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Aus dem Wigwam – Der Fluss der närrischen Frau

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Zwanzig Sagen
Mitgeteilt von Kah-ge-ga-gah-bowh

Der Fluss der närrischen Frau

or vielen Jahren kam ein weißer Mann in das Land der Crow und tauschte die Büffelfelle derselben gegen Farben, Bänder und Perlen ein. Er war sehr reich, denn er hatte einen großen Vorrat an Dingen, die den Indianern gefielen. Seine Hütte stand am Großen Bartfluss; derselbe wurde wegen des hohen Grases an seinen Ufern damals so genannt; späterhin aber hieß man ihn allgemein den Fluss der närrischen Frau.

Als der Händler alle Felle eingetauscht hatte, verließ er das Lager der Indianer und sagte, er würde nach einigen Monaten wiederkommen.

Er hielt Wort und brachte ganze Wagenladungen von allerlei schönen Dingen mit. Er machte den Frauen glänzende Perlen und den Männern gelbe Ringe zum Geschenk.

Nun nahm er eines Tages den Häuptling in das Nebenzimmer seiner Wohnung und gab ihm schwarzes Wasser zu trinken, was jenen so sehr freute, dass er um noch einen Trunk bat. Der Händler schenkte auch ein zweites Glas davon ein und reichte es ihm unter der Bedingung, dass er niemand etwas davon sage, was der Häuptling auch versprach. Als er das schwarze Wasser getrunken hatte, fing er an, so lange zu singen und zu tanzen, bis er zuletzt vor Müdigkeit umfiel und einschlief.

Nach längerer Zeit erwachte er wieder und sagte, er habe nie so herrliche Träume gehabt, und bat den Händler wieder um einen Trunk.

So kam er jeden Tag und trank sich einen Rausch an, was den Indianern jedoch nicht sehr gefiel, denn er umhalste alle Frauen, die ihm in die Quere kamen, und benahm sich überhaupt so auffallend, dass ihn jedermann für närrisch hielt.

Viele hielten ihn sogar für behext und schrieben dem Händler die Ursache zu. Sie hielten daher eine Ratsversammlung ab und fassten den Beschluss, dem Händler mitzuteilen, so schnell wie möglich das Dorf zu verlassen, wenn er sein Leben nicht einbüßen wolle. Ein Krieger, der ein treuer Freund des Händlers war, überbrachte ihm diese Nachricht. Der Weiße lachte und sagte, er wolle ihm den bösen Geist zeigen, der den Häuptling so oft behext habe. Er nahm ihn mit in seine Nebenstube und gab ihm einen Schluck von dem schwarzen Wasser. Als er auf der Straße war, tanzte und sang er so laut, dass alle Leute zusammenliefen.

»Geht zum Händler«, sagte er, »und lasst euch von seinem schwarzen Wasser geben!«

Sie liefen also alle zu ihm. Jener erklärte jedoch, dass er kein anderes Wasser tränke als das des Flusses. Er gab ihnen darauf zum Beweis, dass er nicht lüge, einen Eimer voll; denselben tranken sie aus und warteten auf die oft am Häuptling wahrgenommene Wirkung; jedoch vergeblich.

»Entweder lügt der Händler oder unser Bruder«, sagte einer »wir müssen herausfinden, wer die Unwahrheit gesagt hat.«

Sie gingen darauf in die Hütte des Kriegers, der sich bereits von seinem Rausch wieder erholt hatte.

»Was wollt ihr hier?«, fragte er sie.

»Du hast uns belogen; der Händler hat kein schwarzes Wasser!«, ant­worteten sie.

»Er hat auch kein solches Wasser; ich möchte wissen, wer solchen Unsinn erzählen kann!«

Er erinnerte sich sehr wohl, dass er dem Händler versprochen hatte, nichts davon zu sagen. Sie beschrieben ihm darauf sein merkwürdiges Betragen und er erklärte, dass er da sicherlich sehr krank gewesen sein müsse. Sie beschlossen also, die Sache ruhig abzuwarten.

Der Krieger und der Häuptling betranken sich jeden Tag und führten allerlei närrische Streiche aus.

Nun erklärte eines Tages ein junger Krieger in der Versammlung, dass er durch eine Ritze in der Wand gesehen habe, wie der Händler beiden schwarzes Wasser zu trinken gegeben habe, und er sei bereit, mit seinem Leben für die Wahrheit seiner Aussage einzustehen.

Gleich wurden einige abgesandt, um den Händler und den trinklustigen Krieger zu holen. Der Letztere leugnete es und erklärte sich bereit zum Kampf mit seinem Ankläger. Der Händler jedoch, der sah, dass das Lügen hier nichts half, gestand ein, dass er schwarzes Wasser besäße. Dasselbe habe er von den Weißen erhalten, die es häufig tränken, um sich glücklich zu machen. Es wurde ihm darauf gesagt, er möge etwas davon holen.

Ehe er jedoch fortging, sprach der junge Krieger: »Meine Brüder haben meine Rede gehört und sie als wahr befunden. Mein Bruder hat aber gesagt, ich lüge. Lasst uns daher vor das Dorf gehen und die Sache ausfechten!«

»Es ist wahr«, sprach darauf der Trunkenbold, »ich habe von dem schwarzen Wasser getrunken und dem Händler versprochen, niemand etwas davon zu sagen. Das schwarze Wasser ist wundervoll und ich liebe es mehr als mein Leben oder die Wahrheit. Ich habe gelogen, weil ich fürchtete, der Händler würde mir nichts mehr zu trinken geben. Alles, was ich noch zu sagen habe, ist, dass ich zum Zweikampf bereit bin!«

Darauf gingen alle mit vor das Dorf, um die beiden kämpfen zu sehen. Die Speere wurden gebracht; die Hand des Lügners zitterte jedoch so sehr, dass er den seinen kaum halten konnte. Auf die Frage, ob er sich fürchte, erwiderte er, dass sein Herz tapfer sei, seine Hände aber seit einigen Tagen beständig zitterten.

Der Kampf begann und bald lag der Trunkenbold vom Speer durchbohrt auf der Erde.

Darauf liefen alle zur Unterkunft des Händlers und verlangten schwarzes Wasser, was derselbe ihnen auch bereitwillig gab. Sie tranken so lange davon, bis sie betrunken waren und zuletzt nicht mehr stehen konnten.

Am nächsten Tag kamen sie wieder und verlangten nach dem köstlichen Getränk. Er gab es ihnen auch, ließ sich jedoch für jeden Trunk ein Büffelfell geben. Es dauerte nicht lange, so hatte er alle Felle, die im ganzen Dorf waren. Zuletzt ging ihm das wertvolle Getränk aus und er packte alles, was er hatte, auf Pferde, um zu den Weißen zu gehen und noch mehr schwarzes Wasser zu holen.

Dies kam den Kriegern verdächtig vor und sie wollten ihn nicht ziehen lassen. Einer behauptete sogar, der Händler habe genug schwarzes Wasser und käme, nachdem er ihnen alles abgenommen habe, sicherlich nicht wieder. Man durchsuchte sein ganzes Gepäck, aber es war kein solches Getränk zu finden; doch der Krieger erklärte, er wisse es ganz genau, dass der Händler noch schwarzes Wasser habe und dass es irgendwo versteckt läge.

Der Weiße verneinte dies, was die Indianer so sehr in Wut brachte, dass sie ihn vor den Augen seiner Frau zusammenschlugen. Auch die Frau brach bald darauf unter dem Tomahawk zusammen.

Nun sagte der Häuptling: »Der Händler ist tot; lasst uns seine Hütte verbrennen und seine Felle und Pferde unter uns verteilen!«

Gleich wurde sein Haus in Brand gesteckt. Als die Flammen aus allen Löchern hervorloderten, bemerkte eine Indianerin, dass die weiße Squaw nicht tot war. Sie nahm sie also in ihren Wigwam, nähte ihre Wunde zu und sorgte in jeder Beziehung für sie, sodass sie bald wieder genas. Aber sie war seit jener Zeit wahnsinnig und glaubte, jeder Krieger, den sie sah, wolle sie umbringen.

Eines Tages vermisste man sie und alle suchten nach ihr. Man fand ihre Spur, aber es war nicht möglich, ihr Versteck aufzufinden. Späterhin sahen sie einige Frauen im Gebüsch und versuchten sie zu bereden, in das Dorf zurückzukehren. Aber sie tat es nicht. Die Frauen brachten ihr jeden Tag Esswaren, sagten jedoch ihren Männern nichts davon.

Eines Tages sah sie jedoch ein Krieger und eilte ihr nach, um sie ins Dorf zu bringen. Doch sie lief so schnell, dass er ihr zuletzt nicht mehr folgen konnte. Wie es ihr späterhin ergangen und was aus ihr geworden ist, hat niemand erfahren.