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Slatermans Westernkurier 08/2022

Auf ein Wort, Stranger, hast du schon einmal etwas vom Axtmörder von Austin gehört?

Austin ist nicht nur seit 1839 die Hauptstadt des US-Bundesstaates Texas und jener Ort, in dem Marshal Crown, der Held unserer bekannten, gleichnamigen Westernserie lebt, sondern auch jene Stadt, in der zwischen den Jahren 1884 und 1885 einer der unheimlichsten und brutalsten Serienmörder des Wilden Westens sein Unwesen trieb. Man nannte ihn auch den Servant Girl Annihilator. Drei Worte, die den Menschen in Austin noch jahrzehntelang panische Angst einjagten, denn dieser Axtmörder wurde nämlich nie gefasst!

Bevor wir uns jetzt eingehender mit dem Axtmörder beschäftigen, sei noch erwähnt, dass seine Bezeichnung, Servant Girl Annihilator, nicht ganz zutreffend war. Er tötete nicht nur schwarze Dienstmädchen, wie es der Name vermuten lässt, eines seiner Opfer war männlich, eines ein Kind und zwei davon Frauen.

Ursprünglich wurden die Morde auch als Servant Girls Murders bezeichnet, jedoch setzte sich bei der Bevölkerung im Laufe der Zeit die Bezeichnung Servant Girl Annihilator durch, welche der Schriftstellers O. Henry, mit bürgerlichem Namen William Sydney Porter, geprägt hatte. Überhaupt war Porter, der nur 48 Jahre alt wurde, Schöpfer so mancher Begriffe und fiktiver Figuren, die auch heute noch in aller Munde sind. So publizierte er 1904 das Werk Kohlköpfe und Caballeros, das in Anchura, einer fiktiven mittelamerikanischen Republik spielt und deren reales Vorbild das damalige völlig korrupte Honduras war. Die dabei von ihm geprägte Wortschöpfung Bananenrepublik dürfte immer noch fast jedem geläufig sein. Er erschuf auch die Figur des Westernhelden Cisco Cid, der später in Filmen, einer Fernsehserie mit immerhin 156 Folgen und jeder Menge an Comics eine ziemliche Popularität erlangte.

Aber das nur am Rande.

Bevor ich auf die eigentliche Mordserie eingehe, die in der Nacht zum 30. Dezember 1884 ihren Anfang nahm, möchte ich zunächst noch einige Informationen zum Zeitgeist und den daraus entstandenen Vorkommnissen im Austin jener Tage vorausschicken, damit sich der Leser ein umfassenderes Bild von den Geschehnissen machen kann.

Der Bürgerkrieg war zwar schon seit fast zwanzig Jahren beendet, dennoch war die Sklaverei vielerorts noch immer vorhanden, ebenso wie Rassismus und der unbändige Hass auf die Nordstaaten, die das Land noch immer wie eine Zitrone auspressten. Junge Frauen, insbesondere Schwarze, Mexikanerinnen und Indianerinnen, aber auch junge und zumeist unverheiratete Weiße aus ärmlichen Verhältnissen waren dem Ethos der Südstaatler nach minderwertige Menschen, die höchstens als Dienerschaft oder Sklaven taugten. Sobald es diese jedoch durch Fleiß und Sparsamkeit zu einer Wohnung oder gar bescheidenem Wohlstand gebracht hatten, wurden sie von dem Teil der weißen Bevölkerung, der entweder zu faul war, um zu arbeiten, oder sich aus Kummer über den verlorenen Krieg den Verstand wegsoff, zum Freiwild erklärt. Und diese Weißen waren nicht wenige. Die texanische Hauptstadt machte hierbei keine Ausnahme. Besonders schlimm wurde es im Mai 1884, als durch eine Bankenkrise während der Nation Banking Ära ausgelöste wirtschaftliche Talfahrt das Land erfasste und Not und Elend über Texas brachte. In diesem Klima wurden auch in Austin die Übergriffe auf die Dienerschaft und hier insbesondere auf die weibliche immer häufiger.

Ihre Wohnungen wurden beschmiert, Scheiben eingeworfen und nachts brüllten Unbekannte in den Straßen, dass man sie schon bald vergewaltigen, aufhängen oder abschlachten würde. Erst Jahre später, nach Durchsicht alter Akten und Berichten von Zeugen, wurde bekannt, dass es dabei sehr wohl zu versuchten und auch vollzogenen Vergewaltigungen gekommen war. Aber die Dienstmädchen schwiegen entweder aus Angst oder Scham und die Behörden hatten kein Interesse, dem nachzugehen. Warum auch, die Opfer waren doch nur ehemalige Sklaven oder einfache Dienstmägde. Die Lage beruhigte sich erst etwas, als Bürgerwehren, die hauptsächlich aus Schwarzen bestanden, nachts durch die Straßen patrouillierten.

Doch dann kam jene schicksalhafte Nacht des 30. Dezember 1884.

 

*

 

Silbernes Mondlicht erhellte die Straßen von Austin, als kurz vor Mitternacht eine dunkle Gestalt durch die West Pecan Street zum Haus Nummer 901 von W. K. Hall schlich, das nur einen Block weit westlich des Shoal Creeks lag. Die Gestalt drang durch den Garten von hinten in das Haus und in die Wohnung von Mollie Smith ein. Das fünfundzwanzig Jahre alte schwarze Dienstmädchen lag im Tiefschlaf, als ihr Mörder über sie herfiel, sie vergewaltigte und dann mit einer Axt zerstückelte. Walter Spencer, ein weiterer Hausbewohner, wurde durch Mollies Schreie wach und eilte ihr zu Hilfe. Aber der Mörder schlug auch ihn mit seiner Axt nieder, verletzte ihn lebensgefährlich und entkam unerkannt.

Die Tat sorgte in der ganzen Stadt für Entsetzen. Doch nicht lange, dann kehrte in Austin wieder der Alltag ein. Warum sich auch weiter darüber aufregen, die Opfer waren doch nur Farbige, außerdem kehrte in der Stadt wieder Ruhe ein. Die Bürger von Austin hatten andere Probleme. Doch die Ruhe war trügerisch. Das neue Jahr war noch keine fünf Monate alt, als der nächste Mord geschah, und danach ging es Schlag auf Schlag weiter.

Man schrieb den 7. Mai 1885.

Wieder stand der Mond hoch am Himmel und wieder war es kurz vor Mitternacht, als der Axtmörder durch die Straßen schlich. Diesmal war sein Ziel das Haus von Lucien B. Johnson in der East Cypress Street 302, das im südlichen Teil von Austin, Ecke San Jacinto Street und Cypress Street lag. Dort wohnte auch das Dienstmädchen Eliza Shelley, eine dreißigjährige Mutter von drei kleinen Kindern. Der Axtmörder überraschte sie im Schlaf und erschlug sie mit seiner Axt. Es war nach Abschluss der Ermittlungen davon auszugehen, dass er versucht hatte, auch sie zu vergewaltigen, aber durch irgendetwas gestört wurde.

Etwas mehr als zwei Wochen später, am 23. Mai 1885, schlug der Mörder wieder zu.

Diesmal drang er in der East Linden Street in das Haus Nummer 302 ein und erstach dort die 33-jährige Irene Cross mit einem Messer. Daraufhin begannen die Behörden ihre Ermittlungen auszuweiten und ließen verstärkt Polizeistreifen in den Gegenden patrouillieren, in denen die Morde geschehen waren. Vielleicht war das auch der Grund, warum danach etwas mehr als ein Vierteljahr lang Ruhe einkehrte.

Es war dann im August 1885, als sich die Aufregung wieder etwas gelegt hatte und auch die Polizeipräsenz in den betroffenen Gebieten nicht mehr so groß war, als der Axtmörder wieder zuschlug.

Es war der 30. August, als er von hinten durch den Garten in das Haus von Valentine O. Weed eindrang. Das in der 300 East Cedar Street gelegene Gebäude lag nur einen Block weit von dem Haus entfernt, in dem vor etwas mehr als drei Monaten Eliza Shelley den Tod gefunden hatte.

Hier schlug der Killer die fünfzig Jahre alte Rebecca Ramey halb tot und vergewaltigte und ermordete ihre 11-jährige Tochter Mary.

Am 28. September, also keinen Monat später, drang der Axtmörder in das Haus von William Dunham ein und richtete unter den weiblichen Bewohnern des Hauses ein Blutbad an. Wieder war es eine laue Mondscheinnacht, wieder kurz vor Mitternacht, als er zuerst die 25 Jahre alte Orange Washington im Schlaf mit der Axt in Stücke schlug und danach der zwanzigjährigen Gracie Vance mit der Axt den Schädel zertrümmerte, sie in den Garten hinaus zerrte, vergewaltigte und anschließend ermordete. Danach ging er zurück ins Haus und fügte den beiden 17-jährigen Mädchen Lucinda Boddy und Patsy Gibson mit seiner Axt schwerste Verletzungen zu, die sie aber dank ihres Alters und ihrer guten gesundheitlichen Konstitution überlebten.

Danach glich Austin einem Tollhaus.

Aber trotz aller Bemühungen gelang es nicht, den Täter zu fassen. Im Gegenteil, Wochen später, am 24. Dezember 1885, also an Heiligabend, schlug der Axtmörder gleich zweimal zu.

An diesem Tag erschlug er in der 203 East Water Street Susan Hancock, 41, verheiratet mit Moses Hancock und Mutter der Kinder Lena, 15, und Ida, 10. Auch sie wurde mit einer Axt getötet und erlag ihren Verletzungen. Dann hastete er in die West Hickory Street, wo er die 17-jährige Eula Phillips, Mutter eines einjährigen Sohnes, mit seiner Axt so schwer verletzte, dass er sie ohne Widerstand in den Garten hinaus zerren konnte, wo er sie vergewaltigte. Ihren Mann, den 24 Jahre alten James Phillips, hatte er zuvor so zugerichtet, dass er seiner Frau nicht zu Hilfe eilen konnte. James überlebte, seine Frau nicht. Sie starb nach der Vergewaltigung unter den Axthieben des Killers.

 

*

 

Bis heute ist der Täter nicht bekannt, obwohl die New York Times Ende Dezember titelte, dass es in diesem Fall in Austin und Umgebung über 400 Festnahmen gab. Doch man konnte keinem der Verdächtigen die Tat nachweisen. Lediglich James Phillips, der Ehemann des letzten Opfers wurde verhaftet und aufgrund angeblicher Indizien verurteilt, seine Frau ermordet zu haben. Die Beweislage war allerdings so schwach, dass man das Urteil wieder aufhob und ihn für unschuldig erklärte. James Phillips war dennoch von diesem Tag an ein gebrochener Mann.

Ein weiterer Verdächtiger war ein Koch aus Malaysien mit dem Namen Maurice, auch weil die Morde aufhörten, als dieser 1886 das Land verließ.

Am wahrscheinlichsten jedoch gelten die Vermutungen der Mitarbeiter der Serie History Detectives, die vom Fernsehsender PBS regelmäßig ausgestrahlt wird. In der am 15. Juli 2014 ausgestrahlten Folge behaupten diese, mit Hilfe eines Profilers und einem Algorithmus, der berechnete, wo der Mörder wahrscheinlich wohnte, dass der Servant Girl Annihilator der damals 19-jährige afroamerikanische Koch Nathan Elgin war. Sie stützten ihre Behauptungen darauf, dass Elgin einen Klumpfuß hatte und genau solche Fußabdrücke an fast allen Tatorten gefunden wurden. Außerdem war Elgin polizeibekannt, weil er bereits mehrere Frauen sexuell belästigt und mit dem Messer angegriffen hatte. Zudem wohnte er genau in dem Viertel, wo die ganzen Morde geschahen. Sämtliche Tatorte waren nur wenige Häuserblocks voneinander entfernt. Als ihn die Polizei im Februar 1886 verhaften wollte, weil er eine Frau betatschte und mit einem Messer bedrohte, wäre es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Elgin ein Geständnis ablegte. Aber dazu kam es nicht. Nathan Elgin widersetzte sich nämlich seiner Festnahme, griff die Polizisten an und wurde von einem der Beamten erschossen. Die Theorie der History Detectives Mitarbeiter wurde noch durch die Tatsache untermauert, dass ab diesem Februar die Morde für immer aufhörten.

Der Fall zeigt, dass Austin zu Zeiten von US-Marshal Jim Crown durchaus ein heißes Pflaster war und sich die Ermittlungen der Gesetzesvertreter nicht immer nur um Bankräuber, Viehdiebe oder aufständische Indianer drehten.

Quellenhinweis: