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Art-Horror – Die Filme von Ari Aster und Robert Eggers

Adrian Gmelch
Art-Horror
Die Filme von Ari Aster und Robert Eggers

Horror, Sachbuch, Klappenbroschur, Büchner Verlag, Marburg, September 2022, 220 Seiten, 26,00 EUR, ISBN 9783963173189
Auch als ePDF erhältlich: 22,00 EUR, ISBN 9783963178689
Synopsis:

Der Horrorfilm – ein in Verruf geratenes Filmgenre – erlebt in den letzten Jahren eine wahre Renaissance: Mit nur einigen wenigen Werken wie etwa The Babadook (2014), The Witch (2015) oder Hereditary (2018) gelang es einer neuen Generation von Regisseur*innen, das in die Jahre gekommene Horrorgenre spektakulär wiederzubeleben und aufzuwerten. Die Kritik zeigte sich begeistert, es fielen Begriffe wie elevated, intelligent oder smart, um dieses als neu identifizierte Subgenre des Horrorfilms zu beschreiben. Doch was charakterisiert es? Können gewöhnliche Horrorstreifen nicht auch smart sein? Was ist der Unterschied zu anderen Gattungen des Horrorfilms?

Diese neue Riege von Filmemacher*innen verbindet den Arthouse- mit dem Horrorfilm und schafft dadurch ein Genre, das am besten mit dem Begriff Art-Horror gefasst werden kann – Horrorfilm als Kunstwerk. Die beiden wichtigsten Vertreter dieser Bewegung, Robert Eggers (The Witch) und Ari Aster (Hereditary), werden hier in einer Doppelbiografie vorgestellt. Die detaillierte Analyse ihrer Filme zeigt dabei, was den Art-Horror tatsächlich auszeichnet.

Der Autor:

Adrian Gmelch, geb. 1993 in Rosenheim, ist im Bereich Unternehmensmarketing tätig. Seit er sehen und hören kann, hat er ein Hobby: Film. Gmelch hat nicht nur selbst Kurzfilme gedreht, sondern schreibt auch Filmkritiken und -beiträge. Seinem Hobby hat er außerdem bei Wikipedia freien Lauf gelassen und hunderte Artikel mit Fokus auf Film und Fernsehen geschrieben. Einige davon wurden von der Community mit dem Prädikat »lesenswerter Artikel« ausgezeichnet. Mit Die Neuerfindung des M. Night Shyamalan (2021) hat er sein erstes Filmbuch veröffentlicht.

Zur Autorenseite adrian-gmelch.com

Leseprobe:

Die Welt des Art-Horror – eine Einleitung

Seit nunmehr fast zehn Jahren hat das Horrorgenre im Film so etwas wie eine Renaissance erlebt. Den Anfang machten dabei vor allem It Follows (2014) von Robert David Mitchell und The Babadook (2014) von Jennifer Kent. So verschieden beide Filme auch sein mögen, so vereint sie doch ein besonderer Hang zur Paranoia, zum ständigen Verfolgtwerden, was in einer meisterlichen Atmosphäre des Unbehagens mündet. Die Werke scheinen sich nicht primär fürs Horrorgenre zu interessieren, sondern für die Geschichte, welche erzählt werden soll. In The Babadook geht es zunächst vor allem um die Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind und in It Follows spielen die sexuellen Problemwelten von pubertierenden Teenagern eine zentrale Rolle. Der Horror ist in beiden Fällen meistens nur eine stilistische Entscheidung, um die Geschichte dem Zuschauer nachdrucksvoller und emotionaler zu vermitteln.

Diesen Filmproduktionen folgten eine Menge weiterer Horrorfilme, die ähnlich gekonnt mit dem Genre und der Narration umgingen. M. Night Shyamalan, Regisseur und Autor von Horror-Klassikern wie The Sixth Sense (1999) oder Signs (2002), der danach jedoch in Verruf geraten war, erfand sich mit The Visit (2015) und Split (2016) nicht nur neu, sondern fügte dem Horrorgenre gleich zwei intelligente wie anspruchsvolle Filme hinzu. The Invitation (2015) von Karyn Kusama war alles andere als ein gewöhnlicher Slasher-Horrorfilm, denn er vernachlässigte Genrekonventionen zugunsten einer messerscharfen Sozialkritik, die noch lange nachwirkte. Der Film wurde zum Überraschungshit auf dem bekannten SXSW Festival 2015 in Texas. Jordan Peele legte zwei Jahre später mit Get Out (2017) einen der meistdiskutierten Horrorfilme der letzten Jahre vor, der durch eine ungeahnte Leichtigkeit und Virtuosität besticht und ebenfalls als Kritik an der amerikanischen Gesellschaft funktionierte. Mit dem darauffolgenden Us (2019) blieb er diesem Stil treu, konnte diesmal aber weit weniger überzeugen. It Comes at Night (2017) von Trey Edward Shults zeigte den Horror-Endzeitfilm in einem vollkommen neuen Licht. Mit dem Film schuf Shults einen wahrgewordenen, intimen Alptraum – Nächte einer Apokalypse waren noch nie so gruselig wie hier. Auch Darren Aronofskys missverstandenes Mother! (2017) fällt als innovativer biblischer Horror in diese Kategorie von Filmen. In der Tat bedient Aronofsky damit so manches Genre-Element des Horrorfilms, gibt dem aber eine gänzlich andere, ja religiös-universelle Bedeutung. In Relic (2020) inszeniert Natalie Erika James die Beziehung einer Mutter und ihrer Tochter zur an Demenz leidenden Großmutter und deren bevorstehenden Tod im Gewand eines Horrorfilms und erschafft so eine interessante Perspektive zum Thema des Alterns.

In dieser, nennen wir sie einmal neuen Bewegung des Horrorgenres, ragen aber vor allem zwei Filmemacher heraus, die ihre jeweiligen Erstlingswerke genau dort mit viel Nachdruck verankerten. Robert Eggers schockte das Sundance Filmfestival mit seinem historischen Hexen-Horrorfilm The Witch (2015) und räumte dabei gleich den Regie-Preis ab. Der vier Jahre später erschienene The Lighthouse (2019) konnte die Erwartungen an den jungen Regisseur dann noch einmal steigern. Währenddessen hatte Ari Aster mit dem innovativen Horrordrama Hereditary (2018) Kinogängern das Blut in den Adern gefrieren lassen – man berichtete von einer der angsteinflößendsten Filmerfahrungen überhaupt. Die Kritik sprach vom „Exorzisten einer neuen Generation“. Ähnlich wie Eggers mit The Witch zuvor räumte Aster mit seinem ersten Spielfilm eine beachtliche Zahl an Preisen ab. Gerade einmal ein Jahr später brachte er dann Midsommar (2019) in die Kinos und entführte die Zuschauer diesmal in einen nicht enden wollenden, lichtdurchfluteten Sommer des Grauens – ähnlich wie der Klassiker The Wicker Man (1973), nur noch einmal ein ganzes Stück bizarrer, brutaler und, ähm ja, bäriger (für diejenigen unter den Lesern, die den Film gesehen haben). Die Gemüter waren ähnlich erregt und irritiert.

Es sei hier einmal angemerkt, dass es sich bei all den bis jetzt erwähnten Filmen um englischsprachige Produktionen vornehmlich aus den Vereinigten Staaten handelt. Gerade dort ist die seit 2010 erlebte Renaissance des Horrorfilms besonders populär. Auch manche Filme aus Europa, wie Ich seh Ich seh (2014) oder Hagazussa (2017), fallen unter diese Kategorie, doch die US-Produktionen sind zahlreicher, ambitionierter und sollen hier deshalb als Maßstab gelten.

Doch zurück zu den weiter oben erwähnten Filmemachern: Mit gerade einmal jeweils zwei Filmen hatten Eggers und Aster es geschafft, nicht nur auf sich aufmerksam zu machen, sondern auch ein oftmals als verbrannt verschrienes Genre auf ganz eigene Art und Weise wiederzubeleben. Die Kritik zeigte sich – wie bereits erwähnt – begeistert. Und auch finanziell konnten die Filme zumindest Teilerfolge feiern. Das Mainstream-Publikum blieb den Filmen dennoch fern. Dass der durchschnittliche Kinogänger und selbst eingefleischte Horrorfans mit den Filmen nicht viel anfangen können, zeigt jeweils der CinemaScore [auf einer Skala von A+ (gut) bis F (schlecht)] der Filme in den Vereinigten Staaten.1 Hereditary bekam ein deftiges D+, Midsommar ein etwas besseres C+, The Witch hingegen ein C-. Den anderen Horrorfilmen wie It Comes at Night (D) oder Mother! (F) erging es nicht anders. Nur die Filme von Shyamalan und Peele schnitten besser ab, weil sie den klassischen Entertainment-Charakter weit mehr hervorheben, als es die anderen genannten Filmemacher tun. Somit bewältigen diese beiden Regisseure den Spagat zwischen Mainstream und Autorenkino besser als die anderen. Das mag ein Vor- oder Nachteil sein, je nach Betrachtungsweise. Für Filmliebhaber, Leser der Cahiers du Cinéma und progressiven Fans des Horrorgenres waren diese Independent-Regisseure, die dem Mainstream-Kino den Mittelfinger zeigten und ganz auf originelles Arthousekino setzten, jedoch ein Glücksfall. Ich behaupte einmal (und belege das später): Nie war Horror so gut – so originell, so attraktiv, so ästhetisch.

Auch bemerkenswert: Es waren vor allem zwei US-amerikanische Filmproduktions- bzw. Filmverleihfirmen, die für diese Welle an neuen Horrorfilmen sorgten. A24, die 2012 gegründete Filmproduktionsgesellschaft aus New York, und Blumhouse Productions, die Low-Budget-Produktionsfirma von Jason Blum aus dem Jahr 2000, produzierten einige dieser mutigen Filme, wobei letztere eher noch auf ein Mainstream-Publikum abzielte als die erste. Blumhouse produzierte die oben genannten Filme von Shyamalan und Peele und lieferte mit der Miniserie Sharp Objects (2018) und der Horrorsozialsatire The Hunt (2020) von Craig Zobel weitere Beweise für eine mutige Herangehensweise an das Genre. Und A24, zu dem ich im ersten Kapitel gleich noch einiges sagen werde, produzierte bzw. verlieh nicht nur die Filme von Aster, Eggers und Shults, sondern wagte sich mit dem Vertrieb von kunstvollen Horrorthrillern wie Enemy (2013) von Denis Villeneuve, Under the Skin (2013) von Jonathan Glazer oder The Killing of a Sacred Dear (2017) von Giorgos Lanthimos noch weiter in dieses Territorium vor. Ohne diese Produktionsgesellschaften und den risikofreudigen Menschen dahinter wäre diese Art von Filmen wohl nie zustandegekommen. Und wie das Beispiel Eggers noch zeigen wird, so mussten die Filmemacher doch dafür kämpfen bzw. sich beweisen. Geschenke gibt es eben reichlich selten in der Filmindustrie.

Eine weitere Gemeinsamkeit fast all dieser Filme: Regisseur und Drehbuchautor sind ein und dieselbe Person. Diese (jungen) Filmemacher wollen über die Geschichte von Anfang bis Ende bestimmen und nicht eine fremde Story, ein fremdes Drehbuch vorgesetzt bekommen. Bis auf Villeneuve und Zobel haben alle Regisseure auch das Drehbuch alleine bzw. zusammen mit einem Co-Autor geschrieben. All dies deutet daraufhin, dass die Filmemacher ganz persönliche Geschichten zu erzählen haben, was sich beim Ansehen auch durchaus bemerkbar macht. Die Filme scheinen so, als ob sie den Regisseuren besonders am Herzen liegen, als ob es ihre ganz persönliche Erfahrung sei, als ob sie es selbst erlebt hätten und nun ihre Geschichte einem (noch) abstrakten Publikum erzählen möchten. Mit oftmals erschreckendem und faszinierendem Hang zum Detail. Stichwort Detail – hier ist ein Element ausschlaggebend, welches ich bereits in den ersten Zeilen dieser Einleitung erwähnt habe: Das Erzählte, die Geschichte und die Themen, die damit einhergehen, sind wichtiger als das Genregerüst, in dem sie verortet werden, dem Horrorfilm. Die Filmemacher verwenden das Genre zu ihren Zwecken, passen es an, deuten es neu, ja missbrauchen es vielleicht sogar. Egoistisch und kreativ wie sie sind, ziehen sie ihr ganz eigenes Ding durch, der Horror ist „nur noch“ Mittel zum Zweck, ein bloßer stilistischer Rahmen, der der persönlichen Geschichte des Filmemachers, die ihm das wichtigste Gut ist, dient. Dem aufmerksamen Leser und Filmliebhaber stellen sich hier natürlich gleich mehrere Fragen und Problematiken: Ist Horror denn nicht schon immer nur Mittel zum Zweck gewesen? Ein Mittel, um den Zuschauer zu erschrecken, ja erschauern zu lassen? Ist der Horrorfilm denn keine Kunst? Wann ist ein Film Kunst, und wann nicht? Was macht hier den Unterschied?

All diese Fragen werden aufgegriffen und erörtert, bei dem Versuch mit diesem Buch dem Phänomen des Horrorfilms als Kunst auf den Grund zu gehen. Dies geschieht beispielhaft an den Filmen der Regisseure Ari Aster und Robert Eggers. Die vertretene These: Eggers und Aster sind die exemplarischen Vertreter eines noch relativ jungen Subhorrorgenres, des „Art-Horrors“ bzw. des Horrorfilms als Kunst. Eine Doppelanalyse beider Filmemacher bietet sich an, da Aster und Eggers sich fast im gleichen Alter befinden, gute Freunde sind und jeweils einen interessanten Weg zum Film zurückgelegt haben. Und weil ihre Filme, so unterschiedlich sie auch sein mögen, interessante, große Gemeinsamkeiten aufweisen, die ein gewisser Ausdruck des Zeitgeists sind. Demnach beginnt das Buch mit einer parallelen Schilderung des Lebens und der Entwicklung der Filmemacher, quasi einer Doppelbiografie (Kapitel 1) bis dann im Hauptteil das Horrorgenre im Hinblick des Art-Horrors näher beleuchtet wird (Kapitel 2) und die Filme von Aster und Eggers hinsichtlich vier Charakteristika analysiert werden (Kapitel 3).

Show 1 footnote

  1. CinemaScore ist ein auf die Kinobranche spezialisiertes Marktforschungsunternehmen mit Sitz in Las Vegas, Nevada. Das Unternehmen sammelt zu in den Kinos der Vereinigten Staaten und Kanada anlaufenden Filmen stichprobenartig Bewertungen von Kinobesuchern, mit denen die Filme auf einer Skala von A+ bis F eingestuft werden. Die CinemaScore-Benchmark-Tests sind unter folgender Webseite zu finden: www.cinemascore.com