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Helga Glaesener – Das Kind der Lügen

Helga Glaesener – Das Kind der Lügen

Der Kriminalroman von Helga Glaesener spielt im August bis September 1929 in Hamburg und Umgebung.

Am Anfang des Romans wird Mette Gerdes hingerichtet. Sie war Leiterin eines Heims für körperlich und seelisch Verkrüppelte, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in die Heimat zurückkehrten und von den meisten anderen Menschen ignoriert oder verachtet wurden.

Mette pflegte die Gestrandeten sorgfältig, verteilte gutes Essen und führte positive Gespräche mit ihnen, sodass sie nach Ansicht des Arztes, der die armen Leute ebenfalls betreute, große psychische Fortschritte machten.

Der Arzt wurde dann auch böse, als die Polizei Mette beschuldigte, mehrere ihrer Pfleglinge ermordet zu haben. Die Ermittlungen der Ordnungsmacht ergaben jedoch, dass die Heimleiterin einige der Insassen ihres Heims nötigte, Lebensversicherungen zu ihren Gunsten abzuschließen und diese Menschen dann ermordete.

Die Hinrichtung der Mörderin ist allerdings für die beteiligten Polizisten der weiblichen Kriminalpolizei und der Mordkommission nicht der Schlussstrich unter diese Vorkommnisse, sondern das Ganze beschäftigt sie noch längere Zeit.

Eine weitere Geschichte, die insbesondere Paula von der weiblichen Kripo und den Leiter der Mordkommission namens Martin Broder, zwei Polizisten, die sich persönlich sehr zugetan sind, beschäftigt, ist der Fall der in Bielefeld ansässigen Signe von Arnsberg, die gerade mit ihrer Tochter und deren Kindermädchen sowie ihrem treu ergebenen Chauffeur nach Hamburg gereist ist.

Paula trifft zum ersten Mal im Stadthaus, dem Sitz der Hamburger Polizei, auf Signe, die sich als vornehme Dame gibt. Sie schimpft hysterisch auf dem Gang, und als sie auf Paula trifft, hält sie in ihren Armen einen toten Pekinesen.

Sie wendet sich mit ihrem Anliegen an Paula, nachdem andere Polizisten sie abgewiesen haben. Der Hund wurde absichtlich unter ihrem Auto festgebunden, damit sie ihn überfahren musste, was sie auch tat. Nun will sie, dass die Polizei dieses Verbrechen aufklärt.

Paula erklärt ihr, dass Verbrechen nur an Menschen, nicht aber an Tieren begangen werden können, da Tiere als Sachen gelten. Sie vermutet hinter dieser Tat irgendwelche Lausebengel, die sich einen Spaß machen wollten.

Signe reagiert empört und verlangt, dass ihre Anzeige aufgenommen wird. Paula denkt an den Weltkrieg mit Millionen Todesopfern und findet ihr Anliegen unverhältnismäßig. Dennoch lässt sie ein Protokoll aufnehmen. Als die aufgeregte Dame das Stadthaus wieder verlässt, denkt Paula, diese sei irre.

Wenige Tage später hat Signe von Arnsberg einem Autounfall mit einer Grünen Minna nahe des Stadthauses. Kurze Zeit später taucht sie bei Paula im Büro auf und sagt, ihre Tochter Dorothee, sechs Jahre alt, mit nur einem Arm, sei zusammen mit ihrem Kindermädchen namens Alma spurlos verschwunden.

Da Alma und das Mädchen erst kurze Zeit fort sind, vermutet zu diesem Zeitpunkt jeder, dass sie sich nur verspätet haben und bald wieder da sein werden. Signe jedoch geht von einer Entführung aus, und Paula ist die einzige Polizistin, die sie bereits jetzt ernst nimmt.

Als sie mit der völlig panischen Mutter ins Hotel Atlantic geht, beginnt eine Story, die es in sich hat und die Polizisten und Polizistinnen von Hamburg an ihre Grenzen bringt.

 

Helga Glaesener versteht es meisterhaft, Spannung aufzubauen und immer weiter zu steigern. Sie breitet vor dem Leser eine verwickelte, differenzierte Geschichte aus, die ihn von Seite zu Seite mehr fesselt und immer neugieriger auf die Auflösung macht.

Auch versteht es die Autorin, die Hauptpersonen ihrer Geschichte von diversen psychologischen Standorten zu durchleuchten und sie einmal positiv, ein anderes Mal negativ erscheinen zu lassen, so dass der Leser manchmal nicht genau weiß, was er von ihnen zu halten hat.

Zudem kennt die Erzählerin auch die Orte genau, an welchen ihre Geschichte spielt, und weiß wohl sehr gut, wie das Hamburg der späten 20er-Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts aussah.

Darüber hinaus ist sie außerdem mit den Gepflogenheiten der Menschen in jenen Jahren sowie mit den ermittlungstechnischen Möglichkeiten der Polizei zu dieser Zeit gut vertraut. Dieses Wissen setzt sehr intensive Recherchen voraus, also Arbeit, die eine Autorin von historischen Romanen wie Helga Glaesener sehr gut leisten kann.

Besonders interessant an diesem historischen Kriminalroman ist die Tatsache, dass die Autorin über die Ermittlungen eines der ersten weiblichen Kriminalpolizeiteams in Deutschland schreibt, das die Verbrechen an Frauen aufklären sollte. Im Hamburg der 1920er Jahre entstand ein solches Team, und seine Arbeit und der Umgang der männlichen Kripobeamten mit den weiblichen Polizistinnen ist an diesem Ort wohl recht treffend beschrieben.

Fazit:

Die Verfasserin ist eine Meisterin des Spannungsaufbaus und der Psychologie ihrer Charaktere. Sie hat für das vorliegende Buch sehr genau recherchiert und die Zeit der ausgehenden 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts sehr treffend beschrieben

Insbesondere das Spannungsfeld zwischen der männlich dominierten Kripo und den ersten weiblichen Kriminalbeamtinnen ist in Das Kind der Lügen sehr gut aufgezeigt.

Ich kann diesen Krimi dem historisch interessierten Leser empfehlen, der auch Interesse an den ersten Zeichen der Emanzipation der Frau hat und zudem gerne spannende Geschichten konsumiert.

Die Autorin:

Helga Glaesener ist im November 1955 in Oldenburg geboren. Sie wuchs mit vier Geschwistern auf und verschlang schon als Kind eine Menge von Büchern. 1975 zog sie nach Hannover, studierte dort Mathematik und Informatik und heiratete kurz nachdem Vordiplom. Sie bekam Zwillinge und noch drei weitere Kinder.

1989, nach einem Umzug nach Ostfriesland, begann sie mit dem Schreiben. Nach drei Manuskripten für die Schublade interessierte sich der List-Verlag für sie. Mit dem Mittelalterroman Die Safranhändlerin kam der Durchbruch.

Am Die Autorin unterrichtet außerdem Kreatives Schreiben bei einer Fernschule und bei der ostfriesischen VHS. Eine weitere Liebe ist das Singen.

Quellen:

Bilder:

  • Cover des Romans. Mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags.
  • Foto der Autorin. Copyright: privat. Ebenfalls mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags

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