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Der Detektiv – Band 23 – Die Rose von Rondebosch – Teil 5

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 23
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die Rose von Rondebosch

Teil 5

Ich war vor Erschöpfung, Schmerzen und Abspannung in eine Art Halbschlaf versunken. Mit einem Mal schreckte ich auf. Die Kellertür war mit leisem Krach ins Schloss gefallen. Ich öffnete die Augen, sah Palperlon mit der Laterne, der gerade den Schlüssel im Schloss umdrehte. Dann trat er auf Harst zu, leuchtete ihm ins Gesicht.

»Haben Sie die Polizei herbestellt?«, fragte er mit unheimlicher Ruhe.

Ich beobachtete, wie Harst nickte.

»Ah! Also haben Sie damit selbst Ihr Todesurteil unterzeichnet!«, rief Palperlon leise. »In demselben Moment, wo die Häscher an die Tür donnern, gibt es hier zwei Tote!«

Er stellte die Laterne auf das eine Fass.

Mir trat eisiger Schweiß auf die Stirn. Garner musste die Umzingelung lächerlich ungeschickt vorgenommen haben! Ich hatte nur einen Wunsch, dass man uns hier unten nicht suchen möchte! Aber das war ein ziemlich zweckloses Wünschen! Ich schaute zu Harst hin. Er hatte die Augen mit den Lidern bedeckt! Sein Gesicht verriet auch nicht eine Spur von Aufregung.

Minuten verstrichen. Palperlon hatte nun in der Rechten einen Revolver, lehnte am Türrahmen und starrte vor sich hin.

Dann – Harst hatte den Rest des Knebels mit der Zunge wieder herausgestoßen, begann zu sprechen.

»Palperlon, ich würde Sie hier vielleicht schonen!«, sagte er gelassen.

Der Verbrecher fuhr hoch. Er musste mit seinen Gedanken in weiten Fernen gewesen sein.

»Hören Sie mich ruhig an, Palperlon. Niemand hier weiß, dass Sie Palperlon sind. Mein Wort darauf. Ebenso wenig weiß jemand bisher, wer der Dieb ist. Ich hatte nur Anweisung gegeben, das ganze Dienstpersonal Fitzgeralds zu verhaften, falls wir bis heute 8 Uhr morgens den Ingenieur Treebram nicht angeläutet haben sollten. Das ist die volle Wahrheit.«

Palperlon trat einen Schritt vor. Man merkte, dass er erleichtert aufatmete.

»Ich glaube Ihnen, Herr Harst,« sagte er hastig. »Was weiter?«

»Nun – unter diesen Umständen wäre es doch ein Unsinn, wenn Sie uns hier erschießen wollten. Sie haben die Rose von Rondebosch gestohlen. Händigen Sie sie mir aus und Ihnen wird dieses Diebstahls wegen nichts geschehen. Ich werde dann weiter verschweigen, wer Sie sind und wer der Dieb gewesen ist. Ich könnte Ihnen diese Schonung aber nur dann angedeihen lassen, wenn Sie mir versichern, dass Sie hier nicht etwa noch andere Schandtaten begangen haben oder begehen wollen. Geben Sie diese Versicherung ab, die natürlich auch auf Wahrheit beruhen muss, dann bewillige ich Ihnen eine Woche, um von hier zu verschwinden. Nach diesen acht Tagen sind wir Feinde wie bisher. Schnell – entscheiden Sie sich! Sie müssen uns losgebunden haben, bevor man hier eindringt. Nur dann kann ich alles harmlos erklären.«

»Und die Millionen dort in dem Mauerversteck?«, fragte Palperlon schnell.

»Die gehen Ihnen allerdings verloren. Aber was besagt das gegenüber der Aussicht, als freier Mann Kapstadt zu verlassen!«

Palperlon hatte die Lippen aufeinander gepresst. Er kämpfte mit sich. Dann rief er: »Gut – es sei! Ich versichere, dass ich hier lediglich den Edelstein gestohlen habe!«

»Und ich,« erklärte Harst nun, »gebe Ihnen mein Wort, meine Zusagen zu halten, falls diese Versicherung richtig ist. So. Simpson nun schnell! Schneiden Sie uns los. Es ist höchste Zeit. Ich höre oben im Haus bereits Schritte.«

Palperlon gehorchte, reichte dann Harst den Edelstein und meinte: »Ein schlechtes Geschäft für mich! Nun kann ich von vorn anfangen. All mein sauer verdientes Geld bin ich los!«

Nichts bewies die ungeheuerliche Abgebrühtheit dieses Verbrechers besser als dieser Ausspruch!

Wir gingen nun nach oben. Die Kellertreppe mündete im Hausflur. Kaum waren wir hier angelangt, als links eine Tür aufgerissen wurde. Inspektor Garner stand vor uns, prallte sofort zurück, rief: »Ah – da sind Sie ja!« Dann runzelte er ärgerlich die Stirn. »Herr Harst, was soll dies alles bedeuten? Wozu musste ich …«

Hinter ihm tauchten Fitzgerald und Treebram auf.

»Gott sei Dank!«, meinte Fitzgerald. »Ich war Ihretwegen schon in ernstester Sorge, meine Herren!«

»Das war unnötig,« erklärte Harst mit liebenswürdigem Lächeln. »Der wackere Simpson hatte uns bei sich versteckt, unten im Keller. Wir haben leider die Zeit verschlafen. Bitte, Master Garner, falls die beiden weiblichen Dienstboten und die Diener bereits verhaftet sein sollten, geben Sie sie wieder frei. Der Edelstein hat sich schon gefunden. Treten wir doch hier in Simpsons Wohnzimmer ein. Oder besser, gehen wir in die Villa hinüber. Ich wäre für ein Glas Wein dankbar, Master Fitzgerald, und auch der brave Simpson hat eine Herzstärkung verdient.«

Harst schauspielerte so glänzend, spielte so sehr den harmlos Vergnügten, dass er selbst mich täuschte.

Fitzgerald rief jetzt sofort: »Der Stein gefunden? Wo … wo ist er? Wo?«

»Hier – bitte!«, erwiderte Harst und hielt dem Überglücklichen die prachtvolle Rose von Rondebosch hin.

Fitzgerald griff danach. »Sekt trinken wir, Sekt!«, meinte er strahlend. »Kommen Sie – kommen Sie. Auch Simpson soll ein Glas haben – meinetwegen!«

Gleich darauf waren wir sechs im Salon versammelt. Simpson-Palperlon war bescheiden neben der Tür stehen geblieben. Fitzgerald reichte Zigarren, meinte: »Hier Simpson, bitte! Bedienen Sie sich auch.«

Harst war plötzlich mit einem Satz hinter Simpson gesprungen, umschlang ihn, rief Garner zu: »Handschellen her, Inspektor!«

Palperlon war so überrascht, dass er sich zu spät zur Wehr setzte. Die Fesseln schnappten ins Schloss. Er war gefangen.

Die Salontür ging auf. Die beiden Schwarzen trugen die Leiche Pooks auf einer Matratze herein. Auf einen Wink Harsts setzten die Neger die Matratze in der Mitte des Zimmers ab und entfernten sich dann wieder.

Dann begann Harst in knappen Worten zu schildern, wie sein Verdacht sich auf Simpson, den Mann mit dem künstlichen Buckel, mit falschem Bart und Perücke, gelenkt habe. Er erwähnte, dass Pook derjenige gewesen sei, der Simpson-Palperlon vor drei Jahren den Diebstahl des Steines unmöglich gemacht hätte, und dass Pook Simpson auch mit der Reitpeitsche geschlagen hätte.

»Palperlon!«, fuhr er dann fort, »Sie wollten nicht nur diese eine Rache haben, dass Pook als Dieb der Rose von Rondebosch vor der Öffentlichkeit galt. Nein, Sie hatten noch eine andere Rache vorbereitet! Sie haben Pook in Kapstadt gestern Vormittag in einer Verkleidung einen Basuto-Götzen verkauft, den Sie in ganz besonderer Weise hergerichtet hatten. Sie schlugen den Unterteil der Tonstatue ab, brachten im Inneren eine Nadel so an, dass der, der durch das Loch im Rücken des Götzen mit dem Finger hineinfühlte, sich stechen musste. Um nun Pook zu verleiten, dies zu tun, sperrten Sie in die Statue einen großen Käfer ein. Dann leimten Sie den Unterteil wieder fest. Als Pook mit diesem für seinen Oheim bestimmten Geburtstagsgeschenk hier in der Villa anlangte, wird er das Geräusch, das der Käfer verursachte, gehört haben. Er fühlte dann tatsächlich mit dem rechten Zeigefinger in das Loch hinein, stach sich an der vergifteten Nadel, beachtete diese kleine Wunde nicht weiter, sank dann aber sehr bald bewusstlos um. Bewusstlos! Nicht tot. Denn er lebt noch. Ich bemerkte die winzige Blutmenge unter dem Nagel des Zeigefingers. Ich habe auch mit meiner Messerklinge die Nadel im Inneren der Statue festgestellt und abgebrochen, damit sie nicht noch weiteres Unheil anrichte. Sie, Palperlon, wollten nichts andres, als dass Pook lebend seziert würde, dass er unter den Messern der Ärzte erst wirklich sterben sollte. Damit Sie nun nicht etwa, als Fitzgerald eine Obduktion untersagte, Pook auf andere Weise hinschlachteten, ließ ich die Leiche scharf bewachen. Dass Pook nur im Starrkrampf dalag, erkannte ich auf Grund meiner Vertrautheit mit indischen Nervengiften und ihren Wirkungen. Pooks Haut hatte, obwohl er doch erst kurze Zeit tot sein sollte, als ich ihn sah, jede Spannkraft verloren. Eine Hautfalte, die man hervorrief, behielt ihre Lage bei. Das genügte mir. Palperlon, die Nadel in der Statue war mit Varparoa vergiftet! Aber Sie wissen am besten, dass es für dieses höllische Zeug ein Gegenmittel gibt: Strychnin! Und nur dieses! Master Treebram, haben Sie die Injektionsspritze mitgebracht, wie ich es wünschte, und auch die genaue Menge Strychnin?«

Der Ingenieur reichte Harst beides.

Gleich darauf hatte Harst dem Opfer Palperlon’scher Tücke das Gift unter die Haut gespritzt. Die Wirkung war blitzartig. Durch Pooks Leib ging ein Zucken. Dann richtete Pook sich mit einem Ruck auf, schaute wild um sich. Harst drückte ihn wieder zurück.

»Bleiben Sie noch eine Weile ruhig liegen, Master Pook. Sie dürften zu schwach sein, aufzustehen. Eine Frage: hat Ihnen gestern Mittag jemand den Basuto-Götzen zum Kauf angeboten?«

»Ja. Ein alter Matrose«, erklärte Pook matt.

»So stimmt also auch diese meine Vermutung«, nickte Harst. »Palperlon, geben Sie zu, dieser Matrose gewesen zu sein?«

»Leugnen hätte kaum Zweck, Herr Harst,« sagte der große Verbrecher mit einer weltmännischen Verbeugung. »Ich kann nur abermals erklären: Sie leisten stets mehr, als ich in Rechnung ziehe. Dass Sie auch hinter das Geheimnis des Götzen gekommen seien, ahnte ich nicht. Meine Versicherung, lediglich den Stein gestohlen zu haben, war falsch. Sie haben mich also mit gutem Recht festgenommen.«

Dann ließ Garner Palperlon nach Kapstadt schaffen, fuhr selbst im Polizeiauto mit. Auch Treebram brach sehr bald auf. Wir begleiteten ihn bis ans Parktor. Als wir nun, Fitzgerald in der Mitte zwischen uns, der Villa wieder zuschritten, sprach dieser Harst nochmals seinen Dank für die Wiederherbeischaffung der Rose von Rondebosch in überschwänglichen Worten aus.

Harst blieb plötzlich stehen.

»Herr Fitzgerald«, sagte er mit einem seinen Lächeln, »Sie danken mir da für etwas, was kaum 1000 Mark Wert haben dürfte.«

Fitzgerald erbleichte.

»Wie … wie meinen Sie das?«, stammelte er.

»So, wie ich es sage. Die Rose von Rondebosch existiert nicht mehr, Herr Fitzgerald! Sie waren vor einem halben Jahr in bösen Geldkalamitäten infolge der Verschwendungssucht Ihrer Frau. Da haben Sie heimlich den Stein in vier Steine zerlegt, diese selbst geschliffen und durch Edward Pook in Amsterdam verkaufen lassen. Als diese vier prächtigen, so seltenen rosa Diamanten dann in den Handel kamen, berichteten die Zeitungen darüber, und in diesen Artikeln war auch erwähnt, dass ein Fremder, der einen falschen Namen angegeben hätte, die Steine veräußert habe, die in der Farbe genau mit der berühmten Rose von Rondebosch übereinstimmten. Dieser Fremde war eben Ihr Neffe, Herr Fitzgerald, den Sie ins Vertrauen gezogen hatten. Hier hinter kam ich gestern, als ich mit Treebram mich über den Diebstahl unterhielt. Da erzählte er mir, dass vor etwa sechs Monaten vier Steine in Amsterdam aufgetaucht seien, die Ihrer Rose in der Farbe völlig glichen. Und ich wieder holte dann aus ihm heraus, dass kurz vorher Pook einige Zeit in Europa gewesen war. Als ich mir nun weiter vergegenwärtigte, was alles mir an Ihrem Benehmen und Wesen aufgefallen war, sagte ich mir sehr bald das Richtige, dass Sie den Stein verkauft hätten, dies aber verschweigen wollten, dass der jetzt gestohlene Stein eine Imitation sei und Sie nun fürchteten, durch den Diebstahl könnte herauskommen, wie es mit Ihren Finanzen bestellt gewesen und auf welche Weise Sie diese wieder in Ordnung gebracht hatten! Sie sind ein sehr angesehener Mann und die Öffentlichkeit hätte von Ihnen ein anderes Bild erhalten, wenn bekannt geworden wäre, dass Sie alle Welt in dem Glauben belassen hatten, die echte Rose von Rondebosch lagere noch in Ihrem Museum. Daher Ihre Angst, daher Ihr Bestreben, Ihre damalige schlechte pekuniäre Lage abzuleugnen!«

Fitzgerald holte tief Atem. Dann streckte er Harst die Hand hin: »Sie haben recht! Ich werde jetzt aber die Wahrheit nicht länger verheimlichen.«

Wir blieben noch eine Woche als Gäste in Fitzgeralds Villa. Wir lernten auch noch Frau Lizzie Fitzgerald kennen, die ganz unerwartet zu ihrem Gatten zurückkehrte.

Dann geriet ganz Kapstadt über Palperlons Flucht aus dem Gefängnis in helle Aufregung. Und diese Flucht unseres alten Feindes führte uns an die Gestade eines weltfernen Eilandes. Hierüber im nächsten Band unter dem Titel Der Einsiedler von Tristan da Cunha Näheres.