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Vergessene Helden 5

Der starke Mann mit dem goldenen Herzen

Wastl war groß und er war stark, unheimlich stark, fast so wie Supermann. Allerdings war sein Anzug im Gegensatz zu dem amerikanischen Superhelden goldgelb, genauso wie seine Stiefel, sein Umhang und seine Stulpenhandschuhe. Außerdem hatte er lange, bis weit über den Nacken hinaus reichende schwarze Haare und einen weißen Bart. Zusammen mit seinem tonnenförmigen Oberkörper und seinen schrägen Gefährten unterschied er sich damit wohlwollend vom Einheitsbrei der Riege der amerikanischen Superhelden und deren Umfeld, die ja alle top gestylt und mit Adonis-Körpern ausgestattet waren. Und, was ebenfalls undenkbar war, Wastl erlebte seine Abenteuer stets mit geschlossenen Augen. Wahrscheinlich wurde ihm gerade deswegen so viel Sympathie entgegengebracht. Wir wissen es nicht, aber wir wissen, dass dieser Superheld namens Wastl auch ohne Film- und Fernsehauftritte, sondern lediglich als Comic fast die gesamte europäische Leserschaft, junge wie jung gebliebene, über ein halbes Jahrhundert lang in seinen Bann zog.

 

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Alles begann im Jahr 1952, wobei … so ganz stimmt das ja genaugenommen nicht. Der Ursprung des vergessenen Helden, mit dem sich diese Ausgabe unserer beliebten Kolumne beschäftigt, datiert eigentlich auf den 30. März 1945. An diesem Tag erschien im flämischen Teil Belgiens in der Tageszeitung De Nieuwe Standaard die erste Folge der Serie De avonturen van Rikki en Wiske, ohne die Wastl wahrscheinlich nie das Licht der Welt erblickt hätte. Der Schöpfer der Serie war kein Geringerer als der in Antwerpen geborene Comiczeichner Willebrord Jan Frans Maria Vandersteen, Comicfans besser als Willy Vandersteen bekannt.

Seine Hauptfiguren waren anfangs ein Junge namens Rikki und dessen Schwester Wiske. Mit dabei war von Anfang an nur ihre Tante Sidonie. Bereits in der zweiten Episode, die am 19. Dezember 1945 publiziert wurde, lernte Wiske den Jungen Suske kennen und ihr Bruder verschwand aus der Serie. Es gibt Vermutungen, das Rikki wahrscheinlich deshalb aus der Serie geschrieben wurde, weil er Tim aus Hergés Kultcomicserie Tim und Struppi zu sehr ähnelte, und da Markenrechte und Copyright im Spiel waren, aber das nur so nebenbei. Ebenfalls ab Episode zwei war Professor Barabas dabei. Die Serie hieß nun Suske und Wiske und erfreute sich immer größerer Beliebtheit. 1947 wurde sie sogar im benachbarten Holland zur beliebtesten Comicserie des Jahres gekürt. Vandersteen, der inzwischen ein ausgebuffter Profi war, wusste genau, dass sich die Abenteuer um Suske und Wiske, solange sie sich nur um die beiden drehten, irgendwann einmal totlaufen würden. Also erschuf er nach und nach einen wahren Kosmos an Nebencharakteren, um die Geschichten immer vielfältiger gestalten zu können. So entstand auch Jerom, der dann 1953 im 18. Suske und Wiske Abenteuer De dolle musketiers schließlich zum ersten Mal zum Einsatz kam. Und damit startete sein Siegeszug. Auch wenn die Abenteuer dieser inzwischen vergessenen Comiclegende nie im Fernsehen oder auf der Kinoleinwand erschienen, war seine Popularität so groß, dass seine Taten jahrzehntelang nicht nur in Belgien und Frankreich, sondern auch in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, Österreich, Italien und sogar in Schweden erfolgreich als Comics erschienen.

 

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1958 kam der Bastei-Verlag ins Spiel. Im Juli jenes Jahres warf er sein Comicmagazin Felix auf den Markt, das außer Abenteuer des namengebenden schwarzen Katers auch vereinzelt Folgen anderer bekannter Comicserien enthielt. Als Beispiel soll hier nur Clever und Smart, Bessy oder Rahan, Sohn der Vorzeit genannt werden. Jedenfalls war man immer auf der Suche nach Publikationen, die das Interesse des jugendlichen Zielpublikums weckten, und so war es kein Wunder, dass man irgendwann auch auf Jerom stieß.

Die verantwortlichen Redakteure erkannten das ungeheure Potenzial dieser Comicfigur, verpassten ihr mit Wastl, eine bayrische, österreichische Abwandlung von Sebastian, einen neuen Namen und verleibten ihn dem Comicmagazin Felix ein. Ab der Nummer 206 wurde dort in jeweils fünf hintereinander folgenden Ausgaben ein Abenteuer von Wastl erzählt.

Schon bald wurde den Verantwortlichen bei Bastei klar, dass sie mit Wastl einen richtigen Knaller gelandet hatten, und als der Ruf der Leserschaft immer lauter wurde, entschloss man sich, eine eigene Wastl-Reihe zu produzieren.

Der Startschuss dazu erfolgte schon bald. Unter dem Titel Das Geheimnis des Rosenkönigs erschien im Mai 1968 Band 1 der Wastl-Heftreihe. Eingeführt wurde er da als Mitglied und Kämpfer der Goldmasken, im Original Morotari. Der Background hierzu stammte aus der in Belgien erschienenen ersten Goldmasken-Geschichte De gouden stuntman, die davon handelt, wie Wastl und Tante Sidonie mit dem Auto unterwegs sind und dabei einen vom Einsturz bedrohten Eisenbahn-Brückenpfeiler beobachten. Wastl stützt den Pfeiler ab und rettet damit den Zug, der über die Brücke fährt. Dabei wird er von zwei Männern mit goldenen Masken beobachtet, die beschließen, dass es sich bei Wastl um einen geeigneten Mann für die Goldmasken handelt, und die ihn und Tante Sidonie mittels Schlafgaspistolen betäuben und auf eine Burg entführen. Dort stellen sich die Goldmaskenmänner als eine Art moderne Variante von Tafelrittern der Artussage vor, die allesamt Multimillionäre sind und deren Ziel es ist, unbekannten in Not geratenen Menschen zu helfen. Wastl bekommt sein goldenes Superheldenkostüm und Bumsi, ein atomgetriebenes Motorrad, das sowohl auf der Straße als auch in der Luft fahren kann. Tante Sidonie bekommt ebenfalls ein goldenes Cape und dann lernen sie noch Professor Barabas kennen. Während Wastl und Tante Sidonie wieder nach Hause fahren, bleibt der Professor auf der Burg zurück und wird entführt. Wastl rettet den Professor und alle drei sind schließlich so von den Goldmasken und ihrem Tun überzeugt, dass sie ebenfalls Mitglieder in dieser Vereinigung werden. In den nächsten Geschichten stellt man Wastl mit Rikki, dem Sohn des Goldmaskenanführers Arthur noch einen Sidekick anheim.

Anzumerken ist noch, dass sich mit der eigenständigen Wastl-Heftreihe auch das Image des Superhelden komplett veränderte. Aus dem starken Naturburschen mit dem goldenen Herzen, der meist nur in orangefarbenem Hemd und blauer Hose auf Schurkenjagd ging, wie er sich der Leserschaft in seinen ersten im Felix-Magazin erschienenen Abenteuern präsentierte, wurde jetzt eben jener Superheld im Goldmaskenkostüm.

 

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Die Wastl-Comics erschienen zunächst 14-tägig, doch die Resonanz war so groß, das schon bald auf eine wöchentliche Erscheinung umgestellt wurde. Mit Band 97 erfolgte erneut eine tiefgreifende Veränderung, wohl um auch Neuleser auf die Serie aufmerksam zu machen und Altlesern aufzuzeigen, dass sich die Serie ständig weiterentwickelte und immer wieder Überraschungen parat hatte. Wastl verließ die Goldmasken und er wurde von nun an von neuen Protagonisten begleitet, als da wären Babsi, seine Sekretärin, der Koalabär Napoleon und Beppo Holzauge, der Detektiv. Der größte Umbruch aber war wohl die Tatsache, dass Wastl von nun an mit offenen Augen durch die Welt lief. In den belgischen Suske und Wiske-Alben bis heute ein Ding der Undenkbarkeit, hier erlebt Wastl immer noch seine Abenteuer mit geschlossenen Augen. Es darf spekuliert werden, ob diese Änderung auf deutsche Intervention hin erfolgte, immerhin verlegte der Bastei-Verlag inzwischen Abenteuer aus seiner Kreativwerkstatt und hielt sich nur noch vage an die Vorlagen der belgischen Originale. Aber wie dem auch sei, es schadete Wastls Popularität in keiner Weise. Die Abenteuer des Mannes mit dem goldenen Herzen gingen erst im Januar 1972 mit Band 173 Die große Schlacht am Monte Schrotto zu Ende. Doch schon einen Monat später, im Februar, gingen die Abenteuer von Wastl im Comicmagazin Das ist Klasse weiter und endeten erst im Juni 1973 mit Band 58, das den Titel trug Zucker für die Wolfszahmbande.

Zwischen 1983 und 1984 gab es im Bastei-Verlag noch sieben Taschenbücher, die aber allesamt nur noch Nachdrucke waren.

Die Suske und Wiske-Geschichten, aus denen Wastl ursprünglich stammte, wurden vor allem in Holland und Belgien ein Riesenerfolg und die Alben verkauften sich weltweit bis heute fast 140 Millionen Mal. Schade, dass Wastl hierzulande eigentlich völlig untergegangen ist.

Quellenhinweis:

Herzlichen Dank an Manfred Haertel, der diese Seite mit Herzblut betreibt.

In der nächsten Kolumne reisen wir in den Wilden Westen, wo wir uns den inzwischen legendären Abenteuern eines bärtigen, pfeifenrauchenden Oldtimers widmen wollen, dessen Name zur Legende wurde.

(gsch)