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Naomi Alderman – The Future

Naomi Alderman
The Future
Science Fiction, Roman, Hardcover, Heyne, München, November 2023, 544 Seiten, 24,00 EUR, ISBN: 9783453274372, aus dem Amerikanischen von Barbara Ostrop

Es hat begonnen. Wer so eine schlichte Nachricht erhält, der weiß: Der Baum brennt. Lichterloh. Selbst ein einfaches Ping!, für die richtigen Ohren bestimmt, macht klar, dass der Zeiger gerade die Zwölf erreicht hat. Kein Zeitfenster, keine Gnadenfrist. Es hat begonnen. Das Ende der Welt. Nicht mehr, nicht weniger.

Die Eröffnung von Naomi Aldermans neuestem Roman The Future schubst uns erbarmungslos vom Beckenrand ins kalte Wasser. In eine unbestimmte, aber sehr nahe Zukunft, in der es Normalsterbliche und besonders Machtmenschen endlich gestemmt und den blauen Planeten niedergerungen haben; mit Dekadenz, Unwissen und Kapitalismus als bewährten Waffen. Was den Oberhäuptern der drei mächtigsten Tech-Riesen am Allerwertesten vorbeigeht. Die eigenen Schäflein sind längst im Trockenen, dekadent-sündteure Bunker mit allem erdenklichen Luxus warten, für die nächsten Jahrzehnte bewohnt zu werden. Die vorgebliche Sorge um das Artensterben weltweit? Ein nettes Ablenkungsmanöver. Sollen sich die anderen damit befassen. Wir schlürfen in der Zwischenzeit leckere Schirmchendrinks, herzlichen Dank auch.

Wäre da nicht der Aufstand. Die unvermeidlichen Prepper und Extremisten, Letztere vertreten durch eine Endzeit-Sekte, deren Radikalität die Gruppierungen eines Jim Jones oder David Koresh längst im eigenen Kielwasser gelassen hat und das Produkt einer – auch – seit der Corona-Pandemie aus dem Ruder gelaufenen Welt ist. Die junge Journalistin Zhen kann darüber ein Liedchen singen, als Überlebende besagter Sekte. Nachvollziehbar, dass sie Teil des anderen, weitaus weniger nihilistischen Aufstandes ist und die Schuldigen an den Pranger zu stellen gedenkt. Sie ist nicht allein. Ausgerechnet einstige enge Vertraute, Mitbegründer, ja selbst bestenfalls geduldete Familienmitglieder wollen dasselbe: retten, was zu retten ist und deshalb die Häupter der dreiköpfigen Hydra – in diesem Falle die fiktiven, wenngleich gewollt Déjà-vu verursachenden Mega-Konzerne Medlar, Fantail und Anvil – endgültig abzuhacken und mittels deren Überresten den Nährboden für eine bessere, saubere, lohnendere Zukunft bereiten. Ein Paradigmenwechsel von historisch einmaligen Dimensionen. Dass Lai Zhen ausgerechnet eine flüchtige Liebelei mit Martha Einhorn, der persönlichen Assistentin von Fantail-Boss Lenk Sketlish anfängt, rückt sie direkt in den Fokus derer, die für das bessere Morgen kämpfen – Martha Einhorn inklusive.

Spätestens seit ihrem Roman Die Gabe (2016) und der äußert prominent besetzten Serien-Adaption durch ausgerechnet Amazon (der bei dem einen oder anderen erdachten Konzern klar Pate stand), ist die Londonerin Naomi Alderman auch außerhalb ihrer Heimat zum Star avanciert. Stets beschäftigte sich die Autorin mit den Schnittstellen von Sexualität, Religion, Gegenwart und Zukunft. So determiniert wie in The Future allerdings noch nie. Beginnt das rund 540 Seiten starke Werk mit einer filmreifen, stakkatoartigen Hetzjagd, gleitet die Erzählung in die Gewässer eines Manifestes, geschrieben mit Herzblut und ordentlich Grummeln im Bauch. Leider auch das gewichtigste Manko des Ganzen. Zeitsprünge? Sind verkraftbar. Wenn die Stringenz dafür hinten ansteht, weniger. Ab dem ersten Drittel ersetzen trockene Belehrungen und ein narrativer Stillstand einen bislang vorzüglichen Mix, dessen Intentionen man auch ohne erhobenen Zeigefinger vollzieht. Aber – auch dieser Part kippt. Wenn Alderman zum Finale läutet, mehr als nur ein Ass aus dem Ärmel zückt und mindestens einen Twist beschert, dem man die Parallelen zum legendären Watchman-Comic gerne eingesteht. The Future als Enttäuschung bloßzustellen wäre ebenso falsch, wie von einem Meisterwerk zu reden. Naomi Alderman hat ungemein viel Hingabe in ein Thema investiert, das uns alle betrifft, aber im Eifer leider das zugelassene Maximalgewicht deutlich überschritten. Durch diese Überladung wankelt das Gebilde bedenklich, kann sich aber kurz vorm Kipppunkt wieder stabilisieren – wie hoffentlich auch unser fragiler, bedrohter Planet. Insofern trägt die leichte Unausgewogenheit von The Future dazu bei, dass die Botschaft ankommt.

(tsch)