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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg 4

Die Zwölften zur Weihnachtszeit und Frau Harke

Wenn zur Weihnachtszeit die Tage anfangen, wieder länger zu werden, dann atmet der Landmann auf. Ihm däucht der schlimmste Teil des Winters vorüber zu sein. Das war auch der Grund, weshalb unsere heidnischen Vorfahren schon zu dieser Zeit ein Fest begingen, nämlich das der sogenannten Wintersonnenwende. Man nannte diese Zeit und nennt sie noch heute in der Mark, wie meist auch im übrigen Norddeutschland, die Zwölften und rechnet sie von Weihnachten bis Groß-Neujahr, d. h. bis zum 6. Januar. Der Landmann merkt sich noch heute genau die Witterung des einzelnen Tages, denn in den Zwölften, heißt es, wird der Kalender des nächsten Jahres gemacht, und jedem Tag entspricht in Betreff der Witterung ein Monat des kommenden Jahres. Unsere heidnischen Vorfahren dachten sich eben um diese Zeit die Götter des neuen Jahres wieder einziehend in das Land und feierten bei dem nun wieder zunehmenden Tageslicht den Beginn einer neuen Zeit, welche wieder frisches Leben, wieder Frühling und Sommer den Menschen bringen würde. Eine Menge Gebräuche und Aberglauben, die sich noch heute an die Zwölften knüpfen, kennzeichnen diesen Charakter; ja sprichwörtlich haben sich sogar noch die alten Götternamen im Volksmund dabei erhalten, in der Priegnitz wie im Mecklenburgischen der Name des alten deutschen Gottes Wodan, in der Uckermark der seiner Gemahlin Frick, im westlichen Teil der Mittelmark der der Frau Harke. Auch manche Umzüge, welche zu dieser Zeit zeither, so der des sogenannten Schimmelreiters, welchen gewöhnlich drei Männer in weißen Laken darstellen, von denen der eine den Reiter, zwei das Pferd bilden, indem der Vorderste sich einen Pferdekopf vorbindet. Man dachte sich nämlich in der Heidenzeit den Gott, der dann einziehen sollte, auf einen Schimmel reitend, und daher stammt der Name. Auch der Knecht Ruprecht oder Niklas, der dann umgeht und die Kinder beten lehrt, ist nur eine andere Form für dieselbe Sache, bloß im christlichen Gewand.

Doch nun zum Einzelnen.

Die Zeit der Zwölften ist eine geheimnisvolle Zeit. Da haben die wilden Tiere besondere Kräfte und allerhand Spuk, so heißt es, geht um, Werwölfe, Hexen in Tiergestalt und dergleichen mehr. Deshalb nennt man noch stellenweise die Tiere zu dieser Zeit nicht bei ihren wirklichen Namen. Als es noch Wölfe hier gab, hätte kein Schäfer dann das Wort Wolf in den Mund genommen, aus Furcht, er zöge ihn dann herbei1 und noch heute sagt man statt Fuchs wohl Langschwanz, statt Maus Bonlöper (Bodenläufer) oder gebraucht ähnliche Umschreibungen. Auch in Betreff der Speisen gibt es dann allerhand Vorschriften, welche sich besonders heute noch in Bezug auf den ersten Weihnachtstag und den Silvesterabend erhalten haben. Man darf in den Zwölften, wo die neue Zeit anbricht, nicht alte Frucht vom vorigen Jahr essen, namentlich keine Erbsen und Linsen, sonst wird man, heißt es, krank. Was noch in der Natur dann frisch und grün ist, das ist an der Tagesordnung. Der grüne Tannenbaum, Grünkohl, früher auch die dann noch grünende Mistel, alles dies gehörte zu dem Fest, das man in der Hoffnung auf den mit wachsendem Licht wieder sich nähernden Sommer feierte. Der Tannenbaum hat sich unter der Form des Christbaums allgemein gehalten und am ersten Weihnachtsfeiertag isst man noch Grünkohl. Aber auch Karpfen mit vielem Rogen und sogenannten Mohnpielen am Silvesterabend, die bringen Segen ins Haus. In der Neujahrsnacht bindet man dann die Bäume mit Stroh (man beschenkt sie, wie es heißt), dass sie gute Frucht tragen.

Vor allem darf man aber in den Zwölften nicht arbeiten. Wer den tûn (Zaun) beklêdt, (wer dann Wäsche macht) mütt den kerkhof beklêden ist ein alter noch allgemein verbreiteter Spruch. Die Götter, hieß es also, bestraften mit dem Tod ein solches Vergehen gegen die heilige Zeit, in der man feiern müsse. Ebenso darf sich dann kein Rad drehen. Man darf nicht mit Karre und Wagen irgendwelche Arbeit vornehmen, vor allem durfte das Spinnrad nicht gedreht werden. Noch heute sagt man drohend, wenn die Mädchen dann den Flachs nicht vom Rocken abgesponnen haben, es würde ihnen schlecht ergehen. Frau Gode, heißt es in der Priegnitz, de Frick in der Uckermark, Frau Harke in der Mittelmark, kommt, wenn die Mädchen nicht abgesponnen haben, und zerzaust ihnen die Haare. Auch in einzelnen Sagen treten die genannten Wesen sonst noch auf.

Wenn Frau Gode in der Priegnitz, die Frick in der Uckermark noch mit der wilden Jagd ziehen soll, spielt Frau Harke im Havelland an den weithin sichtbaren Stöllenschen und Kamernschen Bergen noch eine besondere Rolle. Namentlich knüpfen sich an die Kamernschen Berge noch so viele Erinnerungen in dieser Hinsicht, dass dieselben ihr geheiligt gewesen und sie dort in der Heidenzeit verehrt worden zu sein scheint. Da ist noch der Frau Harkenberg und der Frau Harkengrund und bis vor wenigen Jahren lag noch daselbst ein gewaltiger Granitblock, den man den Frau Harkenstein nannte, ebenso heißt das Straußgras, welches dort viel wächst, noch Frau Hackenbart.

Frau Harke, heißt es aber in der Sage, soll eine gewaltige Riesin gewesen sein und von ungeheurer Stärke. Wie es von den Riesen erzählt wird, trug auch sie Berge in ihrer Schürze herbei, zum Beispiel den Gollenberg bei Stöllen, oder riss Eichen mit der Wurzel aus, wenn sie einen Stecken für das Vieh gebrauchte. Einmal hat auch sie einen Bauer samt Ochsen und Pflug, der in der Nähe des Harkenberges ackerte, in ihre Schürze genommen, um damit zu spielen. Als sie aber damit, heißt es, zu ihrem Vater kam, hat er ihr geheißen, alles wieder an seinen Ort zu tragen: »Denn«, hat er gesagt, »wenn die Kleinen da unten nicht pflügen, können die Großen hier oben nicht backen.«

Nach anderen ist es nicht Frau Harke selbst gewesen, sondern ihre Töchter, welche den Bauer mit Ochsen und Pflug in die Schürze genommen und zur Mutter gebracht haben, indem sie sagten: »Sieh, was für kleine Tierchen wir gefunden haben.«

Frau Harkes eigentlicher Aufenthalt soll aber im Frau Harkenberg gewesen sein. Dort hat sie eine Höhle gehabt, die ist aber nun verschüttet. In dieser Höhle hatte sie wilde Schweine, Hirsche, Rehe, Hasen und andere Tiere, die hat sie des Nachts hinein und des Morgens hinaus auf die Wiese getrieben. Oft hat man in den Bergen in der Dämmerung ihren Lockruf Pickel, Pickel vernommen und wenn Jäger dagewesen waren, heißt es, sei sie mit ihren Tieren an ihnen vorbeigehuscht wie die wilde Jagd. Auch sonst ist es vor dem Berg nicht richtig gewesen, wenigstens ist einmal zu einem Kuhhirten, der dort am Mittag gerade seine Herde trieb, ein Zwerg mit langem Bart aus dem Berg herausgekommen und hat es ihm wehren wollen.

Den Bau christlicher Kirchen, sagt man, versuchte aber Frau Harke vor allem zu stören. In der Nähe von Kotzen und Landin liegt noch ein großer Granitblock, mit dem hat sie die Marienkirche in Brandenburg einwerfen wollen. Er ist ihr aber aus der Hand geglitten und dort niedergefallen. Auf den Kamernschen Bergen zeigt man auch solche Steine, mit denen hat sie die Dome von Havelberg und Stendal zerschmettern wollen, aber es ist ihr auch nicht gelungen. Als sie den Havelberger Dom einwerfen wollte und ihr der Stein aus der Hand glitt, da stand sie mit einem Bein auf dem Kamernschen, mit dem anderen auf dem Rhinowschen Berg, so gewaltig groß war sie.

Früher erzählte man noch mehr von Frau Harke, zum Beispiel dass sie auch die so berühmten kleinen märkischen Rüben hier eingeführt habe. Als aber der Wald auf den Kamernschen Bergen immer lichter wurde und die alten Eichen immer mehr verschwanden, da soll es ihr unheimlich geworden und sie fortgegangen sein aus hiesigen Landen. Das war aber so: Eines Abends kamen zwei Reiter auf kleinen Pferden an die Arneburger Fähre, welche über die Elbe führt, und meldeten alles an, kamen dann auch bald wieder, aber außer ihnen war niemand zu sehen. Als sie jedoch in die Fähre gestiegen waren, und der Fährmann hatte die größte nehmen müssen, auf der vier Wagen auf einmal überfahren können, da ist ein gewaltiges Gerassel und Gepolter gewesen, als ob ein ganzes Heer einzöge. Dieser Lärm hatte auch fortgewährt, bis sie drüben am Ufer gewesen waren. Als sie dort ankamen, hatte einer der Reiter dem Fährmann als Lohn eine Metze mit alten Scherben hingeschüttet und darauf sind sie fortgeritten. Der Fährmann aber war über solche Behandlung ärgerlich gewesen und hatte alles in die Elbe geworfen. Nur ein Paar Stücke sind in der Fähre liegen geblieben, und wie er am anderen Morgen in dieselbe gestiegen war, um sie zu reinigen, hatte er statt ihrer ein Paar Goldklumpen gefunden.

Das alles ist aber schon lange her, und immer seltener kommt das Gespräch darauf, und auch nur die Alten kennen noch aus ihrer Jugend das Sprichwort, welches man den Mädchen zur Weihnachtszeit warnend zuruft: »Macht, dass ihr zu den Zwölften abgesponnen habt, sonst kommt Frau Harke!«

Show 1 footnote

  1. So lässt Klöden in seinem bekannten Buch Die Quitzows und ihre Zeit einen Knecht Michel Wolf zu dieser Zeit aus Scherz Michel Untier nennen.