Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Varney, der Vampir – Kapitel 17

Thomas Preskett Prest
Varney, der Vampir
oder: Das Blutfest

Ursprünglich als penny dreadful von 1845 bis 1847 veröffentlicht, als es zum ersten Mal in Buchform erschien, ist Varney, der Vampir ein Vorläufer von Vampirgeschichten wie Dracula, die es stark beeinflusst hat.

Kapitel 17

Die Erklärung – Die Ankunft des Admirals im Haus – Eine Szene der Verwirrung und einige ihrer Folgen

Ein so plötzlicher und völlig unerwarteter Schreckensruf von Flora zu einem solchen Zeitpunkt konnte die Nerven eines jeden in Erstaunen versetzen. Es war kein Wunder, dass Charles einige Sekunden lang wie versteinert war und kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.

Mechanisch wandte er seinen Blick zur Tür des Gartenhauses. Dort erblickte er einen großen, schlanken Mann, der ziemlich elegant gekleidet war und dessen Antlitz in seiner wunderbaren Ähnlichkeit mit dem Porträt auf der Tafel wohl jeden erschrecken konnte.

Der Fremde stand in der unentschlossenen Haltung eines Mannes auf der Schwelle des Gartenhauses, der sich nicht einmischen wollte, dem es aber ebenso unangenehm, wenn nicht sogar noch unangenehmer war, sich zurückzuziehen, als sich zu nähern.

Bevor Charles Holland ein Wort hervorbringen oder sich aus der Umklammerung Floras befreien konnte, verbeugte sich der Fremde sehr tief und höflich, worauf er mit gewinnendem Akzent sagte: »Ich fürchte sehr, dass ich hier ein Eindringling bin. Erlauben Sie mir, mich aufrichtig zu entschuldigen und Ihnen zu versichern, dass ich nicht wusste, dass sich jemand in der Laube befindet. Wie Sie sehen, regnet es in Strömen, und ich habe mich hierher begeben, weil ich dachte, dass ich hier Schutz vor dem Regen finden würde.«

Diese Worte wurden in einem so glaubwürdigen und höflichen Tonfall gesprochen, dass sie gut in jeden Salon des Königreichs hätten passen können.

Flora hielt ihre Augen während dieser Worte auf ihn gerichtet. Während sie sich krampfhaft an Charles’ Arm festhielt, flüsterte sie immer wieder: »Der Vampir! der Vampir!«

»Ich fürchte sehr«, fügte der Fremde in demselben sanften Ton hinzu, »dass ich der jungen Dame einen Schrecken eingejagt habe!«

»Lass mich los«, flüsterte Charles zu Flora. »Lass mich los; ich werde ihm sofort folgen.«

»Nein, nein – lass mich nicht allein – lass mich nicht allein. Der Vampir – der furchtbare Vampir!«

»Aber, Flora …«

»Still – still – still! Er spricht wieder.«

»Vielleicht sollte ich mich für mein Erscheinen im Garten rechtfertigen«, fügte der Unbekannte hinzu. »Tatsache ist, dass ich zu Besuch kam …«

Flora erschauderte.

»Bei Mr. Henry Bannerworth«, fuhr der Fremde fort, »und da ich das Gartentor offen vorfand, bin ich hineingegangen, ohne die Dienerschaft zu behelligen, was ich sehr bedaure, da ich die Dame wohl erschreckt und verärgert habe. Gnädige Frau, bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an.«

»In Gottes Namen, wer sind Sie?«, fragte Charles.

»Mein Name ist Varney.«

»Oh, ja. Sie sind der Sir Francis Varney, der hier in der Nähe wohnt und der eine so erschreckende Ähnlichkeit mit …«

»Bitte fahren Sie fort, Sir. Ich bin ganz Ohr.«

»Auf ein Porträt hier.«

»In der Tat! Wenn ich einen Moment darüber nachdenke, hat Mr. Henry Bannerworth zufällig etwas in der Art erwähnt. Das ist ein höchst merkwürdiger Zufall.«

Das Geräusch sich nähernder Schritte war nun deutlich zu hören, und in wenigen Augenblicken erreichten Henry und George zusammen mit Mr. Marchdale die Stelle. Ihr Anblick zeigte, dass sie sich beeilt hatten.

Henry rief sofort aus: »Wir hörten oder glaubten einen Schrei zu hören.«

»Ihr habt ihn gehört«, sagte Charles Holland. »Kennen Sie diesen Gentleman?«

»Es ist Sir Francis Varney.«

»In der Tat!«

Varney verbeugte sich vor den Neuankömmlingen und fühlte sich ganz und gar wohl, während alle anderen ganz im Gegenteil zu sein schienen. Selbst Charles Holland fand die Vorstellung, auf einen so wohlerzogenen, vornehm wirkenden Mann zuzugehen und zu sagen: »Sir, wir glauben, dass Sie ein Vampir sind«, fast, wenn nicht gar unüberwindlich.

Ich kann es nicht tun, dachte er, aber ich werde ihn beobachten.

»Bring mich fort«, flüsterte Flora. »Er ist es – er ist es. Oh, bring mich fort, Charles.«

»Sei ganz ruhig, Flora, ganz still. Du irrst dich; die zufällige Ähnlichkeit sollte uns nicht veranlassen, unhöflich zu diesem Herrn zu sein.«

»Der Vampir! Es ist der Vampir!«

»Bist du sicher, Flora?«

»Kenne ich deine Gesichtszüge – meine eigenen – die meines Bruders? Verlange nicht von mir, dass ich zweifle – ich kann es nicht. Ich bin mir sicher. Bring mich weg von seiner abscheulichen Gegenwart, Charles.«

»Die junge Dame, fürchte ich, ist sehr unpässlich«, bemerkte Sir Francis Varney in einem mitfühlenden Tonfall. »Wenn sie meinen Arm nehmen würde, wäre es mir eine große Ehre.«

»Nein – nein – nein! Gott, nein«, rief Flora.

»Madam, ich will Sie nicht drängen.«

Er verbeugte sich und Charles führte Flora aus dem Gartenhaus in Richtung Eingangshalle.

»Flora«, sagte er, »ich bin verwirrt – ich weiß nicht, was ich denken soll. Dieser Mann ist sicher dem Porträt nachempfunden, das auf der Tafel in dem Zimmer hängt, das du früher bewohnt hast, oder es wurde nach ihm gemalt.«

»Er ist mein mitternächtlicher Besucher!«, rief Flora aus. »Er ist der Vampir; dieser Sir Francis Varney ist der Vampir.«

»Großer Gott! Was können wir tun?«

»Ich weiß es nicht. Ich bin völlig verwirrt.«

»Bleib ruhig, Flora. Wenn dieser Mann das ist, wofür du ihn hältst, wissen wir jetzt, woher das Unheil kommt, und das ist auf jeden Fall ein Gewinn. Ich werde ihn auf jeden Fall im Auge behalten.«

»Oh, es ist schrecklich, ihn hier zu treffen.«

»Und er ist auch so wunderbar erpicht darauf, das Haus in Besitz zu nehmen.«

»Das ist er – das ist er.«

»Die ganze Angelegenheit erscheint seltsam. Aber, Flora, sei dir über eines im Klaren, und zwar über deine eigene Sicherheit.«

»Kann ich mir dessen sicher sein?«

»Ganz gewiss. Geh jetzt zu deiner Mutter. Wir sind hier, wie du siehst, fast vor dem Eingang. Geh zu deiner Mutter, liebe Flora, und verhalte dich ruhig. Ich werde jetzt zu diesem geheimnisvollen Mann zurückkehren, mit einem kühleren Urteil, als ich ihn verlassen habe.«

»Du wirst ihn beobachten, Charles?«

»Ja, das werde ich.«

»Und du wirst ihn nicht allein in das Haus lassen?«

»Das wird er nicht tun.«

»Oh, dass der Allmächtige zulässt, dass solche Wesen die Erde heimsuchen!«

»Still, Flora, wir können nicht wissen, was der Allmächtige vorhat.«

»Es ist bitter, dass die Unschuldigen mit deren Anwesenheit geplagt werden.«

Charles senkte sein Haupt in schwermütiger Zustimmung.

»Ist es nicht sehr, sehr furchtbar?«

»Still – still! Beruhige dich, Liebste, beruhige dich. Bedenke, dass wir uns in dieser Angelegenheit nur auf eine zufällige Ähnlichkeit stützen können. Aber überlasse das alles mir und sei versichert, dass ich jetzt, wo ich einige Anhaltspunkte in dieser Angelegenheit habe, weder die Sache noch Sir Francis Varney aus den Augen verlieren werde.«

Mit diesen Worten übergab Charles Flora der Obhut ihrer Mutter und eilte zum Gartenhaus zurück, als er auf die ganze Gesellschaft traf, die auf die Halle zuging, denn der Regen wurde von Minute zu Minute stärker.

»Wir kehren zurück«, sagte Sir Francis Varney mit einer halben Verbeugung und einem Lächeln zu Charles.

»Erlauben Sie mir«, sagte Henry, »Sie, Mr. Holland, unserem Nachbarn Sir Francis Varney vorzustellen.«

Charles fühlte sich gezwungen, sich höflich zu verhalten, obwohl sein Geist so voller widersprüchlicher Gefühle war, was Varney betraf; aber es ließ sich nicht vermeiden, ohne eine so brutale Unhöflichkeit, die mit all seinen Bestrebungen und Gewohnheiten unvereinbar war, auf die extreme Höflichkeit des vermeintlichen Vampirs in etwa demselben Tonfall zu antworten.

Ich werde ihn genau beobachten, dachte Charles. Ich kann nicht mehr tun, als ihn genau zu beobachten.

Sir Francis Varney schien ein Mann mit den allgemeinsten und diskursivsten Informationen zu sein. Er sprach fließend und angenehm über alle möglichen Themen, und obwohl er nicht umhin konnte, zu hören, was Flora über ihn gesagt hatte, stellte er keine einzige Frage zu diesem Thema.

Dieses Schweigen zu einer Angelegenheit, die bei jedem anderen Mann sofort eine Anfrage ausgelöst hätte, sprach sehr gegen Charles. Er zitterte einen Moment lang, um zu glauben, dass es doch wahr sein könnte.

»Ist er ein Vampir?«, fragte er sich. »Gibt es Vampire und ist dieser elegante Mann – dieser höfische, talentierte, gebildete Gentleman einer?« Es war eine abscheuliche Frage.

»Sie wohnen hier ganz reizend«, bemerkte Varney, als er die wenigen Stufen hinaufstieg, die zur Tür der Eingangshalle führten, und sich umdrehte, um die Aussicht von dieser geringen Höhe aus zu betrachten.

»Der Ort wird sehr geschätzt«, sagte Henry, »wegen seiner malerischen Schönheit der Landschaft.«

»Und das ist auch gut so. Ich hoffe, Mr. Holland, der jungen Dame geht es besser?«

»So ist es, Sir«, sagte Charles.

»Ich hatte nicht die Ehre, ihr vorgestellt zu werden.«

»Das war mein Fehler«, sagte Henry, der seinen außergewöhnlichen Gast mit einem Anflug von gezwungener Heiterkeit ansprach. »Es war meine Schuld, dass ich Sie nicht meiner Schwester vorgestellt habe.«

»Das war Ihre Schwester?«

»Ganz recht, Sir.«

»Der Ruf hat sich bestätigt – sie ist wunderschön. Aber sie sieht ziemlich blass aus, fand ich. Ist sie krank?«

»Sie ist bei bester Gesundheit.«

»In der Tat! Vielleicht hat der kleine unangenehme Umstand, der in der Nachbarschaft so viel Stoff für Klatsch und Tratsch bietet, ihre Laune beeinträchtigt?«

»So ist es.«

»Sie spielen auf den angeblichen Besuch eines Vampirs an?«, fragte Charles, während er Varney ins Gesicht blickte.

»Ja, ich spiele auf das vermeintliche Auftauchen des vermeintlichen Vampirs in dieser Familie an«, sagte Sir Francis Varney, während er den ernsten Blick von Charles mit solch unerschütterlicher Sicherheit erwiderte, dass der junge Mann nach etwa einer Minute fast gezwungen war, seinen Blick abzuwenden.

Er wird sich nicht einschüchtern lassen, dachte Charles. Der Umgang mit ihm hat ihn an solche Querfragen gewöhnt.

Plötzlich schien es Henry in den Sinn zu kommen, dass er in Varneys eigenem Haus etwas gesagt hatte, das ihn davon abhalten sollte, in das Herrenhaus zu kommen, und er bemerkte nun:  »Wir hatten kaum das Vergnügen, Sie hier zu sehen, Sir Francis Varney.«

»Oh, mein lieber Herr, das ist mir bewusst, aber Sie haben meine Neugierde geweckt. Sie haben mir gegenüber erwähnt, dass es hier ein Porträt gibt, das mir verblüffend ähnlich ist.«

»Habe ich das?«

»Ja, das haben Sie, oder woher sollte ich es sonst wissen? Ich wollte sehen, ob die Ähnlichkeit so perfekt ist.«

»Haben Sie mitbekommen, Sir«, fügte Henry hinzu, »dass meine Schwester über Ihre Ähnlichkeit mit dem Porträt erschrocken war?«

»Nein, wirklich nicht.«

»Ich bitte Sie hereinzukommen, und wir werden in aller Ruhe über diese Angelegenheit sprechen.«

»Mit großem Vergnügen. Das Leben auf dem Land ist eintönig, verglichen mit dem Glanz des Hoflebens. Im Moment habe ich keine besondere Verpflichtung. Da wir nahe beieinander wohnen, sehe ich keinen Grund, warum wir nicht gute Freunde sein und oft solche Höflichkeiten austauschen sollten, die die Annehmlichkeiten des Lebens ausmachen, und die besonders auf dem Land wertvoll sind.«

Henry konnte nicht heuchlerisch genug sein, um dem zuzustimmen, aber dennoch war es unter dem gegenwärtigen Aspekt der Angelegenheiten unmöglich, etwas anderes als eine höfliche Antwort zu geben; also sagte er:  »Oh, ja, natürlich – gewiss. Meine Zeit ist sehr eng bemessen, und meine Schwester und meine Mutter sehen kaum eine Gesellschaft.«

»Oh, nun, wie unangenehm.«

»Unangenehm, Sir?«

»Ja, sicher. Wenn es etwas gibt, das mehr als alles andere dazu beiträgt, die Menschen zu harmonisieren, dann ist es die Gesellschaft der schöneren Hälfte der Schöpfung, die wir gerade wegen ihrer Schwächen lieben. Ich bin dem zarten Geschlecht sehr zugetan – den jungen, gesunden Menschen. Ich mag die rosigen Wangen sehen, wo das warme Blut in den oberflächlichen Adern fließt und alles schön und lebendig ist.«

Charles wich zurück, und das Wort Dämon entkam unbewusst seinen Lippen.

Sir Francis nahm keine Notiz von dieser Äußerung, sondern redete weiter, als ob er sich mit allen Anwesenden auf das Beste verstanden hätte.

»Wollt Ihr mir nun sofort in das Gemach folgen, in dem das Porträt hängt«, sagte Henry, »oder wollt Ihr vorher noch eine Erfrischung zu Euch nehmen?«

»Keine Erfrischung für mich«, sagte Varney. »Mein lieber Freund, wenn Sie mir erlauben, Sie so zu nennen, dies ist eine Tageszeit, zu der ich nie eine Erfrischung zu mir nehme.«

Auch zu keiner anderen, dachte Henry.

Sie gingen alle zu der Kammer, in der Charles eine sehr unangenehme Nacht verbracht hatte. Als sie dort ankamen, zeigte Henry auf das Porträt an der Tafel und sagte:  »Dort, Sir Francis Varney, ist Euer Ebenbild.«

Er schaute es an. Nachdem er darauf zugegangen war, sagte er in einem leisen Tonfall, eher, als ob er mit sich selbst sprechen würde, als dass er eine Bemerkung machte, die jemand anderes hören konnte: »Es ist von unglaublicher Ähnlichkeit.«

»In der Tat«, sagte Charles.

»Wenn ich mich danebenstelle«, sagte Varney, indem er sich in eine günstige Position brachte, um die beiden Gesichter zu vergleichen, »wage ich zu behaupten, dass Sie von der Ähnlichkeit noch mehr beeindruckt sein werden als zuvor.«

Das Licht, das auf sein Gesicht fiel, war so genau, wie das, in dem der Maler das Porträt gemalt hatte, dass alle einen oder zwei Schritte zurückwichen.

»Manche Künstler«, bemerkte Varney, »haben den Scharfsinn, sich zu fragen, wo ein Porträt aufgehängt werden soll, bevor sie es malen, und dann passen sie ihre Lichter und Schatten denjenigen an, die auf das Original fallen würden, wenn es sich an einem ähnlichen Ort befände.«

»Ich kann das nicht ertragen«, sagte Charles zu Henry, »ich muss ihn weiter befragen.«

»Wie Sie wollen, aber beleidigen Sie ihn nicht.«

»Das werde ich nicht. Er ist jetzt unter meinem Dach, und schließlich ist es nur ein schrecklicher Verdacht, den wir gegen ihn hegen.«

»Verlass dich auf mich.«

Charles trat vor und wandte sich erneut mit ernstem Blick an Varney, der sagte: »Wissen Sie, Sir, dass Miss Bannerworth erklärt, der Vampir, der ihrer Meinung nach diese Kammer besucht hat, sei in seinen Zügen das genaue Gegenstück zu diesem Porträt?«

»Tut sie das wirklich?«

»Das tut sie in der Tat.«

»Und vielleicht hält sie mich deshalb für den Vampir, weil ich eine große Ähnlichkeit mit dem Porträt habe.«

»Das würde mich nicht wundern«, sagte Charles.

»Das ist sehr seltsam.«

»Wirklich.«

»Und doch unterhaltsam. Ich bin eher amüsiert als überrascht. Die Vorstellung, ein Vampir zu sein. Ha! Ha! Wenn ich jemals wieder zu einem Maskenball gehe, werde ich ganz sicher in die Rolle eines Vampirs schlüpfen.«

»Sie würden es bestimmt gut machen.«

»Ich wage zu behaupten, dass ich eine ziemliche Sensation abgeben würde.«

»Ich bin sicher, das würden Sie. Glauben Sie nicht, meine Herren, dass Sir Francis Varney die Rolle bis ins kleinste Detail verkörpern würde? Um Himmels willen, er würde es so gut machen, dass man sich ohne große Schwierigkeiten vorstellen könnte, dass er wirklich ein Vampir ist.«

»Bravo – bravo«, sagte Varney, während er sanft die Hände faltete, mit jenem vornehmeren Beifall, den man sogar in einer Loge in der Oper selbst genießen kann. »Bravo. Ich mag es, wenn junge Menschen begeistert sind; es sieht so aus, als hätten sie etwas von dem wahren Feuer des Genies in ihrer Komposition. Bravo – bravo.«

Das war, so dachte Charles, der Gipfel der Unverschämtheit, und doch, was konnte er tun? Was sollte er sagen? Die unverblümte Kühle Varneys machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Henry, George und Mr. Marchdale hatten den Vorgängen zwischen Sir Francis und Charles schweigend zugehört. Sie fürchteten, die Wirkung dessen, was Charles sagen könnte, durch ein eigenes Wort zu schmälern, und sie wollten auch nicht eine Bemerkung verlieren, die von Varneys Lippen kommen könnte.

Aber nun schien Charles alles gesagt zu haben, was er zu sagen hatte, und er wandte sich zum Fenster und schaute hinaus. Er wirkte wie ein Mann, der sich entschlossen hatte, einen Kampf, in den er verwickelt war, für eine gewisse Zeit aufzugeben.

Und vielleicht gab er ihn nicht so sehr aus dem Gefühl oder dem Bewusstsein heraus auf, besiegt worden zu sein, sondern aus der Überzeugung heraus, dass er ihn bei einer anderen, weitaus günstigeren Gelegenheit umso wirksamer wieder aufnehmen könnte.

Varney wandte sich nun an Henry und sagte: »Ich nehme an, dass der Gegenstand unseres Gesprächs, als Sie mir die Ehre eines Besuchs erwiesen, für niemanden hier ein Geheimnis ist?«

»Keineswegs«, sagte Henry.

»Dann ist es vielleicht zu früh, wenn ich Sie frage, ob Sie sich entschieden haben?«

»Ich hatte noch kaum Zeit zum Nachdenken.«

»Mein lieber Herr, lassen Sie sich von mir nicht drängen; ich bedaure in der Tat sehr die Aufdringlichkeit.«

»Sie scheinen darauf erpicht zu sein, das Anwesen zu besitzen«, bemerkte Mr. Marchdale zu Varney.

»Das bin ich.«

»Ist es neu für Sie?«

»Nicht ganz. Ich habe einige Jugenderinnerungen, die mit dieser Gegend verbunden sind, unter denen Bannerworth Hall eine herausragende Stellung einnimmt.«

»Darf ich fragen, wie lange das her ist?«, sagte Charles Holland etwas abrupt.

»Ich erinnere mich nicht, mein enthusiastischer junger Freund«, sagte Varney. »Wie alt sind Sie?«

»Fast einundzwanzig.«

»Sie sind also für Ihr Alter ein Muster an Diskretion.«

Es wäre für den besten Beobachter der menschlichen Natur schwierig gewesen, zu entscheiden, ob dies wahrheitsgemäß oder ironisch gemeint war, und so gab Charles keine Antwort darauf.

»Ich vertraue darauf«, sagte Henry, »dass wir Sie, Sir Francis Varney, da dies Ihr erster Besuch im Herrenhaus ist, dazu bewegen können, eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen.«

»Gut, gut, ein Becher Wein …«

»Steht zu Ihren Diensten.«

Henry führte sie nun in einen kleinen Salon, der zwar keineswegs zu den prächtigsten Räumen des Hauses gehörte, aber durch die Sorgfalt und die exquisiten Schnitzereien, die er aufwies, viel mehr dem Geschmack eines jeden entsprach, der ein genaues Urteilsvermögen für solche Kunstwerke besaß.

Dann wurde Wein geordert und Charles nutzte die Gelegenheit, Henry zuzuflüstern: »Beobachte gut, wenn er trinkt.«

»Das werde ich.«

»Siehst du, dass unter seinem Mantel eine erhöhte Stelle ist, als wäre sein Arm gefesselt?«

»Das tue ich.«

»Das ist die Stelle, an der ihn die Kugel aus der Pistole traf, die Flora abfeuerte, als wir in der Kirche waren.«

»Pst! Um Gottes willen, leise! Du gerätst in eine furchtbare Wut, Charles; bleib ruhig!«

»Und kannst du es mir verdenken?«

»Nein, nein, aber was können wir tun?«

»Du hast recht. Im Augenblick können wir nichts tun. Wir haben jetzt einen Anhaltspunkt, und es ist unsere gemeinsame Neigung und Pflicht, ihm zu folgen. Oh, du wirst sehen, wie ruhig ich sein werde!

»Um Himmels willen, sei es. Ich habe bemerkt, dass seine Augen mit keinem freundlichen Gefühl auf deine blicken.«

»Seine Freundschaft wäre ein Fluch.«

»Still! Er trinkt!«

»Pass auf ihn auf.«

»Das werde ich.«

»Meine Herren«, sagte Sir Francis Varney in einem so sanften, wohlklingenden Ton, dass es faszinierend war, ihn sprechen zu hören. »Meine Herren, da ich von Ihrer Gesellschaft sehr angetan bin, werfen Sie mir nicht vor, ich sei vermessen, wenn ich jetzt, obwohl ich ein ärmlicher Zecher bin, auf unsere künftigen freudigen Begegnungen anstoße.«

Er hob den Wein an seine Lippen und schien zu trinken, dann stellte er das Glas wieder auf den Tisch.

Charles warf einen Blick darauf, es war immer noch voll.

»Sie haben nichts getrunken, Sir Francis Varney«, konstatierte er.

»Verzeiht mir, enthusiastischer junger Herr«, sagte Varney, »vielleicht habt Ihr die Großzügigkeit, mir zu erlauben, meinen Wein zu nehmen, wie und wann ich will.«

»Ihr Glas ist voll.«

»Nun, Sir?«

»Werden Sie es austrinken?«

»Nicht auf Geheiß eines Mannes, ganz sicher nicht. Wenn die schöne Flora Bannerworth die Tafel mit ihrer süßen Anwesenheit beglücken würde, könnte ich dann wohl weiter und weiter trinken.«

»Hören Sie, Sir«, rief Charles, »ich kann das nicht mehr ertragen. Wir haben in diesem Haus den schrecklichsten und vernichtenden Beweis dafür gehabt, dass es so etwas wie Vampire gibt.«

»Haben Sie das wirklich? Ich nehme an, Sie aßen rohes Schweinefleisch zum Abendessen und hatten deshalb diesen Albtraum?«

»Ein Scherz ist an seinem Platz willkommen, aber bitte hören Sie mich an, Sir, wenn es Ihrer erhabenen Höflichkeit entspricht, dies zu tun.«

»Oh, gewiss.«

»Dann sage ich, dass wir, soweit es das menschliche Urteilsvermögen zulässt, glauben, dass ein Vampir hier gewesen ist.«

»Fahren Sie fort, das ist interessant. Ich war schon immer ein Liebhaber des Wilden und Wunderbaren.«

»Wir haben auch«, fuhr Charles fort, »einen Grund zu glauben, dass Sie der Mann sind.«

Varney tippte sich an die Stirn, als er Henry ansah, und sagte:  »Oh je, das wusste ich nicht. Sie hätten mir sagen sollen, dass er sich ein wenig geirrt hat. Ich hätte mich mit dem Jungen streiten können. Meine Güte, wie bedauerlich für seine arme Mutter.«

»So geht das nicht, Sir Francis Varney alias Bannerworth.«

»Oh – oh! Sei ruhig – sei ruhig.«

»Ich beschwöre Sie bei Ihren Zähnen, Sir! Nein, Gott, nein! Ihre Zähne!«

»Armer Junge! Armer Kerl!«

»Du bist ein feiger Dämon, und ich schwöre hier, mich deiner Vernichtung zu widmen.«

Sir Francis Varney richtete sich zu seiner vollen Größe auf, und die war immens, als er zu Henry sagte: »Ich bitte Sie, Mr. Bannerworth, da ich unter Ihrem Dach so schwer beleidigt werde, mir zu sagen, ob Ihr Freund hier verrückt oder gesund ist?«

»Er ist nicht verrückt.«

»Dann …«

»Halt, Sir! Der Streit soll mein sein. Im Namen meiner verfolgten Schwester – im Namen des Himmels, Sir Francis Varney, fordere ich Sie heraus.«

Sir Francis wirkte trotz seiner undurchdringlichen Ruhe etwas bewegt, als er sagte: »Ich habe schon genug Beleidigungen ertragen – ich werde nicht mehr ertragen. Wenn Waffen zur Hand sind …«

»Mein junger Freund«, unterbrach Mr. Marchdale, der zwischen die erregten Männer trat, »wird von seinen Gefühlen mitgerissen und weiß nicht, was er sagt. Betrachten Sie es so, Sir Francis.«

»Wir brauchen uns nicht einzumischen«, rief Varney und seine bis dahin sanfte Stimme verwandelte sich in eine wütende. »Der heißblütige Narr will kämpfen, und das soll er auch – bis zum Tod – bis zum Tod.«

»Und ich sage, er wird es nicht tun«, rief Mr. Marchdale aus und nahm Henry am Arm. »Charles«, fügte er hinzu und wandte sich an den jungen Mann, »helfen Sie mir, Ihren Bruder zu überreden, den Raum zu verlassen. Stellen Sie sich die Qualen Ihrer Schwester und Ihrer Mutter vor, wenn ihm etwas zustoßen sollte.«

Varney lächelte mit einem teuflischen Grinsen, als er diese Worte hörte, und sagte dann: »Wie Sie wollen – wie Sie wollen. Es wird noch viel Zeit und vielleicht auch bessere Gelegenheiten geben, meine Herren. Ich wünsche Ihnen einen Guten Tag.«

Mit provozierender Kühle ging er zur Tür und verließ den Raum.

»Bleiben Sie hier«, sagte Mr. Marchdale, »ich werde ihm folgen und dafür sorgen, dass er das Zimmer verlässt.«

Das tat er und die jungen Männer sahen vom Fenster aus, wie Sir Francis langsam durch den Garten ging, und dann, wie Mr. Marchdale ihm folgte.

Während sie so beschäftigt waren, ertönte ein gewaltiges Läuten am Tor, aber ihre Aufmerksamkeit war so sehr auf das gerichtet, was im Garten vor sich ging, dass sie dem nicht die geringste Beachtung schenkten.