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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rocambole – Das mysteriöse Vermächtnis – Teil 6

Pierre Alexis de Ponson du Terrail
Pariser Tragödien
Rocambole – Das mysteriöse Vermächtnis
Mystischer Roman aus dem Jahr 1867

                                                                          VI.

La Mort-des-braves drehte und wendete seine Matrosenmütze in seinen Fingern, mit einer respektvollen Linkshändigkeit.

Der Notar hatte etwas mehr Selbstbeherrschung.

Trotzdem merkte man ihm an, dass Rocambole ihn inspirierte und er in ihm einen überlegenen Mann erkannte.

»Was wollt ihr, meine Freunde?«, fragte Rocambole mit dieser sympathischen und geheimnisvoll schmeichelnden Stimme, mit der er alle Herzen eroberte.

»Die Kameraden schicken uns … in die Versammlung.«

»In die Versammlung!«, wiederholte la Mort-des-braves wie ein Echo.

»Mal sehen«, sagte Rocambole.

»Zunächst wollen wir wissen, wie es Ihnen geht …«

»Es geht mir besser, meine Freunde, aber ich muss noch mindestens zwei Wochen im Bett bleiben.«

»Das habe ich ihnen doch gesagt …«

»Ich auch«, sagte la Mort-des-braves.

Der Notar kratzte sich am Ohr. »Das wird Sie aber nicht davon abhalten«, konstatierte er, »uns einen guten Rat zu geben.«

»Was ist das für ein Ratschlag?«

»Ich will es Ihnen in zwei Worten sagen«, fuhr der Notar fort. »Wenn man nicht wie Sie im Großen arbeiten kann, arbeitet man im Kleinen. Als ich von dort geflohen bin, bin ich wie alle anderen Kameraden nach Pantin1 gekommen und habe nach Arbeit gesucht. Aber ich hatte keinen Groschen, die Polente war auf Draht und Arbeit kaum zu finden. Ich war sehr froh, als ich den Pâtissier traf.«

»Wer ist der Patissier?«

»Er ist der Anführer der Ravageurs.«

»Aha!«

»Er stellte mich ein. Wir hatten ein paar gute Jobs, aber es gab kein Geld. Ich schipperte die Flüsse und Kanäle hinauf und ging auf Entdeckungsreise. Dann versuchte ich es mit den Holzzügen. Wenn ich etwas gefunden hatte, benachrichtige ich die Kameraden, deren Treffpunkt hier ist, und wir machten uns auf den Weg.«

»Gut«, erwiderte Rocambole mit einem Nicken.

»Das ging schon eine Weile so, als wir die Ehre hatten, Sie aus dem Wasser zu fischen. Aber seit gestern sind wir ganz durcheinander.«

»Warum?«

»Der Patissier, der nur ein Faulpelz ist, möchte unser Anführer bleiben.«

»Nun gut!«

»Sie denken, Monsieur«, sagte der Notar respektvoll, »der Konditor ist nicht stark genug für Sie.«

»Ach!« Ein Lächeln huschte über das blasse Gesicht von Rocambole.

»Von den fünfzehn, die wir in der Bande sind, rufen zehn schon: Es lebe Rocambole!«

»Wirklich?«

»Vier von ihnen wollen beim Konditor bleiben. Aber sie sagen das aus Angst! Es wird nicht schwer werden, sie zu überzeugen.«

Rocambole grinste verächtlich.

»Und was man über den Konditor?«

»Er ist nach Brest gegangen.«

»Ist er ein Griesgram?«

»Er hat auch ein bisschen rumgezickt, aber … nicht oft.«

»Nun gut!«, sagte Rocambole, »wenn ich auf der Lauer liege, werden wir sehen.« Und mit einer Geste wollte er den Notar und la Mort-des-braves entlassen, der kein Wort sagte.

Aber der Notar blieb stehen. Er sagte: »Ich habe den Kameraden eine interessante Neuigkeit gebracht.«

»Aha!«

»Eine gute Sache, die man machen kann.«

Rocambole setzte eine bedächtige Miene auf. »Das ist gut«, meinte er und stutzte. »Wenn mir das Geschäft gefällt, will ich es auf jeden Fall beibehalten.«

Er sprach mit einem Unterton von Autorität, der sowohl la Mort-des-braves als auch den Notar mit Enthusiasmus erfüllte.

»Aber«, fuhr Rocambole fort, »ihr denkt doch wohl, meine Kinder, dass ich, bevor ich mich ertränken wollte, noch andere Geschäfte zu erledigen hatte.«

»Oh, das versteht sich von selbst!«, sagte la Mort-des-braves, der seine Schüchternheit überwunden hatte. »Ein Mann wie Sie hat nie die Arme verschränkt.«

»Ich habe einige Angelegenheiten in Pantin ruhen lassen«, fuhr Rocambole fort, »und ich werde Jean zur Aufklärung schicken.«

»Vier Uhr morgens.«

»Geh«, sagte Rocambole zu Jean, dem Metzger. »Du wirst bei Tagesanbruch über die Absperrung gehen. Weißt du, was ich dir erzählt habe?«

»Ja, Meister.«

»Also, los geht’s und trödle nicht.«

Jean ging zur Tür und verließ das Haus.

»Jetzt«, sagte Rocambole zum Notar, »setz dich, mein Freund, und rede ein bisschen. Was hat das mit der Sache zu tun?«

»Natürlich betrifft es das.«

Und Rocambole setzte sich auf und schien ganz Ohr zu sein.

Dann sagte der Notar: »Etwas oberhalb von Charenton macht die Seine eine Biegung und lässt rechts ein paar Hügel zurück.«

»Das sind die Hänge von Villeneuve-Saint Georges.«

»Das ist richtig.«

»Dort steht auf halber Höhe ein einsames Haus, das von einem großen Garten umgeben ist. Die Leute, die dort wohnen, sind wohlhabend, ein älterer Herr und eine junge Dame. Vielleicht Vater und Tochter?«

»Wir wissen es nicht. Die einen sagen ja, die anderen behaupten, es seien Frau und Mann; sie gehen nie aus. Man hat sie in zwei Jahren nicht dreimal auf den Straßen der Umgebung gesehen. Die Frau ist immer in Trauer. Sie haben nur zwei Bedienstete, eine alte Magd und einen alten Gärtner. Es gibt nicht einmal einen Wachhund im Hof.«

»Das ist richtig«, sagte Rocambole. »Als ich die Seine hinauffuhr, war mir das Haus schon mehrmals aufgefallen. Ich habe mich erkundigt, es war Marmouset, der sich dort herumgetrieben hat.«

»Was hat er herausgefunden?«

»Er hat sich vor drei Tagen einen Teil der Nacht im Garten versteckt.«

Die beiden Bediensteten schlafen in einem Pavillon. Der alte Herr und die junge Dame schließen sich vor einem hellen Fenster ein. Obwohl sie das ganze Jahr über auf dem Land sind, gehen der alte Herr und die junge Dame spät ins Bett und sehen nicht aus, als würden sie gut zusammenpassen.«

»Hm?«

»Marmouset hat gehört, wie sie sich gestritten haben, der Herr hat laut gesprochen und wie ein Viehtreiber geschrien, die Dame hat geweint und vor Verzweiflung die Hände gerungen, aber weil die Fenster geschlossen waren, konnte Marmouset nicht hören, was sie gesagt haben.«

»Das ist ja alles schön und gut«, meinte Rocambole, »aber haben sie auch Geld?«

»Der alte Mann verließ wütend das Zimmer der Dame und schloss die Tür sehr fest.

Dann wurde kurz darauf ein anderes Fenster erleuchtet, und Marmouset ließ sich auf den Boden gleiten und kletterte auf einen anderen Baum, der gegenüber dem anderen Fenster stand.«

»Und was sah er dort?«

»Den Mann, der einen Geldschrank öffnete und Unmengen von Banknoten und volle Säcke mit Gold zählte.«

»Oh, oh, oh!«

»Sie denken, dass die ganze Bande auf Hochtouren läuft und dass der Konditor es eilig hat …«

»Ja«, sagte Rocambole, »aber sie werden auf mich warten …«

Und er schaute den Notar kalt an: »Du gehst jetzt runter und sagst ihnen, dass ich nicht will, dass etwas ohne mich gemacht wird.«

»Der Konditor ist geliefert!«, flüsterte Mort-de-braves.

Und die beiden rannten aus Rocamboles Zimmer.

»Nun wollen wir uns nach Villeneuve-Saint Georges begeben und die geheimnisvollen Gäste des abgelegenen Hauses näher kennen lernen.«