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Paraforce Band 48

Sebastian Stein
Paraforce 48
Totenacker der Namenlosen

Es ist immer noch warm, regelrecht unnatürlich warm und das, obwohl es bereits weit nach halb sieben an diesem Abend ist. Die Schwüle des schwindenden Tages hat sich wie eine riesige Glocke über die Stadt gestülpt und es soll noch schlimmer kommen. Der Wetterbericht kündigt für die nächsten Tage sogar Temperaturen bis achtunddreißig Grad an.

Achtunddreißig Grad, für eine Großstadt wie Berlin die Hölle.

Die Luft steht dann förmlich, das Atmen wird zur Qual, der Schweiß bricht aus allen Poren.

Wer kann, der bleibt zuhause.

Lena Oberfeld kann es nicht.

Lautlos wie ein Schatten huscht die Dreizehnjährige durch die menschenleeren Straßen im Grunewald, und obwohl sie kaum aufsieht und den Blick stets nach unten richtet, scheint sie genau zu wissen, wo sie sich befindet und in welche Richtung sie laufen muss.

Tausend Gedanken wirbeln ihr bei jedem Schritt durch den Kopf.

»Du bist erst eine von uns, wenn du die Aufnahmeprüfung bestehst«, hatten sie gesagt. »Du musst auf den Friedhof gehen und dich auf ein frisches Grab setzen. Dann drehst du dir um Mitternacht einen Joint und machst Bilder davon«, hatten sie gesagt.

Was soll ich nur tun?, denkt Lena verzweifelt, während sie weiterläuft. Mache ich es, stresst meine Mutter, mache ich es nicht, bin ich bei der Clique unten durch.

Obwohl unschlüssig, beschleunigt sie ihre Schritte dennoch. Irgendetwas sagt ihr, das sie ihr Ziel noch vor Einbruch der Dämmerung erreichen muss. Der Weg dahin ist weit, trotzdem gelingt es ihr, mit den letzten Strahlen der Abendsonne den gemauerten Torbogen zu erreichen, der den Eingang zum Friedhof bildet.

Damit hat sie fast das Ende ihres Weges erreicht, jetzt versperren ihr nur noch die beiden schweren, mit Eisenbeschlägen verstärkten, hölzernen Flügeltüren den weiteren Zutritt.

Sie hat sich inzwischen entschieden, die Zugehörigkeit zur Clique wiegt schwerer als der Ärger mit ihrer Mutter. Trotzdem ist ihr die Entscheidung nicht leicht gefallen. Sie hat zwar keine Angst nachts auf einem Grab zu sitzen und davon Bilder zu machen, auch der Joint ist ihr egal, Kiffen gehört an der Schule längst zur Tagesordnung.

Es ist etwas anderes, das sie so lange hat zögern lassen.

Es ist dieser Friedhof.

Hier hat sich ihr Vater vor vier Jahren die Pulsadern aufgeschnitten.

Lena stöhnt bei dem Gedanken daran innerlich auf, die Erinnerung an ihn ist immer noch da.

Sie vermisst ihn schmerzlich, seine Stimme, wenn er von der Arbeit heimkam, das Gefühl, wenn er sie danach liebevoll mit seinen Armen umschloss, der zärtliche Kuss auf die Nasenspitze. Es sind so viele Dinge, die ihr fehlen. Sein Verlust schmerzt sie bis heute und das Schlimme daran ist für sie, dass sie weiß, dieser Schmerz wird für immer bleiben.

Sekundenlang steht Lena beinahe reglos vor dem Tor, verharrt in ihren Erinnerungen, bis sie sich schließlich abrupt schüttelt, den Kopf hochnimmt und die Schultern strafft.

Blitzschnell sieht sie sich zuerst nach rechts, dann nach links um und tritt schließlich, als niemand zu sehen ist, mit einem entschlossenen Schritt auf das Tor zu. Sie weiß, dass die Friedhofsverwaltung in den Sommermonaten das Tor erst abends um acht abschließen lässt.

Sie presst ihre Hände auf den rostigen Eingang, sieht sich erneut noch einmal nach allen Richtungen um und drückt dann, als immer noch niemand zu sehen ist, die beiden Flügeltüren nach innen. Als der Spalt groß genug ist, um durchzuschlüpfen, zwängt die Dreizehnjährige ihren hageren Körper durch die Lücke.

Schmale, gepflegte Kieswege, Blumenrabatten und eng beieinanderstehende Kiefern und Föhren nehmen sie in Empfang. Die untergehende Abendsonne bringt das Friedhofsgelände mit ihrem schwindenden Licht wie goldfarbenes Kristallglas zum Glitzern.

Vogelgezwitscher begleitet den schwindenden Tag.

Doch Lena hat dafür keine Augen und Ohren, stattdessen geht sie, ohne sich umzublicken, den breiten Hauptweg entlang, der wie mit dem Lineal gezogen mitten durch den Friedhof verläuft. Sie hat das frische Grab längst ausgemacht. Der aufgeworfene Grabhügel und die vielen Tannenkränze mit den weißen, bedruckten Schleifen sind nicht zu übersehen. Sie zieht den Kopf zwischen die Schultern und beschleunigt ihre Schritte, fest entschlossen, das Aufnahmeritual anzugehen.

Doch je weiter sie kommt, desto unruhiger wird sie.


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