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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Der Raubüberfall im Grand Central Depot – Kapitel 5

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Der Raubüberfall im Grand Central Depot
Ein Detektivroman

Eine überraschende Entdeckung

Der Detektiv hatte für seine Zwecke dieselbe Verkleidung gewählt, welche er am Vorabend anlässlich seines Besuchs im Saloon Ecke der 2nd Avenue und 42th Street, wo der den braven Bill Conlin nach allen Regeln der Kunst ausfragte, getragen hatte. Er hatte dies aus dem Grund getan, weil er annehmen konnte, der Bursche werde die Gegend unsicher machen und ihm vielleicht manche wissenswerte Neuigkeit mitteilen können.

Darin sollte Nick Carter sich auch nicht getäuscht haben. Es war noch früh am Morgen, als der schon seit Stunden seinen Beobachtungsposten einnehmende Detektiv seinen Mann um die Ecke biegen und auf das kleine Hotel, in welchem Staples abgestiegen war, zustreben sah. Natürlich wusste Nick es einzurichten, dass er gerade unter der Eingangstür zum Saloon, rein wie zufällig, mit Conlin zusammentraf.

»Na, du bist mir ein schöner Kerl!«, fuhr dieser ihn an. »Warum drücktest du dich denn heute Nacht, was? Du und dein Freund, ihr seid ein paar Feine; auch der andere war plötzlich verschwunden.«

»Well, lass mich wenigstens am Leben«, wehrte Nick ab. »Was habe ich von all den Redensarten, eh? Unsereiner braucht Geld, und da ich ein kleines, sicheres Geschäft wusste, so besorgte ich das zuerst, verstanden? Übrigens lauere ich nun schon eine geschlagene Stunde auf meinen Freund … Der wollte mich zu dem Mann mit dem verstauchten Fuß da drinnen führen … Er meinte, der hätte wirklich einen Auftrag für uns, wobei was zu machen würde.«

»Well, die Einführung kann ich geradeso gut besorgen«, meinte Conlin. »Hast du denn heute Nacht wirklich etwas gemacht, eh? Alle Wetter!«, sagte er ganz erstaunt, als ihm der Detektiv statt einer Antwort eine Rolle Banknoten unter die Nase hielt. »Das ist mir der liebste Geruch«, versicherte er. »Du scheinst mir ein ganz Gerissener zu sein, Pard … Bei dir möchte ich wohl noch mal in die Schule gehen … Doch komm nur herein. Staples wird es schon recht sein. Er meinte, dein Freund sei all right, da wirst du es auch sein, eh?«

Ohne Zögern folgte Nick der Aufforderung, denn solange er sich im Zimmer bei Staples befand, konnte er nichts versäumen. Der Saloonkeeper war noch nicht aufgestanden und der Bartender wusste nicht einmal, ob ein Mr. Staples im Hotel wohnte. Das wusste Bill Conlin nun besser. Immerhin nahm es einige Zeit in Anspruch, bis der Bartender beiden endlich erlaubte, sich ins Haus hinaufzubegeben – ein Zögern, das bei dem wenig vertrauenswerten Äußeren des verkleideten Detektivs immerhin begreiflich war.

Oben fanden sie keine Schwierigkeiten, Einlass in Staples Zimmer zu erhalten. Sie fanden den Mann in großen Schmerzen; die Entzündung an seinem Fußknöchel war weiter fortgeschritten und er hatte die ganze Nacht über kein Auge zutun können. Misstrauisch sah er auf die Eintretenden.

»Wer ist das?«, fragte er und deutete unter leisem Stöhnen auf Nick. »Der Mann ist doch nicht Johnny?«

»Nein, ich bin Mike«, erklärte der Detektiv, der alsbald begriff, dass Chick sich ihrer gewohnten Decknamen bedient hatte. »Johnny kommt später, weil mein Freund Billy hier doch gesagt hat, es sei wegen einem Stück Arbeit. Wenn es was zu verdienen gibt und es sich lohnt, bin ich dabei …«

»Der Mann ist all right«, wisperte Conlin auf einen fragenden Blick des zu Bett Liegenden. »Ich erzählte euch doch von ihm … Er ist von den Black Cats, und das ist eine feine Nummer.«

»Well, mag sein«, brummte Staples verdrießlich. »Doch was soll ich eben mit dem Mann?«

»Der Teufel ist los!«, raunte Conlin ihm zu. »Danny Martin sitzt ein und die Ledertasche ist fort. Er sagt, ein Freund von ihm, ein gewisser Coleman, habe sie gestohlen. Darum haben sie sich gegenseitig fürchterlich verprügelt, bis sie sämtlich verhaftet wurden.«

»Und die Mappe«, keuchte Staples, der sich entfärbt hatte.

»Ich sagte es euch ja schon, sie ist weg … wie vom Erdboden verschwunden. Ich habe einen alten Freund unter der Mannschaft von der Polizeistation an der 27th Street West. Well, der erkannte Danny und ließ es mich wissen. Ich habe in aller Frühe schon mit ihm gesprochen und ihm eine tüchtige Portion Prügel zugesichert, sobald er wieder rauskommt.«

»Das interessiert mich nicht«, knurrte Staples stöhnend. »Damit kriegen wir die Mappe doch nicht wieder. Was sagte der Kerl denn?«

»Well, er hat mit seinem Freund Coleman nachgeschaut, was eigentlich drin ist, das räumt er ein«, berichtete Conlin nun im vorigen Flüsterton. »Als er die Tasche, die er gerade neben sich auf einen leeren Stuhl gelegt hatte, wieder zu packen kriegen will, ist sie weg. Darüber ging die Schlägerei los, die mit der Verhaftung beider endete.«

»Na, das ist ja eine schöne Geschichte!«, ächzte der im Bett Liegende unter schmerzlichem Aufstöhnen. »Hätte ich mich mit euch Schwefelbande doch nicht eingelassen! … Aber wie kann man die Tasche auch solch einem Esel, wie dieser Danny einer ist, anvertrauen?«

»Der Danny ist all right. Im Übrigen war es doch nicht meine Schuld, dass ihr so ungeschickt vor dem Tropf, dem Nick Carter, ausgerissen seid … Mich hätte er nicht gekriegt, darauf verlasst euch … Freilich, so ein Mann aus Chicago, da ist alles möglich!«

Der Fuß schmerzte den Verhöhnten zu sehr, als dass er ihm dies mit gleicher Münze heimgezahlt hätte.

»Allerdings!«, stieß er hervor. »Schimpfen kostet nichts, und da Ihr kein Geld kriegt, so …«

»Kein Geld? Was soll das heißen?«, fragte der vor dem Bett Stehende drohend. »Es ist die höchste Zeit, dass Ihr mit dem Zimt herausrückt, denn meine Boys werden schon verd… ungemütlich.«

Staples lachte und stöhnte zugleich. »Well, das Vergnügen habt ihr billig!«, knurrte er dann. »Für was soll ich denn zahlen? Durch eure Tölpelei kriege ich selbst nichts … erst recht nicht, nachdem die Aktentasche fort ist.«

»Ich will euch nicht drängen«, lenkte Bill Conlin ein, der merkte, dass er zu weit gegangen war. »Schließlich war es doch nur ein unglücklicher Zufall, und ihr könnt so wenig dafür wie ich oder meine Leute. Man wird die Tasche eben wieder herbeischaffen müssen, das ist alles.«

»Wunderschön bemerkt!«, ächzte Staples. »Wenn sie dadurch nur auch schon wieder herbeigebracht wäre. Was soll ich denn nun meinem Auftraggeber sagen, eh? Der wird Augen machen!«

»Darum brachte ich ja auch Mike mit«, begütigte Conlin weiter. »Der und Johnny können …«

»Was denn?«, unterbrach ihn der Leidende ungeduldig. »Gar nichts können sie … Macht, dass ihr rauskommt!«, schalt er. »Das heißt, bleibt unten im Saloon. Brauche ich euch, so lasse ich es euch wissen.«

Dann, als sich die beiden gehorsam trollen wollten, rief der im Bett Liegende nochmals Conlin zurück. »Geh einstweilen herunter in den Saloon«, flüsterte dieser dem Detektiv zu. »Ich komme gleich nach.« Damit schob er Nick vollends aus der Tür und schloss diese.

Nick Carter blieb lauernd im Gang nahe der Treppe stehen und spähte umher. Gar zu gerne hätte er gehört, was Staples dem anderen noch allein zu sagen wünschte. Die in des Ersteren Zimmer führende Tür lag am hinteren Ende des Korridors, der nur vom Treppenhaus her Licht empfing und darum vollständig finster war. Zum Überfluss versperrte noch ein riesenhafter Kleiderschrank den Korridor zur Hälfte und verdeckte auch das Oberlicht der Zimmertür, sodass auch von daher kein Lichtschein die Dunkelheit zu erhellen vermochte.

Well, das kommt ganz gelegen, dachte der Detektiv. Turne ich auf den Schrank, so kann ich mich ohne Unbequemlichkeit dicht an das Oberlichtfenster rücken und auf diese Weise hören, was im Zimmer vorgeht … Und ich denke, in den nächsten Stunden wird sich in dieser traurigen Wanzenbude Bedeutsameres abspielen als in vielen der großen New Yorker Hotels.

Der Detektiv fand keine Schwierigkeiten bei der Erkletterung des Riesenkastens zu überwinden. Sorgfältig war er darauf bedacht, jegliches Geräusch dabei zu vermeiden, damit der Argwohn der im Zimmer Weilenden nicht geweckt wurde.

In der Minute darauf befand sich Nick auch schon, platt auf dem Bauch liegend, hinter der den unförmigen Schrank krönenden dichten Verzierung. Das Oberlichtfenster der Tür war seit Jahr und Tag nicht mehr gereinigt worden, und dichte Spinnweben hatten es mit einer Schmutz- und Staubkruste überzogen und blind werden lassen; doch das schien dem Detektiv gerade lieb zu sein. Da er ins Helle schaute, so vermochte er die Vorgänge im Zimmer eben noch deutlich zu erkennen, während in diesem niemand ihn auf seinem Beobachtungsposten wahrnehmen könnte.

Die Unterredung zwischen dem Leidenden und Conlin war nur von kurzer Dauer und beschränkte sich darauf, dass Staples den anderen damit beauftragte, ihm schleunig die Morgenausgabe der World zu besorgen. In der Minute darauf rannte Conlin auch schon spornstreichs die Treppen hinunter und rief nach seinem neuen Freund Mike; natürlich vergeblich, denn Nick Carter fiel es gar nicht ein, dem Rufenden seine augenblickliche Adresse anzugeben.

Er hätte dies auch gar nicht gekonnt, denn unten auf der Treppe hörte er einen Unbekannten, der sich vermutlich an den ihm entgegenkommenden Conlin gewendet hatte, nach dem Zimmer, in welchem Mr. Staples wohnte, fragen.

»Oberster Flur, letzte Tür rechts«, entgegnete Conlin; dann schien er es vorzuziehen, dem offenbar auch ihm Unbekannten den Weg zu weisen, um mit ihm ins Zimmer treten und in Erfahrung bringen zu können, wer der fremde Besucher war und was er von Staples wollte.

»Heda, Mr. Hank Hanlon, da sind Sie ja!«, rief Staples sofort, als er der Gestalt seines Besuchers ansichtig wurde. Dann aber, als er hinter diesem Conlin bemerkte, wurde er ausfallend. »Zum Teufel, was willst du hier noch?«, schrie er. »Laufe zu und besorge, was ich dir gesagt habe!«

Das ließ sich der brave Bill Conlin nicht zweimal sagen, und Nick bemerkte von seinem Versteck aus, wie der Abgekanzelte fluchend die Treppen hinunterstürmte.

»Der Kerl sollte mir die World holen … Ich wollte nachsehen, ob mein Inserat schon drin steht«, hob nun Staples an. »Das ist der Fall, denn sonst wären Sie wohl nicht gekommen, Mr. Hanlon.«

»Was zu Hölle ist los mit Euch, Mann?«, fragte der Besucher – wie Nick durch die halbblinde Lichtscheibe erspähen konnte, ein breitschultriger, schwarzbärtiger Mann – und setzte sich neben das Bett auf einen Schemel nieder. »Die Sache ist schiefgegangen, eh?« Und als der Gefragte nur schmerzvoll nickte, fuhr Hanlon fort: »Well, ich wusste es schon gestern. Wie das möglich ist? Die Sache war nicht schwer. Ich stieg im Waldorf Astoria-Hotel ab, um unseren Mann weiter zu beschatten … Da sah ich ihn gleich in der Lobby im Gespräch mit Mr. Hoate. Ei, dachte ich, das geht gut, und so ging es auch. Ich sah zu, wie Mr. Bristol in einen Konferenzsaal geführt wurde. Da war es nicht schwer, sich in das anstoßende Zimmer einzuschleichen und zuzuhören. Das kleine Wagnis lohnte sich reichlich, denn ich hörte auf diese Weise nicht nur unseren Mann so überzeugend vollendet deklamieren und wehklagen, dass ich beinahe selbst an seinen Verlust geglaubt hätte, so gut ich auch wusste, was daran war. Well, das gehört nicht hierher«, unterbrach er sich. »Nach einer Weile kam Nick Carter mit seinem Vetter Chick. Nun, aus deren Mund hörte ich natürlich alles, was ich zu hören wünschte … Ich schickte nun ebenso selbstverständlich meine Leute hinter ihnen her.«

»Sieh da, das ist ja ganz was Neues!«, schoss es dem in seinem Versteck unbeweglich liegenden Nick Carter durch den Sinn. »Wer ist denn dieser Hank Hanlon, der mich so genau kennt und Chick auch? Er scheint mir ins Handwerk zu pfuschen. Sollte er mich und Chick wirklich haben beschatten lassen?« Angestrengt lauschte er von Neuem.

»Was weiter?«, erkundigte sich Staples. »Im Waldorf Astoria-Hotel warteten Smith und Snyder auf Euch, Forsynth dagegen holte Euch vom Grand Central-Depot ab.«

»Stimmt!«, versetzte Hank Hanlon behaglich. »Smith und Snyder folgten dem Meisterdetektiv und seinem nicht minder gescheiten Gehilfen« Er lachte spöttisch. »Die beiden gingen zu der zuständigen Polizeistation, und dort kleideten sie sich als Tramps um …«

»Was Sie nicht sagen, Mr. Hanlon!«, rief Staples, sich im Bett aufrichtend.

Die Sache wird interessant, dachte der auf dem Schrank liegende Nick. Dieser Mensch muss ein Kollege sein … Da sind wir richtig beschattet worden … Ich möchte nur wissen, was er sonst alles noch herausbekommen hat.

Seine Geduld sollte auf keine lange Probe gestellt werden, denn Hank fuhr auch schon in leichtem Plauderton fort: »Well, Staples, die beiden begaben sich zu einem Saloon, gleich hier um die Ecke, wo Sie die Brüder geworben habt, welche gestern solch schöne Proben ihres Könnens zum Besten gegeben haben.« Dabei lachte er wieder sarkastisch. »Um es kurz zu machen. Die Detektive begaben sich nur zu dem Saloon, um dort, wie sich bald herausstellte, die Bekanntschaft des Anführers der Bande, eines gewissen Bill Conlin …«

»Das ist derselbe Mann, der Sie heraufgebracht hat, Mr. Hanlon«, rief der Kranke erstaunt. »Aber ich verstehe nicht …«

»Abwarten!«, brummte der andere lakonisch. »Meine Leute sahen dann, wie Chick Carter mit Conlin zu Ihnen ging …«

»Zu mir?«, staunte Staples.

»Zu Ihnen, was ist denn da dabei?«, fragte Hank zurück. »Nick Carter war inzwischen nach Hause gegangen, wie Smith, der ihm gefolgt war, feststellte, während Chick vielleicht eine halbe Stunde bei Ihnen blieb und sich dann nach dem nächsten Branchenoffice der World begab und dort dieselbe Annonce aufgab, die mich hierher zu Ihnen berufen hat.«

»Das – das war doch nicht Chick Carter – das war ja Johnny, einer von den Black Cats … und sein Freund Mike war vorhin erst hier … Sie müssen ihm auf der Treppe begegnet sein …«

»No, Sir«, antwortete Hank. »Ich begegnete dieser Krone aller Spürhunde nicht, aber ich weiß, dass Nick Carter – eben Ihr Freund Mike – schon seit halb vier Uhr früh Ihr Hotel hier liebevoll von außen bewacht hat … Und da er das Haus noch nicht verlassen hatte, als ich es betrat, so steckt er auch jetzt noch im Haus … Und da er, was auch ich ihm nicht absprechen will, ein schlauer Patron ist, so belauscht er vermutlich gegenwärtig unsere Unterredung.«

»Teufel, das wäre …«, stöhnte der ängstlich gewordene Staples.

»Was wäre?«, fragte sein Besucher zurück, indem er sich erhob und der Tür zuschritt. »Sie haben wohl Angst, Staples, was? Wohl wegen der gestrigen Geschichte … pah«, setzte er mit erhobener Stimme hinzu, »möge doch Nick Carter hören und vernehmen, dass Sie gestern lediglich bestellte Arbeit verrichtet und dem angeblich Beraubten auf dessen ausdrückliche Weisung hin und gegen Bezahlung die bewusste Aktentasche geraubt haben. Das ist nicht strafbar.« Damit hatte er auch schon mit plötzlichem Ruck die Außentür aufgerissen und trat nun auf den Korridor hinaus. »Aha«, sagte er spöttisch, nachdem er sich rasch orientierend umgeschaut hatte. »Da ist ja der Schrank – er fiel mir auch schon beim Heraufkommen auf … Eine vorzügliche Gelegenheit, sich zu verstecken und durch das günstig angebrachte Oberlichtfenster die Unterredung anderer zu belauschen – meinen Sie nicht auch, Mr. Nicholas Carter? … Oder ziehen Sie es vor, Ihren unbequemen und doch nutzlos gewordenen Beobachtungsposten nunmehr aufzugeben?«

Als keine Antwort erfolgte und auch eine in schärferem Ton gehaltene Aufforderung erfolglos blieb, machte Hank kurzen Prozess. Mit nicht geringerer Gewandtheit, als sie vorhin Nick Carter selbst bewiesen hatte, schwang er sich auf den Schrank – um dessen Decke leer zu finden.

»Damned!«, entfuhr es unwillkürlich dem Verblüfften. »Ich kann mich nicht getäuscht haben … Dieser Nick Carter ist im Haus.«

Eben kam Bill Conlin mit der World die Treppen wieder heraufgestürmt. »Heda, wo ist Mike?«, rief ihm Hank entgegen.

Conlin schaute ihn groß an. »Habe keine Ahnung«, gab er kurz zurück.

Doch Hank packte ihn, ohne weitere Umstände zu machen, vorn bei der Brust und schüttelte ihn, dass dem wackeren Bill Conlin Hören und Sehen vergehen wollte. »Rasch, mein Bursche, gib Auskunft … Wo steckt Nick Carter?«

»We … we … wer?«, stotterte Bill Conlin, dem ganz schwach wurde.

»Oder dein Mike«, herrschte Hank ungeduldig. »Mach kein solch dummes Gesicht, Kerl … Hast du wirklich nicht gemerkt, dass es der verkleidete Nick Carter und sein Freund Johnny kein anderer als Chick Carter war? Nun, heraus mit der Sprache, du Jammermann, wo steckt Nick Carter?«

Fassungslos starrte ihn Conlin an. »Wer sind Sie eigentlich, dass Sie so komisch fragen?«

»Ein guter Bekannter von Ihrem Freund Staples, das mag Ihnen genügen … Nun, bekomme ich Antwort?«

»Ich weiß es nicht … Er muss schon vor mir die Treppe hinuntergerannt sein.«

»Dummkopf!«, sagte Hank verächtlich und wendete sich von ihm ab. »Staples«, sprach er alsdann den im Bett Liegenden an. »Ich habe keine Zeit, mich mit Carter zu befassen und nach ihm zu suchen … Darum bleibe ich unter der Tür hier stehen, um Korridor und Treppenhaus beobachten zu können. Nun berichtet leise. Was soll Ihr Inserat? Die Tasche ist fort … Ist das so?«

Bewegungslos hörte der gedrungene, schwarzbärtige Mann, dessen kraftvolle Erscheinung viel Ähnlichkeit mit Nick Carter aufwies, den Bericht des Kranken mit an; dann fragte er auch den mit unbehaglichem Gesichtsausdruck danebenstehenden Bill Conlin nach seiner Unterredung mit dem verhafteten Danny Martin aus.

»Na, ihr seid Helden!«, sagte er schließlich kurz. »Well, Staples, viel hielt ich nie von Ihnen … Doch für so ungeschickt hätte ich Sie nicht gehalten … Solche Werkzeuge auszusuchen, es ist schändlich!«, ereiferte er sich. »Und was nun? Wir wollen hoffen, dass die Mappe nicht aufgefunden wird … denn kommt sie in Carters Hand und steckt dieser gar hinter ihrem Verschwinden, dann gibt es einen heißen Tanz.«

Er brach kurz ab. »Ich muss sofort weiter!«, versetzte er. »Sie halten sich ruhig, Staples, ich lasse bald von mir hören. Im Übrigen habe ich die Sache in meine eigene Hand genommen. Sie kommen mit«, wendete er sich befehlend an Conlin. »Ich muss diesen Danny sofort sprechen … Er wird im Polizeigericht schwerlich schon entlassen sein.«

Als Hank Hanlon gleich darauf in Begleitung des unterwürfig ihm folgenden Conlin unten auf der Straße auftauchte, starrte ihn ein mit seinem Handkarren beschäftigter Milchmann ganz entsetzt an. »Well, was ist los, Smith?«, erkundige sich Hanlon, dicht an den anderen herantretend.

»Aber sind Sie es … sind Sie es wirklich?«, erkundigte sich der mit Smith Angeredete.

»Natürlich bin ich es … Wer soll ich denn sonst sein?«

»Aber … aber vor einer Minute kamen Sie doch erst aus derselben Tür, Mr. Hanlon«, stotterte der vermeintliche Milchmann von Neuem.

»Ich?«, rief der nicht minder Verblüffte. »Sie träumen wohl.«

»Sie sagten noch zu mir, Sie hätten sich anders verkleidet, weil es eine frische Spur aufzunehmen gälte … Aber es war doch derselbe schwarze Bart, Ihre Gestalt, Ihre Haltung, Tonfall und Sprache …«

»Die Pest auf diesen verd… Nick Carter … Der und kein anderer ist es … Wo ist er?«, schrie Hank Hanlon mit blitzenden Augen.

»Dort an der Ecke war gerade ein Wagen vorgefahren … und der darin sitzende Gentleman sah kaum Sie … wollte sagen, sah kaum den Mann, den ich für Sie hielt und den auch wohl er für Sie hielt, da rief er auch schon: ›Steigen Sie ein, Mr. Hanlon‹ … und dann …«

Doch er konnte nicht weiter berichten, und auch Hank Hanlon kam nicht dazu, vorläufig eine weitere Frage zu stellen, denn in diesem Moment trat ein zerlumpter Strolch auf die Gruppe zu, bei dessen Erblicken Bill Conlin ganz bestürzt ausrief: »Johnny … Das ist Johnny …«

»Nein, ich bin Chick Carter und Detektiv«, lautete die Antwort des anscheinenden Strolches. »Hier ist mein Amtszeichen … Dick Barlow, ich folgte Ihnen lange genug … Ich verhafte Sie wegen des an Julia Marlower begangenen Raubmordes.« Damit legte er schwer den Arm auf den Mund und Nase aufsperrenden Hank Hanlon und bedrohte diesen gleichzeitig mit einem vorgehaltenen Revolver.

»Sind Sie toll, Mensch?«, schrie Hank wütend auf. »Ich kenne keinen Dick Barlow, noch weniger bin ich es.«

»Einerlei, das wird sich vor dem Richter ausweisen … Sie sind verhaftet; ich trage den Verhaftungsbefehl gegen Sie bei mir.«

»Tod und Verdammnis, das ist nur eine niederträchtige List, um mich an der Verfolgung Ihres sauberen Meisters zu hindern!«, knirschte der Detektiv, der sich vergeblich loszuzerren versuchte. »Aber wehe Ihnen, ich will …«

»All diese Drohungen sind umsonst … Vorwärts zum Stationshaus!«, entschied Chick barsch.

So leicht wäre ihm indessen doch dessen Abführung nicht gelungen, hätten sich nicht gerade im richtigen Moment einige uniformierte Policemen gezeigt, die nun dem sich legitimierenden Chick tatkräftigen Beistand leistete und den Wutschäumenden zu der unweit gelegenen Polizeiwache abführen halfen.