieben und Aslog, schwach und erschöpft, sah den gewissen Untergang voraus.
Endlich entdeckten sie am Abend des dritten Tages eine Insel von ziemlicher Größe, welche eine Menge kleinerer Eilande umgaben. Orm steuerte sogleich darauf zu, aber als er sich ihr näherte, erhob sich ein heftiger Wind und die Wogen türmten sich höher und höher. Er wendete das Boot, in der Hoffnung, an einer anderen Seite landen zu können, aber ebenso erfolglos. So oft das Schiff sich der Insel näherte, wurde es wie von unsichtbarer Gewalt zurückgetrieben.
»Gott!«, rief er aus, segnete sich und sah die arme Aslog an, die vor Schwäche zu sterben schien. Kaum war aber dieser Ausruf über seine Lippen gegangen, als der Sturm aufhörte, die Wellen sich ebneten und das Schiff ohne weiteres Hindernis landete.
Orm sprang heraus; einige Muscheln, die er am Strand fand, stärkten und belebten die erschöpfte Aslog so, dass auch sie bald das Boot verlassen konnte.
Die Insel war mit kleinen Zwergstauden bewachsen und schien unbewohnt zu sein. Als sie aber bis in die Mitte derselben vorgedrungen waren, entdeckten sie ein Haus, das halb über und halb unter der Erde zu sein schien. In der Hoffnung, menschliche Hilfe zu finden, näherten sie sich demselben. Sie horchten, ob sie kein Geräusch hörten, aber das tiefste Schweigen herrschte ringsum. Orm öffnete endlich die Tür und trat mit seiner Gefährtin ein. Wie groß war aber ihr Erstaunen, als sie alles wie für Bewohner eingerichtet fanden und doch kein lebendes Wesen sichtbar war. Das Feuer brannte auf dem Herd mitten im Zimmer und ein Kessel mit Fischen hing über demselben und wartete wahrscheinlich auf jemand, der seinen Inhalt verzehren sollte. Die Betten waren gemacht und bereit, Schläfer aufzunehmen. Orm und Aslog standen eine Weile zweifelhaft und sahen furchtsam hin, endlich aber trieb sie der Hunger. Sie nahmen die Speise und aßen. Als sie ihren Hunger gestillt hatten und bei den letzten Strahlen der Sonne weit und breit niemand gewahr wurden, gaben sie ihrer Müdigkeit nach und legten sich in die Betten, die sie so lange entbehrt hatten.
Sie hatten erwartet, in der Nacht von den heimkehrenden Eigentümern des Hauses geweckt zu werden; aber ihre Erwartung hatte sie getäuscht.
Auch am folgenden Tag zeigte sich niemand, und es schien, als wenn irgendeine unsichtbare Macht das Haus zu ihrer Aufnahme in Ordnung gebracht hätte.
Sie brachten den ganzen Sommer höchst glücklich zu; wohl waren sie allein, doch wurden die Menschen von ihnen nicht vermisst. Die Eier wilder Vögel und die Fische, welche sie fingen, lieferten ihnen hinreichenden Vorrat.
Als der Herbst kam, gebar Aslog einen Sohn. Mitten in der Freude über seine Ankunft wurden sie durch eine wunderbare Erscheinung überrascht. Die Tür öffnete sich plötzlich und eine alte Frau trat ein. Sie hatte ein hübsches blaues Gewand an. In ihrem Wesen lag etwas Stolzes und zugleich Fremdes und Seltsames. »Erschreckt nicht«, sagte sie, »über mein plötzliches Erscheinen. Ich bin die Eigentümerin dieses Hauses und danke euch, dass ihr es so rein und wohl erhalten habt, und dass ich alles so ordentlich finde. Ich wäre gern früher gekommen, aber ich konnte es nicht eher, als bis der kleine Heide da – auf das Knäblein zeigend – sich eingestellt hatte. Nun habe ich freien Zutritt. Aber holt nur keinen Priester vom Festland, um ihn zu taufen, sonst muss ich wieder fort. Wenn ihr meinen Wunsch erfüllt, so könnt ihr nicht nur hier bleiben, sondern alles Gute, das ihr nur wünscht, will ich euch auch erzeigen. Was ihr in die Hand nehmt, wird gedeihen; Glück soll euch folgen, wohin ihr geht. Brecht ihr aber diese Bedingung, so verlasst euch darauf, dass Unglück über Unglück euch heimsuchen soll, und selbst an dem Kind werde ich mich rächen. Wenn ihr etwas bedürft oder in Gefahr seid, so braucht ihr nur drei Mal meinen Namen zu rufen, ich werde erscheinen und euch Beistand leisten. Ich bin vom Geschlecht der alten Riesen und heiße Guru. Hütet euch aber in meiner Gegenwart den Namen dessen auszusprechen, von dem kein Riese hören mag, und macht nie das Zeichen des Kreuzes, noch schneidet es in Planken hier im Haus ein. Ihr könnt hier das ganze Jahr wohnen, nur am Juelabend seid so gut, mir das Haus zu überlassen, wenn die Sonne am niedrigsten steht. Dann feiern wir unser großes Fest, wo es uns allein erlaubt ist, fröhlich zu sein. Wenn ihr dann nicht gern das Haus verlassen wollt, so haltet euch so ruhig wie möglich den ganzen Tag auf dem Boden auf und guckt, wenn euch euer Leben lieb ist, vor Mitternacht nicht in das Zimmer. Nachher könnt ihr wieder alles in Besitz nehmen.«
Als die alte Frau dies gesagt hatte, verschwand sie, und Aslog und Orm, über ihre Lage nun beruhigt, lebten ohne Störung glücklich und vergnügt. Orm warf nie das Netz aus, ohne einen guten Zug zu tun, schoss nie einen Pfeil ab, ohne zu treffen; kurz, was er in die Hand nahm, und war es noch so unbedeutend, gedieh augenscheinlich.
Als Weihnacht kam, reinigten sie auf das Beste das Haus, brachten alles in Ordnung, zündeten ein Feuer auf dem Herd an und stiegen, als die Dämmerung einbrach, auf den Boden, wo sie sich still und ruhig verhielten. Endlich wurde es dunkel und es kam ihnen vor, als hörten sie ein Rauschen und Schnauben in der Lust, wie es die Schwäne zur Winterszeit zu machen pflegen. In dem Giebel über dem Feuerherd war ein Loch, das man öffnen und schließen konnte, um Licht ein- oder Rauch auszulassen.
Orm hob die Klappe auf, die mit einem Fell bedeckt war, und steckte den Kopf durch; aber welch wunderbares Schauspiel zeigte sich ihm nun. Die kleinen Inseln rund umher waren alle mit zahllosen blauen Lichtern erleuchtet, die sich unaufhörlich bewegten, auf und nieder sprangen, dann ans Ufer glitten, sich versammelten und sich immer mehr und mehr der Insel, auf welcher Orm und Aslog lebten, näherten. Zuletzt erreichten sie dieselbe und stellten sich im Kreis um einen großen Stein, der unweit vom Ufer stand und den Orm wohl kannte. Wie groß war aber sein Erstaunen, als er bemerkte, dass der Stein ganz und gar eine menschliche, obwohl riesenhafte Gestalt angenommen hatte. Er konnte nun deutlich bemerken, dass die kleinen blauen Lichter von Zwergen getragen wurden, deren bleiche erdfarbene Gesichter mit großen Nasen und roten Augen, entstellt durch Vogelschnäbel und Eulenaugen, auf missgestalteten Körpern ruhten. Sie schlenkerten und wackelten hin und her, sodass sie zur selben Zeit fröhlich und traurig zu sein schienen. Plötzlich öffnete sich der Kreis, die Kleinen zogen sich auf jeder Seite zurück und Guru, die nun ebenso groß wie der Stein war, trat mit Riesenschritten heran. Sie umschlang das steinerne Bild mit den Annen, das sogleich Leben und Bewegung bekam. Bei dem ersten Anzeichen davon begannen die Kleinen sogleich unter wunderlichen Gebärden und Grimassen einen Gesang, oder richtiger ein Geheul, dass die ganze Insel davon widerhallte und erbebte.
Orm, ganz erschrocken, zog den Kopf zurück. Er und Aslog blieben nun im Dunkeln so still, dass sie kaum zu atmen wagten.
Die Prozession rückte dem Haus zu, wie man das deutlich an dem Näherkommen des Geschreies bemerken konnte. Sie waren nun alle eingetreten; leicht und tätig sprangen die Zwerge nun auf den Bänken umher; schwer und dumpf tönten die Schritte des Riesen dazwischen. Orm und seine Frau hörten sie den Tisch decken, mit den Schüsseln klappern und mit Freudengeschrei ihr Fest feiern. Als es vorbei und die Mitternacht nahe war, fingen sie an zu jener bezaubernden Weise, die die Seele in süße Verwirrung versetzt und die einige Leute in den Felsentälern gehört und von den unterirdischen Spielleuten durch Horchen erlernt haben, zu tanzen. Sobald Aslog die Weise vernahm, fühlte sie eine unbeschreibliche Sehnsucht, den Tanz zu sehen. Orm war nicht imstande, sie zurückzuhalten.
»Lass mich hinblicken«, sagte sie, »oder mir bricht das Herz.«
Sie nahm ihr Kind und stellte sich an das äußerste Ende des Bodens, wo sie, ohne bemerkt zu werden, alles sehen konnte. Lange schaute sie, ohne ihre Augen abzuwenden, dem Tanz und den kühnen und wundervollen Sprüngen der kleinen Wesen, die in der Luft zu schweben und die Erde gar nicht zu berühren schienen, zu, während die entzückende Weise der Elfen ihre ganze Seele füllte. Unterdessen wurde das Kind auf ihrem Arm schläfrig und atmete schwer. Ohne an das der Alten gegebene Versprechen zu denken, schlug sie, wie es Sitte ist, ein Kreuz über des Knaben Mund und sagte: »Christus segne dich, mein Kind.«
Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als sich ein fürchterliches, durchdringendes Geschrei erhob. Die Geister taumelten über Hals und Kopf sich drängend und stoßend aus der Tür; ihre Lichter gingen aus und in wenigen Minuten war das ganze Haus von ihnen verlassen. Orm und Aslog, tödlich erschreckt, versteckten sich im entferntesten Winkel des Hauses.
Sie wagten es nicht, sich zu rühren, bis der Tag anbrach, und fühlten erst, als die Sonne durch das Loch im Dach auf den Herd schien, den Mut hinabzusteigen.
Der Tisch war noch gedeckt, wie die Unterirdischen ihn verlassen hatten, mit all ihrem köstlichen, wundervoll aus Silber gearbeiteten Geschirr darauf. In der Mitte des Zimmers stand auf dem Boden ein hoher kupferner Kessel, halb mit süßem Met gefüllt, und ihm zur Seite ein Trinkhorn von reinem Gold. In der Ecke lag ein besaitetes Instrument, einem Hackbrett ähnlich, auf dem die Riesinnen spielen, wie man glaubt.
Sie schauten alles bewundernd an, wagten jedoch nicht, es zu berühren; ihr Erschrecken war aber groß, als sie sich umwandten und eine ungeheure Gestalt, in der Orm gleich den Riesen, den Guru umarmt hatte, erkannte, am Tisch sitzen sehen. Es war nun ein kalter harter Stein.
Während sie ihn anstarrten, trat Guru selbst, in ihrer Riesengestalt, ins Zimmer. Sie weinte so bitterlich, dass ihre Tränen auf die Erde fielen.
Es dauerte lange, ehe sie vor Schluchzen ein Wort äußern konnte. Endlich sagte sie:
»Großen Kummer habt ihr über mich gebracht, und ich muss von nun an mein Lebelang weinen; da ich aber weiß, dass ihr es nicht aus böser Absicht getan habt, so vergebe ich euch, wiewohl es mir ein Leichtes wäre, euch das Haus über dem Kopf wie eine Eierschale zu zerdrücken. Ach«, rief sie, »da sitzt mein Gatte, den ich mehr liebe als mich selbst, für immer versteinert, und wird nie wieder die Augen öffnen. Dreihundert Jahre lebte ich bei meinem Vater auf der Insel Kuman glücklich, in jugendlicher Unschuld, die Schönste der Riesenjungfrauen. Mächtige Helden bewarben sich um meine Hand; das Meer rund um jene Insel ist voll Felsenstücken, die sie im Kampf gegeneinander warfen. Andfind gewann den Sieg, und ich verlobte mich ihm. Aber ehe ich mich vermählte, kam der abscheuliche Odin in das Land, besiegte meinen Vater und trieb uns alle von der Insel fort. Mein Vater und meine Schwester flohen in die Berge, und meine Augen haben sie seitdem nicht wieder gesehen. Andfind und ich retteten uns auf diese Insel, wo wir lange Zeit in Frieden lebten und hofften, dieser würde nie gestört werden. Aber das Schicksal, dem niemand entgeht, hatte es anders bestimmt. Oluf kam aus Britannien. Sie nannten ihn den Heiligen, und Andfind entdeckte sogleich, dass seine Reise den Riesen verderblich sein würde. Als er hörte, wie Olufs Schiff durch die Wellen rauschte, ging er an den Strand und blies die Wellen mit aller Macht dagegen an. Die Wogen schwollen zu Bergen. Aber Oluf war mächtiger als er, sein Schiff flog ungestört durch die Fluten wie der Pfeil vom Bogen. Er steuerte gerade auf unsere Insel zu. Als das Schiff so nahe war, dass Andfind es mit den Händen erreichen zu können glaubte, packte er das Vorderteil mit der rechten Hand und war in Begriff, es zum Grund zu ziehen, wie er das oft mit anderen Schiffen getan hatte. Aber Oluf, der schreckliche Oluf, schritt vorwärts und rief, die Hände kreuzend, mit lauter Stimme: ›Stehe da, ein Stein, bis zum Jüngsten Tag!‹ Und in demselben Augenblick wurde mein unglücklicher Gatte eine Felsenmasse. Das Schiff segelte ungehindert vorwärts und rannte gerade gegen den Berg, den es durchschnitt, und trennte von ihm die kleine dort liegende Insel. Seit der Zeit ist all mein Glück vernichtet, allein und traurig habe ich mein Leben verbracht. Nur an Juelabenden können versteinerte Riesen ihr Leben auf sieben Stunden wieder erhalten, wenn einer von ihrem Stamm sie umarmt und zugleich bereit ist, hundert Jahre von seinem eigenen Leben dafür zu opfern. Selten aber tut ein Riese das. Ich liebte meinen Gatten zu zärtlich, um ihn nicht, so oft ich konnte, ins Leben zurückzurufen; sollte es mich das Teuerste kosten. Ich zählte nie, wie oft ich es getan hatte, damit ich nicht wüsste, wenn die Zeit kam, wo ich sein Schicksal teilen und in dem Augenblick, in dem ich ihn umschlang, eins mit ihm werden sollte. Aber ach! Selbst dieser Trost ist mir noch genommen. Ich kann ihn nie wieder durch Umarmung erwecken, seit er den Namen gehört hat, den ich nicht aussprechen darf, und nie wieder wird er das Licht erblicken, bis die Morgendämmerung des Jüngsten Tages es bringt.
Ich scheide jetzt von hier. Ihr werdet mich nimmer wiedersehen. Alles, was hier im Haus ist, schenke ich euch. Nur mein Hackbrett behalte ich. Lasst es aber niemanden wagen, sich auf den kleinen umliegenden Inseln niederzulassen. Dort wohnen die kleinen Unterirdischen, die ihr bei dem Fest gesehen habt, und die ich beschützen will, solange ich lebe.«
Mit diesen Worten verschwand sie.
Im nächsten Frühling brachte Orm das goldene Horn und die silbernen Sachen nach Trondheim, wo niemand ihn kannte. Der Wert dieser köstlichen Metalle war so groß, dass er imstande war, jedes einem reichen Mann nötige Bedürfnis zu kaufen. Er belud sein Schiff mit seinen Einkäufen und kehrte zu der Insel zurück, wo er lange Jahre in ungetrübter Seligkeit verlebte. Aslogs Vater versöhnte sich bald mit seinem reichen Schwiegersohn.
Das steinerne Bild blieb im Haus sitzen. Niemand war imstande, es fortzubringen. Der Stein war so hart, dass Hammer und Axt in Stücke sprangen, ohne den geringsten Eindruck darauf zu machen. Der Riese blieb dort, bis ein heiliger Mann zu der Insel kam, der ihn mit einem einzigen Wort auf seine alte Stelle, wo er sich noch heute befindet, zurückbrachte. Der kupferne Kessel, den die Unterirdischen zurückließen, wurde als ein Andenken auf der Insel, die noch immer die Hausinsel heißt, aufbewahrt.

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