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Aus den Geheimakten des Welt-Detektivs – Band 4 – 9. Kapitel

Aus den Geheimakten des Welt-Detektivs
Band 4
Die Tochter des Wucherers
9. Kapitel

Sherlock Holmes’ Triumph

Nicht ohne innere Erschütterung verließ Sherlock Holmes das Haus des Toten. Aber kaum war er auf der Straße angelangt, als seine Gedanken sich wieder Harry zuwandten.

Plötzlich blieb er mitten in der Straße stehen und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

»Jetzt weiß ich, was er in seinen Fantasien will«, rief er, »ein Brett schwimmen lassen. Das bedeutet in der Sprache der Londoner Verbrecher nichts anderes, als einen Menschen in die Themse zu stürzen! Einen solchen oder ähnlichen Plan muss er bei den Sandsackmännern belauscht haben, und das Greenwich-Hospital, das in seinen Delirien so oft vorkommt, ist sicherlich der Ort, an dem das Verbrechen ausgeführt werden soll.«

Zugleich trat Sherlock Holmes in ein Postoffice und gab hier ein Telegramm auf, das an Kapitän Flobert gerichtet war, und das ihn mit einer Abteilung seiner Leute für abends 8 Uhr zum Greenwich-Hospital bestellte. Keine Uniform – Zivilkleider!«, fügte der Detektiv hinzu.

Als Sherlock Holmes zu Hause ankam, fand er Dr. Hobson am Bett des Patienten.

Der Arzt erklärte, dass das Fieber nicht gestiegen wäre und dass Harry ohne Zweifel in wenigen Stunden wieder zum Bewusstsein kommen würde.

Keine Feder vermöchte die Ungeduld und die zitternde Erwartung zu beschreiben, mit welcher Sherlock Holmes während des ganzen Nachmittags am Bett seines Patienten saß, denn nun handelte es sich nicht mehr um Harrys Leben, das ja außer Gefahr war, sondern um die Rettung eines anderen Lebens, das offenbar durch die Sandsackmänner bedroht wurde.

Um sieben Uhr abends bemerkte Sherlock Holmes, dass die Wangen des Kranken sich ein wenig röteten, dass die Augenlider zu zucken begannen; dann wurden die Atemzüge Harrys immer tiefer und plötzlich richtete er sich aus seinen Kissen empor und rief: »Wo bin ich?«

»Zu Hause, mein Junge«, sagte Sherlock Holmes hocherfreut, indem er des Kranken Hände in die seinen nahm und sie wärmte. »Ich gratuliere dir, du bist gerettet.«

»Ha, ich erinnere mich an alles«, presste Harry hervor. »Sherlock Holmes, wie lange war ich bewusstlos?«

»Heute Nacht um zwei Uhr habe ich dich im Stall bei den Westindia-Docks im Wasser aufgefunden. Jetzt ist es sieben Uhr zwanzig Minuten abends.«

»Also derselbe Tag«, rief Harry mit matter Stimme aus, »dann … dann ist noch Zeit.«

»Weiß – weiß alles«, sagte Sherlock Holmes lächelnd und sich vergnügt die Hände reibend. »Du willst, ich soll mich zum Greenwich-Hospital begeben?«

»Bei Gott, Ihr wisst?«

»Ich habe es durch dich gehört, mein Junge, denn du hast im Fieber geplaudert. Nicht wahr, am Greenwich-Hospital versammeln sich heute Nacht die Sandsackmänner?«

»Ja, die Schufte sind für ein Verbrechen gedungen worden – sie sollen eine Person in die Themse werfen und ertränken.«

»Wer hat sie gedungen?«

»Das weiß ich nicht, immer war nur von einem Mann die Rede. Sein Name ist nicht genannt worden. Aber es war derselbe Mann, der Bob schon einmal 100 Pfund Sterling verdienen ließ.«

»Vortrefflich«, rief Sherlock Holmes aus, »jetzt glaube ich, schon meiner Sache sicher zu sein, denn es ist Jack Delauny, der sie heute Nacht am Greenwich-Hospital erwarten wird. Wie stark werden die Sandsackmänner am Hospital erscheinen?«

»Es war von sechs Männern die Rede, und Bob wird sie führen.«

»Und um wieviel Uhr wollten sie sich am Hospital versammeln?«

»Ich glaube, um zehn Uhr. Genau kann ich es aber nicht sagen, denn mein Kopf ist schwach geworden.«

»Ja, es wird immerhin noch einige Tage dauern, bis du wieder der beste Spürhund von London bist. Jetzt aber lege dich ruhig hin, mein Junge, trinke diesen Schluck Bouillon, den die vortreffliche Mrs. Bonnet dir bereitet hat und dann schlafe – und dass du mir ja nicht voll den Sandsackmännern träumst!«

»Mrs. Bonnet«, wandte sich um 8 Uhr abends Sherlock Holmes, nachdem er sein Souper eingenommen hatte, an seine Wirtschafterin, »beobachten Sie mir Harry – ich werde heute Nacht zu tun haben.«

Sherlock Holmes verließ, in einen langen Mantel gehüllt, sein Haus. In jeder Tasche seines Mantels trug er einen sechsschüssigen Revolver, daneben aber noch ein paar Stahlfesseln, deren Mechanismus er selbst erfunden hatte und die in England Sherlock-Holmes-Eisen genannt werden.

Punkt neun Uhr begegnete Sherlock Holmes in der Nähe des Greenwich-Hospitals Kapitän Flobert, der ihn schon mit Ungeduld erwartete.

»Gilt es wieder den Sandsackmännern?«, fragte der Polizeioffizier.

»Natürlich«, antwortete Sherlock Holmes, »wir werden aber gut daran tun, uns zu verbergen, denn ich glaube, die Schufte werden bald da sein.«

Das Hospital, welches fast ausschließlich der Pflege von Seeleuten gewidmet ist, stößt mit seiner Rückfront an den Greenwichpark. Zwischen dem Park und dem Krankenhaus zieht sich die schmale Greenwich Road dahin.

Sherlock Holmes beorderte einige Leute Floberts zum Kundschafterdienst. Da dieselben schlichte, bürgerliche Kleidung trugen, konnte man ihnen ihre amtliche Tätigkeit keineswegs ansehen, und so promenierten vier von ihnen um das Hospital herum.

Um 10 Uhr fanden sich einige verdächtige Gestalten an der Rückfront in der Greenwich Road ein.

Es dauerte auch nicht lange, so kam Bob, den Sherlock Holmes, welcher mit Flobert und sechs Detektiven hinter den Bäumen des Parkes verborgen war, sofort an seinem glattrasierten Kopf erkannte, als er nur einmal für einen Moment die Mütze lüftete.

»Wäre es nicht das Beste, wenn wir sofort die Verhaftung vornähmen?«, flüsterte Flobert dem Detektiv zu.

Der aber schüttelte unwillig das Haupt und legte den Finger an die Lippen, während er mit den Augen auf einen geschlossenen Wagen deutete, der nun langsam die Greenwich Road herabgefahren kam.

»Wissen Sie, wer sich in diesem Wagen befindet?«, fragte Sherlock Holmes den Polizeikapitän, indem er seinen Kopf so nahe als möglich an den des Freundes heranbrachte. »Niemand anders als Elisabeth Aberdeen. In fünf Minuten werden Sie das verschollene Mädchen, das durch sein Schicksal London so lange in Aufregung versetzt hat, von Angesicht zu Angesicht sehen.«

»Und Lord Rochester?«

»Ist wirklich unschuldig, so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Doch jetzt, Flobert, geben Sie Acht.«

Der Wagen hält. Ein Mann verlässt denselben. Er schließt aber sorgsam den Schlag wieder hinter sich zu.

»Nur Ruhe! Lassen Sie die Sache nur erst ein wenig gedeihen. Sie wissen, Flobert, ein Kriminalist darf nur im entscheidenden Moment hervortreten. Die Frucht des Verbrechens muss reif geworden sein.«

Der Mann, der den Wagen verlassen hatte, hielt seine hohe Gestalt unter einem langen Mantel verborgen, ein Schlapphut war tief in seine Stirn herabgezogen. Er ging nicht bis dicht an die Sandsackmänner heran, sondern winkte ihnen, in der Mitte der Greenwich Road stehend.

Sogleich eilten Bob und seine Gefährten auf ihn zu.

»Ihr wisst, worum es sich handelt«, stieß der Mann hervor, indem er seine linke Hand auf die Schulter Bobs legte, während der rechte Ärmel seines Mantels schlaff herunterhing. »Habt Ihr Lust, 2oo Pfund Sterling zu verdienen?«

»Well, Sir, 200 Pfund Sterling lässt man sich nicht entgehen«, antwortete Bob, »wir sollen ein Brett schwimmen lassen, hörten wir von Titus.«

»Es ist ein Mädchen«, gab der Mann mit leiser Stimme zur Antwort, »sie befindet sich gefesselt dort im Wagen. Tragt sie in die Themse, sorgt aber dafür, dass ihr Körper nicht wieder zum Vorschein kommen kann.«

»All right, Sir, wir werden ihr schon einen Sack mit Steinen um den Hals binden. Ist sie geknebelt oder wird sie schreien?«

»Sie ist geknebelt, also wehrlos gemacht. Geht schnell ans Werk!«

Kapitän Flobert wollte vorstürzen, aber Sherlock Holmes packte ihn am Arm und hielt ihn fest.

»Das wäre ja nur ein Strich durch die Rechnung«, flüsterte der Detektiv, »nur noch ein paar Minuten – wir wollen die Schurken bis zum Äußersten kommen lassen.«

Bob hatte den Wagenschlag aufgerissen, mit roher Hand zerrte er das wehrlose Opfer heraus und schleuderte es seinen Sandsackmännern zu.

Vier von ihnen ergriffen das Mädchen, hüllten es schnell in ein Tuch und trugen es dann fort.

Bob und der Mann im Mantel folgten ihnen.

Nun waren die Sandsackmänner mit ihrem Opfer nur noch 10 Schritte weit vom Themseufer entfernt. Da krachten plötzlich Schüsse und die Träger, welche die verhüllte Gestalt trugen, brachen zusammen.

Keiner von ihnen war tot, aber alle vier hatten sie zerschmetterte Knie oder zerschossene Waden.

»Verrat«, brüllte Bob und zog ein langes Messer hervor, »rette sich, wer kann.«

Im selben Momente packte ihn Kapitän Flobert bereits von rückwärts im Genick und warf ihn mit eiserner Faust nieder.

Sherlock Holmes aber war auf den Mann im Mantel zugesprungen und hatte sich blitzschnell seines Armes bemächtigt.

»Diesmal ist es kein künstlicher Arm«, rief Sherlock Holmes triumphierend aus, indem er den sich wütend Sträubenden fesselte, »und nun wollen wir sehen, Jack Delauny, ob du mir noch einmal entfliehen kannst. Hebt das Mädchen auf und tragt es sorgfältig zu unserem Wagen. Mit den Räubern fort ins Towergefängnis.«

Die Detektivs eilten auf Elisabeth Aberdeen zu, befreiten sie von ihrem Knebel, zerschnitten ihre Fesseln und trugen das bewusstlose Mädchen sanft mit sich fort.

Eine Stunde später befanden sich Jack Delauny, Bob und die Sandsackmänner bereits im Towergefängnis hinter Schloss und Riegel.

Am nächsten Morgen aber eilte ein ganzes Heer von Zeitungsjungen durch London und brüllte triumphierend in allen Tonarten der hochaufhorchenden Hauptstadt in das Ohr: »Großer Triumph Sherlock Holmes’! Sherlock Holmes hält sein dem Lordoberrichter gegebenes Wort. Er brauchte nur 48 Stunden dazu, die Unschuld Lord Rochesters zu beweisen. Elisabeth Aberdeen ist gefunden. Heil und unverletzt ist sie in das Vaterhaus zurückgekehrt. Die Täter sitzen hinter Schloss und Riegel!«

Um neun Uhr morgens schon befand sich Lord Rochester im Arbeitszimmer Sherlock Holmes’, umarmte ihn unter Tränen und wollte ihm eine namhafte Summe für seine Rettung einhändigen.

Aber Sherlock Holmes schob ihm die Banknoten zurück.

»Mylord«, sagte er, »bezahlt bin ich schon – bezahlt hat mich der Mann, der Sie auf die Anklagebank brachte, und das ist auch nur gerecht so, dass er die Kriegskosten bestritt. Wenn ich Ihnen aber einen Rat geben darf, so ziehen Sie nie wieder in das oberste Stockwerk eines Hauses. Es hat immer eine gewisse Gefahr, wenn man so leicht vom Dach aus in das Zimmer eines Menschen gelangen kann. Ein Schornsteinfeger kann uns näherkommen, als uns lieb ist. Und wie Sie erfahren haben, kann man in der Tat in die Lage kommen, sich vor dem schwarzen Mann fürchten zu müssen.«

 

Ende

 

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