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Varney, der Vampir – Kapitel 31

Thomas Preskett Prest
Varney, der Vampir
oder: Das Blutfest

Ursprünglich als penny dreadful von 1845 bis 1847 veröffentlicht, als es zum ersten Mal in Buchform erschien, ist Varney, der Vampir ein Vorläufer von Vampirgeschichten wie Dracula, die es stark beeinflusst hat.

Kapitel 31

Sir Francis Varney und sein mysteriöser Besucher – Die seltsame Begegnung

Sir Francis Varney befand sich in dem, was er seine eigene Wohnung nannte. Es war Nacht, und das schwache, unsichere Licht einer lange vernachlässigten Kerze machte die Dunkelheit nur noch unheimlicher. Das Zimmer war sehr luxuriös. Es besaß alles, was der Geist und das Genie jener Zeit an Raffinesse und Luxus aufbieten konnten, aber auf seiner Stirn standen die Spuren einer verderblichen Pflege, und dieses geheimnisvolle Wesen schien sich wenig um die reiche Ausstattung der Wohnung zu kümmern, in der es saß.

Sein leichenblasses Gesicht wirkte noch bleicher und totenähnlicher als sonst, und wenn man sich vorstellen kann, dass ein solcher Mensch ein großes Interesse an menschlichen Angelegenheiten haben kann, so konnte man bei seinem Anblick durchaus vermuten, dass ein Interesse von nicht alltäglichem Ausmaß im Spiel war.

Von Zeit zu Zeit murmelte er einige unzusammenhängende Worte, wobei er zweifellos in Gedanken die Lücken füllte, die seine Sätze unvollständig machten, und sich vielleicht nicht bewusst war, dass er eine seiner dunklen und geheimen Meditationen hörbar zum Ausdruck brachte.

Schließlich erhob er sich und ging mit sorgenvoller Miene zum Fenster, um in die Dunkelheit der Nacht hinauszuschauen. Alles war still, kein Gegenstand war zu sehen. Es war jene pechschwarze Finsternis, die sich für einige Stunden über die Erdoberfläche legt, wenn der Mond erst spät seine Strahlen wirft.

»Es ist fast die Stunde«, murmelte er, »es ist jetzt wirklich fast die Stunde; sicher wird er kommen, und doch weiß ich nicht, warum ich ihn fürchten sollte, obwohl ich bei dem Gedanken an sein Nahen zu zittern scheine. Er wird sicher kommen. Einmal im Jahr – nur einmal besucht er mich, und dann nur, um mir den Preis abzunehmen, den er mich für das Dasein zahlen ließ, das ohne ihn längst zu Ende wäre. Manchmal wünschte ich, es wäre so.«

Mit einem Schaudern kehrte er zu dem Platz zurück, den er soeben verlassen hatte, und schien dort eine Weile schweigend zu meditieren.

Plötzlich schlug eine Uhr in der Diele des Hauses, das er gekauft hatte, laut die Stunde.

»Die Zeit ist gekommen«, sagte Sir Francis. »Die Zeit ist gekommen, er wird bald hier sein. Horch! Horch!«

Langsam und deutlich zählte er die Schläge der Uhr, und als sie verstummt waren, rief er mit plötzlicher Überraschung aus: »Elf! Erst elf! Wie habe ich mich geirrt! Ich dachte, die Stunde der Mitternacht sei nahe.«

Hastig schaute er auf die Uhr, die er trug, und da fand er in der Tat, dass das, was er schon seit einiger Zeit mit Schrecken erwartet hatte, weil es um oder gegen zwölf geschehen sollte, noch eine Stunde länger seine Fantasie in Anspruch nahm.

»Wie konnte ich mich nur so sehr täuschen?«, rief er aus. »Noch eine Stunde der Spannung und der Frage, ob dieser Mann zu den Lebenden oder zu den Toten gehört. Ich habe daran gedacht, meine Hand gegen sein Leben zu erheben, aber ein seltsames, geheimnisvolles Gefühl hat mich immer davon abgehalten; und ich habe ihn kommen und gehen lassen, obwohl ich eine Gelegenheit gehabt hätte, einen solchen Plan in die Tat umzusetzen. Er ist auch alt, sehr alt, und doch hält er den Tod auf Distanz. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er blass, aber weit davon entfernt, krank oder gebrechlich zu sein. Ach, wir müssen noch eine ganze Stunde warten. Ich wünschte, dieses Gespräch wäre zu Ende.«

Sir Francis Varney litt an einer weit verbreiteten und bekannten Krankheit, dem Zappelphilipp. Er konnte nicht sitzen, er konnte nicht gehen, und irgendwie schien er sich nicht vorstellen zu können, dass ein Becher Wein ihm Linderung verschaffen könnte, obwohl auf einem Beistelltisch Erfrischungen dieser Art standen. Und so verging einige Zeit, und er bemühte sich, die Müdigkeit zu vertreiben, indem er an die verschiedensten Dinge dachte; aber wie es das Schicksal wollte, schien es nicht eine einzige angenehme Erinnerung in den Gedanken dieses höchst unerklärlichen Mannes zu geben, und je tiefer er in die Tiefen der Erinnerung eindrang, desto unruhiger, um nicht zu sagen, fast ängstlicher sah er aus und wurde er. Eine beängstigende Nervosität überkam ihn, und für einige Augenblicke saß er da, als wäre er der Ohnmacht nahe. Aber mit einer energischen Anstrengung schüttelte er sie ab, und dann legte er die Uhr vor sich, die jetzt etwa Viertel nach elf zeigte, und bemühte sich, mit ruhigerer Miene die Ankunft desjenigen abzuwarten, dessen Anwesenheit, wenn er denn käme, wirklich ein großer Schrecken sein würde, da schon der Gedanke daran so viel Zögern und Bestürzung hervorrief.

Um sich dann, wenn möglich, noch weiter von der allzu schmerzlichen Betrachtung jener Schrecken zu entfernen, deren Ursache der Leser zu gegebener Zeit erfahren wird, nahm er ein Buch zur Hand und vertiefte sich in dessen Inhalt, um seinen Geist eine Zeitlang mit der folgenden kurzen Erzählung zu unterhalten.

Der Wind heulte in plötzlichen und wütenden Böen um die Giebel von Bridport House, während die Bewohner am Feuer saßen und schweigend in die lodernde Glut des riesigen Feuers blickten, das ein rotes und helles Licht über die ganze große Wohnung warf, in der sie alle zusammensaßen.

Es war ein altertümlich anmutender Ort, sehr groß und geeignet, eine Reihe von Gästen zu beherbergen. Es waren mehrere anwesend.

Ein altes Ehepaar saß auf hohen, gepolsterten Stühlen mit gerader Lehne. Sie waren die Besitzer dieses herrschaftlichen Anwesens, und neben ihnen saßen zwei junge Mädchen von überwältigender Schönheit; sie waren unähnlich, und doch gab es eine leichte Ähnlichkeit, aber von völlig unterschiedlichem Teint.

Die eine hatte rabenschwarze Locken, Augenbrauen, Wimpern und Augen von derselben Farbe; sie war ein schönes, stolzes Mädchen, ihr Teint war klar, ihre Wangen hatten die Farbe der Gesundheit, und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Ein Blick genügte, um die ganze Seele zu erregen.

Das andere Mädchen war ganz anders; ihr Teint war heller, ihr Haar von sonniger Kastanie, ihre schönen haselnussbraunen Augen wurden von langen braunen Wimpern umrahmt, und ein verspieltes Lächeln erhellte auch ihr Gesicht. Sie war die Jüngere.

Die Aufmerksamkeit der beiden Mädchen war auf die Worte des alten Hausherrn gerichtet, der gerade gesprochen hatte. Es waren noch einige andere Personen anwesend, und in einiger Entfernung befanden sich viele der Hausangestellten, denen das Privileg der Wärme und Ruhe in der Gegenwart ihres Herrn nicht vorenthalten wurde.

Dies waren nicht die Zeiten, in denen die Dienerschaft als träge galt, wenn sie sich hinsetzte; aber nach getaner Arbeit verbrachte man die Abendstunde am Feuer.

»Der Wind heult und stöhnt«, sagte eine alte Magd, »auf eine schreckliche Weise. So etwas habe ich noch nie gehört.«

»Es scheint, als warte ein gefangener Geist auf die Ruhe, die ihm auf Erden versagt geblieben ist«, sagte die alte Dame, richtete sich auf und starrte auf das Feuer.

»Ja«, sagte ihr alter Begleiter, »es ist eine windige Nacht, und es wird bald ein Sturm kommen, oder ich irre mich«.

»Es ist genauso eine Nacht, wie die, in der mein Sohn Henry von zu Hause fortgegangen ist«, sagte Mrs. Bradley, »genauso eine Nacht – nur mit Schneematsch und Regen.«

Der alte Mann seufzte bei der Erwähnung des Namens seines Sohnes, und eine Träne stand in den Augen der Mädchen, die einander schweigend ansahen und Blicke zu tauschen schienen.

»Ich wünschte, ich könnte ihn noch einmal sehen, bevor mein Körper seine letzte Ruhestätte in einem kalten, unbarmherzigen Grab findet«.

»Mutter«, sagte die Schönste der beiden Jungfrauen, »sprich nicht so, lass uns hoffen, dass wir noch viele glückliche Jahre zusammen haben werden.«

»Viele, Emma?«

»Ja, Mama, viele.«

»Weißt du, ich bin sehr alt, Emma, sehr alt sogar, wenn man bedenkt, was ich durchgemacht habe, ein Leben voller Kummer und Krankheit ist mindestens so viel wie dreißig Jahre zu meinem Leben hinzuzufügen.«

»Vielleicht irrst du dich, Tante«, sagte das andere Mädchen, »jedenfalls kannst du dich nicht auf ein sicheres Leben verlassen, denn die Stärksten gehen oft zuerst, während die, die viel eher zu fallen scheinen, ebenso oft in Frieden und Glück durch die Sorgen leben.«

»Aber ich lebe nicht in Frieden und Glück, solange Henry Bradley nicht hier ist; außerdem könnte mein Leben vorbei sein, ohne dass ich ihn wiedersehe.«

»Es ist zwei Jahre her, seit er das letzte Mal hier war«, sagte der alte Mann, »diese Nacht vor zwei Jahren war die Nacht, in der er ging.«

»Diese Nacht vor zwei Jahren?«

»Ja.«

»Es war diese Nacht vor zwei Jahren«, sagte einer der Diener, »weil die alte Frau Poutlet in dieser Nacht Zwillinge gebar.«

»Ein denkwürdiger Umstand.«

»Und eines starb im Alter von zwölf Monaten«, sagte der Mann, »und sie hatte einen Traum, der dieses Ereignis voraussagte.«

»Ja, ja.«

»Ja, und dann hatte sie am Mittwoch vor einer Woche den gleichen Traum wieder«, sagte der Mann.

»Und den anderen Zwilling verloren?«

»Ja, Sir, heute Morgen.«

»Die Zeichen verdichten sich«, sagte der alte Mann, »ich würde sagen, das deutet auf Henrys Rückkehr in seine Heimat hin.«

»Ich frage mich, wo er hingegangen ist oder was er die ganze Zeit getan haben mag; wahrscheinlich ist er nicht mehr unter den Lebenden.«

»Armer Henry«, sagte Emma.

»Oh, armer Junge! Vielleicht werden wir ihn nie wiedersehen – es war ein Fehler von ihm, und doch wusste er nicht, wie er sich anders benehmen oder dem Zorn seines Vaters entgehen sollte.«

»Sagen Sie nichts mehr – sagen Sie nichts mehr zu diesem Thema; ich wage es nicht zu hören. Gott weiß, dass ich genug weiß«, sagte Herr Bradley. »Ich wusste nicht, dass er sich meine Worte so zu Herzen nehmen würde, wie er es tat.«

»Nun«, sagte die alte Frau, »er dachte, Sie meinten, was Sie sagten.«

Es entstand eine lange Pause, in der alle in das lodernde Feuer starrten, scheinbar in ihre eigene Meditation vertieft.

Henry Bradley, der Sohn des alten Paares, war an diesem Tag offenbar zwei Jahre fort gewesen, und warum hatte er das Haus seiner Kindheit verlassen? Warum hatte er, der Erbe eines großen Anwesens, dies getan?

Er hatte es gewagt, ohne die Erlaubnis seines Vaters zu lieben, und er hatte das Angebot seines Vaters abgelehnt, eine junge Frau zu heiraten, die er für ihn ausgesucht hatte, die er aber nicht lieben konnte. Für den Vater war es ebenso überraschend, dass der Sohn ablehnte, wie für den Sohn, dass sein Vater eine solche Verbindung in Betracht zog.

»Henry«, sagte der Vater, »ich habe an dich gedacht. Ich habe vorgeschlagen, dich mit der Tochter unseres Nachbarn, Sir Arthur Onslow, zu verheiraten.«

»In der Tat, Vater!«

»Ja, ich möchte, dass du mit mir dorthin reist, um die junge Dame zu sehen.«

»Als Verehrer?«

»Ja«, antwortete der Vater, »gewiss; es ist höchste Zeit, dass du dich damit beschäftigst.«

»In der Tat, ich möchte lieber nicht gehen, Vater; ich habe noch nicht die Absicht zu heiraten. Ich habe nicht die Absicht, das zu tun.«

Das war ein Widerspruch, den Mr. Bradley von seinem Sohn nicht erwartet hatte und den sein herrisches Temperament nur schwer ertragen konnte, und mit gerunzelter Stirn sagte er: »Es ist nicht viel, Henry, dass ich deinen Gehorsam übertrete; aber wenn ich es tue, erwarte ich, dass du mir gehorchst.«

»Aber, Vater, diese Angelegenheit betrifft mich mein ganzes Leben lang.«

»Deshalb habe ich so lange und sorgfältig darüber nachgedacht.«

»Aber es ist nicht unvernünftig, dass ich in dieser Angelegenheit ein Mitspracherecht habe, Vater, denn es könnte mich unglücklich machen.«

»Du sollst ein Mitspracherecht haben.«

»Dann lehne ich die ganze Sache ab«, sagte Henry entschieden.

»Wenn du das tust, verlierst du meinen Schutz und noch mehr meine Gunst; aber du solltest besser darüber nachdenken, was du gesagt hast. Vergiss es und komm mit mir.«

»Ich kann nicht.«

»Du willst nicht?«

»Nein, Vater, ich kann nicht tun, was du von mir verlangst; mein Entschluss steht fest.«

»Und meiner auch. Entweder du tust, was ich von dir verlange, oder du verlässt das Haus und suchst dir ein eigenes Auskommen, dann bist du ein Bettler.«

»Das wäre mir lieber«, sagte Henry, »als irgendeine junge Frau zu heiraten und sie nicht lieben zu können.«

»Das ist nicht nötig.«

»Nein! Ich bin erstaunt! Man muss die Frau, die man heiratet, nicht lieben!«

»Ganz und gar nicht; wenn du dich ihr gegenüber gerecht verhältst, sollte sie dankbar sein, und das ist alles, was in der Ehe nötig ist. Aus Dankbarkeit erwächst Liebe, und aus Liebe in dem einen erwächst Liebe in dem anderen.«

»Ich will nicht mit dir streiten, Vater, in dieser Sache. Du bist ein besserer Richter als ich, du hast mehr Erfahrung.«

»Die habe ich.«

»Und es wäre müßig, darüber zu reden; aber darüber kann ich reden – über meinen eigenen Entschluss, die fragliche Dame nicht zu heiraten.«

Der Sohn hatte die gleiche Entschlossenheit wie der Vater, aber er hatte auch sehr gute Gründe für sein Handeln. Er liebte und wurde geliebt, und deshalb wollte er seine Treue zu der Frau, die er liebte, nicht brechen.

Dies dem Vater zu erklären, hätte ihn nur erzürnt, und er hätte eine neue Forderung an seinen (des Sohnes) Gehorsam gestellt, indem er ihm befohlen hätte, das Bild, das dort unauslöschlich eingeprägt war, aus seinem Schoß zu entfernen.

»Willst du sie nicht heiraten, die ich dir zur Frau erwählt habe?«

»Ich kann nicht.«

»Sprich nicht von können und nicht können, wenn ich von wollen und nicht wollen spreche. Es hat keinen Zweck, die Tatsache zu verbergen. Du hast in dieser Sache deinen freien Willen. Ich werde keine andere Antwort als Ja oder Nein akzeptieren.«

»Dann also nein, Vater.«

»Gut, Sir, und jetzt sind wir Fremde.«

Damit wandte sich Mr. Bradley abrupt von seinem Sohn ab und überließ ihn sich selbst.

Es war das erste Mal, dass die beiden miteinander sprachen oder eine Meinungsverschiedenheit hatten, und es endete plötzlich und schnell.

Henry Bradley war empört über das, was geschehen war; er glaubte nicht, dass sein Vater in dieser Situation so gehandelt hätte, aber er war zu sehr am Schicksal eines anderen interessiert, um einen Moment zu zögern. Dann begann er darüber nachzudenken, was er tun sollte, jetzt, wo er so weit gekommen war.

Zuerst dachte er an seine Mutter und seine Schwester. Er konnte das Haus nicht verlassen, ohne sich von ihnen zu verabschieden. Er beschloss, zu seiner Mutter zu gehen, denn sein Vater hatte das Haus für einen Besuch verlassen.

Mrs. Bradley und Emma waren allein, als er ihre Wohnung betrat, und er erzählte ihnen alles, was zwischen ihm und seinem Vater vorgefallen war.

Sie baten ihn zu bleiben, dort oder wenigstens in der Nähe, aber er war entschlossen, für eine Weile ganz wegzugehen, weil er dort nichts tun konnte und vielleicht etwas anderes tun würde – wo auch immer.

So trugen sie alles Geld und alle Juwelen zusammen, die sie entbehren konnten, und es war eine beträchtliche Summe; dann sagte Henry seiner Mutter und seiner Schwester liebevoll Lebewohl und verließ das Haus, nicht ohne vorher noch einem anderen, der in diesen Mauern lebte, ein langes und liebevolles Lebewohl zu sagen.

Es war niemand anderes als das rabenäugige Mädchen, das am Kamin saß und dem Gespräch aufmerksam lauschte. Sie war seine Liebe, sie, seine arme Cousine. Ihr zuliebe hatte er dem Zorn seines Vaters getrotzt und sein Glück in der Fremde gesucht.

Dann verließ er leise das Haus, ohne jemandem zu sagen, wohin er ging.

Der alte Mr. Bradley, nachdem er seinem Sohn so viel erzählt hatte, war sehr verärgert über das, was er für seinen Starrsinn hielt, und er dachte, dass die Drohung, die er ihm gemacht hatte, eine gute Wirkung gehabt hätte; aber er war erstaunt, als er entdeckte, dass Henry stattdessen das Haus verlassen hatte, und er wusste nicht, wohin.

Eine Zeitlang tröstete er sich mit der Gewissheit, dass er zurückkehren würde, ja zurückkehren musste; aber leider kam er nicht, und es war der zweite Jahrestag jenes melancholischen Tages, den niemand mehr bedauerte als der arme Mr. Bradley.

»Gewiss wird er zurückkommen oder uns sagen, wo er ist«, sagte er, »er kann nicht in Not sein, sonst hätte er uns um Hilfe gebeten.«

»Nein, nein«, sagte Frau Bradley, »ich fürchte, weil er nicht geschrieben hat, ist er in Not; er würde nie schreiben, wenn er arm wäre, um uns nicht über sein Schicksal unglücklich zu machen. Wenn es ihm gut ginge, würden wir davon hören, denn er wäre stolz auf das Ergebnis seiner eigenen Anstrengungen.«

»Gut, gut«, sagte Herr Bradley. »Mehr kann ich nicht sagen; wenn ich voreilig war, war er es auch; es ist vorbei. Ich würde alles Vergangene verzeihen, wenn ich ihn nur noch einmal sehen könnte – noch einmal!

»Wie der Wind heult«, fügte der Alte hinzu, »und es wird immer schlimmer.«

»Ja, und es schneit jetzt in Strömen«, sagte einer der Knechte, der ein paar frische Holzscheite hereintrug, die er auf dem Feuer aufgestapelt hatte, und schüttelte die weißen Flocken von seinen Kleidern.

»Das wird ein heftiger Sturm bis zum Morgen«, sagte einer der Männer.

»Ja, es hat sich schon seit Tagen angesammelt; es wird viel wärmer sein als jetzt, wenn alles heruntergekommen ist.«

»So wird es sein – so wird es sein.«

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür, und die Hunde stürmten mit furchtbarem Geheul aus ihren Zwingern.

»Geh, Robert«, sagte Mr. Bradley, »und sieh nach, wer es ist, der in einer solchen Nacht klopft; es ist weder angemessen noch sicher, dass ein Hund in der Nacht draußen ist.«

Der Mann ging hinaus, kam kurz zurück und sagte: »Ich bitte Euch, Herr, hier ist ein Reisender, der sich verirrt hat und wissen möchte, ob er hier Unterkunft finden kann oder ob sich jemand findet, der ihn zum nächsten Gasthaus führt.«

»Lasst ihn herein, wir wollen keine Zeit verlieren, da noch jemand vor dem Kamin verweilen will.«

Der Fremde trat ein und sagte: »Ich habe mich verirrt, und der Schnee fällt so dicht und schnell und wirbelt so, dass ich fürchte, allein in eine Schneewehe zu fallen und vor dem Morgen umzukommen.«

»Sprechen Sie nicht davon, Sir«, sagte Mr. Bradley, »eine Nacht wie diese ist Entschuldigung genug für Ihre Bitte und Ansporn genug für mich, sie sehr gerne zu erfüllen.«

»Danke«, erwiderte der Fremde, »die Begrüßung kommt sehr gelegen.«

»Setzen Sie sich, mein Herr, setzen Sie sich an den Kamin, dort ist es schön warm.«

Der Fremde setzte sich und schien in Gedanken versunken zu sein, während er aufmerksam auf die lodernden Holzscheite blickte. Er war ein kräftiger Mann mit einem langen Schnurrbart, und nach seiner äußeren Kleidung zu urteilen, war er von kräftiger Statur.

»Sind Sie weit gereist?«

»Ja, Sir.«

»Sie scheinen zur Armee zu gehören, wenn ich mich nicht irre?«

»Das tue ich, mein Herr.«

Es entstand eine Pause; der Fremde schien nicht geneigt, viel von sich zu erzählen, aber Mr. Bradley fuhr fort: »Kommen Sie aus dem Ausland, Sir? Ich nehme an, das ist der Fall.«

»Ja; ich bin erst sechs Tage in diesem Land.«

»In der Tat; werden wir Frieden haben, glauben Sie?«

»Ja, und ich hoffe, dass es so sein wird, um der vielen willen, die in ihre Heimat und zu denen, die sie am meisten lieben, zurückkehren wollen.«

Mr. Bradley stieß einen tiefen Seufzer aus, der von allen Anwesenden leise erwidert wurde, und der Fremde blickte hastig von einem zum anderen und dann zum Feuer.

»Darf ich fragen, Herr, ob Sie jemanden in der Armee haben, den Sie schätzen – einen Verwandten?«

»Leider nein. Ich habe – vielleicht sollte ich sagen, ich hatte einen Sohn. Aber ich weiß nicht, wo er hingegangen ist.«

»Oh! Ein Ausreißer; ich verstehe.«

»Oh nein, er ist weggegangen, weil es familiäre Differenzen gab, und jetzt wünschte ich, er wäre wieder hier.«

»Oh!«, sagte der Fremde leise, »Differenzen und Irrtümer passieren manchmal, wenn man es am wenigsten will.«

In diesem Augenblick hob der alte Hund, der neben Ellen Mowbray mit den kohlschwarzen Locken gelegen hatte, den Kopf, als er den Unterschied im Klang der Stimme des Fremden bemerkte. Er erhob sich, ging auf ihn zu und begann an ihm zu schnüffeln, und im nächsten Augenblick stürzte er sich mit einem Freudenschrei auf ihn und begann, ihn auf die hemmungsloseste Weise zu lecken und zu streicheln. Alle Anwesenden brachen in Jubel aus.

»Es ist Henry!«, rief Ellen Mowbray, sprang auf und fiel ihm in die Arme. Es war Henry, und er warf die verschiedenen Kleidungsstücke ab, die er trug, und auch den langen Bart, den er trug, um sich zu maskieren.

Es war eine glückliche Begegnung. Weit und breit gab es kein fröhlicheres Haus als dieses. Henry wurde in die Arme derer zurückgeholt, die ihn liebten, und einen Monat später wurde die Hochzeit zwischen ihm und seiner Cousine Ellen gefeiert.

 

*

 

Sir Francis Varney sah auf seine Uhr. Sie zeigte fünf Minuten vor zwölf, und er sprang auf. Noch während er das tat, ertönte ein lautes Klopfen am Haupteingang seines Hauses.