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Varney, der Vampir – Kapitel 28

Thomas Preskett Prest
Varney, der Vampir
oder: Das Blutfest

Ursprünglich als penny dreadful von 1845 bis 1847 veröffentlicht, als es zum ersten Mal in Buchform erschien, ist Varney, der Vampir ein Vorläufer von Vampirgeschichten wie Dracula, die es stark beeinflusst hat.

Kapitel 28

Mr. Marchdales Rechtfertigung seiner selbst – Die Suche in den Gärten – Der Ort des tödlichen Kampfes – Das geheimnisvolle Papier

Vielleicht war es natürlich, dass Flora in ihren Gefühlen für Charles Holland vor jedem zurückschreckte, der ihr den gegenteiligen Eindruck zu vermitteln schien. Als Mr. Marchdale das Wort ergriff, zeigte sie wenig Neigung, seinen Erklärungen zuzuhören.

Die reine und ungekünstelte Art, in der er sprach, konnte jedoch nicht ohne Wirkung auf sie bleiben, und sie sah sich gezwungen, seinen Worten zuzuhören und ihnen weitgehend zuzustimmen.

»Flora«, sagte er, »ich bitte Sie, mir hier in Gegenwart Ihrer Mutter geduldig zuzuhören. Sie glauben, weil ich nicht so leichtfertig wie der Admiral glaube, dass diese Briefe Fälschungen sind, müsse ich Ihr Feind sein.«

»Diese Briefe«, sagte Flora, »wurden nicht von Charles Holland geschrieben.«

»Das ist Ihre Meinung.«

»Es ist mehr als eine Meinung. Er kann sie nicht geschrieben haben.«

»Nun, wenn ich dazu geneigt wäre, was ich weiß Gott nicht bin, könnte ich natürlich nicht hoffen, erfolgreich gegen eine solche Überzeugung zu argumentieren. Aber das will ich nicht. Ich möchte Ihnen nur zu verstehen geben, dass man mir nicht vorwerfen kann, dass ich an seiner Unschuld zweifle, und gleichzeitig möchte ich Ihnen versichern, dass niemand in diesem Hause eine größere Genugtuung empfinden würde als ich, wenn ich sie bestätigt sähe.«

»Ich danke Ihnen sehr«, sagte Flora, »aber da ich nie an seiner Unschuld gezweifelt habe, brauche ich sie auch nicht zu beweisen.«

»Sehr gut. Sie glauben, dass diese Briefe gefälscht sind.«

»Das tue ich.«

»Und dass das Verschwinden von Charles Holland erzwungen und nicht freiwillig war?«

»Ja.«

»Dann können Sie sich darauf verlassen, dass ich Tag und Nacht unermüdlich versuchen werde, ihn zu finden, und ich verspreche Ihnen, dass ich jeden Vorschlag, den Sie mir machen, der uns bei der Suche helfen könnte, in die Tat umsetzen werde.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Marchdale.«

»Meine Liebe«, sagte die Mutter, »verlassen Sie sich auf Mr. Marchdale.«

»Ich werde mich auf jeden verlassen, der Charles Holland für unschuldig hält, diese abscheulichen Briefe geschrieben zu haben, Mutter – ich werde mich auf den Admiral verlassen. Er wird mich mit Herz und Hand unterstützen.«

»Und Mr. Marchdale auch.«

»Das freut mich zu hören.«

»Und doch bezweifle ich es, Flora«, sagte Marchdale niedergeschlagen. »Es tut mir sehr leid, dass es so ist, aber ich werde Sie nicht weiter belästigen und versichere Ihnen, dass ich in meinen ehrlichen Bemühungen, dieses Geheimnis zu lüften, nicht nachlassen werde.«

Mit diesen Worten verbeugte sich Mr. Marchdale und verließ den Raum, offensichtlich verärgert über die falsche Interpretation seines Verhaltens und seiner Motive. Sofort suchte er Henry und den Admiral auf, denen er seinen aufrichtigen Wunsch nach Hilfe bei der Aufklärung der rätselhaften Umstände, die sich ereignet hatten, zum Ausdruck brachte.

»Diese nachdrücklich geäußerte Meinung von Flora«, bemerkte er, »reicht natürlich völlig aus, um uns zu veranlassen, innezuhalten, bevor wir auch nur ein Wort sagen, das in irgendeiner Weise wie eine Verurteilung von Herrn Holland klingen könnte. Der Himmel möge uns davor bewahren«.

»Nein«, sagte der Admiral, »tun Sie das nicht.«

»Das habe ich nicht vor.«

»Das würde ich auch niemandem raten.«

»Sir, wenn Sie das als Drohung auffassen …«

»Eine Drohung?«

»Ja, ich muss sagen, es klang sehr danach.«

»Oh nein, das ist ein Irrtum. Ich bin der Meinung, dass jeder das Recht auf seine eigene Meinung hat. Ich muss nur sagen, dass ich mich nach dem Vorgefallenen berufen fühle, jeden zu bekämpfen, der behauptet, diese Briefe seien von meinem Neffen geschrieben.«

»In der Tat, Herr.«

»Ah, in der Tat.«

»Sie werden mir gestatten zu sagen, dass dies eine seltsame Art ist, jedermann die freie Äußerung seiner Meinung zu gestatten.«

»Ganz und gar nicht.«

»Welche Schmerzen und Strafen es auch kosten mag, Admiral Bell, wenn ich mit einer so unfehlbaren Autorität wie Ihnen nicht übereinstimme, werde ich es tun, wann immer mein Urteil mich dazu zwingt.«

»Wirklich?«

»In der Tat, das werde ich.«

»Sehr gut. Sie kennen alle Konsequenzen.«

»Ich werde mich weigern, gegen Sie zu kämpfen.«

»Weigern?«

»Ja, ganz bestimmt.«

»Aus welchem Grund?«

»Weil Sie ein Verrückter sind.«

»Kommen Sie«, warf Henry ein, »lassen Sie mich hoffen, dass dieser Streit nicht weitergeht, um meinetwillen und um Floras willen.«

»Ich habe ihn nicht provoziert«, sagte Marchdale. »Ich habe viel Temperament, aber ich bin weder ein Stock noch ein Stein.«

»Verdammt, wenn ich nicht irre«, sagte der Admiral, »sind Sie ein wenig von beidem.«

»Mr. Henry Bannerworth«, sagte Marchdale, »ich bin Ihr Gast, und wenn ich mich nicht verpflichtet fühlen würde, Ihnen bei der Suche nach Mr. Charles Holland zu helfen, würde ich Ihr Haus sofort verlassen.«

»Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen«, erwiderte der Admiral, »wenn ich zwei oder drei Tage lang keine Spur von ihm finde, werde ich selbst gehen.«

»Ich gehe«, sagte Heinrich und erhob sich, »um den Garten und die angrenzenden Wiesen zu durchsuchen; wenn Sie, meine Herren, mich begleiten wollen, so würde ich mich über Ihre Gesellschaft sehr freuen; wenn Sie aber lieber hierbleiben wollen, um zu streiten, so können Sie das tun.«

Damit war der Streit vorerst beendet, und sowohl der Admiral als auch Mr. Marchdale begleiteten Henry auf seiner Suche. Die Suche begann direkt unter dem Balkon von Charles Hollands Fenster, aus dem der Admiral ihn hatte kommen sehen.

Weder dort noch im Garten wurde etwas Auffälliges gefunden. Admiral Bell zeigte genau auf den Weg, den er Charles über den Rasen hatte gehen sehen, kurz bevor er selbst sein Zimmer verlassen hatte, um nach Henry zu suchen.

Er führte zu einem niedrigen Teil der Gartenmauer, den jeder normal kräftige Mann leicht hätte überwinden können.

»Mein Eindruck ist«, sagte der Admiral, »dass er hier durchgekommen sein muss.«

»Der Efeu scheint beschädigt zu sein«, bemerkte Henry.

»Wir sollten die Stelle markieren und auf die andere Seite gehen«, schlug George vor.

Sie stimmten zu, denn obwohl die Jungen lieber über die Mauer geklettert wären, als um sie herumzugehen, war es doch zweifelhaft, ob der alte Admiral ein solches Kunststück vollbringen konnte.

Aber der Umweg war nicht groß, und da sie eine Handvoll Blumen aus dem Garten über die Mauer geworfen hatten, um die genaue Stelle zu markieren, war sie leicht zu finden.

Dort angekommen, wurden sie von dem Anblick, der sich ihnen bot, in Panik versetzt. Im Umkreis von einigen Metern war das Gras völlig niedergetrampelt und in Schlamm verwandelt worden. In allen Richtungen waren tiefe Fußspuren zu sehen, und es gab so viele Beweise dafür, dass hier vor kurzem ein äußerst verzweifelter Kampf stattgefunden hatte, dass selbst der skeptischste Mensch der Welt nicht daran hätte zweifeln können.

Henry brach als Erster das Schweigen, mit dem sie beide auf den aufgewühlten Boden blickten.

»Das leuchtet mir ein«, sagte er mit einem tiefen Seufzer. »Hier wurde der arme Charles angegriffen.«

»Gott schütze ihn«, rief Marchdale aus, »und verzeihen Sie mir meine Zweifel – ich bin jetzt überzeugt.«

Der alte Admiral sah sich wie ein Verwirrter um. Plötzlich schrie er auf.

»Sie haben ihn ermordet. Irgendein Ungeheuer in Menschengestalt hat ihn ermordet, und nur der Himmel weiß, warum.«

»Das scheint nur allzu wahrscheinlich«, sagte Henry. »Versuchen wir, den Spuren zu folgen. Oh, Flora, Flora, was für eine schreckliche Nachricht wird das für dich sein.«

»Eine schreckliche Vermutung kommt mir in den Sinn«, sagte George. »Was, wenn er dem Vampir begegnet ist?«

»Es könnte sein«, sagte Marchdale mit einem Schaudern. »Das ist etwas, was wir herauszufinden versuchen könnten, und ich glaube, wir können es.«

»Wie?«

»Indem wir herausfinden, ob Sir Francis Varney letzte Nacht um Mitternacht nicht zu Hause war.«

»Richtig, das könnten wir tun.«

»Die Frage, die einem seiner Bediensteten plötzlich gestellt würde, dürfte wie eine Selbstverständlichkeit beantwortet werden.«

»Das würde sie.«

»Dann soll es so sein. Und nun, mein Freund, da einige von Ihnen mich in dieser Angelegenheit für schwach gehalten haben, gelobe ich, dass ich, wenn sich herausstellen sollte, dass Varney gestern Abend um Mitternacht nicht zu Hause war, ihm persönlich die Stirn bieten und ihn von Angesicht zu Angesicht treffen werde.«

»Nein, nein«, sagte Henry, »überlassen Sie das jüngeren Händen.«

»Warum?«

»Es steht mir besser an, sein Herausforderer zu sein.«

»Nein, Henry. Du bist in einer anderen Lage als ich.«

»Wie das?«

»Vergiss nicht, dass ich ein einsamer Mann in der Welt bin, ohne Bindungen und Verbindungen. Wenn ich mein Leben verliere, werde ich niemanden durch meinen Tod kompromittieren; aber du hast eine Mutter und eine trauernde Schwester, die deine Fürsorge verdienen.«

»Hallo«, rief der Admiral, »was ist das?«

»Was?«, riefen beide eifrig und drängten sich an die Stelle, wo der Admiral sich bückte, um etwas aufzuheben, das fast ganz im Gras versunken war.

Mit einiger Mühe hob er es auf. Es war ein kleines Stück Papier, auf dem etwas geschrieben stand, aber es war so mit Schlamm bedeckt, dass man es nicht lesen konnte.

»Wenn wir es waschen«, sagte Henry, »können wir es vielleicht deutlich lesen«.

»Das können wir gleich ausprobieren«, sagte George. »Und da die Fußspuren mysteriöserweise nirgendwo anders als an dieser Stelle auftauchen, scheint jede weitere Untersuchung hier sinnlos.«

»Dann gehen wir zurück zum Haus«, sagte Henry, »und waschen den Schlamm von dem Papier ab.«

»Es gibt einen wichtigen Punkt«, bemerkte Marchdale, »den wir alle übersehen haben.«

»In der Tat!«

»Ja.«

»Was mag das sein?«

»Das hier. Ist hier jemand mit der Handschrift von Herrn Charles Holland so vertraut, dass er die Briefe beurteilen kann?«

»Ich habe einige Briefe von ihm«, sagte Henry, »die wir auf dem Kontinent erhalten haben, und ich wage zu behaupten, dass Flora sie auch hat.«

»Dann sollten wir sie mit den Fälschungen vergleichen.«

»Ich kenne seine Handschrift sehr gut«, sagte der Admiral. »Die Briefe sind ihr so ähnlich, dass sie jeden täuschen würden.«

»Dann können Sie sicher sein«, bemerkte Henry, »dass hier ein sehr hinterhältiger und verzweifelter Plan im Gange ist.«

»Ich beginne zu befürchten«, fügte Marchdale hinzu, »dass das der Fall ist. Was halten Sie davon, die Hilfe der Behörden in Anspruch zu nehmen und eine hohe Belohnung für Hinweise auf Mr. Charles Holland auszusetzen?«

»Ich werde nichts unversucht lassen, darauf können Sie sich verlassen.«

Inzwischen hatten sie das Haus erreicht, und Henry holte sauberes Wasser und wusch das Papier, das er im zertretenen Gras gefunden hatte, sorgfältig ab. Als sie es von der Mischung aus Lehm und Schlamm befreit hatten, die es verunreinigt hatte, konnten sie die folgenden Worte lesen: … es ist so gut. Sucht beim nächsten Vollmond einen geeigneten Ort, und es kann getan werden. Ich glaube, die Unterschrift ist perfekt. Das Geld, das ich besitze, ist meiner Meinung nach viel mehr wert, als ihr euch vorstellen könnt, und muss uns gehören; und was

An dieser Stelle wurde das Papier zerrissen, und kein weiteres Wort war darauf zu lesen.

Ein Rätsel schien sich nun auf das andere zu häufen; jedes, das im Dunkeln auftauchte, schien in einem entfernten Zusammenhang mit dem vorausgegangenen zu stehen und verwirrte es doch nur noch mehr.

Dass dieser offensichtliche Fetzen eines Briefes während des schrecklichen Kampfes, für den es so viele Beweise gab, aus der Tasche eines Mannes gefallen war, war sehr wahrscheinlich; aber worauf er sich bezog, wer ihn geschrieben hatte und wer ihn fallen gelassen hatte, waren unergründliche Rätsel.

In der Tat konnte sich niemand zu diesen Fragen äußern, und nach einer Reihe von Vermutungen konnte man nur beschließen, dass der Zettel, so unwichtig er im Augenblick auch zu sein schien, aufbewahrt werden sollte, für den Fall, dass er sich später einmal als ein Glied in einer Beweiskette erweisen sollte, falls die geringste Möglichkeit dazu bestehen sollte.

»Und hier sind wir nun«, sagte Henry, »völlig verwirrt und wissen nicht, was wir tun sollen.

»Nun, es ist ein schwieriger Fall«, sagte der Admiral, »dass wir bei allem Willen, aufzustehen und etwas zu tun, hier liegen wie eine Flotte von Schiffen in einer Flaute, so untätig wie möglich.«

»Sie sehen, dass wir keine Beweise haben, die Sir Francis Varney direkt oder indirekt mit dieser Angelegenheit in Verbindung bringen«, sagte Marchdale.

»Sicher nicht«, erwiderte Henry.

»Aber ich hoffe, dass Sie meinen Vorschlag, herauszufinden, ob er letzte Nacht zu Hause war, nicht aus den Augen verlieren.«

»Aber wie soll das gehen?«

»Auf kühne Weise.«

»Wie kühn?«

»Indem Sie sofort zu seinem Haus gehen und den ersten seiner Diener fragen, den Sie zufällig treffen.«

»Ich werde hingehen«, rief George, »bei solchen Gelegenheiten kann man sich nicht auf Förmlichkeiten verlassen.«

Er nahm seinen Hut und machte sich auf den Weg, ohne ein Wort der Zustimmung oder Missbilligung abzuwarten.

»Wenn wir herausfinden«, sagte Henry, »dass Varney nichts damit zu tun hat, liegen wir völlig falsch.«

»Völlig«, wiederholte Marchdale.

»In diesem Fall, Admiral, sollten wir auf Ihre Gefühle hören und tun, was Sie vorschlagen.«

»Ich setze eine Belohnung von hundert Pfund für denjenigen aus, der uns etwas über Charles sagen kann und wird.«

»Hundert Pfund sind zu viel«, sagte Marchdale.

»Ganz und gar nicht; und wenn ich schon dabei bin, werde ich, da die Summe zur Diskussion steht, zweihundert daraus machen, und das könnte irgendeinem Gauner zugutekommen, der für die Wahrung des Geheimnisses nicht so gut bezahlt wird, wie ich ihm für die Enthüllung zahlen werde.«

»Vielleicht haben Sie recht«, sagte Marchdale.

»Ich weiß, dass ich recht habe, wie immer.«

Marchdale konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen über den rechthaberischen alten Mann, der niemandes Meinung zu irgendeinem Thema für gleichwertig mit seiner eigenen hielt, aber er machte keine Bemerkung, sondern wartete, ebenso wie Henry, mit offensichtlicher Besorgnis auf Georges Rückkehr.

Die Entfernung war nicht groß, und George hatte seinen Auftrag sicher schnell erledigt, denn er war schneller zurück, als sie es für möglich gehalten hatten. Als er den Raum betrat, sagte er, ohne eine Frage abzuwarten

»Wir haben uns wieder geirrt. Ich bin sicher, dass Sir Francis Varney gestern Abend nach acht Uhr sein Haus nicht mehr verlassen hat«.

»Nun gut«, sagte der Admiral, »geben wir dem Teufel, was er verdient. Er kann mit der Sache nichts zu tun haben.«

»Gewiss nicht.«

»Von wem, George, hast du deine Informationen erhalten?«, fragte Henry in verzweifeltem Ton.

»Zuerst von einem seiner Diener, den ich vor dem Haus getroffen habe, und dann von einem, den ich im Haus gesehen habe.«

»Es kann sich also nicht um einen Irrtum handeln?«

»Gewiss nicht. Die Diener haben mir sofort geantwortet, und zwar so offen, dass ich nicht zweifeln kann.«

Die Zimmertür öffnete sich langsam, und Flora trat ein. Sie war nur noch ein Schatten dessen, was sie noch vor wenigen Wochen gewesen war. Sie war schön, aber sie entsprach fast der Beschreibung des Dichters von einer, die viel gelitten hatte und mit gebrochenem Herzen in ein frühes Grab gesunken war: »Sie war schöner als der Tod, und doch so traurig anzusehen.« Ihr Gesicht war von einer marmornen Blässe, und während sie die Hände faltete und von Gesicht zu Gesicht blickte, um zu sehen, ob sie Hoffnung und Trost im Ausdruck irgendeines Menschen finden konnte, hätte man sie für eine erlesene Statue der Verzweiflung halten können.

»Habt ihr ihn gefunden?«, fragte sie. »Habt ihr Charles gefunden?«

»Flora, Flora«, sagte Henry und trat zu ihr.

»Nein, antworte mir, hast du ihn gefunden? Du bist losgegangen, um ihn zu suchen. Tot oder lebendig, habt ihr ihn gefunden?«

»Wir haben ihn nicht gefunden, Flora.«

»Dann muss ich ihn selbst suchen. Niemand wird ihn so suchen wie ich, ich muss ihn selbst suchen. Nur wahre Zuneigung kann eine solche Suche zum Erfolg führen.«

»Glaub mir, liebe Flora, es ist alles getan, was die Kürze der verstrichenen Zeit erlaubt. Weitere Schritte werden sofort unternommen. Sei versichert, liebe Schwester, dass alles getan wird, was der äußerste Eifer gebietet.«

»Sie haben ihn umgebracht! Sie haben ihn umgebracht!«, rief sie traurig. »O Gott, sie haben ihn umgebracht! Noch bin ich nicht wahnsinnig, aber die Zeit wird kommen, wo ich es sein muss. Der Vampir hat Charles Holland getötet, der schreckliche Vampir!«

»Nein, nein, Flora, das ist Wahnsinn.«

»Weil er mich liebte, wurde er vernichtet. Ich weiß es, ich weiß es. Der Vampir hat mich vernichtet. Ich bin verloren, und alle, die mich liebten, werden meinetwegen in den gemeinsamen Untergang gezogen. Lasst mich, lasst uns alle zugrunde gehen. Wenn jemand für das Unrecht, das in unserer Familie begangen wurde, leiden muss, um die göttliche Rache zu besänftigen, dann soll ich es sein, und nur ich.«

»Still, Schwester, still!«, rief Heinrich. »Das hätte ich von dir nicht erwartet. Die Worte, die du benutzt, sind nicht deine Worte. Ich kenne dich besser. Es gibt eine Fülle göttlicher Gnade, aber keine göttliche Rache. Seid ruhig, ich bitte euch.«

»Seid still!«

»Ja. Benutze deinen Verstand, von dem wir alle wissen, dass du ihn besitzt. Es ist allzu gewöhnlich, dass die menschliche Natur, wenn sie vom Unglück heimgesucht wird, sich einbildet, dass ein solcher Umstand von der Vorsehung gewollt sei. Wir hadern mit der Vorsehung, weil sie nicht durch ein besonderes Wunder zu unseren Gunsten eingreift, und vergessen dabei, dass wir als Bewohner dieser Erde und als Mitglieder eines großen sozialen Systems gelegentlich Unglücksfällen ausgesetzt sind, die sein effizientes Funktionieren stören.«

»Oh, Bruder, Bruder!«, rief sie aus und ließ sich in einen Stuhl fallen, »du hast nie geliebt.«

»Doch!«

»Nein, du hast nie gespürt, was es heißt, seinen an den Atem eines anderen zu hängen. Du kannst ruhig argumentieren, denn du kannst nicht wissen, wie groß die Gefühle sind, die du vergeblich zu bekämpfen versuchst.«

»Flora, du tust mir weniger als recht. Ich möchte dir nur sagen, dass du nicht von der Vorsehung auserwählt wurdest, um besonders unglücklich zu sein – dass es keine Perversion der Natur deinetwegen gibt.«

»Du nennst diese abscheuliche Vampirgestalt, die mich heimsucht, keine Perversion der gewöhnlichen Natur?«

»Was ist, ist natürlich«, sagte Marchdale.

»Kalte Gedanken für jemanden, der so leidet wie ich. Ich kann nicht mit dir streiten, ich kann nur wissen, dass ich sehr unglücklich bin, sehr unglücklich.«

»Aber das wird vergehen, Schwester, und die Sonne deines Glücks wird wieder lächeln.«

»Wenn ich nur hoffen könnte!«

»Und warum solltest du dir dieses ärmste Vorrecht der Unglücklichsten versagen?«

»Weil mein Herz mir sagt, dass ich verzweifeln soll.«

»Dann sag ihm, dass du es nicht tun wirst«, rief Admiral Bell. »Wenn Sie so lange auf See gewesen wären wie ich, Miss Bannerworth, würden Sie nie an irgendetwas verzweifeln.«

»Die Vorsehung hat Sie beschützt«, sagte Marchdale.

»Ja, das ist wahr, das wage ich zu behaupten. Einmal geriet ich vor Kap Ushant in einen Sturm, und nur durch die Vorsehung und indem ich selbst den Großmast kappte, konnten wir den Hafen erreichen.«

»Sie haben eine Hoffnung«, sagte Marchdale zu Flora und blickte in ihr blasses Gesicht.

»Eine Hoffnung?«

»Ja. Vergessen Sie nicht, Sie haben eine Hoffnung.«

»Und die wäre?«

»Sie glauben, wenn Sie diesen Ort verlassen, finden Sie den Frieden, den Sie hier nicht finden.«

»Nein, nein, nein.«

»In der Tat. Ich dachte, das wäre Ihre feste Überzeugung.«

»Das war es auch, aber die Umstände haben sich geändert.«

»Wie denn?«

»Charles Holland ist hier verschwunden, und ich muss hierbleiben, um ihn zu suchen.«

»Stimmt, er mag hier verschwunden sein«, bemerkte Marchdale, »aber das bedeutet nicht, dass er noch hier ist.«

»Wo ist er dann?«

»Gott weiß, wie froh ich wäre, wenn ich diese Frage beantworten könnte.«

»Ich muss ihn finden, tot oder lebendig! Ich muss ihn sehen, bevor ich von dieser Welt Abschied nehme, die für mich jetzt jeden Reiz verloren hat.«

»Verzweifle nicht«, sagte Henry, »ich werde mich sofort in die Stadt begeben, um den Verdacht zu äußern, dass ihm etwas zugestoßen ist. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn zu finden. Mr. Chillingworth wird mir dabei helfen, und ich hoffe, Flora, dass nicht viele Tage vergehen werden, bis du eine höchst befriedigende Nachricht über Charles Holland erhältst.

»Geh, geh, Bruder, geh sofort.«

»Ich gehe jetzt.«

»Soll ich dich begleiten?«, fragte Marchdale.

»Nein. Bleib hier und sorge für Floras Sicherheit, während ich weg bin; ich allein kann tun, was getan werden kann.«

»Und vergiss nicht, die zweihundert Pfund Belohnung auszusetzen«, sagte der Admiral, »für denjenigen, der uns eine Nachricht von Charles bringen kann, auf die wir uns verlassen können.«

»Das werde ich nicht tun.«

»Natürlich – natürlich muss etwas dabei herauskommen«, meinte Flora und blickte in das Gesicht des Admirals, als wollte sie aus seinem Gesichtsausdruck Ermutigung für ihre aufkeimende Hoffnung schöpfen.

»Natürlich, meine Liebe«, sagte er. »Seien Sie nicht niedergeschlagen; Sie und ich sind uns in dieser Angelegenheit einig, und wir werden es auch bleiben. Wir werden unsere Meinung für niemanden aufgeben.«

»Unsere Meinung«, konstatierte sie, »über die Ehre und Ehrlichkeit von Charles Holland. Wir werden daran festhalten.«

»Natürlich werden wir das.«

»Ach, Sir, ich bin froh, selbst inmitten dieses, meines Kummers, wenigstens einen zu finden, der entschlossen ist, ihm vollkommen gerecht zu werden. Wir können in der Natur keinen solchen Widerspruch finden, dass ein Geist voll edler Triebe sich zu einem so plötzlichen Akt der Selbstsucht herablassen sollte, wie ihn diese Briefe Charles Holland zuschreiben. Das kann – das kann nicht sein.«

»Sie haben recht, meine Liebe. Und nun, Master Henry, gehen Sie bitte, wenn Sie wollen.«

»Ich gehe. Leb wohl, Flora, für eine Weile.«

»Leb wohl, Bruder, und möge der Himmel dich auf deinem Weg begleiten.«

»Amen«, rief der Admiral, »und nun, meine Liebe, wenn Sie eine halbe Stunde Zeit haben, legen Sie Ihren Arm unter meinen und gehen Sie mit mir im Garten spazieren, denn ich habe Ihnen etwas zu sagen.«

»Sehr gern«, sagte Flora.

»Ich würde Ihnen nicht raten, sich weit vom Haus zu entfernen, Miss Bannerworth«, sagte Marchdale.

»Niemand hat Sie um einen Rat gebeten«, sagte der Admiral. »Wollen Sie damit sagen, dass ich nicht in der Lage bin, mich um sie zu kümmern?«

»Nein, nein, aber …«

»Ach, Unsinn! Kommen Sie, meine Liebe, und wenn uns alle Vampire und seltsamen Fische, die je geschaffen wurden, über den Weg liefen, wir würden sie schon irgendwie erledigen. Kommen Sie und hören Sie nicht auf das Gequake der anderen.«