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Der Detektiv – Band 22 – Um die Millionenbeute – Teil 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 22
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Um die Millionenbeute

Teil 4

Eine Viertelstunde darauf saßen wir in Harsts Hotelzimmer. Der Wachskopf stand auf dem Tisch. Harst hatte an der Unterseite des Metalltellers mit dem Messer die künstliche Patina abgekratzt und das bloße, blanke Metall freigelegt.

»Ich gehe nachmittags mit dem Teller – der Kopf ist nur aufgeschraubt – zu einem Goldschmied und lasse mir bescheinigen, dass es sich um eine moderne Metalllegierung handelt«, hatte er gesagt.

Und als ich mit meinem Bericht über meinem Besuch bei Bloomberg zu Ende war, meinte er: »Lieber Alter, du hast deine Sache vorzüglich gemacht. Du kannst nächstens Hochstapler werden. Dieser Schweinekönig Seymour war ein famoser Einfall.«

Ich begriff Harsts gute Laune nicht recht. »Hm – sind wir denn durch meinen Besuch bei Bloomberg irgendwie einen Schritt vorwärts gekommen?«, fragte ich. »Und soll ich morgen früh zu ihm gehen? Er wird mir sehr seltene und fraglos auch Gott weiß wo gestohlene Schmucksachen vorlegen. Wie rede ich mich dann heraus, wenn ich nichts kaufe? Und schließlich, selbst wenn Palperlon bereits das Armband der Melvilles an Bloomberg veräußert haben sollte …«

»… was nicht der Fall ist, bestimmt nicht!«, fiel Harst mir ins Wort. »Palperlon besitzt es noch. Das weiß ich jetzt.«

»Woher denn?«

»Mein Geheimnis, mein Alter! Ich weiß noch mehr. Ich habe mich, während du bei Bloomberg warst, bei dessen einzigem Konkurrenten hier nach ihm erkundigt. Er ist Spieler! Der Inhalt seines Ladens ist das Einzige, was er noch besitzt. Das Haus ist über und über belastet. Vor einem Jahr stand es noch anders mit seinen Finanzen. Ganz interessant, nicht wahr? Schade, wenn er schlank wäre, dieser Ehrenmann, wenn er eine schlanke, verschleierte Dame hätte mimen können, dann … dann würde ich, falls er gestern nach Malmö gereist wäre, sagen, dass er Doornblams Mörder ist. Aber bei solcher Korpulenz ist das ausgeschlossen. Und sein Bauch dürfte echter sein als seine Altnürnberger mechanischen Spielereien. Doch nun wollen wir nach unten in die Kapitänkneipe und Mittag essen. Du wirst dort einen Herrn kennen lernen, den ich telefonisch im Kostüm herbestellt habe. Von Ansehen kennst du ihn schon.«

Wir saßen dann kaum zehn Minuten an unserem Tisch und waren gerade beim Fischgericht, als ein älterer, wettergebräunter Mann mit Goldtresse an der blauen Mütze bei uns Platz nahm.

Als die Kellnerin außer Horchweite war, sagte Harst: »Du gestattest: Herr Inspektor Brodersen, Chef der hiesigen Kriminalpolizei.«

Ich wollte Brodersen erklären, ich hätte ihn heute schon bei Bloomberg bemerkt, aber Harst trat mir noch rechtzeitig auf den Fuß, sodass ich dem begonnenen Satz einen anderen Schluss geben konnte.

»Herr Inspektor«, flüsterte Harst dann, »wer ich bin, wissen Sie. Wollen Sie mir helfen, jenen James Palperlon in dieser Nacht zu fangen? So, dann umstellen Sie bitte mit Ihren Leuten ganz unauffällig von abends 8 Uhr an dieses Haus.«

Er schob ihm einen Zettel hin. Brodersen las, stutzte und Harst nahm ihm den Zettel wieder ab, sprach sofort von dem Naturmuseum Skansen sehr laut und zerrieb den Zettel zwischen den Fingern. Brodersen wollte allerlei offenbar noch fragen, hatte damit jedoch kein Glück, da Harst ihm sofort erklärte, ohne ihn ausreden zu lassen: »Sie sollen es wissen, sobald ich Palperlon Handschellen angelegt haben werde. Diesmal entwischt er mir nicht.«

Es war ¾ 8 abends. Harst hatte den 400 Jahre alten Wachskopf und den Teller wieder eingepackt. Wir brachen auf. Es regnete sacht. Die Straßen waren still und einsam, der Südwind hatte den Qualm der Dampferschlote in die Straßen des Geschäftsviertels gedrückt. Es roch nach Rauch und heißem Schmieröl. Es war der typische Hafenduft.

In einer engen Gasse machte Harst vor einem schmiedeeisernen Tor halt. Daneben lag eine kleinere, zierliche Pforte. Es gab da eine elektrische Glocke in Form einer Menschenhand, die man anheben musste. Darüber war ein kleines Messingschild befestigt. Ich bückte mich, strich ein Zündholz an, las: S. Bloomberg.

Da ging mir ein Licht auf. Harst nickte mir zu. »Ja zunächst kommt der Dicke heran!«

In der Pforte befand sich ein Klappfenster. Es öffnete sich. Bloombergs Gesicht erschien.

»Wir möchten des Nürnberger Kopfes wegen mit Ihnen reden«, sagte Harst. »Das Ding ist unecht, Dutzendware. Mein Bekannter zeigte mir seinen heutigen Einkauf. Wenn Sie den Kopf nicht zurücknehmen, und zwar sofort, zeigen wir Sie wegen Betruges an. Und nicht für eine Krone machen wir je wieder mit Ihnen Geschäfte. Sollten Sie selbst mit dem Wachskopf angeschmiert worden sein, so werden Sie uns das leicht beweisen können.«

Bloomberg ließ uns ein. Sein Arbeitszimmer, gleichzeitig Bibliothek, lag nach der Drottninggatan hinaus und war ein Saal fast. Wir nahmen auf einem Ecksofa Platz. Über dem runden Eichentisch brannte eine Lampe mit gelbem Seidenschirm.

Harst legte Bloomberg das Gutachten des Goldschmieds vor, dass der Teller höchsten 25 Jahre alt sein könnte und die Räder des Uhrwerks des Kopfes gestanzt wären – also ebenfalls neueren Datums. Bloomberg fuchtelte mit den Armen umher, rief, schwor, er sei selbst mit dem Wachskopf hineingelegt worden. Sein Freund Doornblam würde bezeugen können, falls er noch lebte, dass …

Da machte Harst eine sehr bestimmte, kurze Handbewegung. »Lassen wir das jetzt. Mein Freund Schraut sollte den Kopf nur kaufen, damit ich einen Vorwand hätte, Sie in Ihrer Privatwohnung zu sprechen. Ich heiße etwas anders, als wir Ihnen vorhin sagten. Ich bin Harald Harst. Vielleicht kennen Sie den Namen.«

Bloomberg war in seinem Sessel matt zusammengesunken, hatte plötzlich dicke Schweißperlen auf dem Gesicht und stammelte: »Harst … Harst! … Be … beweisen Sie mir das?« Er fasste sich langsam, wurde frech aus Angst. »Ich habe mit Ihnen beiden nichts zu schaffen. Ich werde Ihnen sofort die 4500 Kronen für den Wachskopf zurückzahlen und …«

»… und jetzt schweigen!«, unterbrach Harst ihn kalt. »Jetzt rede ich. Sie haben an Ihren Freund Doornblam eine Depesche folgenden Inhalts geschickt.« Er wiederholte den Wortlaut des ersten Telegramms. »Diese Depesche konnte sich nur auf eines jener faulen Geschäfte beziehen, die man Ihnen beiden nachsagt: Hehlerei im Großen! Bleiben Sie sitzen! Sobald Sie Miene machen zu fliehen, fesseln wir Sie. Ich sage Ihnen auch gleich, dass Ihr Grundstück von Inspektor Brodersens Leuten umstellt ist. Es wird ganz von Ihrem Verhalten abhängen, wie Brodersen nachher mit Ihnen umspringt. Seien Sie also vernünftig, Mann, und leugnen Sie nichts ab. Also die Depesche musste sich auf ein großartiges Hehlergeschäft beziehen, auf eine Millionensache. Doornblam sollte ja in bar eine Million mitbringen. Sie selbst konnten das Geschäft allein nicht machen. Sie verfügen über Barmittel nicht mehr. Als ich diese Depesche mir ihrer wahren Bedeutung nach klar gemacht hatte, kannte ich auch das Vorspiel zu diesem Telegramm. Es ist vor Kurzem ein Mann zu Ihnen gekommen und hat Ihnen ein Armband angeboten – das sogenannte Melville-Armband. Da Sie selbst es nicht erwerben konnten, erklärten Sie dem Mann, Sie würden es gemeinsam mit einem Freund erwerben. Der Besitzer des Armbandes war jedoch vorsichtig, weil er dazu eben allen Grund hatte, und wollte wissen, wer dieser Freund wäre. Sie nannten den Namen und werden dem Mann auch mitgeteilt haben, was Sie an Doornblam depeschieren wollten.«

Bloomberg trocknete sich die feuchte Stirn, erklärte ganz heiser: »Der Mensch verlangte sogar, dass ich die Depesche in seiner Gegenwart abschickte. Und er drohte mir, sich nicht mehr bei mir sehen zu lassen, falls ich mich mit Doornblam ohne sein Wissen außerdem noch in Verbindung setzte.«

»Ähnliches habe ich mir gedacht«, bekräftigte Harst. »Sie verabredeten mit dem Mann ein neues Zusammentreffen nach Ankunft Doornblams – für diesen Abend. Inzwischen hatten Sie den Mann nicht wieder gesehen. Sie schweigen – also trifft auch dies zu. Der Armbandbesitzer – wir können ihn ruhig Palperlon nennen, denn Sie dürften mittlerweile aus den Zeitungsberichten über den Fall Melville diesen Namen erfahren haben – hat dann an Doornblam ohne Ihr Wissen eine zweite Depesche geschickt und dem Doktor vorgeschrieben, mit welchem Zug er fahren solle. Denn Palperlon wollte seinem Opfer als Frau verkleidet in Malmö auflauern und es ermorden und berauben. Palperlon ist Doornblams Mörder. Er hat auch hier wieder bewiesen, was er alles fertig bekommt. Ich wette, der Gedanke, Doornblam auszuplündern, kam ihm erst, als er von Ihnen dessen Namen hörte. Deshalb hat er Ihnen auch verboten, irgendwie noch mit dem Doktor über das Geschäft vorher sich in Verbindung zu setzen. Er hatte eben schon die zweite Depesche im Kopf fertig, als er Ihnen dies untersagte. Wenn ich eben behauptete, Palperlon hätte mit Ihnen für heute ein Stelldichein verabredet, so war die Unterlage für diese Behauptung Ihre heutige Bitte an Schraut, er möchte Sie morgen früh suchen. Denn Sie hofften, trotz der Ermordung Doornblams und trotzdem Ihnen nun das Geld für dieses Hehlergeschäft fehlte, Palperlon zu überreden, an den deutschen Schriftsteller das Armband zu veräußern und Ihnen als Vermittler anständige Prozente abzugeben.«

Bloomberg senkte den Kopf.

»Wann und wo wollten Sie sich mit Palperlon treffen?«, fragte Harst nun. »Ich nehme an, hier bei Ihnen. Wahrscheinlich erst nachts.«

Der gänzlich verstörte Bloomberg leckte sich die trocken gewordenen Lippen, stöhnte auf: »Er … er hat mir mit dem Tod gedroht, falls ich ihn verraten würde. Er …«

»Bitte, wann wollte er hier erscheinen?«

»Um zwölf Uhr«, sagte Bloomberg zögernd.

»Gut. Sie werden ihn empfangen, als ob hier alles in Ordnung wäre. Lassen Sie sich nichts anmerken, Bloomberg. Palperlon ist schlau. Sie wissen, was für Sie auf dem Spiele steht.«

Es schlug draußen von Stockholms Türmen Mitternacht. Harst und ich hockten unter einem Tisch mit tief heruntergezogener Decke gegenüber dem Ecksofa. Vor drei Minuten war Bloomberg hinab an die Gartenpforte gegangen, um Palperlon zu erwarten.

In dem saalartigen Zimmer schlug nun auch eine alte Standuhr zwölf. Sie hatte einen unangenehmen schrillen Ton, der mir auf die Nerven fiel. Ich zählte die Schläge ungeduldig mit.

…acht … neun … zehn …

Da – ein undeutlicher Knall – ein Schuss vom Garten her. Harst packte meinen Arm. »Du, ich fürchte, dass das einzige Bedenken, das ich gegen diese Fall hier hatte, sich erfüllt hat«, flüsterte er. »Ein Mensch wie Palperlon wird den Garteneingang heute nicht aus den Augen gelassen haben – aus Vorsicht! Er wird uns gesehen haben, wie wir zu Bloomberg mit dem Karton kamen. Aber er sah uns nicht wieder weggehen! Und da wird er misstrauisch geworden sein. Da wird er vielleicht soeben an der Pforte Bloomberg einen Verrat auf den Kopf zugesagt und dabei dieses Waschlappens sicherlich scheues Benehmen richtig gedeutet und über die Verräterei mit einer Revolverkugel quittiert haben! Wenn nur Brodersens Leute …«

Laute Schritte draußen im Flur. Die Tür flog auf.

Es war Brodersen mit zwei Beamten, denen zwei andere folgten, die eine gefesselte, recht elegant gekleidete Dame zwischen sich hatten.

Wir verließen unser Versteck. Harst drehte schnell die große elektrische Krone an. Tageshelle durchflutete den Raum.

Die Dame hatte den weißen Schleier hochgeschlagen. Sie neigte nun vor Harst mit beinahe kokettem Lächeln das Haupt, sagte mit klangvoller, männlicher Stimme:

»Ich gratuliere! Sie haben gesiegt, Harst! Dass Sie gerade hier mit der Polizei Hand in Hand arbeiten würden, ahnte ich nicht. Ich wusste sofort, als ich zwei Herren um 8 Uhr vor der Parkpforte sah, wer diese beiden waren. Nun, Bloomberg hat seinen Lohn empfangen. Die Kugel dürfte mitten in der Stirn sitzen.« Dann riss das Weib sich vorn die Bluse auf, warf drei Päckchen auf den Tisch. »Bitte – das Melville-Armband, die Million, die ich Stripley abnahm und die zweite, die mich Doktor Doornblam so leicht erwerben ließ!«

Harst trat dicht an die stark gepuderte Person heran, deren Gesichtszüge zumindest einen pikanten Reiz hatten, fasste das rechte Handgelenk, hob ihre Hand und schaute auf den Mittelfinger.

»Schraut!« ,winkte er mir zu. Ich kam näher. Und ich erblickte an der Spitze des Mittelfingers eine tiefe Narbe, diese Narbe, die für uns das einzige Erkennungszeichen Palperlons war.

Harst ließ die Hand los. »Herr Inspektor«, wandte er sich an Brodersen. »Dieser verkleidete Mann ist James Palperlon! Ich rate Ihnen dringend, ihn aufs Allersorgfältigste zu bewachen. Gute Nacht. Ich bin müde.«

Die Stockholmer Presse machte gut, was die Kopenhagener gesündigt hatte. Harst war der Held des Tages.

Und James Palperlon? Das ist ein Kapitel für sich – ein sehr spannendes Kapitel, wert, unter dem Titel Die Rätselbrücke besonders behandelt zu werden.