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Ein Ostseepirat Band 2 – Kapitel 20

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman, Zweiter Band
XX. Die Eispartie

Als die Baronin sich von ihrer Mutter getrennt und in ihrem Zimmer angelangt war, ging sie in demselben heftig erregt mehrmals hin und her.

»Da hätte ich mich fast verraten«, murmelte sie dabei, »wie war das möglich, ich muss durchaus mehr auf mich achten.«

Nach diesen Worten schritt sie an den Schreibsekretär, entnahm demselben ein Paket Papier, dessen Format, grobe Beschaffenheit und schlechten Druck sie ebenfalls als eine Anzahl Exemplare der neuen Stadtaffichen erkennen ließen.

Dass eine Dame, wie die Frau des jetzigen Obristen Staelswerd, Papiere dieser Art so sorgfältig bewahrte, musste seinen guten Grund haben und hatte ihn auch.

»In jedem dieser Zeitungsblätter befanden sich nämlich Artikel, deren Zeilen dick mit Rötel unterstrichen waren. Die Baronin begann nun, die so bezeichneten Stellen, eine nach der anderen, zu lesen. Die Erste lautete:

Es scheint sich doch zu bewähren, dass der berüchtigte Freibeuter Jacobson noch ein Mann in den besten Jahren ist. Man will denselben nämlich einige Wochen, nachdem er mit unerhörter Frechheit ein königliches Schiff angegriffen und schwer beschädigt hat, in Lübeck gesehen haben. Wie es heißt, soll er dort den Landesverräter Grieben und seine Familie sowie den Deserteur Wardow gelandet haben.

In einem zweiten Artikel hieß es:

Es muss traurig um eine Macht stehen, wenn dieselbe mangelnde Kriegsbedürfnisse durch Bündnisse mit Verbrechern zu ersetzen sucht, wie dies seitens Preußens geschehen ist, das den Piraten Jacobson förmlich in seine Dienste genommen haben muss. Es scheint demselben auch gelungen zu sein, eine Anzahl bewaffneter Schiffe auszurüsten, mit denen er unter preußischer Flagge auf der Höhe von Mönchgut erschien, wo es zwischen ihm und der königlichen Flotte zum Treffen kam. Böswillige behaupten, dass die fünf Schiffe des Piraten über zehn königliche Schiffe den Sieg davongetragen hätten. Diese verleumderischen Gerüchte widerlegt jedoch der Rapport des Admirals Graf Horn vollständig.

Ein dritter Aufsatz sagte:

Das Geschwader des speziell zur Verfolgung des Seeräubers Jacobson abgesendeten Baron Staelswerd traf mit den Schiffen desselben auf der Höhe von Bornholm zusammen. Der Baron Staelswerd, so gröblich durch den Seeräuber beleidigt, griff ihn mutig an und schlug ihn in die Flucht. Was die Fama von entmasteten Schiffen spricht, ist offenbar Verleumdung.

Ein vierter lautete:

Es ist unwahr, dass der bekannte Flibustier Jacobson eine schwedische Fregatte in den Grund gebohrt hat.

Ein fünfter:

Die Landung des Piraten Jacobson unfern von Wyk bestätigt sich. Ebenso die Zerstörung der Magazine bei Eldena durch eine Feuersbrunst. Ob dieselbe mit jener Landung in Verbindung steht, ist jedoch ungewiss.

In dem letzten hieß es:

Bei dem herannahenden Winter scheint es dem Seeräubergezücht auf der hohen See unbehaglich zu werden, denn der bekannte Jacobson versuchte mit seinen Schiffen in den Hafen von Kolberg zu gelangen. Es gelang dies doch nur einem derselben, während die anderen zur Flucht auf die hohe See hinaus gezwungen wurden.

Man sieht, der brave Struck verstand sein Metier bereits ebenso gut wie die heutigen Zeitungsschreiber, aber man las auch damals bereits zwischen  den Zeilen. Jedenfalls verstand sich die Baronin darauf, denn als sie geendet hatte, sagte sie: »Welche mühsamen Wendungen, um die Tapferkeit eines kühnen Mannes zu verdecken und die offenbare Unfähigkeit seiner Gegner zu bemänteln. Es ist wahrhaft lächerlich, dass die ganze schwedische Marine nicht imstande ist, die geringen Kräfte eines von ihr dem Anschein nach verachteten und arg verleumdeten Mannes zu überwältigen. Ich wundere mich durchaus nicht über Fräulein Clara von der Grieben, im Gegenteil, sie ist einer so interessanten Eroberung wegen zu beneiden, und ich will versuchen, ihr dieselbe streitig zu machen. Ich werde ihn also heute sehen und selbst urteilen können. Eine solche Zusammenkunft verpflichtet mich zu nichts und ich bin begierig, zu hören, wie man über meine Kühnheit urteilen wird. Erscheint der Freischiffer wirklich bei der Partie, so dürfte dies seinen Ruf um Bedeutendes heben, und welch Gesicht mein Herr Gemahl machen wird – bah mein Gemahl!«

Die Baronin, welche mit diesen Worten ihren Monolog beendete, machte zugleich eine wegwerfende Bewegung und begann, als habe sie nun nichts weiter zu tun, sich mit ihrer Toilette zu beschäftigen. Zur Unterstützung bei derselben rief sie eine Zofe herbei, und etwas vor zwei Uhr begab sie sich, in reichem Kostüm, eine herrliche Erscheinung bildend, in den Salon, wo ihre Eltern und ihr Gemahl bereits warteten. Ihr Vater schien entzückt von ihrem Aussehen und auch der Obrist sagte ihr einige Liebenswürdigkeiten. Hiernach begaben sich alle vier auf die Straße hinab, wo bereits der Wagen ihrer wartete, da noch nicht Schnee genug lag, um einen Schlitten zu benutzen, und bestiegen denselben. Man fuhr ab.

Es war, wie auch der Herr Affichenschreiber schon bemerkt, ein ausgezeichnet schöner Tag. An dem klaren durchsichtigen Himmel hing kein Wölkchen. Die Luft war zwar scharf, aber ohne jede Spur einer Bewegung und das vollkommen ebene Eis des Gellens hatte jene schwarzgrüne, glänzende Farbe, welche es wie Achat schimmern macht. Auf demselben hatten sich neben der Fährbrücke bereits die meisten derjenigen, welche die Partie mitzumachen beabsichtigten, zusammengefunden. Sie gehörten durchweg der besten Gesellschaft an, und wohl selten sah man eine größere Mannigfaltigkeit der Uniformen an einem Ort als gegenwärtig hier.

Die Art und Weise, wie die Partie ausgeführt wurde, war verschieden. Die Bequemeren der Herrschaften setzten sich in Schlitten, welche von scharf beschlagenen Pferden gezogen wurden. Andere bedienten sich ebenfalls der Schlitten, jedoch kleinerer, welche dadurch fortbewegt wurden, dass ein auf ihrem hinteren Teil stehender Mann dieselben mit einer Pike fortstößt. Die Mehrzahl der jüngeren Herrschaften jedoch bedienten sich der Schlittschuhe, um auf der glatten Fläche fortzukommen.

Alle diese Mittel zur Fortbewegung können sich zwar nicht mit der heute an der Tagesordnung befindenden Dampfkraft messen. Doch ließen sie sich sämtlich bis zur Windesschnelle steigern. Besonders die durch Piken fortbewegten Schlitten können bei gutem Eis, gehöriger Führung und günstigem Wind die Schnelle des Vogelfluges entwickeln.

Herr Bliese, der Aufseher der Seebäder der Stadt und der Entrepreneur dieses Vergnügens, vervielfältigte sich förmlich bei der Aufstellung der Züge und hatte auf tausend Fragen tausend Antworten, denen er meistens noch als Zugabe hinzufügte, dass man am Palmer Ort, bis wohin die Partie ausgedehnt werden sollte, ein ausgezeichnetes Diner finden würde. Als endlich die Schlitten in verschiedene Reihen aufgestellt waren, deren Spitzen die Hauptstandespersonen bildeten, wurden die Schlittschuhläufer gleichsam als Plänkler um die Kolonne verteilt:

Einen eigentümlichen und jedenfalls interessanten Anblick bot jedoch der Damenschlittschuhklub dar. Die schönen Gestalten in kleidsamen Trachten, die lieblichen Züge, die vielen Federn, bunte Bänder ließen diesen Teil der Partie den Blick am meisten fesseln. Um das Bild vollständig zu machen, hatte sich eine unabsehbare Zuschauermenge eingefunden, in der alle Alters- und Volksklassen vertreten waren.

Der Zug war bereits geordnet und man erwartete das Signal zum Aufbruch, als der Obrist Staelswerd, welcher ebenfalls auf Schlittschuhen war, sich einer Gruppe von Herren näherte, die sich ohne allen Zweifel zu unbehaglich in ihren Kleidern fühlten, als sie fremd in der Gesellschaft sein mussten, denn sie hatten sich, dicht zusammenstehend, von allen Übrigen isoliert und betrachteten jeden sich Nahenden nur mit scheuen Blicken. Ihr moderner Zivilanzug passte keineswegs, obwohl sie durchweg gut gewachsene Leute waren. Das Einzige, womit sie vertraut zu sein schienen, waren die Schlittschuhe, welche sie ebenfalls unter den Beinen hatten.

»Nur nicht blöde«, raunte ihnen der Obrist zu, »haltet euch stets in meiner Nähe und seid meines Winks gewärtig. Um jedoch Aufsehen zu vermeiden, mischt euch unter die Übrigen.«

Der Obrist entfernte sich wieder und die Männer taten zögernd, wie ihnen geheißen. Gleich darauf wurde das Signal zum Aufbruch gegeben.

Die Pferde zogen an, die Pikenmänner begannen ihre Arbeit, die Schlittschuhläufer setzten ihre Beine in Bewegung. Lauter Jubel erscholl und wurde durch ein gewaltiges Hurrageschrei der Zuschauer beantwortet.

Inzwischen hatte sich Staelswerd an die Spitze der Kolonne begeben und ließ dieselbe an sich vorüber passieren. Er musterte, so viel es gehen wollte, jedes Gesicht und jede Figur der Vorübersausenden. Natürlich fand er nicht, was er suchte und war auch selbst wohl überzeugt, dass dies nicht möglich sei. Er wendete sich schließlich an einen der Männer, mit denen er erst gesprochen hatte, als derselbe in seine Nähe kam.

»Also du meinst«, sagte er, »ihn in jeder Verkleidung zu erkennen.«

»Ich bin meiner Sache gewiss«, antwortete der Mann.

»So merke auf«, sagte der Obrist, gab sich einen Schwung und glitt mit der Schnelligkeit des Windes davon.