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Der Vampir – Die Zigeunerin

Hans Wachenhusen
Der Vampir
Eine Novelle aus Bulgarien, 1878

Die Zigeunerin

Wie oben geschildert, war Viktor Berzeks Eintritt in das Haus des reichen Jowan, eines jungen Abenteurers, der nicht besser, nicht schlechter als tausend andere, aber vor Tausenden den Vorzug eines ehrlichen, geraden Herzens besaß, mit dem er sich durch die Welt schlug. Ich erzähle hier Tatsachen, wie sie sich damals ereigneten. Viktor war der Sohn eines vor der Revolution sehr be­güterten Mannes, der arm und hilflos dastand, als die­selbe zu Boden geschlagen, der ohne politische Überzeugung getan hatte, was von ihm verlangt wurde und selbst seinem Sohn grollte, als dieser begeistert in die Reihen der Hon­veds trat.

Der Vater verarmt, der Sohn verbannt, die Tochter unter kümmerlichen Verhältnissen in Wien vermählt, das war die Lage der Familie nach dem Krieg, als mit Russlands Hilfe die Reste der ungarischen Armee versprengt die Grenze überschritten.

Viktor Berzek fand London aus Rücksicht ein Unterkommen in einem deutschen Kontor. Die Not zwang ihn, zu einer Beschäftigung zu greifen, die seinen Neigungen wider­strebte. In Angelegenheiten seines Handelshauses während des Krieges nach Konstantinopel gesandt, erledigte er diese; der alte Abenteuerdrang, der Honved erwachte indessen wieder in ihm. Er fand in Konstantinopel eine Anzahl junger Männer, die mit der Idee gekommen waren, in der türkischen Armee Dienste zu nehmen, und mit einem Patent als türkischer Mulasim, als Leutnant, sandte ihn der Kriegsminister nach Schumla ins Hauptquartier des Serdar Omer Pascha.

Viktor fand inzwischen in den türkischen Kameraden, noch ehe er sich einem Regiment hatte zuteilen lassen, bei all deren Bravour und sonstigen soldatischen Tugenden eine Summe von geistiger Beschränktheit, von niederen Instinkten und Ge­wohnheiten, sodass er sich die Sache unterwegs lieber dreimal überlegte, mit einem Abscheu vor dem, was er zu tun im Begriff war, sich in Tirnowa niederschlug, und nach der herrschen­den Sitte, wie jeder mit Empfehlung versehene Franke, des Gouverneurs Gast und als solcher die Wahl hatte, entweder im Konak aufgenommen oder bei einem der begüterten Ra­jahs einquartiert zu werden. Er vertrieb sich die Zeit mit den Palastoffizieren und den gerade damals zahlreich den Balkan bereisenden fremden Offizieren und beschloss, danach die Schwe­ster seiner Mutter aufzusuchen, die sich mit einem reichen, in Rustschuk angesiedelten Italiener verheiratet hatte.

Die Begegnung mit dem alten Marko, der ihn, als er noch Kind war, auf den Armen getragen hatte, Markos Erzählung – das war ihm ein pikanter Zwischenfall. Der Mudessarif hatte sich mit den anwesenden europäischen Offizieren bereits auf unfreund­lichen Fuß gesetzt. Unter dem Vorwand der Kriegsbedürfnisse hatte er die vermögenden Rajahs mit den drückendsten Lasten überhäuft, von denen er kaum die Hälfte ablieferte, um, wie man allgemein wusste, seinen eigenen ausschweifenden Bedürf­nissen zu genügen. Es herrschte Unzufriedenheit, aber auch Furcht unter der christlichen Bevölkerung, und des Bischofs Vor­stellungen fanden keinen Boden. Und nun hatte es auch noch Jowans Unglück gewollt, dass dem Mudessarif eine Korrespon­denz desselben mit dem von den Russen besetzten walachischen Ufer in die Hände fallen musste – eine Gelegenheit also, dem reichsten Rajah den Prozess zu machen und seine Güter zu konfiszieren.

Der russische Kommandierende hatte damals eben einen Tagesbefehl erlassen, nach welchem jeder, der mit den Waffen in der Hand auf Abwegen ergriffen werde, ohne Verhör als Spion zu erschießen, jeder, der mit dem Feindesland korrespondiere, als Hochverräter abzutun sei. Der Serdar erließ als Paroli einen gleichen Befehl, Jowan Silowic also war ein verlorener Mann.

Der Mudessarif, als er seinen Gläubiger in der Hand hatte, machte eine freundliche Miene. Er besuchte Jowan, um ihn sicher zu machen, falls von seinen Absichten etwas aus dem Konak gedrungen war, und ließ erst dessen Kind abfangen, ehe er sich den Alten selber holte. Er wusste, dass Jowan große Summen baren Goldes in seinen Kellern bewahre; das Haus desselben sollte also erst von allen lebenden Zeugen befreit werden, ehe er seine zuverlässigsten Leute absandte, um die Säcke von Dukaten insgeheim abholen zu lassen, deren Versteck der arme Jowan zuvor erst beichten sollte, wenn er es nicht vorzog, sein Kind und dann sich selbst durch hohe Opfer freizukaufen.

Dem Mudessarif lag wenig an der Person Jowans, die der Strafe verfallen war, desto mehr an der Durchsuchung des Hauses. Er sah plötzlich seinen Plan vereitelt, als der On-Baschi die Nachricht brachte, Jowans Haus sei von fränkischen Offizieren besetzt, die ihm den Eingang verweigert. Eine lauernde, übel­süchtige Natur, lüstern auf seines Opfers Geldsäcke, zwang ihn zudem das Eintreffen einer europäischen Kommission, die am Morgen von Varna herüberkam, einen Handstreich zu verschieben, der in geeigneter Zeit gelingen musste.

Ghaleb Pascha, als er die Täuschung erkannt hatte, deren Spielball er in Jowans Haus gewesen war, gab Ordre, die Zigeunerin, die man blutend in die unteren Räume der Frauenwohnung zu den Sklavinnen hinabgetragen hatte, zu pflegen und zu überwachen, denn auch sie musste wissen, wo Jowan seine Schätze versteckte. Er tat im Übrigen, als habe er Jowan vergessen, um ihn sicher zu machen. So waren acht Tage verstrichen, während welcher die westlichen Truppen sich zum Ufer des Schwarzen Meeres wälzten und die Meerenge ein beweglicher Wald bunt bewimpelter Masten der Kriegs- und Transportfahrzeuge wurde.

Viktor Berzek war allein in Jowans Haue zurückgeblieben, als seine Kameraden nach Varna gezogen waren. Weder der Mudessarif noch seine Leute schienen sich um dasselbe zu kümmern. Marko schwankte wie ein Irrsinniger im Gehöft umher. Man hatte ihm sein Kind nicht zurückgegeben und alle Kundschaft seiner Frau brachte keine Auskunft über Selwa.

Trotz der Einsamkeit, zu der sich Viktor verdammte, heimelte ihn das Haus des Bulgaren ganz wunderbar an. Er vertrieb sich die Zeit mit der Jagd in dem wild geklüfteten Bergland; er saß oft stundenlang in der offenen Galerie und blickte hinaus die grüne Talsohle, auf das eigentümliche Treiben der dort hinten lagernden Zigeunerbande, hörte den melancholischen Tönen ihrer Schalmeien, dem Geklimper auf der unvollkomme­nen Mandoline zu, und abends, wenn die Sonne sank und er nicht in der Stadt das Kaffeehaus besuchte, plauderte er mit Marko von alten Zeiten, vom Vaterland, das ihn ausgestoßen hatte. Marko, wenn er darüber auf Stunden wohl sein Kind vergaß, erzählte liebe, schöne Erinnerungen aus Viktors Kinder­zeit, die diesem längst entfallen waren. Der eigentliche Magnet indessen, der ihn hier festbannte, war und er gestand es sich doch selber nicht zu, das Zigeuner­kind Marinka, für das, auffallend genug, der Herr des Hauses fast mehr Zärtlichkeit zu haben schien als Marko, der Vater desselben.

Marinka sah er bereits am nächsten Morgen nur flüchtig, ihm scheu ausweichend, nicht mehr in dem groben, schmutzigen Hemd, in welchem er sie bei seinem ersten Betreten des Hauses überrascht hatte. Sie trug die Kleidung einer Dienerin, zu Viktors Leidwesen, denn sie war ihm schöner in jenem ersten Mo­ment erschienen, wilder wohl, aber doch als das Ideal einer Zigeu­nerschönheit, die ihm kein Maler so herrlich hätte schaffen können.

Zu seinem Verdruss floh sie ihn, den Fremden, wie ein furchtsames Reh. Sie bediente auch nicht bei Tisch, wenn er mit dem alten Jowan zusammensaß; sie huschte wie ein Schatten durch die halbdunklen Gänge des Hauses, wenn sie fürchtete, ihm zu begegnen. Und stand sie einmal überrascht vor ihm, so verbarg sie ihr Gesicht und verschwand.

»Marko, wie »kommst du zu diesem Kind? Ich wette drauf, es ist gar dein eigen nicht!«, forschte er zuweilen misstrauisch.

Marko aber gab darauf niemals Antwort.

»Herr Jowan, sollte das Mädchen wirklich das Kind dieses alten Zigeuners sein?« fragte er diesen wohl, und Jowan bejahte stumm und ließ sich auf keinerlei weitere Fragen ein.

»Ich wette darauf, es steckt was dahinter!«, war schließlich des jungen Mannes Überzeugung, und vielleicht war es dieses Geheimnis, das ihn so mächtig an Jowans Haus fesselte.

Der Zufall ließ ihn eines Tages mit der alten Zigeuner­in, Markos Gattin, zusammentreffen, als er den mächtigen Gebirgsforst durchzog. Die Alte saß oben auf den Stufen eines Kalkfelsens, auf dessen höchstem First ein Geiernest des jungen Abenteurers Jagdlust reizte.

Sie sammelte Kräuter, die sie aus den Felsspalten rupfte, um sie zu kochen, mit wildem Honig zu versüßen und den armen Bulgaren als Wunderbalsam zu verkaufen, denn was nicht süß ist, hilft in der Bulgarei einmal nicht.

Sie kicherte ihn von oben herab spöttisch an, als sie sein Bemühen sah, die Schründe zu bewältigen. Wie eine Hekuba saß sie in dem Ring von Bruchsteinen, die, wie sie da herab­gestürzt waren, eine Art von Zauberkreis bildeten.

»Geh heim!«, rief sie ihm lachend zu, als er die oberen steilen Terrassen erklomm, zwischen deren Geklüfte sein Fuß auf dem morschen Geröll immer wieder zurückglitt. »Die jungen Geier oben sind seit gestern flügge und da unten in Jo­wans Haus hast du viel edleres Wild, das freilich nicht weniger scheu als die Brut da oben.«

Viktor verstand die Alte in ihrem ungarisch-slowakischen Kauderwelsch nur mit Mühe. Er hielt keuchend inne, trat zu ihr, wie sie in ihrem Zauberring auf einem bemoosten Fels­block dasaß, den Kopf vor der Sonne in ein schmutziges Tuch gehüllt, halb entblößt, wie alle Zigeunerweiber ein Scheusal, trotz der Schönheit, die einst den armen Marko verführt hatte, die Nomadin an seinen Herd fesseln zu wollen.

»Was sprichst du, alte Hexe?«, fragte er, ihrem Werk zuschauend und ihr in das wie von Runen gezeichnete braungelbe Gesicht blickend, dessen zahnlose Kiefer sich so klappernd be­wegten, während ihre runzligen mageren Hände, von Arbeit und Wetter genarbt, den Fängen eines Adlers gleich das Kraut rupften. Ein Ekel erfasste ihn beim Anblick dieser Mumie, die ihren verdorrten, verwitterten Körper so schamlos zur Schau trug und deren Haut ihm wie die eines Rhinozeros erschien.

Die Alte blinzelte unter den welken Augenlidern zu ihm auf, ihr Kinn schob sich vor, ihre Kiefer bewegten sich über dem Kropf, der ihr wie der Futtersack eines Pelikan über den Hals hing.

»Wenn Ihr mir Tabak gebt, so sage ich Euch, was Ihr sicher nicht wisst! … Was tut Ihr beim Jowan? Die Zigeunerdirne steckt Euch in der Nase, aber Ihr seid auf falscher Spur.«

Viktor warf ihr den im Gürtel steckenden Tabaksbeutel zu, den sie mit Begier ergriff und in ihr Hemd steckte.

»Sprich deutlich, Alte«, rief er. »Mir scheint, du selbst bist auf falscher Fährte! Gehörst du ins Lager da unten?”

»Ich sehe Euch täglich von da! Nehmt Euch nur in Acht vor dem jungen Popen. Er sieht es nicht gern, dass Euch Jowans schönes Kind gefällt!«

»Jowans schönes Kind? …«

»Nun ja! Ihr sollt, sagt man, sie für ein Zigeunerkind halten. Ihr wisst nicht, dass Markos Kind in den Konak ge­schleppt worden ist, nicht Jowans Tochter! Die Bulgaren in der Stadt wissen alle, dass man den Mudessarif an der Nase geführt hat, und der selbst wird es sicher dem Alten nicht vergessen … Tut das Mädchen fort, so lang ihr Franken hier was zu sagen habt, denn der Pascha wartet nur darauf, dass ihr von hier gen Osten abzieht.«

Viktor starrte die Alte betroffen an. Was sie sprach, war ihm nur die Bestätigung eines ihm selbst noch unklaren Verdachts.

»Es ist ein gar zu feines, verwöhntes Ding«, fuhr die Alte fort, ihre Kräuter in den groben Sack füllend. »Tut es fort von hier; sie ist die schönste Rose im ganzen Balkan, aber sie kann die fränkischen Sitten nicht vergessen, die sie da drüben bei den Nimbsche1 als Kind gelernt hat. Der Mudessarif weiß auch, was schön ist; er ist als Rumtsche2 geboren und bei den Franzis3 erzogen. Er hat die fränkische Weise gern und noch mehr des reichen Jowan Geld. Als man Markos Tochter vor ihn führte, hat er den Kopf geschüttelt. Ich habe es aus dem Ronak selbst, denn ich kenne seine Dienerinnen. Man tuschelte ihm ins Ohr, Jowans Tochter sei viel schöner, das sei nicht das Kind des reichen Kaufmanns, ein Zigeunerkind seines Hauses. Da hat er sie abführen und strafen lassen, und sie liegt noch an ihren Wunden da und will nicht verraten, wo Jowan sein Geld versteckt hat. Dem Jowan aber vergisst er den Streich nicht! … Tut sie weg, sage ich; aber Ihr, junger Herr, geht dem Popen aus dem Weg! Er liebt Euch nicht; ich habe es belauscht, wie er mit Jowan von Euch sprach. Er ist wohl ein heiliger Mann, aber er ist jung und hat selbst ein Auge auf das zarte, schöne Kind!«

Die Alte erzählte das, während sie mit den mageren Hän­den die Kräuter in den Sack stopfte.

»Wenn Ihr mich sucht, Ihr findet mich in den Tschaters!«

Damit erhob sie sich, warf den Sack über die Schulter und sprang über das Geröll hinweg in die Schlucht hinab.

Viktor schaute ihr in einiger Verwirrung nach. Was die Alte ihm gesagt hatte, stand als Wahrheit sonnenklar vor ihm. Darum Markos Unruhe, der wie ein Tiefsinniger umher­schwankte und keine Rast fand! Darum die Gleichgültigkeit Jowans um das traurige Schicksal seines Kindes! Und was in der Stadt alle Bulgaren wissen sollten, konnte ihm geheim geblieben sein! Dieses scheue Mädchen Jowans eigenes Kind! Er hatte sich seit seinem Auftreten im Haus ihr nicht zu nähern ver­mocht, wie schlau er es auch anzufangen gesucht. Sie stand vor seinen Augen, wie er sie bei seiner Ankunft in grober Zigeunertracht gesehen hatte, wie sie sich scheu vor seinen Blicken barg. Und war das Bild für ihn von eigenem Zauber gewesen, so war es das nun umso mehr, wenn er von den wilden Reizen, die er nur im Flug gesehen hatte, die Maske hinweg tat. Nur aus Furcht hatte man sie in diese Kleidung gesteckt; und wie gedankenlos war er selbst in jenem Augenblick gewesen! Eine Zigeunerdirne schämt sich ihrer körperlichen Vorzüge nicht, ein Zigeunerkind flieht nicht vor dem Auge eines Franken. Er hatte deren genug in ihrer unverstellten und unverhüllten Natur ge­sehen, jene schwarzäugigen Kinder der Zelte, die, das dunkle, wüste Haar mit lebenden Blumen geschmückt, den schlanken, bei der Jugend fast ausnahmslos schönen Körper nur mit dem groben kurzen Hemd bekleidet, ihn umringt, wenn er vorüberzog, ihn um Geld und Tabat angebettelt und ihm ohne Prüderie ihre Hora, ihren Bärentanz vorgeführt, wenn er es begehrt hatte.

Die Rolle von Markos Tochter hatte sie gespielt, als er sie damals überraschte, und er hatte an diese geglaubt, bis ihm in den nächsten Tagen die bessere Kleidung des Mädchens, ihr schüchternes Wesen auffällig wurde, das nimmer mit der Natur des Zigeunerwesens im Einklang stand!

Wie ein Träumer schritt er nun den Felsenpfad hinab ins Tal. Es kam ihm so vielerlei ins Gedächtnis, was ihm, selbst aus der Ferne gesehen, an dem Mädchen eigentümlich erschienen war. Er hatte auf der entgegengesetzten Seite des Tschardack ein deutsches Buch gefunden, eine Sammlung von Liedern deutscher Dichter, und als er Jowan fragte, hatte dieser geantwortet, ein Reisender habe es im vorigen Jahre da liegen gelassen. Er hatte, wenn es Nacht geworden war und alles umher in tiefer Stille lag, von dem anderen Flügel des Hauses her eine volle, tiefe Frauenstimme leise Melodien summen gehört, die ihm so heimisch bekannt ans Ohr geklungen waren; er hatte, wenn er nach Sonnenuntergang den groben Felsweg hinabschritt, der zum Ufer der Jantra führte, um die Kühle des Abends zu genießen, zierliche Spuren eines Frauenschuhes in dem zermahlenen Kalkstaub des Weges entdeckt, die so fremd­artig in dieser abgeschiedenen Wildnis erschienen.

Und noch ein anderes: Die alte Hexe hatte ihn vor dem jungen Priester gewarnt! Er war diesem nur zweimal be­gegnet, obwohl derselbe täglich aus der Stadt kam und stundenlang im Haus blieb.

Beim ersten Anblick war es ihm gewesen, als müsse das Ge­sicht des jungen Popen ihm bekannt sein. Indessen die Begeg­nung war eine allzu flüchtige gewesen. Beim zweiten Mal hatte Petrovic sich selbst verraten; er hatte sich abgewandt, als er mit ihm auf dem Flur zusammenstieß. Viktor hatte ihm einen Namen nachgerufen und Petrovic war sichtbar zusammen­gefahren.

»Die Alte warnte mich vor ihm! Besser wäre es, dünkt mich, ihn vor mir zu warnen!«

Damit betrat Viktor die grüne Talsohle. Vor ihm lag Jowans Gehöft, das ihm nun plötzlich in so ganz anderem Licht erschien.

Dort in jenem Flügel des Hauses lagen die Zimmer der schönen, flüchtigen Marinka! Von dort hatte er jenen leisen Gesang im nächtlichen Dunkel gehört, und auf jene kleine Seitentür des Gehöfts auch hatten die zierlichen Fußspuren im Sand geführt …

Der Abend sank bereits über das Tal herab; die Firnen warfen lange, noch matte Schatten über den weiten Wiesen­plan. Viktor wurde es eigentümlicher ums Herz, je näher er der Ansiedlung Jowans kam.

In den alten Steineichen rauschte der Abendwind, der von Osten zwischen den Felsen daher wehte und einen eigentümlichen Sang an den scharfen Kanten derselben unterhielt. Von den Tschaters drang bereits die Schalmei der Zigeunerbuben herüber. Zerlumpte braune Bursche trieben die mageren Esel, die einzige Habe der Bande, dem Lager zu und aus der Stadt her drangen die Stimmen der Imams von den Minaretten, welche die Gläu­bigen zum Gebet riefen.

Ermüdet vom Klettern auf dem scharfen Gestein und der schlüpfrigen Moosdecke des Waldes, ließ er sich unter den Eichen nieder. Ihm war es so seltsam zu mute. Um des alten Marko willen war er in Jowans Haus gekommen und hatte gerade diesem doch nicht helfen können.

Seit dem Morgen war er im Besitz einer Ordre des eng­lischen Vorpostenkommandeurs, laut welcher allerdings Jowan Silowic als Agent desselben zu dessen Verfügung und unter dessen Schutz stand, aber Markos Kind war in den Händen des Mudessarif geblieben und sollte zerschlagen im Konak liegen, verachtet, misshandelt sicher als Zigeunerin von der Dienerschaft, und über Markos Lippen war noch keine Klage gekommen!

Jowan selbst schien ihm wenig zu Dank bereit. Er hatte ihn seit gestern Abend nicht gesehen und bei der Gelegenheit eine Veränderung in seinem Benehmen wahrgenommen. Auch Jowan schien ihm auszuweichen. Viktor sah ihn oft mit dem jungen Priester zusammen. Marko hatte ihm sogar eine An­deutung gemacht, als habe Jowan sich den Mudessarif zu versöhnen gesucht durch große Geldopfer, eine Torheit, die diesen nur noch lüsterner nach seinen Schätzen machen konnte. Der Pascha nahm ihm stückweise das Leben!

Viktor war es dieser Tage immer gewesen, als jage ihn eine innere Unruhe fort, seinen Freunden nach zum Schwarzen Meer, und doch bannte ihn ein unverstandenes Etwas, das mit dem geheimnisvoll scheuen Wesen des Mädchens zusammenhing. Zu diesem Rätsel hatte man ihm heute den Schlüssel gereicht.

»Der Priester ist es offenbar, dem ich hier im Wege stehe!«, sprach er vor sich hin. Unheimlich überkam es ihn bei dem Gedanken, denn unter dem weiten Blätterdach der Eiche dunkelte es tiefer und nächtiger. »Jowan zieht wahrscheinlich den Schutz des Popen, des Bischofs vor, und dieser Petrovic vermag alles über ihn. Er hat ein Auge auf das Mädchen, sagte die Alte; er schleicht täglich im Haus umher und Jowan ist blind! Ich hätte Lust, diesem … Petrovic auch einmal ins Auge zu sehen! …«

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