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Nick Carter – Arizona-Jack als Detektiv – Kapitel 9

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Arizona-Jack als Detektiv
Ein Detektivroman

Zum zweiten Mal entführt

Chick war inzwischen im Armoryʼschen Hause gewesen, hatte von dem Bankier gehört, dass nichts vorgefallen sei, und hatte sich, in der Annahme, dass während seiner Abwesenheit sich noch irgendetwas von Belang ereignen werde, schließlich doch empfohlen. Seiner Aufmerksamkeit war es nicht entgangen, dass in dem Nachbarhause bauliche Veränderungen vorgenommen wurden und dass das Gebäude darum zurzeit leer stand. Der Vorgarten war mit Bautonnen, Kalkfässern und dergleichen mehr gefüllt. Die ins Souterrain führende Tür war freilich verschlossen, doch war dies für den in allen Sätteln gerechten Chick kein Hindernis. Bereits wenige Minuten später stand er an einem der Salonfenster. Er hatte die Läden vorgelegt und die jalousienartigen Querstäbe derselben derart gestellt, dass ihm ein ungehinderter Ausblick auf die Straße blieb, während er von dieser aus durchaus nicht gesehen werden konnte.

Geduldig wartete er eine Stunde und darüber, dann sah er, wie ein Messengerboy auftauchte und die Glocke am benachbarten Armoryʼschen Haus zog. Vielleicht fünf Minuten später verließ ein Mann das Haus in großer Eile. Wieder verging kurze Zeit, dann sah Chick denselben Mann mit einem von ihm kutschierten eleganten Herrschaftswagen zurückkehren und vor dem Armoryʼschen Haus anhalten.

Just um dieselbe Minute beobachtete Chick vor der gegenüberliegenden Museumsfront zwei Männer, die sich augenscheinlich verborgen zu halten und doch genau zu überschauen wünschten, was vor und in dem Armoryʼschen Hause vor sich ging. Dann nahm Chick wahr, wie die beiden langsam über die Straße kamen und an den Kutscher herantraten, der steif auf dem Bocke saß. Sie schienen in ihm einen alten Bekannten entdeckt zu haben und begrüßten ihn nun herzlich.

Nach kurzer Unterhaltung zog einer der Männer eine Schnapsflasche aus der Tasche und bot sie dem Kutscher an. Dieser schien zu widerstreben, doch dann kletterte er vom Bock, nahm die Flasche, trat an die Pferde, als ob er an deren Zaumzeug noch etwas zu ordnen hätte, und führte rasch die Flasche zum Mund.

Chick konnte sich selbst nicht Rechenschaft darüber geben, warum der an sich doch so harmlose Vorgang seinen Argwohn erregte. Aber schon in der Minute darauf wurde ihm alles klar, denn der Kutscher fiel plötzlich wie ein Holzklotz um. Im Nu machten sich die beiden Kerle dann über den augenscheinlich durch Chloraltropfen Betäubten her, zogen ihm Mantel und Hut aus, hoben den Bewusstlosen auf und schoben ihn von rückwärts unter die Kutsche, sodass deren breiter Kasten ihn völlig verbarg, während einer der Männer hurtig den Mantel umwarf, den Hut aufstülpte und den Bock erkletterte, wo er Zügel und Peitsche genauso ergriff, wie es zuvor der Betäubte getan hatte.

»Die Schurken!«, zischte Chick. »Sie haben ihn richtig betäubt … Natürlich gehört das zum Plan!«

Eine kleine Weile stand er noch unschlüssig und überlegend da, und so sah er, wie der andere Mann nun spornstreichs davonlief, während sein Gefährte augenscheinlich dazu bestimmt war, Grace Armory und deren Vater zum vorbereiteten Hinterhalt zu fahren.

Was nun tun? Einen Augenblick dachte Chick daran, ins Nachbarhaus zu eilen und Mr. Armory von dem schändlichen Anschlag in Kenntnis zu setzen, oder besser noch, den Strolch auf dem Kutschbock zu verhaften. Doch ebenso schnell verwarf Chick auch diese Gedanken wieder. Es handelte sich darum, die Rädelsführer zu ergreifen und der verdienten Strafe zu überantworten, nicht aber deren untergeordnete Handlanger. Verhinderte seine Dazwischenkunft den jetzigen Anschlag, so mochte schon morgen ein neuer geplant werden, dessen Gewinnchancen vielleicht günstiger für die Verbrecher lagen. Nein! Der Überfall musste stattfinden, und Chick war entschlossen, dabei anwesend zu sein.

Ohne weiteres Besinnen verließ er das Haus und trat aus der Souterraintür auf die dunkle Straße. Deutlich konnte Chick die unter dem Wagen ausgestreckt liegende Gestalt des besinnungslosen Kutschers erkennen. Die Pferde standen mit den Köpfen dem Central Park zu, also in Chick direkt entgegengesetzter Richtung. Auch der als Kutscher verkleidete Rowdy kehrte dem mit unhörbaren Tritten sich auf die Straße Schleichenden den Rücken zu. In der Sekunde darauf stand Chick am Wagenschlag. Vorsichtig öffnete er die Wagentür. Das geschah so leise und behutsam, dass der vor sich hin pfeifende Mann auf dem Bock auch nicht das Geringste merkte; selbst dann nicht, als Chick geschmeidig in den Wagen einstieg, es dabei geschickt vermeidend, den Wagentritt zu berühren, wodurch natürlich die eine Wagenseite sich geneigt haben würde. In der Sekunde darauf saß er auf den Polstern, ohne dass der Kutscher von der Anwesenheit eines Fahrgastes auch nur das Geringste ahnte.

Kaum war dies geschehen, als sich die Haustür öffnete und Grace Armory leichtfüßig die Freitreppe heruntereilte, an den Wagenschlag trat, ihn öffnete und dem Kutscher zurief: »Fahren Sie rasch zu den Ransoms.«

Gerade als ihr Vater auf der obersten Treppenstufe erschien und sich noch damit beschäftigte, seine Handschuhe zuzuknöpfen, stieg Grace ein. Im selben Moment aber hieb auch schon der Kutscher auf die Pferde ein.

»Aber so halten Sie doch … anhalten!«, schrie das Mädchen, das noch nicht dazu gekommen war, sich im dunklen Wageninnern zu orientieren, sondern noch mit dem einen Fuß auf dem Wagentritt ruhte.

»Anhalten!«, schrie auch Mr. Armory hinter dem davonrollenden Wagen her, um gleich darauf in höchster Bestürzung auszurufen: »Ewige Barmherzigkeit … Hier liegt ein Toter!«

Auch das Mädchen schrie noch einmal auf. »Papa – Papa!«, gellte es weithin. Doch im selben Moment fühlte sie sich auch schon mit sanfter Gewalt vollends in den Wagen hineingezogen. Nochmals wollte sie vor Entsetzen laut aufschreien, da verschloss ihr Chick geistesgegenwärtig den Mund mit einem Taschentuch und flüsterte: »Still, Miss Armory, ganz still! Ich bin Chick Carter und zu Ihrem Schutz hier … Es wird Ihnen nicht das Geringste geschehen … Seien Sie unbesorgt.«

Seine Stimme übte ersichtlich beruhigende Wirkung auf Grace aus. »Aber mein Himmel, was soll das heißen?«, versetzte sie. »Warum fährt der Kutscher wie rasend und nahm Papa nicht mit?«

»Das glaubt er, sehr schlau gemacht zu haben«, flüsterte lachend Chick. »Als er sah, dass Sie schon in den Wagen gestiegen waren, während Ihr Vater sich noch oben auf der Treppe befand, schoss es ihm jedenfalls durch den Kopf, dass es die geplante Entführung bedeutend vereinfachte, wenn er den alten Herrn gar nicht erst mitnahm … So peitschte er denn sofort auf die Pferde ein.«

»Oh, mein Gott, wollen die Schrecken dieser Nacht gar kein Ende nehmen?«, hauchte das Mädchen. »Unser Kutscher steht schon viele Jahre in meines Vaters Dienst …«

»Es ist aber nicht Ihr Kutscher, sondern einer der Bande«, entgegnete Chick und teilte ihr flüsternd mit, was sich zugetragen hatte.

Inzwischen rasselte die Kutsche in sausender Fahrt die 77th Street bis zur Central Park West und diesen Boulevard hinauf bis zur 86th Street. Da hörte Chick, als sie sich dem Parkeingang näherten, den Kutscher laut und anhaltend pfeifen. Er begriff augenblicklich, dass es sich um ein Signal handelte.

»Nun beginnt der Tanz«, flüsterte er der wie Espenlaub Bebenden zu. »Doch haben Sie keine Furcht … Es wird Ihnen kein Leid geschehen, denn ich stehe für Sie ein!« Dabei hatte er, ungesehen von dem entsetzt das Antlitz mit den Händen bedeckenden Mädchen, in jede Hand einen Revolver genommen und wartete nun kaltblütig auf die weitere Entwicklung. Aufmerksam spähte er durch das eine Wagenfenster. Eben rasselte der Wagen an dichten Gebüschen vorüber, da fiel des Detektivs Blick auf drei Gestalten, die hinter dem Laubwerk hervorsprangen.

»Aha, Nick und Patsy mit dem Mann aus Arizona!«, frohlockte Chick. »Nun brauchen Sie nichts mehr zu befürchten.«

In dieser Sekunde erscholl draußen ein barsches »Halt!« Mit starkem Ruck hielt der Schurke auf dem Bock die Pferde an.