Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Detektiv – Band 23 – Die Rose von Rondebosch – Teil 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 23
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die Rose von Rondebosch

Teil 4

Der Kutter konnte bei der ruhigen See bequem längsseits kommen. Wir stiegen hinüber, winkten dem Kapitän des Shurrfield noch einen letzten Gruß zu und wurden nun von Fitzgeralds Freund Treebram begrüßt, der uns in die kleine Kajüte führte, wo wir es sehr behaglich hatten. Treebram war Ingenieur beim Hafenamt in Kapstadt und wusste uns manch Interessante über die Kapkolonie zu erzählen, wo er nun bereits zwanzig Jahre weilte.

Ich war sehr müde und nickte bald in der Ecke des Wandsofas ein. Hin und wieder erwachte ich wohl, konnte aber vor Zigarettenrauch Harst und Treebram kaum noch erkennen, so dick hatten die beiden die Kajüte vollgequalmt.

Der Kutter fuhr die Ostküste der Kaphalbinsel entlang und legte dann kurz nach 2 Uhr morgens am Nordufer des Muizenberg-Salzsees an, der mit der False Bay durch einen Kanal in Verbindung steht. Hier am Ufer des Salzsees wartete ein von Treebram besorgtes Auto auf uns, das uns auf der tadellos gepflegten Fahrstraße nach Rondebosch brachte. Wir stiegen schon vor dem Villenort aus. Der Kraftwagen setzte den Weg nach Kapstadt fort.

Ich war nun munter. Der Schlaf in der Kutterkajüte war mir gut bekommen. Wir fanden uns in Rondebosch unschwer zurecht. Genau um 3 Uhr morgens kletterten wir über die Parkmauer der Villa Fitzgeralds und schlichen nun mit größter Vorsicht auf das Gärtnerhäuschen zu.

Dieses stand neben dem Parktor, war ein sauberer kleiner Ziegelbau mit flachem Pappdach und sah ganz wie ein nettes Sommerhaus aus. Zwei der Fenster zum Park hin waren matt erleuchtet. Da sie kaum 2 ¼ Meter über dem Erdboden lagen, konnten wir durch das eine, dessen Vorhänge nur halb geschlossen waren, bequem in die Stube hineinblicken, in der auf dem Nachttischchen neben einem einfachen Bett eine kleine elektrische Stehlampe mit gelbem Stoffschirm brannte.

Ein einziger Blick genügte: In dem Bett lag, nur mit einer Decke zugedeckt, ein Mann – Palperlon in der Maske, die er hier als Gärtner Simpson trug. Vor dem Bett wieder bemerkte ich eine Zeitung, die offenbar Palperlons Händen beim Einschlafen entfallen war.

Harst schwang sich schon auf die Fensterbrüstung. Die oberen Fensterflügel waren weit offen. Ganz geräuschlos schob er auch den Riegel der unteren auf, mit dem Arm hindurchlangend.

Der Weg war frei.

»Wir packen ihn sofort«, flüsterte Harst. »Du nimmst dich der Beine an. Da, er schnarcht! Er kann uns nicht entgehen!«

Ich war derselben Überzeugung. Ich dachte: Diesmal habt ihr ihn sicher. Und hatten wir ihn, dann würde endlich eine angenehmere Zeit für mich beginnen, denn dieser Kampf gegen Freund James kostete Nerven.

Harst kletterte als Erster hinein, trat sofort zur Seite, um mir Platz zu machen. Ich packte das Fensterkreuz, saß nun auf dem Fensterbrett, wollte mich langsam auf die Zimmerdielen hinablassen.

Da – links von mir ein dumpfer Krach und gleich darauf ein Ächzen. Ich schaute hin, ich sah, wie Harst wie ein Klotz umfiel, sah einen Mann irgendeine Waffe schwingen, erhielt einen furchtbaren Schlag gegen die Schläfe, flog vornüber und verlor das Bewusstsein.

Mein Erwachen war seltsam genug. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass man mir mit kleinen Hämmern ununterbrochen gegen den Schädel klopfe, mein Kopf selbst aber gar nicht mehr zu meinem Körper gehöre. Dass ich noch einen Leib besaß, spürte ich in keiner Weise. Als ich dann die Augen zu öffnen versuchte, fuhren mir glühende Stangen durch das Hirn. Ich ließ die Lider also geschlossen. Ganz allmählich gewann ich die Empfindung dafür zurück, dass an meinem schmerzgepeinigten Kopf auch noch ein Leib hing. Und dann wurde mir ebenso langsam klar, dass ich nicht etwa irgendwo ausgestreut lag, sondern schwebte. Ich gab mir alle Mühe zu ergründen, wie dieses Schweben zustande kam. Nun hatte ich es ergründet: Unter meinen auf dem Rücken gefesselten Armen war ein Strick durchgezogen. An diesem Strick hing ich.

Wieder nach einer geraumen Zeit gelang es mir, die Lider zu heben. Aber es war zwecklos gewesen. Um mich her lauerte schwärzeste Finsternis. Den Knebel im Mund fühlte ich nun auch, ebenso den Bindfaden, der den Knebel festhielt und meine Wangen und die Haut des Genicks einschnürte. Als Letztes stellte ich nun Fesseln an den Fußgelenken fest, von denen offenbar ein Strick nach unten lief, der meinen Körper gestreckt hielt.

Dann kehrte auch die Erinnerung an unsere Überrumpelung zurück. Palperlon hatte im Bett gelegen und einer seiner Kumpane musste uns niedergeschlagen haben. Kaum hatte ich mir dies klar gemacht, als ich ein Geräusch hörte: das Kreischen eines Türschlosses. Nun vernahm ich auch ein leises, vergnügtes Pfeifen. Der, der das Schloss geöffnet hatte, pfiff das gefühlvolle Lied Heimat, süße Heimat.

Plötzlich wurde es blendend hell ringsum. Ich starrte in den Lichtkegel einer großen Laterne hinein.

Das Pfeifen verstummte. Dafür sagte eine Stimme mit ironischer Liebenswürdigkeit:

»Guten Morgen, meine Herren. Wünsche wohlgeruht zu haben.«

Ah – kaum drei Schritt vor mir hing ja Harst in derselben Stellung wie ich! Und nun sah ich auch den Laternenträger: Es war der bucklige Simpson-Palperlon!

Er stellte die Laterne auf ein Fass, setzte sich auf ein anderes und rauchte ein paar Züge einer gut riechenden Zigarre, wobei er abwechselnd mich und Harst angrinste. Wir kehrten ihm halb die Gesichter zu und brauchten die Köpfe nur wenig zu drehen, um ihn voll vor uns zu haben.

Sein höhnisches, gemeines Grinsen entsprach ganz seinem Maske als Gärtner. Dass dieser Mensch ein vorzüglicher Schauspieler und Verkleidungskünstler war, wussten wir ja längst.

»Eine ganz nette Überraschung für Sie!«, begann er dann in etwas hartem, aber fehlerfreiem Deutsch. »Ja – so ein bisschen schlauer als Harald Harst bin ich doch noch zuweilen. Ihre Abreise kam mir gleich verdächtig vor. Der gute Fitzgerald hat es auch etwas ungeschickt angestellt, als er mit seinem Freund Treebram des Motorkutters wegen verhandelte. Da erst merkte ich, dass man den braven, alten Simpson durchschaut hatte und dass es für ihn ratsam war, für Harsts und Schrauts Empfang so einige Zurüstungen zu treffen. Dass Sie beide nicht mit der Polizei gemeinsam arbeiten würden, wusste ich. Ich brauchte also eine Umstellung meines Häuschens nicht zu fürchten. Die Puppe im Bett mit dem aus Lehm gekneteten Kopf und das Schnarchen taten das ihrige. Und ein Sandsack besorgte den Rest als beste Schlagwaffe. Nun hängen Sie hier im Sämereikeller meines Häuschens. Was fange ich mit Ihnen an? Ich habe allen Grund, Ihnen erneut zu zürnen. Die Geschichte mit der Muwuru-Mine haben Sie mir ja gründlich verdorben! Recht geheuer kam mir die ganze Sache dort von vornherein nicht vor. Ich ließ daher auch den braven Morrisson die Kastanien aus dem Feuer holen. Jetzt wollten Sie mir hier wieder Schwierigkeiten machen, nachträgliche Schwierigkeiten, denn die Rose von Rondebosch habe ich ja bereits. Im Vertrauen: Die Nachschlüssel hatte ich mir schon vor drei Jahren hier angefertigt. Doch damals klappte die Sache nicht. Wissen Sie, warum, Herr Harst?«

Harst schüttelte den Kopf. Auch er hatte einen Knebel im Mund.

»Ich kann es Ihnen ruhig sagen«, setzte Palperlon grinsend fort. »Die Schlüssel passten damals nicht ganz. Ich musste sie noch ausprobieren und nachfeilen.«

Dann fasste er in die Tasche und holte den Stein hervor, ließ ihn im Licht der Laterne funkeln und sprühen und meinte: »Ich werde ihn zerschneiden, denn in seinem jetzigen Form ist er unverkäuflich. Eine Million schlage ich dabei bestimmt heraus. Nun kann ich mich bald zur Ruhe setzen, Herr Harst. Dort …«, er zeigte auf einen bestimmten Mauerstein der Wand, »liegt mein Vermögen verborgen. Es sind jetzt alles in allem vier Millionen einschließlich der Rose von Rondebosch. Eine Million fehlt mir noch. Dann mache ich Schluss, kaufe mich irgendwo an und spiele den ehrenwerten Rentner. Wie wäre es, wenn Sie mir zu dieser Million verhelfen wollten, Herr Harst? Ich habe Sie beide in meiner Gewalt. Dass Sie diesen Keller lebend nicht mehr verlassen, können Sie sich selbst sagen. Wenn Sie mir aber auf Ihr Ehrenwort versprechen, mir eine Million auszuhändigen und mich fernerhin nicht zu behelligen, dann sind Sie beide frei.«

Harst schüttelte sehr energisch den Kopf.

»Das dachte ich mir!«, höhnte Palperlon. »Sie hoffen, Sie werden mir wieder entwischen wie schon so oft! Diesmal gelingt es Ihnen nicht. Sie beide werden spurlos verschwinden, und kein Mensch wird wissen, wo Sie geblieben sind. Es ist jetzt acht Uhr morgens. Um acht Uhr abends ist von Ihnen nichts mehr übrig. Dieses Häuschen wird niederbrennen, nachdem ich diesen Keller entsprechend durch Holz, Stroh und Petroleum hergerichtet habe. Schade, dass Sie so kläglich enden müssen, Herr Harst! Überlegen Sie es sich: eine Million! Was macht Ihnen das aus!«

Harst hatte die Augen nun geschlossen, regte sich nicht.

Palperlon schien enttäuscht, weil seine Drohungen nichts fruchteten. Er saß eine Weile still da und schaute vor sich hin. Dann änderte er seine Taktik. Er wurde Weltmann; sein Ton war der des wohlmeinenden Freundes, als er sagte: »Herr Harst, Sie können überzeugt sein, dass ich Sie tatsächlich gern schonen möchte. Ich habe Ihnen bereits bei anderer Gelegenheit erklärt, dass ich zu Ihren begeistertsten Bewunderern gehöre. Das ist keine leere Redensart! Gerade ich als Ihr Gegenpol sozusagen vermag am besten Ihre eminenten Fähigkeiten als Detektiv zu beurteilen. Sie haben das Stubenmädchen nach mir ausgefragt, nachdem Sie mich schon im Park bei meiner gärtnerischen Arbeit mit einem Blick gemustert hatten, der für mich ein Warnungssignal war. Sie werden auch den abgerissenen Knopf richtig eingeschätzt haben. Ich musste den Verdacht notwendig auf irgendjemand lenken. Dass Edward Pook sich dann den Argwohn Garners so sehr zu Herzen nehmen würde, konnte ich nicht voraussehen. Jedenfalls halte ich hier einen Selbstmord für das Wahrscheinlichste. Dass Sie niemand mitgeteilt haben, wer ich in Wahrheit bin, steht für mich fest. Ich kenne Ihre Arbeitsmethode. Es ist fast eine Schwäche von Ihnen, mit Ihrem Belastungsmaterial erst im letzten Moment hervorzutreten. Ich brauche also nicht zu fürchten, dass ich bereits in Gefahr bin. Herr Harst, geben Sie mir Ihr Ehrenwort! Opfern Sie die Million! Sie haben dann Ruhe vor mir, und die Welt auch!«

War das nun alles lediglich Komödie? War es ein raffinierter Versuch, Harst zur Nachgiebigkeit zu bewegen? Wirklich – aus diesem Palperlon war schwer klug zu werden. Der Mensch blieb stets ein besonderer Verbrechertyp!

Harst verhielt sich weiter regungslos. Palperlon schaute ihn forschend an. Harsts Augen waren nach wie vor geschlossen.

»Schade!«, meinte Palperlon. Das war alles, was er noch zu sagen hatte. Dann verließ er den Keller, schloss die dicke Bohlentür ab und schritt mit knarrenden Stiefeln eine Treppe hinauf.

Stille nun; Totenstille und undurchdringliche Finsternis.

Plötzlich fühlte ich, wie stark die Schmerzen bereits waren, die mir der unter den Armen durchgezogene Strick verursachte, an dem ich hing. Bisher hatte ich für diese Schmerzen keine Gedanken gehabt. Wie lange sollte ich wohl noch in dieser gestreckten Haltung hängen? Wie lange würde ich die Schmerzen, die sich notwendig steigern mussten, noch ertragen? Und was würde überhaupt aus Harst und mir werden? Würden wir hier unten lebend verbrannt werden? Ach, wie gern hätte ich wenigstens ein paar Worte mit Harst gewechselt! Welche Beruhigung wäre es für mich gewesen, wenn ich seine Stimme vernommen hätte, wenn er so herzlich vertraut gesagt hätte: »Lieber Alter …«

Hier riss mein Gedankenfaden jäh ab. Täuschte ich mich? War das nicht wirklich …

»Hast du sehr böse Schmerzen, mein armer Alter?«, raunte Harst aus der Dunkelheit mir zu, wirklich – Harst. »Nun – ertrage sie nur geduldig. Palperlon sagte, es sei jetzt acht Uhr. Dann erfreut er sich gerade noch einer Stunde seiner Freiheit. Sieh mal, er hat sich nämlich gerade diesmal verrechnet. Ich habe Treebram, als du in der Kutterkajüte so schön schliefst, genaue Verhaltungsmaßregeln für den Fall gegeben, wenn ich ihn heute früh 8 Uhr telefonisch nicht anrufen sollte. Dann wird er zu Garner eilen und diesen veranlassen, Fitzgeralds Villa zu umstellen und das ganze Personal zu verhaften, uns aber zu suchen, da wir dann eben in einen Hinterhalt geraten seien. Du magst dich wundern, dass ich gerade hier meiner Schwäche untreu geworden bin und einen Dritten so halb und halb ins Vertrauen gezogen habe. Der Grund hierfür ist der Tod Pooks. Du wirst das nachher schon verstehen, ebenso wie du noch auf allerlei Überraschungen rechnen darfst. Falls du gern gleichfalls freier atmen möchtest, rate ich dir, es ebenso zu machen wie ich, das heißt, den Knebel mit den Zähnen langsam zu zerkauen und die Stücke hinunterzuwürgen. Von meinem Knebel ist nur noch gerade so viel übrig, um Palperlon vorzutäuschen, ich hätte noch die ganze Leinwandkugel im Mund. Übrigens dürfte Palperlon seinen Vorschlag hinsichtlich der Million völlig ernst gemeint haben. Ich glaube, so langsam beginnt er doch einzusehen, dass seine Verbrecherlaufbahn ein böses Ende durch mich nehmen könnte. Er möchte wohl in der Tat sich zur Ruhe setzen. Nun, das wird auch geschehen. Nur in anderer Weise, als er denkt. Sollte er hier gefasst werden, dann sorge ich dafür, dass er in eine der Mörderzellen des neuen Gefängnisses in Kapstadt kommt. Dort ist ein Ausbrechen unmöglich. So, nun wollen wir abwarten. Ich rechne damit, dass gegen 9 Uhr Garner die Villa umzingelt haben kann. Harre also die eine Stunde schon noch aus, mein Alter.«

Ach – wie leicht ließen sich nun die Schmerzen ertragen! Aber auch – ach, wie furchtbar war dann die Enttäuschung und das Entsetzliche, was wir in bangen Sekunden erlebten.