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Der Hexer Band 46

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer, Band 46
Das Rätsel von Stonehenge

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 06. Januar 1987, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Greg Hildebrandt

Sie blieb stehen. Ihr Herz jagte, und trotz der feuchten Kälte, die sie einhüllte, war sie in Schweiß gebadet. Aus angstvoll geweiteten Augen blickte sie um sich. Aber da war nichts. Nichts außer grauen Nebelschwaden, die die Welt gefressen hatten und alles mit trister Gleichförmigkeit überzogen, was weiter als zwei oder drei Schritte entfernt war. Aber was sie nicht sah, das hörte sie: das gedämpfte Tappen schwerer Pfoten, die Geräusche massiger Körper, die durch das Unterholz und Gestrüpp brachen- und das grässliche Bellen der Bluthunde, das unbarmherzig näher kam …

Leseprobe

Vereinzelte Stimmfetzen drangen aus dem Nebel, harte Worte in einer fremdartigen Sprache, die Jeany nicht verstand, die ihr jedoch seltsam bekannt vorkamen und Angst machten.

Obwohl ihr Herz bis zum Halse schlug und ihre Lungen noch vor Atemnot brannten, fuhr Jeany noch einmal herum und rannte wie von Furien gehetzt weiter.

Ihre Schritte wurden gehört – sofort rief jemand einen scharfen Befehl, der wie ein Peitschenhieb durch den Nebel drang. Für einige Sekunden verstummte das Hundegebell, um dann jedoch erneut zu erschallen. Diesmal war es so nah, dass Jeany das gierige Hecheln der Meute hören konnte. Und die festen Schritte ihrer Verfolger. Verschwommene Schatten tauchten in dem grauen Nebel auf.

Halb wahnsinnig vor Angst rannte Jeany auf die dichtesten Schwaden zu und tauchte in den grauen Dunst ein. Im ersten Augenblick hatte sie das Gefühl, gegen eine feste Wand gelaufen zu sein. Jeany schrie vor Schmerz und Panik auf, doch im selben Augenblick gab die Nebelwand ihren Widerstand auf; ein Gefühl, als zerrisse eine unsichtbare Membran. Eine körperlose, klebrige Hand strich über ihr Gesicht wie unsichtbare Spinnweben, und Jeany stolperte haltlos nach vorne.

Das Bellen der Hunde und die Rufe ihrer Verfolger waren mit einem Male so nahe, dass Jeany jede Sekunde damit rechnete, das erste der geifernden Ungeheuer vor sich auftauchen zu sehen. Die Luft stank nach Blut.

Wimmernd vor Angst drehte sie sich um die eigene Achse, die Hände in einer halb erschrockenen, halb abwehrenden Geste erhoben. Doch der Nebel war so dicht, dass sie kaum ihre eigenen Finger sehen konnte. Eine unnennbare Drohung ging von ihm aus, ein dunkles Gefühl, das Jeany trotz der Abendkälte den Schweiß aus allen Poren trieb. Außerdem wurde ihr mit entsetzlicher Deutlichkeit klar, dass sie sich nun endgültig in der Heide verirrt hatte.

Doch das drohende Knurren und Geifern der Hunde ließen sie blindlings weiterlaufen. Sie streifte mit der Schulter einen unsichtbaren Widerstand und erhielt einen heftigen Schlag quer über das Gesicht. Jeany warf sich zur Seite und riss abwehrend die Arme empor.

Aber es war kein Hund und keiner der Verfolger. Ihr Gegner entpuppte sich als verkrüppelter Baum, gegen dessen Äste sie gerannt war.

Oder hatte er mit seinen Ästen nach ihr geschlagen?

Jeany wusste, wie absurd dieser Gedanke war. Und doch setzte er sich hinter ihrer Stirn fest und wühlte und grub in ihrem Bewusstsein. Sie wusste, dass sie vor lauter Angst sterben würde, wenn dieser Alptraum noch lange anhielt. Verzweifelt stolperte sie weiter.

Ein großer Hund kam von der Seite auf sie zugeschossen und schnappte nach ihr, seine Zähne fingerlange gebogene Elfenbeindolche, blutiger Geifer vor dem Maul, Augen wie glühende Kohlen, die Jeany voller Mordlust fixierten. Jeany schlug mit beiden Händen zu, um das Tier abzuwehren. Ihre Arme fuhren durch eine dichte Nebelschwade, die im Wind verwehte. Nur einen Augenblick blieb Jeany überrascht stehen. Da fühlte sie einen heftigen Schlag gegen ihren rechten Unterschenkel und einen brennenden Schmerz.

Drei, vier weitere Hunde schälten sich aus dem Nebel und stürzten mit geifernden Mäulern auf sie zu. Jeany versuchte fortzulaufen, stolperte über eine Wurzel und schlug mit dem Gesicht voraus auf den gefrorenen Boden. Sie blieb benommen liegen und sah die großen Hunde wie durch einen dichten Schleier näherkommen. Feuchte Schnauzen berührten ihre Arme und Beine.

Jeany fuhr schreiend hoch, griff blindlings um sich und umklammerte den erstbesten Gegenstand, der ihr unterkam. Erst als sie damit zuschlug, merkte sie, dass sie einen mehr als anderthalb Yards langen Weidepfahl gepackt hatte. So ein Pfahl stellte normalerweise die am besten geeignete Waffe dar, um einen oder auch mehrere Hunde von sich abzuhalten, doch Jeany war keine geübte Kämpferin. Und diese Hunde waren groß und zahlreich genug, selbst einen kräftigen Mann in Stücke zu reißen.

Sie hatte keine Chance, und sie wusste es.

Auch beim nächsten Schlag sauste der Weidepfahl nutzlos durch die Luft, während ein riesiger schwarzer Hund auf Jeany zu schnellte und seine Fänge in ihre linke Schulter schlug. Jeany brüllte auf, stieß den Hund blindlings von sich und blickte auf ihre Schulter herab.

Eine eisige Hand schien sie zu streifen. Für eine Sekunde vergaß sie sogar die Hunde und die entsetzliche Lage, in der sie sich befand.

Sie sah – NICHTS!

Der Schmerz wühlte in ihrer Schulter, aber ihre Haut war vollkommen unversehrt – sie hatte nicht einmal einen Kratzer!

Im selben Moment biss der Hund erneut zu. Das rechte Bein knickte unter ihr weg, sie schrie auf, ruderte einen Moment hilflos mit den Armen und stürzte mitten in die geifernde Meute.

Der große Schwarze stürzte sich mit triumphierendem Geheul auf sie, die Fänge zum letzten, entscheidenden Biss gebleckt. Jeany rollte herum, riss schützend die Hände vor Gesicht und Kehle und trat in ihrer Angst mit dem verletzten Bein zu. Der Schmerz, den sie dabei empfand, ließ sie aufschreien.

Aber ihr rechter Knöchel hielt. Er war äußerlich ebenso wenig verletzt wie ihre Schulter. Nur die Schmerzen waren da.

Es ist unmöglich, dachte sie entsetzt. Was sie erlebte, war vollkommen unmöglich. Vielleicht phantasierte sie bereits. Vielleicht war sie schon tot, und dies war der Beginn der Hölle, von der man ihr so oft erzählt und an die sie nie geglaubt hatte. Es war unmöglich.

Irgendwie kam sie wieder auf die Beine und stolperte tiefer in den Nebel hinein. Die Hunde folgten ihr auf dem Fuß, ohne sie jedoch weiter anzugreifen. Schon keimte in Jeany die Hoffnung, dass der Alptraum ein Ende nehmen, dass sie entkommen könnte. Da sah sie, wie sich vor ihr der Nebel zu einem schwarzen Knäuel ballte, ein dunkles, im ersten Moment verkrüppelt wirkendes Etwas bildete, das schwarze Fäden in alle Richtungen spann.

Dann gerann die Dunkelheit zur Gestalt eines breitschultrigen Mannes, der sich aus der Nebelwolke löste und ihr den Weg vertrat. Jeany starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die seltsame Bekleidung des Mannes. Sie bestand nur aus Eisen, das seinen Körper von Kopf bis Fuß umhüllte; ein gepanzertes Ungeheuer, das nur einem Alptraum entsprungen sein konnte.

Erst das Schwert in seiner Hand machte Jeany klar, dass der Fremde eine Ritterrüstung trug. Das Gesicht war hinter einer eisernen Maske verborgen, die wie eine bizarre Wolfsfratze mit fingerlangen Reißzähnen aus dem Helm herausragte. Doch Jeany beachtete sie nicht, sondern starrte nur in die Augen des Mannes, die kalt auf sie herabblickten.

Der Fremde hob mit einer beinahe lässigen Bewegung sein Schwert und richtete die Spitze auf Jeanys Brust. Plötzlich war der süßliche Geschmack von Blut in ihrem Mund.

»Die Jagd ist zu Ende!« Seine Stimme drang dumpf und fremd unter der Eisenmaske hervor. Aber Jeany spürte, dass der Mann vor Freude und Triumph beinahe außer sich war.

Der Mann wollte ihren Tod. Und noch mehr, erkannte Jeany schaudernd.

Seltsamerweise dämpfte diese Erkenntnis ihre Angst. Tief in ihrem Innern regte sich das Gefühl, dass der Ritter unrecht hatte. Die Jagd war noch längst nicht zu Ende. Außerdem sagte ihr etwas, das zwar ein Teil ihrer selbst war, ihr jedoch so unsagbar fremd erschien, dass sie schon bald Hilfe erhalten würde.

Es war seltsam, aber plötzlich hatte sie gar keine Angst mehr. Sie war sich der Gefahr, sterben zu können, bewusster denn je, aber es war jetzt nur noch Wissen, keine Panik mehr. Es war, als erwache eine zweite, völlig andere Jeany in ihr.

Sie gab ihr die Kraft, sich herumzuwerfen und loszurennen.

 

*

 

Jemand rüttelte an meiner Schulter. Die Berührung war nicht einmal sehr fest – geschweige denn schmerzhaft –, aber ich befand mich in jenem Zwischenstadium zwischen wirklichem Wachsein und Schlummer, in dem ich schon immer allergisch auf jegliche Art von Störungen reagiert habe – vor allem, wenn sie vor zwölf Uhr mittags erfolgen.

Zornig, aber zu müde, dem Kerl all das anzutun, wozu ich im Augenblick Lust verspürte, schlug ich die Hand beiseite, verursachte damit aber nur ein amüsiertes Lachen.

»Holla, Freund. Wir sind gleich da. Sie sollten jetzt langsam aufstehen; der Zug hat nicht lange Aufenthalt!«

Ich öffnete die Augen und starrte den Sprecher an, nicht ganz schlüssig, ob ich nun wirklich wach war oder einen Geist vor mir hatte, der sich aus einem Alptraum hinübergeschlichen hatte, um mich zu quälen. Allerdings hatte der kleine, pummelige Kerl vor mir nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem geisterhaften Wesen – allerhöchstens mit einem Quälgeist.

Noch während ich die seltsame dunkle Kleidung, die er trug, einzuordnen versuchte, nickte er mir mit einem freundlichen Grinsen zu und streckte sich, um einen länglichen Gegenstand aus einem netzartigen Ding zu nehmen, das knapp unter der Decke die Wand entlang gespannt war. Erst als er mir das Ding reichte, erkannte ich, dass es sich um meinen Stockdegen handelte.

Mein Stockdegen? Ein Netz? Irgendetwas war hier nicht in Ordnung, gelinde ausgedrückt. Aber ich war noch nicht wach genug zu erkennen, was.

»Das ist wohl alles, was Sie an Gepäck mithaben?« meinte er gemütlich.

»Gepäck?« echote ich dümmlich. »Was für Gepäck?«

Ein sehr ungutes Gefühl begann sich in mir breit zu machen – vor allem, als kaum eine Sekunde später ein schriller Pfiff durch den Raum tönte …

Und plötzlich wusste ich, wo ich mich aufhielt.

Es war ein Eisenbahnabteil! Jetzt erkannte ich auch, dass es sich bei dem Anzug des kleinen Dicken nicht um eine exotische Tracht, sondern um eine schlichte Schaffneruniform der British Railways handelte.

Das alles erklärte mir jedoch nicht, was um der Großen Alten willen ich in diesem Zug zu suchen hatte. Denn die letzte Erinnerung, die ich hatte, sagte mir nämlich, dass ich eigentlich in einer Kutsche sitzen sollte, um Howard aufzusuchen …