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Führer durch die Sagen- und Märchenwelt des Riesengebirges 13

Max Klose
Führer durch die Sagen- und Märchenwelt des Riesengebirges
Mit zahlreichen Abbildungen aus dem Riesengebirge
Verlag von Brieger & Gilbers. Schweidnitz (Świdnica). 1887.
Überarbeitete Fassung

III. Greiffenstein und Liebenthal

3. Der Koch und die Ahnfrau

Auf der Burg Greiffenstein wandelte in früheren Jahren die Ahnfrau umher. Sie hatte hauptsächlich ihren Aufenthalt in der blauen Kammer. In derselben gewahrte man fast stets zur Nachtzeit ein blaues Licht. Bei einer Taufe war nun die Ahn­frau aus ihrer Kammer in die Schlosskapelle gekommen und die Dienerschaft flüsterte sich die Erscheinung derselben zu. Es wollte nun auch der Koch den Geist sehen und eilte an die Kapellenpforte. Als er aber in die Küche zurückkam, waren ihm sämtliche Speisen für den Taufschmaus verbrannt und der arme Mann geriet in Verzweiflung darüber. Er fluchte und wetterte jedoch nicht, sondern flehte die Ahnfrau um Hilfe an. Da schlug ein blaues Flämmchen aus dem Herd und in einem Augenblick durchwehte ein herrlicher Duft die Küche. Sämtliche Speisen hatten durch die Macht der Ahnfrau ihre erste Form wieder angenommen und mundeten den Taufgästen so vorzüglich, dass der Burgherr dem braven Koch seine größte Zufriedenheit aussprach.

4. Der Gast und die Ahnfrau

Ein fremder Wanderer hatte einst auf der Burg Greiffenstein Nachtherberge gefordert und erhalten. Derselbe dachte seinen Aufenthalt aber nicht zur Ruhe, sondern zur Ausführung eines Verbrechens zu benutzen. Des Burgvogts junge Frau war mit dem Mann im Einverständnis und führte denselben in die blaue Kammer, weil er meinte, böse Geister hätten keine Gewalt über ihn. Er spottete über die Ahnfrau und wollte sich zuerst den Wein schmecken lassen. Als er aber nach einer Flasche griff, verwandelte diese sich in eine Schüssel mit Salz. Glücklicherweise brachte des Burgvogts Frau einen Krug prächtigen Weins, den er gierig schlürfte. Plötzlich aber stand die Ahnfrau im Zimmer und erhob drohend die Hand. Der Schreck tötete die Frau des Burgvogts und raubte dem Fremden, der weiterzog, ohne sein schlimmes Vorhaben ausgeführt zu haben, die Sprache.

5. Der Ritter und die Ahnfrau

In der Abwesenheit des Burgherrn kehrte einst auf dem Greiffenstein ein wilder Ritter ein. Übermütig forderte der­selbe eine fürstliche Bewirtung und höhnte die Ahnfrau. Als der raue Geselle sich zur Tafel setzte, wich die Schüssel auf derselben zurück und fiel zu Boden. Lachend ergriff er nun einen großen Schinken. Als er aber ein Stück davon abschneiden wollte, ver­wandelte sich dasselbe in Stein und das Brot, welches er ergriff, in Holz. Der Wein in seinem Becher wurde zu übelriechendem Wasser, wenn er denselben zum Mund führte. Auch ein gebratener Truthahn zierte die Tafel. Als aber der Ritter gierig nach ihm spähte, erhob sich derselbe und flog durch das vergitterte Burgfenster hinaus. Nun riss dem Recken die Geduld. Er tobte und verwünschte die Ahnfrau als eine elende Hexe. Dafür musste er aber arg büßen. Der Sessel verschwand unter seinem Körper, der schwere, eichene Tisch fiel über ihn her und mit einem Donnergepolter öffnete sich der Fußboden des Tafelzimmers. Der wutschnaubende Ritter stürzte in einen Keller hinab und zerschlug sich jämmerlich Hände und Gesicht. Am anderen Morgen fand der Burgvogt den Ge­züchtigten und befreite ihn aus dem finsteren Gewölbe. Derselbe schlug jede Erquickung aus und machte sich aus dem Staub.