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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Band 25 – Das Siegellacktröpfchen – Kapitel 5

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 25
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Das Siegellacktröpfchen

Kapitel 5

Überraschungen

Endlich kehrte Blindley zurück.

»Ich bin selbst im Westflügel gewesen«, flüsterte er. »Die drei Verbündeten sitzen in dem Zimmer des alten Barton. Leider konnte ich nichts von dem verstehen, was sie sprachen, nur dreimal Ihren Namen, Master Harst. Und dann von den Lippen der Urbington einen halben Satz, genau die Worte: ›Ihr habt sie ja schonen wollen!‹ Das war alles.«

Harst blickte Blindley sinnend an. »Das kann sich auf Schraut und mich beziehen oder …« Er schwieg, kniff die Augen zusammen, rief etwas lauter: »Wenn … wenn aber das andere stimmte? Wenn …! Gehen wir – gehen wir! Blindley, Ihre Leute brauchen wir nicht. Nur vielleicht ein paar Werkzeuge – Stahlsägen, Feilen, eine Brechstange.«

»Die hole ich sofort.« Blindley lief abermals davon. Man merkte ihm an, wie er vor Ungeduld fieberte.

Harst steckte seine Repetierpistole und seine Taschenlampe zu sich. Dann kam auch schon Blindley zurück. Er führte uns durch die läuferbelegten Gänge über schmale Seitentreppen ins Erdgeschoss vor eine starke, geschnitzte Tür, die auf eine der überdachten Brücken zwischen Nord- und Westflügel mündete.

Sie war verschlossen. Aber Blindley hatte den Reserveschlüssel aus dem Schlüsselschrank geholt. Die Tür ging lautlos auf. Sie war gut geölt. Wir traten ein. Wir hörten nun das Puffen des Gasolinmotors der Beleuchtungsanlage. Im Vorraum brannte eine einzelne Birne. Links ging es in das Gewölbe, wo der Motor und die Dynamomaschine standen, rechts in den Heizungskeller der Warmwasserversorgung.

Der Boden bestand überall aus nacktem Felsen, ebenso die Decke, die Wände. Wir leuchteten jeden Zentimeterbreit des Bodens ab. Im Heizungskeller lag ein hoher Berg Steinkohlen in einer Ecke. Als wir gerade davorstanden, ganz plötzlich in unserem Rücken eine Stimme.

»Guten Abend, meine Herren!«

Wir fuhren herum vor Schreck. In dem Tonfall dieser Stimme hatte ebenso viel Drohendes wie Ironisches gelegen.

Vor uns lehnte Reginald Barton in der Türöffnung zum Vorraum. Es war ein großer, schlanker Mensch mit bartlosem Gesicht und stark vorgebautem Kinn. Die Hände hatte er in den Taschen seines gelben Leinenjacketts vergraben.

»Was suchen Sie hier, Master Blindley?«, meinte er nun, fixierte aber gerade mich dabei scharf.

Nun erst wurde ich gewahr, dass Harst fehlte. Wo konnte er stecken – wo nur? Er war doch noch soeben hier neben mir gewesen!

Chester Blindley hatte sich schnell gefasst. »Suchen tun wir gar nichts, Barton«, erklärte er gelassen. »Wir wollten uns nur mal die Anlagen hier ansehen.«

»So, so! Nur die Anlagen!«, erwiderte Barton und wandte den Kopf zur Seite, flüsterte etwas, worauf neben ihm sein Vater und Miss Urbington erschienen.

Diese sagte nun zu Blindley in einem Ton, der schrill und wie vor Wut halb erstickt klang: »Sie lügen ja! Sie spionieren hier herum. Gehen Sie sofort wieder …«

Blindley hatte schon gerufen: »Ah – also Sie fürchten, wir könnten hier spionieren! Nun, Sie haben sich verraten! Ich …«

Er schwieg. Die Glühbirnen an der Decke waren plötzlich erloschen. Wir hörten noch das Zufallen der eisernen Tür. Dann hatte ich bereits meine Taschenlampe eingeschaltet.

»Ihnen nach – Sie fliehen!«, brüllte Chester Blindley.

Aber die Tür war von außen verschlossen und der Schlüssel steckte im Schloss! Wir waren eingesperrt.

Blindley tobte fast, hämmerte gegen die Tür. All das war so zwecklos! Wer sollte uns hier im Westflügel hören?

Dann – aus dem Heizungsraum etwas wie ein dumpfer Knall und ein lautes Zischen. Wir eilten hinein.

Und – wir sahen, wie aus dem Kohlenberg weiße Dämpfe aufstiegen, wie bläuliche Flämmchen hochleckten. Die Kohlen brannten! Man musste eine unter dem Steinkohlenhaufen verborgene Höllenmaschine elektrisch zur Explosion gebracht haben, die dann die Kohlen im Nu entzündet hatte.

Wir standen wie gelähmt da. Löschen? Womit? Als wir den Hahn der Wasserzuleitung für den Kessel aufdrehten, lief nur wenig Wasser ab. Man hatte den Haupthahn abgestellt!

Und wo war Harst? Ich rief; ich suchte nebenan in dem Gewölbe, wo der Motor arbeitete. Nichts – kein Harst zu sehen. Wir versuchten die Kohlen auseinanderzureißen. Die erstickenden Schwaden trieben uns zurück, jagten uns schließlich in den Vorraum, weiter in den Lichtanlagekeller. Wir mussten hier in Kurzem ersticken, wenn nicht bald Hilfe kam. Gewiss – oben an der einen Wand liefen kleine Luftschächte nach außen. Aber sie waren so eng, dass man kaum den Kopf hätte hineinzwängen können.

Gelber Rauch wälzte sich langsam in den Keller der Lichtanlage. Wir husteten; die Augen tränten uns. Es gab keine Rettung: Das wurde uns nun mit jeder Sekunde klarer.

Dann – eine Gestalt tauchte in dem Qualm vom Vorraum her auf; Harsts Stimme.

»Hierher – schnell! Reicht Euch die Hände! Ich führe Euch! Nur schnell!«

Durch den beißenden, dicken Dunst tappte ich hinter Blindley drein, der Harsts Hand ergriffen hatte.

»Bücken!«, brüllte Blindley.

Ich tat es. Es ging zehn Steinstufen abwärts durch eine niedrige Tür, die in Form einer Felsplatte in die Rückwand des Vorderraums eingeführt war und die nur Harst vorhin bemerkt hatte.

Doktor Halfing drückte die Tür wieder zu. Wir standen nun in einem niedrigen Gewölbe am Fuße der Treppe. Vor uns bemerkten wir eine stark verrostete Eisentür, deren Riegel schon zurückgeschoben waren.

»Ich habe die, die von den beiden Bartons geschont, das heißt am Leben gelassen wurden, gegen den Wunsch der Urbington gefunden«, sagte Harst feierlich. »Diese Tür führt in zwei Gewölbe, in denen Lady Wolpoore und ihre Kinder seit sechs Jahren von den drei Unmenschen gefangen gehalten werden! Die Lady ist eine gebrechliche Greisin geworden, die jungen Leute Gerippe!«

Ich will das Folgende nur kurz streifen. Im Dunkeln, in den nur mit Kisten als Möbelstücken ausgestatteten Kellern hatten die drei Ärmsten diese Jahre verbracht. Es war ein Wunder, dass ihr Verstand all den Leiden getrotzt hatte.

Die Freude dieser Bedauernswerten zu schildern, ist unmöglich. Ströme von Tränen entquollen ihren Augen. Sie konnten gar nicht fassen, dass sie nun wirklich befreit waren.

Einer der Detektive, der für diese Nacht das Schloss von außen zu überwachen hatte, war auf die aus den Luftschächten der Maschinenkeller hervordringenden Rauchmassen aufmerksam geworden, hatte seine Kollegen alarmiert, die Eisentür aufgeschlossen und den brennenden Kohlenhaufen nach stundenlanger Arbeit löschen lassen. Lord Wolpoore war geweckt worden, hatte unser Fehlen sehr bald festgestellt, ebenso das der Bartons und der Urbington, vermochte sich die Zusammenhänge nicht zu erklären und wurde dann Zeuge, wie seine Gattin an Harsts Arm den verborgenen Gewölben als eine vom Tod Auferstandene, als Greisin, entstieg.

Was dann folgte, kann sich jeder leicht selbst ausmalen, der auch nur etwas Gemüt besitzt.

Noch in derselben Nacht wurde eine der Türen zu den Gemächern der Wiedergefundenen aufgebrochen. Die alten Räume empfingen die Geretteten. Noch in derselben Nacht machte sich Blindley auch mit zehn seiner Leute auf und setzte den drei Flüchtlingen nach. Er fand sie; aber lebend gerieten sie nicht in seine Gewalt. Sie hatten sich in einem Rasthaus unweit Bangalore gemeinsam vergiftet, als sie merkten, dass es für sie kein Entrinnen mehr gab.

Deshalb konnte auch nicht aufgeklärt werden, welcher Art die Beziehungen der drei zu den Feinden der Familie Wolpoore gewesen waren. Denn auch den alten Hindu, den Mann mit der Ziege, vermochte man nirgends aufzuspüren.

Hiermit will ich dieses Abenteuer schließen.