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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg 18

Berliner Wahrzeichen

Früher wusste man in Berlin noch viel Geschichten aus alten Zeiten zu erzählen, wo die Stadt noch klein war, nun aber, wo so viele Tausende von außerhalb hereingezogen, da ist alles anders geworden, und die wenigsten wissen noch, was die Rippe am Molkenmarkt zu bedeuten hat oder was es mit dem Jungfernküssen für eine Bewandtnis hatte oder warum an der Statue des Großen Kur­fürsten vorn ein Kind vor dem Kurfürsten auf dem Pferd sitzt.

An dem Haus an der Ecke des Molkenmarktes und der Bollengasse, der Polizei gegenüber, da hängen nämlich ein paar gewaltige Knochen. Das soll das Schulterblatt und die Rippe eines Riesen sein, deshalb nannte man auch das Haus schlechtweg die Rippe. Dieser Riese soll aber, heißt es, von einem Erdwurm – so nannten die Riesen in ihrem Übermut die Menschen, – erschlagen und so groß gewesen sein, dass sein Leib nicht auf einem Kirchhof Platz hatte, daher man ihn zerstückeln und auf allen Kirchhöfen Berlins hat begraben müssen.

In der Nähe des Molkenmarktes dem Rathaus zu soll ehemals die wahre Bärengrube, sagt man immer, gewesen sein, wo sich die Bären aufgehalten haben, und daher ist es auch gekommen, dass Berlin einen Bären im Wappen führt.

Das Jungfernkissen aber war, wie es heißt, im Schloss in dem kleinen Turm, welcher an der Spree liegt, den man wegen der grünen Farbe seines spitzen Kupferdaches von Alters her den grünen Hut nennt. Da soll nämlich zu der alten Kurfürsten Zeiten das heimliche Gericht gewesen sein. Es war nämlich eine Jungfrau ganz von Eisen, deren Arme waren Schwerter und um ganzen Leib links und rechts waren auch solche angebracht. Der zum Tode Verurteilte musste nun auf eine steinerne Platte dicht vor sie hintreten, dann schlossen sich durch ein Räderwerk die Arme und die Schwerter und umfingen den Unglücklichen und zerschnitten ihn. Der zerhackte Leichnam fiel dann durch eine Vorrichtung hinab in die Tiefe und gelangte so in die Spree. Von dem, der dorthin kam, sagte man, er müsse die Jungfer küssen und so nannte man das Ganze das Jungfernküssen.

Mit dem Kind, das an der Statue des Großen Kurfürsten vorn vor demselben auf dem Pferde sitzt, hat es folgende Bewandtnis. Als der große Kurfürst regierte, war ein gewaltiger Religionskrieg, in dem das Morden kein Ende hatte, sodass selbst oft der Kinder in der Wiege nicht geschont wurde. Nun kam der große Kurfürst einmal durch ein brennendes, von seinen Bewohnern verlasse­nes Dorf und fand in einem Haus ein Kind in einer Wiege, das lachte ihn so freundlich an. Da hat er es aus Mitleid aufgenommen und vor sich aufs Pferd gesetzt und befohlen, dass man aufhören solle mit Morden. Daher stammt jenes Wahrzeichen. Einige meinen, das sei nicht im Dreißigjährigen Krieg, sondern am Tag der Fehrbelliner Schlacht gewesen, da habe der Kurfürst in einem, von den Leuten verlassenen Dorf, durch das er gekommen war, das Kind weinend vor einer Hütte gefunden und mit sich aufs Pferd genommen, darum habe ihn auch in der Schlacht keine Kugel getroffen; das sei sein Schutzgeist geworden.

Die Statue hat aber noch ein anderes Merkmal, das auch nicht jeder weiß. Das Pferd des großen Kurfürsten hat keine Hufeisen. Die hat der Meister, welcher die Statue gegossen hat, vergessen, und als er es nachträglich bemerkte, soll er sich deshalb von der Brücke in die Spree gestürzt haben. In der Neujahrsnacht übrigens, sagt man, dreht sich der große Kurfürst in der Mitternachtsstunde auf seinem Postament um. Die vier Sklaven endlich, die oben um die Statue herumsitzen, das sind nur seine Hauptsklaven, unten im Wasser sitzen aber noch vier andere, bei klarem Wetter kann man sie sehen. Unten an den Pfeilern der Brücke sind nämlich Figuren als Verzierungen angebracht, welche das Volk so deutet.

Außer den erwähnten Wahrzeichen gibt es noch eins aus der Zeit der alten Markgrafen, das ist das steinerne Kreuz an der Marienkirche. Das haben die Berliner zur Strafe setzen müssen, weil das Volk dort einmal einen Probst von Bernau erschlagen hat. Der hatte sich, heißt es, durch die Hartherzigkeit verhasst gemacht, mit der er die Zehnten eintrieb. Wie er nun einmal – es war gerade Markt und viel Volk zusammengeströmt – aus der Kirche trat, brach der Unwille gegen ihn los. Von Schimpfreden kam es zu Tätlichkeiten und schließlich erschlugen sie ihn. Das ist aber den Berlinern teuer zu stehen gekommen; der Papst hat sie in den Bann getan – es war nämlich noch zur katholischen Zeit, – und es hat ihnen viel Geld gekostet, dass sie sich wieder aus demselben lösten.

Die übrigen Wahrzeichen stammen aus der Zeit der preußischen Könige her.

Da sind zunächst die Löwen an der Parochialkirche zu erwähnen, welcher das Volk den Namen die Singuhr gibt. Sie hat nämlich ein schönes Glockenspiel und oben am Turm sind an den vier Ecken Löwen angebracht. Die Sage berichtet nun, die hätten früher alle Stunden gebrüllt, der Magistrat aber habe nicht gewollt, dass es noch ein zweites derartiges Werk gäbe und hätte deshalb dem Meister, der es angefertigt hatte, die Augen ausstechen lassen, damit er nicht noch ein derartiges baue. Da hatte er denn gebeten, man möge ihn noch einmal zum Turm führen, und wie er oben gewesen war, habe er an einer Schraube gedreht, und seit der Zeit seien die Löwen verstummt. Die Kirche aber liegt in der Klosterstraße.

In der Heiligen Geiststraße aber, an dem Haus Nr. 38, da ist der Neidkopf, der rührt von König Friedrich Wilhelm I., dem Vater des Alten Fritz, her. In dem Haus wohnte nämlich zur Zeit dieses Königs ein armer Goldschmied, der aber von früh bis spät fleißig bei der Arbeit war. Der König, der sich um alles bekümmerte, hatte dies bei seinen Spaziergängen wohl bemerkt und suchte den Meister in seiner Werkstatt auf. Als er auch einen geschickten Mann in ihm erkannte, gab er ihm Verschiedenes zu arbeiten. Wie er nun wieder einmal bei ihm war, um nachzusehen, wie die Arbeit vonstattenging, sah er in dem gegenüberstehenden Haus eine Frauensperson im Fenster liegen, welche die hässlichsten Grimassen schnitt und immer hinüber sah. Da fragte er den armen Goldschmied, was das bedeute, und als er hörte, dass es die Frau eines reichen Goldschmiedes sei, der da drüben wohne, und dass die Frau aus Neid, weil er, der König, dem armen Goldschmied seine Kundschaft zugewandt, diesem täglich solche Grimassen schneide, beschloss er, sie zu bestrafen. Er ließ dem armen Goldschmied statt seines kleinen Hauses ein stattliches ausführen und über der Tür einen weiblichen Kopf mit Schlangenhaaren und verzerrtem Antlitz anbringen, damit die missgünstige Frau so ein Neidgesicht als Warnung immer vor Augen habe. Deshalb nennt man es auch den Neidkopf.

Ein anderes Wahrzeichen, das aus der Zeit des Alten Fritz herrühren soll, findet sich noch in der Wallstraße Nr. 25, wo über dem Eingang des Hauses ein Mann abgebildet ist, der eine Tür oder ein Tor auf dem Rücken trägt. Die einen sagen, es sei dieses Bild zum Andenken angebracht, weil dort, wo das Haus jetzt steht, früher das alte Köpenicker Tor gestanden habe, die anderen erzählen davon folgende Geschichte: In dem Haus, heißt es, wohnte im vorigen Jahrhundert ein armer Schuhmacher, der habe einmal in der Lotterie gespielt, und damit das Los nicht fortkäme, namentlich die Kinder es ihm nicht verbrächten, habe er dasselbe an die Tür geklebt. Da blieb ihm nun, als das Los wirklich mit einem großen Gewinn herauskam, weiter nichts übrig, als die Tür auf den Rücken zu nehmen und so zum Lotteriegebäude zu gehen. Zum Andenken daran habe er dann das Bild an dem Haus anbringen lassen, das ihn darstellen sollte, wie er mit der Tür auf dem Rücken zur Lotterie wanderte.

Aus der Zeit Friedrich des Großen sollen auch noch die 99 Schafsköpfe an dem Haus am Alexanderplatz.

herstammen. Der König hat nämlich, heißt es, dieses Haus, wie so manche in Berlin und Potsdam bauen lassen. Der Mann, dem er es aber baute, soll ein etwas unverschämter Gesell gewesen sein und den König stets mit neuen Bitten belästigt haben, bald wollte er dies, bald das noch an dem Haus gemacht haben. Schließlich quälte er den König noch damit, dass er gern allerhand Verzierungen angebracht haben wollte. Der König hieß ihn gehen, indem er sagte, er werde schon für passende sorgen, und gab nun dem Baumeister den Befehl, eben je 99 Schafsköpfe an der Fassade anzubringen. Bestürzt kam der Mann, als dies geschehen war, zum König gelaufen. Der aber fertigte ihn mit der Bemerkung ab, er habe ja Verzierungen gewollt; dass sie nicht nach seinem Geschmack wären, dafür könne er nicht, er solle sich nur übrigens selbst in Fenster legen, dann wäre das Hundert voll.

Wie die Sage sich überall, wo sie etwas findet, ansetzt, hat sie es auch an dem schönen Denkmal Friedrich Wilhelm III. im Tiergarten getan, das die dankbaren Berliner Bürger diesem König dort gesetzt haben. Eine Marmorader auf dem Stiefelblatt des Königs hat den Glauben erzeugt, das solle eine Flicke bedeuten, und der Künstler habe mit ihr die Sparsamkeit des hochseligen Herrn ausdrücken wollen!

Solche Wahrzeichen mussten sich früher Reisende, namentlich die Handwerksburschen, als die Walz noch mehr Sitte war, merken; die Kenntnis oder Unkenntnis derselben galt als Beweis, ob der Handwerksbursche an dem Ort gewesen war oder nicht. Bei dem Militär hat sich die Sitte erhalten ober vielmehr erneuert, indem die Rekruten von ihren Landsleuten meist immer noch mit diesen Sachen bekannt gemacht werden, sobald sie ihnen Berlin zeigen. Mit der Zeit freilich hat die Statue des Alten Fritz alles andere in den Hintergrund gedrängt, sie ist das Hauptwahrzeichen in dieser Hinsicht geworden, zu dem zuerst der Fremde hingeführt wird.