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Die Sternkammer – Band 4 – Kapitel 15

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 4
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Fünfzehntes Kapitel

Die Wiedervergeltung

Wie sich voraussehen lässt, wurde das von dem Prinzen Karl über Mompesson und seinem Genossen aus­gesprochene Urteil vom König und den Richtern der Sternkammer bestätigt, als man die beiden Verbrecher vor dieses Gericht führte. Sie wurden beide der Rit­terwürde entsetzt. Nachdem man Mitchell all seine unrechtmäßig erworbenen Reichtümer abgenommen hatte, musste er noch die Unwürdigkeit erdulden, in der umge­kehrten Stellung, die sonst gewöhnlich ist, nämlich mit dem Gesicht zum Schweif des Pferdes gewendet, durch die Straßen zu reiten, zwei Quartmaß um den Hals gebunden, um zu zeigen, dass er wegen seiner Er­pressungen von Schankwirten und Besitzern von Gast­höfen bestraft werde, und ein Papier auf der Brus , worin seine Vergehungen angegeben wurden. Auf diese Weise – angeschrien und beworfen von dem Pöbel, der ihm folgte und ihm schwere Verletzungen zugefügt hatte, ja ihn vielleicht völlig getötet haben würde, hätte seine Begleitung es nicht verhindert – wurde er nach der Reihe zu allen Schenken und Gasthäusern geführt, die am meisten von seinem skandalösen Erpressungssystem ge­litten hatten.

Im Verlauf seiner Wanderung wurde er auch zu den Drei Kranichen geführt, vor welchem Haus sich ein ungeheurer Zusammenlauf von Menschen versammelt hatte, um das Schauspiel mit anzusehen. Obwohl die Figur des Verbrechers, auf dem großen rauhaarigen Pferd sitzend, welches man absichtlich dazu ausgewählt hatte, lächerlich und grotesk genug aussah, um die Heiterkeit der meisten Zuschauer zu erregen, die seine Ankunft mit lautem und höhnischem Gelächter begrüßten, so bewegte doch sein klägliches Gesicht und seine elende Lage – denn er war vom Kopf bis zu den Füßen mit Schmutz bedeckt – das Mitleid der gutmütigen Madame Bonaventure, als sie ihn aus einem der oberen Fenster ih­res Hotels ansah. Das Gefühl wurde noch erhöht, als der Elende einen flehenden Blick auf sie warf. Sie konnte den Anblick nicht länger ertragen und eilte vom Fenster hinweg.

In demselben Zimmer mit ihr befanden sich vier Personen, die ein reichliches Mahl einnahmen wie aus den zahlreichen Schüsseln und Flaschen hervorging, womit der Tisch belegt war, an welchem sie saßen. Sowohl sie als auch die Wirtin waren an die Fenster geeilt, um zu sehen, welches die Veranlassung eines solchen Lärms sei. Da alle mit dem alten Wucherer und seinen Handlungen wohl bekannt waren, so hatte das Schauspiel ein besonderes Interesse für sie und die Wirtin, doch machte es einen verschiedenen Eindruck auf sie.

Die erwähnte Gesellschaft bestand in Master Richard Taverner, wie der ehemalige Lehrling nun genannt wurde, und in seiner hübschen Braut Gillian, die nun in ih­rem Brautschmuck noch hübscher als gewöhnlich aussah, denn die Zeremonie, die sie unauflöslich vereinte, war eben vorüber, in dem alten Greenford, dem Groß­vater der Braut, und Master John Wolfe, Buchhänd­ler am St. Paulskirchhof, ehemals Dicks nachsichtiger Lehrherr und nun sein Compagnon, denn Master Taver­ner hatte klüglich den Inhalt des silbernen Kästchen zum Ankauf eines Anteils am Geschäft seines Lehrherrn angewendet, mit dem löblichen Entschluss, sich von nun an eifrig diesem Geschäft zu widmen. Da sich keine Gelegenheit mehr finden möchte, den Um­stand zu erwähnen, so wollen wir hinzufügen, dass er seinen Entschluss hielt und endlich zu hohen Ämtern in der Stadt gelangte. Dicks Aussehen hatte sich be­reits beträchtlich verbessert. Sein Anzug war neu und zierlich, aber nicht prunkend, und stand ihm sehr gut, während sein Benehmen selbst unter diesen glücklichen Umständen einen in der Tat überraschenden Anstand und eine gewisse Nüchternheit an sich hatte, die gute Erwar­tungen von seiner künftigen Aufführung erregte. Er begann, wie er fortzufahren beabsichtigte, und es war klar, dass John Wolfes Rat einen heilsamen Eindruck auf ihn hervorgebracht hatte. Der alte Greenford erschien wie ein wahres Bild des Glücks.

Mit Master Richards Vorliebe für die drei Kraniche sind wir wohl bekannt, und es wird daher nicht unnatürlich erscheinen, dass er in diesem seinem Lieblingsgasthaus seine Hochzeitsmahlzeit hielt. Madame Bona­venture war entzückt von der Brant und machte, dass ihre schönen Wangen bei dem Lob ihrer Schönheit erglühten, während sie dem Bräutigam wegen seines Glücks, einen solchen Schatz zu erlangen, nicht genug Glückwünschen konnte. Das Beste im Hause wurde ihnen vorgesetzt – sowohl Speisen als auch Wein – und alle taten der guten Bewirtung volle Gerechtigkeit an.

Cyprien brachte wie gewöhnlich die Schüsseln herein und füllte die Flaschen mit dem köstlichen Bor­deauxwein, den seine Herrin aufzutragen befohlen hatte; aber Madame Bonaventure führte persönlich den Vorsitz bei der Mahlzeit, legte die Speisen vor und wählte die schmackhaftesten Leckerbissen für Gillian aus, die sie über­dies noch mit ihren lebhaften Bemerkungen würzte.

Das Mittagsmahl näherte sich seinem Ende und sie tranken eben auf die Gesundheit der hübschen, erröten­den Braut, als das Geschrei auf dem Kai die Ankunft des alten Wucherers verkündete. Da er am weitesten von ihren Gedanken entfernt war und sie nicht von dem zu seiner Bestrafung bestimmten Tag gehört hatte, war Madame Bonaventure völlig unvorbereitet auf das Schau­spiel , welches sich ihr darstellte, als sie das Fenster er­reichte, und ihre Entfernung von demselben war, wie er­wähnt, fast augenblicklich.

Zu seiner Schande sei es gesagt, Master Richard ergötzte sich sehr an dem kläglichen Aussehen seines al­ten Feindes und konnte nicht umhin, über seinen Fall und sein Ungemach zu frohlocken; aber seine Braut, welche die sanfteren und mitleidigeren Gefühle der Wir­tin teilte, brachte ihn sogleich zum Schweigen. Ja , die sanfte Gillian wurde so gerührt von den flehenden Blicken des Delinquenten, dass sie sich dem Impuls hin­gab, der sie bestimmte, ihm einigen Trost zu gewähren, Flasche Wein und einen Becher vom Tisch nahm und aus dem Zimmer eilte, während ihr junger Gatte ihr folgte und sie vergebens zurückzuhalten versuchte.

In einem Augenblick war Gillian auf dem Kai, und die berittene Garde, welche den Gefangenen umgab und ihre Absicht erriet, ritt freundlich auf die Seite und ließ sie durch. Den Becher füllend, reichte sie ihn dem alten Mann, der ihn begierig leerte und einen Segen über sie aussprach, als er ihn zurückgab. Einige von den Umstehenden sagten, der Segen würde zu einem Fluch werden, aber es war nicht so; und so wohl war Dick zufrieden mit dem, was seine junge Braut getan hatte, dass er sie vor der Menge an sein Herz drückte.

Dieses Ereignis war dem Gefangenen insoweit nützlich, dass es ihn für den Augenblick vor weiteren Beleidigungen schützte. Die Menge hörte auf, ihn zu verspotten und ihn mit Schmutz oder Steinen zu werfen und hörte schweigend dem öffentlichen Ausrufer zu, als er sein Urteil laut vorlas. Als dies geschehen war, begab sich der arme Elende mit seiner Begleitung zu Katharinas Rad in Steelyard, wo seiner ein weniger freundlicher Empfang wartete.

Da wir nun von Master Dick Taverner und seiner hübschen Braut Abschied nehmen müssen, macht es uns Vergnügen, zu sagen, dass sie in ihrem Ehestand so glücklich waren, wie liebende Paare es notwendig sein müssen. Wir können hinzufügen, dass sie lange lebten und mit einer zahlreichen Nachkommenschaft gesegnet wa­ren – so zahlreich, dass Dick, wie schon angedeutet, seine übrige Lebenszeit angestrengt für dieselbe arbeiten musste.

Indem wir auch Madame Bonaventure Lebewohl sagen müssen, was wir mit Bedauern tun, haben wir nur anzuführen, dass sie nicht viel länger das Geschick der drei Kraniche beherrschte, sondern ihr Gasthaus Cy­prien überließ, der als Monsieur Latour lange und günstig als der joviale und liberale Wirt jenes berühmten Hauses bekannt war. Verschiedene Gründe wurden für Madame Bonaventures Rücktritt angegeben, aber als sie Geld genug erworben hatte, begann sie, die Ufer der Themse zu feucht und nebelig, besonders in den Wintermonaten, zu finden. Und als zunächst der Schiffer wieder ankam und sie vorher ihre Anordnungen getroffen hatte, ging sie an Bord seines Schiffes und kehrte zu den son­nigen Ufern der Garonne zurück.

Mompessons Urteil, obwohl viel strenger und schmachvoller als das des älteren Wucherers, wurde für zu gelinde gehalten. Die meisten Personen waren der Meinung, dass man wegen der Größe seiner Vergehun­gen sein Leben nicht hätte verschonen sollen. Aber sie urteilten ohne Überlegung. Der Tod durch das Beil oder selbst durch den Strang würde von dem Verbrecher selber unendlich der dauernden Qual vorgezogen worden sein, die er zu erdulden bestimmt war. Überdies lag eine vergeltende Gerechtigkeit in dem Urteil, welches be­stimmte, dass er ähnliche Qualen erdulden sollte, wie er so oft anderen zugefügt hatte.

Der Pranger war in Charing Cross errichtet worden. Eine zahlreiche Begleitung war nötig, um ihn vor der Wut des Volkes zu schützen, welches ihn sonst in Stücke zerrissen haben würde; aber obwohl einigermaßen vor ihrer tätigen Rache geschützt, konnte er vor ihrem Geschrei und ihren Verwünschungen seine Ohren nicht schließen. Wütende Tausende waren auf dem freien Raum um den Pranger versammelt, ihre Augen weidend an dem wilden Schauspiel, und der Schrei, den sie bei seinem Erscheinen ausstießen, war so schrecklich, dass selbst der Gefangene, so unerschrocken er sich bisher gezeigt hatte, davon erschüttert wurde und seine Festigkeit verlor, obwohl er sie einigermaßen wiedererlangte, als er die ungeheure hölzerne Maschine erstieg, die weit über die Köpfe der wütenden Menge hinwegragte. Auf den Brettern, worauf er stehen sollte, befand sich außer dem Henker noch ein Mann, dessen Anblick dem Verbrecher große Unruhe verursachte. Dieser Mann war schwarz gekleidet und hatte einen Hut mit breitem Rand über seine Augenbrauen gezogen.

»Was tut dieser Kerl hier?«, fragte Mompesson. »Ihr bedürft keines Gehilfen.«

»Ich weiß das nicht«, versetzte der Folterer, ein großer bräunlicher Kerl in einer ledernen Jacke, der seine Arme bis an die Schulter entblößt hatte, seinen Ham­mer nahm und ein paar Nägel mit scharfen Spitzen auswählte, »aber auf jeden Fall hat er die Erlaubnis von der Sternkammer, hier zu stehen. Und nun, Gefangener«, fuhr er in rauem und gebieterischem Ton fort, »legt Euren Kopf in diese Öffnung und Eure Hände hier hinein.«

Da aller Widerstand vergeben war, tat Mompesson, wie ihm geboten wurde. Ein schwerer Balken wurde über seinen Hals und seine Handgelenke gelegt, sodass er sich nicht bewegen konnte. Dann nagelte man bei dem frohlockenden Zuruf der Zuschauer seine Ohren an das Holz fest. Eine ganze Stunde lang drehte sich die schwere Maschine langsam, um ihn der ganzen Versammlung zu zeigen. Nach Verlauf dieser Zeit wurde der noch barbarischere Teil des Urteils, worauf der wilde Pöbel ungeduldig gewartet hatte, in Aus­führung gebracht. Das scharfe Messer und das glühende Eisen wurden angewendet. In dem blutenden und verstümmelten Gegenstand vor ihnen, nun mit unaus­löschlicher Schande gebrandmarkt, würde niemand den einst so schönen und stolzen Sir Giles Mompesson er­kannt haben.

Wir haben gesagt, dass noch ein dritter Mann auf dem Gerüst stand. Er nahm keinen Anteil, dem Fol­terer bei seiner Arbeit zu helfen, aber er beobachtete al­les, was geschah, mit grimmiger Genugtuung. Kein Seufzer, kein Beben einer Muskel war zu bemerken. Er fühlte die Schärfe des Messers an, um sich zu über­zeugen, ob es auch scharf genug zu seinem Zweck sei, und sah zu, ob das Eisen glühend genug sei, um die Schriftzüge der Schande tief genug einzubrennen.

Als alles vollendet war, ergriff er Mompessons Arm und rief mit einer Stimme, die kaum menschlich schien: »Nun habe ich dir die Leiden, die du mir ver­ursacht hast, zum Teil vergolten. Du wirst nicht wie­der über mich spotten! «

»Zum Teil! «, stöhnte Mompesson. »Ist deine Rache noch nicht gesättigt? Was willst du mehr?«

»Was mehr?«, wiederholte der andere mit dem La­chen eines Teufels. »Für jeden Tag der Qual, den du meinem Bruder in seinem Kerker im Fleet verursacht hast, will ich einen Monat – ein Jahr. Ich will nicht, dass du zu früh umkommst, und darum soll besser für dich gesorgt werden als für ihn. Aber du sollst nimmer entkommen, nimmer! Und zuletzt will ich an deiner Seite sein!«

Es schien fast, als wäre dieser Augenblick gekom­men, denn als er die Worte aussprach, wurde Mompesson von dem Blutverlust und dem heftigen Schmerz ohnmächtig. In diesem Zustand legte man ihn auf eine Schleife und brachte ihn in das Fleetgefängnis zurück.

Wie man ihm gedroht hatte, wurde er zu einer langen und einzelnen Haft verurteilt, und die einzige Person, die außer dem Gefangenenwärter in seiner Zelle zu ihm gelassen wurde, war sein unerbittlicher Feind. Ein stäh­lerner Spiegel hing in seinem Kerker, damit er die Entstellung seiner Gesichtszüge sehen konnte.

Auf diese Weise vergingen drei Jahre – Jahre des ununterbrochenen Glücks für Sir Jocelyn und Lady Mounchensey sowie für Master Richard Taverner und seine Gattin, aber der zunehmenden Schwermut für den Gefangenen in seiner einsamen Zelle im Fleet. In der letzten Zeit war er so wild und unbändig geworden, dass man ihn an die Wand fesseln musste. Er sprang auf seinen Gefangenenwärter und versuchte ihn zu erwürgen, knirschte mit den Zähnen und drohte Osmond Mounchensey in ohnmächtiger Wut mit den Fäusten. Dann veränderte sich seine Stimmung wieder; er flehte um Gnade, warf sich auf den Boden und versuchte sei­nem Feind die Füße zu küssen, welcher ihn von sich stieß . Dann wurde er krank und wies die Speisen zu­rück, und als das einzige Mittel, sein Leben zu erhal­ten, wurde er in ein luftigeres Zimmer gebracht. Aber wie sich bald zeigte, war dies nur eine List, um zur Flucht aus dem Gefängnisse zu gelangen und dieser Versuch glückte ihm. Man hielt ihn für so krank, dass der Gefangenenwärter, der ihn für unfähig ansah, sich zu bewegen, nachlässig wurde. Als Osmond Mounchensey wiederkam, war der Gefangene entflohen. Wie er seine Flucht bewirkt hatte, konnte niemand erklären, aber bei weiterer Untersuchung ergab sich, dass zwei von seinen alten Häscher , Kapitän Bludder und der star­rende Hugo, welche beide zu der Zeit im Fleet gefangen waren, ihm behilflich gewesen sein mussten.

Osmonds Wut kannte keine Grenzen. Er gelobte, nicht eher zu ruhen, bis er den Flüchtling aufgespürt und zurückgebracht habe. Aber das Suchen machte ihm mehr Schwierigkeit, als er erwartet hatte. Niemand war besser mit den Schlupfwinkeln Londons bekannt als er; aber in keinem derselben konnte er den Gegenstand seines Suchens entdecken. Die Wirte in Whitefriars und bei der Münze würden nicht gewagt haben, einen solchen Ver­brecher wie Mompesson zu beherbergen, und sie würden ihn sogleich ausgeliefert haben, wenn er dort Zuflucht gesucht hätte. Osmond überzeugte sich durch Nachsuchen in jedem Haus in diesen Quartieren, dass er nicht da sei. Auch hatte man keine ähnliche Person gesehen. Der Zufluchtsort für herrenlose Männer in der Nähe von Smart’s Quay und alle anderen Höhlen für Diebe und Verbrecher, die sich vor der Justiz verbargen, in und in der Nähe der Hauptstadt, wurden mit ebenso gerin­gem Erfolg durchsucht. Bisher war es Mompesson gelungen, die Wachsamkeit seines Feindes gänzlich zu täuschen. Endlich wendete sich Osmond an Lucas Hatton, indem er es für möglich hielt, dass seine List einen Plan zur Gefangennahme des Flüchtlings erfinden werde.

Nachdem der Apotheker mit der größten Aufmerksamkeit alles angehört hatte, was er ihm erzählte, sann er eine Weile nach und sagte dann: »Es ist klar, dass er niemand mit seinem Schlupf­winkel bekannt gemacht hat, aber ich denke , ich kann ihn finden. Kommt in der dritten Nacht von heute an zu mir, und Ihr sollt mehr hören. Mittlerweile dürft Ihr Eure Nachsuchung nicht einstellen, obwohl sie Euch nicht nützen wird, wenn es ist, wie ich vermute.«

Demond entfernte sich, da er mit diesem Verspre­chen zufrieden sein musste. Am dritten Abend zu einer späten Stunde kehrte er zurück. Er fand indessen Lucas Hatton nicht, sondern erfuhr , dass der Apotheker seit drei Tagen vom Haus entfernt gewesen war, und die alte Frau, die ihm diente, war seinetwegen sehr unruhig. Sie sagte ihm, ihr Herr habe einen Brief auf seinem Tisch zurückgelassen. Als man nachsah, fand es sich, dass er an Osmond gerichtet war. Der Schreiber desselben forderte ihn auf, im Fall seines Nichterscheinens vor der bestimmten Zeit, sich unverzüglich gut be­waffnet in die Gewölbe unter Mompessons alter Woh­nung in der Nähe des Fleetgefängnisses zu begeben und ihn dort aufzusuchen. Er machte ihn auch mit einem geheimen Eingang in das Haus bekannt, der in der Mauer unterhalb des hohen nordöstlichen Turmes an­gebracht sei. Als Osmond diesen Brief las, begriff er sogleich den Plan seines Verbündeten, zugleich mit der Gefahr desselben und dachte, da er nicht zurückgekehrt sei, wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach als Opfer sei­ner Unbesonnenheit gefallen. Indem er der alten Frau sagte, wohin er gehe und dass sie am Morgen Nachsuchungen nach ihm anzustellen habe, wenn er nicht mit ihrem Herrn zurückkehre, machte er sich sogleich auf den Weg zu dem angedeuteten Ort.

Wir wollen ihm indessen vorangehen.

Seit Mompessons Gefangenschaft im Fleet war seine Wohnung verlassen gewesen. Es schien ein Fluch auf dem Ort zu lasten. So verhasst war derselbe, so viele schreckliche Geschichten wurden davon erzählt und niemand wollte dort wohnen. Zur Zeit der Gefangennahme des Besitzers wurde es seines ganzen In­halts beraubt und es blieb nichts weiter übrig als die kahlen Wände und die unbedeckten Fußböden. Selbst diese gerieten aus Vernachlässigung und Mangel an Fürsorge in Verfall und man konnte sich keinen öderen und verlasseneren Ort vorstellen. Die Offizianten der Sternkammer hatten sorgfältig nachgesucht, um verborgene Schätze zu entdecken, aber es wurde wenig gefunden, da, wie schon oben erwähnt, die Häscher mit dem größten Teil durchgegangen waren. Dennoch glaubte man, dass noch andere geheime Schatzkammern da wären, wenn man sie nur finden könne. Mompesson war darüber befragt worden, aber er gab nur Antworten, die darauf berech­net waren, die Habgier seiner Zuhörer zu erregen, ohne sie zu befriedigen, und man glaubte, dass er sie täusche.

In der erwähnten Nacht war das Haus allem An­schein nach dunkel und verlassen, wie gewöhnlich, und die Stadtwache, die um Mitternacht vorüberkam und vor den rostigen Toren und der vernagelten Tür ste­hen blieb, glaubte, dass alles sicher sei. Der Vollmond schien auf die düsteren Mauern des Hauses, auf die Fenster und den hohen Eckturm, von wo Mompesson früher die Gefangenen in dem gegenüberstehenden Gefängnis beobachtete. Als einige von der Wache zu dem Turm aufblickten, lachten sie über die gegenwärtige Leere. Doch ließen sie sich wenig träumen, wer nun dort sei und sie von jener engen Öffnung aus beobachte. Nach einer Pause von wenigen Minuten gingen sie weiter und gleich darauf sah man den Schim­mer ihrer Hellebarden, als sie die Fleetbrücke überschrit­ten und auf Ludgate zugingen.

Etwa zwei Stunden später erschien die Wache wie­der, und während sie auch diesmal an dem Haus vorüberging, wurde die Aufmerksamkeit des Anführers durch ein ungewöhnliches Aussehen des Mauerwerke in der Nähe des nordöstlichen Winkels erregt, über welchem sich der große Turm befand. Bei näherer Untersuchung fand es sich, dass die Unregelmäßigkeit durch eine kleine geheime Tür hervorgebracht wurde, die halb offen stand. Da durch diesen seltsamen Umstand der Verdacht der Wache erregt wurde – denn niemand hatte bisher um das Vorhandensein einer solchen Tür gewusst – so traten sie sogleich in das Haus, entschlossen, es genau zu durchsuchen. Zuerst erstiegen sie den Turm, mit welchem der geheime Aus­gang vermöge einer schmalen Wendeltreppe in Verbin­dung stand. Dann begaben sie sich in das Innere des Hauses und setzten ihre Nachforschungen eine Zeitlang ohne Erfolg fort. Schon waren sie in Begriff, sich zu entfernen, als ein Geräusch, welches einem tiefen Stöhnen glich, aus dem Keller aufstieg, den sie noch nicht untersucht hatten. Als sie dies hörten, eilten sie sogleich hinunter und machten eine außerordentliche Entdeckung.

Um dies aber zu erklären, müssen wir zu der Zeit zurückkehren, als sie zuerst an dem Haus vorübergingen. Dann erwähnten wir, dass ein Mann auf dem Turm gestanden und ihre Bewegungen beobachtet habe. Als sie in der Richtung von Ludgate verschwanden, verließ dieser Mann seinen Beobachtungsposten, stieg dann die Wendeltreppe hinunter, ging im Dunkeln durch ei­nen langen Gang, als sei er mit dem Ort genau bekannt, bis er zu einem Zimmer gelangte, in welches er eintrat und ohne darin zu verweilen, in ein kleines inneres Kabinett blickte. Das durch ein vergittertes Fen­ster hereinströmende Mondlicht zeigte, das in diesem Kabinett eine große Verwüstung vorgegangen sei, denn man hatte Steine aus den Wänden gebrochen und mehrere von den Dielen des Fußboden aufgehoben und nicht wieder an ihren Ort gelegt. Der Eintretende überschritt indessen die Türschwelle nicht, sondern, nachdem er einige Minuten die Szene der Verwüstung angesehen hatte, stieß er einen Ausruf der Wut aus und entfernte sich wieder.

Dann hätte man seine Schritte hören können, wie er die große steinerne Treppe hinunterstieg. Er verweilte keinen Augenblick in dem großen Eingang, sondern ging einen Seitengang zur Linken dahin und eine ­andere Treppe hinunter, bis er ein unterirdisches Gemach erreichte. Hier wäre alles tiefe Dunkelheit gewesen, hätte nicht eine Lampe auf dem Boden gestanden, die den Ort unvollkommen erleuchtete.

Als der Mann die Lampe nahm und sie putzte, fiel das Licht hell auf seine Züge und erhellte die ganze Scheußlichkeit derselben. Kein Gesicht, außer das von Osmond Mounchensey, hätte entsetzlicher sein können als das dieser Person, und die Verstümmelung war in beiden Fällen dieselbe. Es ist nutzlos, zu sagen, dass es Mompesson war. Seine Kleidung war schmutzig und sein Bart und Haar wild, ungeordnet und grau geworden; mehr vom Leiden als vom Alter. Aber er war mit Degen und Dolch bewaffnet und seine Glie­der erschienen so muskulös und kräftig wie immer. Einen Blick auf den Eingang des Gewölbes wer­fend, als wollte er sich völlig versichern, dass er nicht beobachtet werde – obwohl er deshalb wenig Besorgnis hegte – ging Mompesson zu einer besonderen Seite der Wand und berührte eine Feder. Eine geheime Tür, die man nur bei genauester Untersuchung in der Wand entdecken konnte, öffnete sich und zeigte ein anderes, kleineres Gewölbe.

Hier war offenbar der Schatz verborgen, der den Klauen der Häscher und der Offizianten der Sternkam­mer entgangen war. Am äußersten Ende stand eine große offene Kiste mit mächtigen Geldsäcken angefüllt, wovon ein jeder das Herz eines Geizhalses erfreut hätte. Auf diese Kiste war Mompessons Blick so begierig ge­richtet, dass er die Leiche eines Mannes nicht bemerkte, die ihm gerade im Wege lag, sodass er beinahe darüber gestolpert wäre. Eine bittere Verwünschung ausstoßend, senkte er die Lampe und erblickte das Gesicht Lucas Hattons, nun erstarrt im Tod, aber noch mit dem sardonischen Lächeln in seinen Züge , welches sie wäh­rend seines Lebens ausgezeichnet hatte. Es war eine tiefe Wunde in der Brust des Toten und Blut auf dem Boden.

»Verwünschter Spion und Verräter«, rief Mompesson, indem er die Leiche bei den Fersen ergriff und sie in einen Winkel zog, »du wirst mich nicht wieder verraten. Was dich hierher führte, weiß ich nicht, wenn nicht, um den Tod, den du verdient hast, von meinen Händen zu empfangen. Ich wollte, ein gleicher Zufall führte Osmond Mounchensey allein hierher – weiter wünsche ich nichts!«

»Dein Wunsch sei dir gewährt!«, rief eine Stimme, die Mompesson nicht verkennen konnte.

Aufblickend sah er seinen Feind vor sich. In einem Augenblick war seine Hand an seinem Degen und die Klinge schimmerte im Lampenlicht. Osmond hatte gleichfalls seinen Degen gezogen und hielt einen Dolch in der linken Hand. Einige Sekunden sahen sie sich einander mit schrecklichen Blicken an, ihre Herzen von so bitterem Hass erfüllt, wie nur Todfeinde, die unter solchen Umständen zusammentreffen, ihn empfinden können. So wild und blutdürstig waren ihre Blicke, dass ihre entstellten Züge alle Spuren der Menschlichkeit verloren zu haben schienen.

»Ergib dich, mörderischer Schurke!«, rief Os­mond endlich. »Ich will dich zum Henker schlep­pen!«

»Rufe deine Leute herein und du sollst sehen, ob ich mich ergeben werde«, versetzte Mompesson mit wil­dem Lachen des Trotzes.

»Ich habe keine hinter mir«, erwiderte Osmond, »ich will dich allein zwingen, mir zu folgen!«

»So bist du denn allein!«, brüllte Mompesson. »Das ist alles, was ich wünsche!«

Ohne weiter ein Wort zu reden, begann er den Angriff. Während des kurzen Gespräche hatte er bemerkt, dass sein Feind doppelt bewaffnet war, und ehe er den Kampf begann, zog er auch seinen Dolch, sodass keiner im Vorteil war.

Beide waren vortreffliche Fechter und an Stärke einander fast gleich, aber der Kampf wurde mit einer Wildheit geführt, die der Geschicklichkeit Trotz bot.

Nach einigen verzweifelten Gängen rangen sie miteinander und bei den heftigen Bewegungen, welche er­folgten, wurde die Lampe ausgelöscht. Die tiefe Dunkelheit verhinderte sie, die schrecklichen Wunden zu sehen, die sie einander beibrachten, aber beide wussten, dass sie schwer verletzt waren, obwohl jeder hoffte, nicht so schwer verwundet zu sein wie sein Gegner.

Endlich erschöpft von dem Blutverlust und bereit umzusinken, ließen sie einander wie verabredet los. Nachdem sie noch einige schwache und unwirksame Stöße gemacht hatten, lehnten sie sich auf ihre Degen, um sich zu stützen.

»Willst du dich jetzt ergeben, Schurke«, fragte Osmond in heiserem Ton, »oder soll ich deinem Leben ein Ende machen?«

»Töte mich, wenn du kannst«, entgegnete Mompesson in ebenso heiseren Tönen. »Tue noch einen Schlag gegen mich, wenn du kannst. Aber ich weiß wohl, es ist aus mit dir. Wenn ich wieder zu Atem gekommen bin, werde ich kurzen Prozess mit dir ma­chen.«

»So komm denn schnell«, versetzte Osmond, »ich bin bereit für dich. Aber dein Prahlen ist töricht. Du verblutest. Zweimal hat mein Dolch deine Brust durchbohrt.«

»Du wirst deinen Dolch nicht wieder anwenden. Dein Arm ist gelähmt«, konterte Mompesson. »Außerdem durchbohrte dich mein Degen fast bis an den Griff.«

»Es glitt an meinem Wams ab und ich fühlte die Schramme kaum .

»Es war eine Schramme, tief genug, um dein Lebensblut herauszulassen. Aber da du noch mehr zu vergießen hast, so stelle dich wieder zum Kampf!«

»Mo bist du?«, rief Osmond, zu ihm hin taumelnd.

»Hier!«, versetzte Mompesson, den Stoß abwehrend, der auf ihn geführt wurde, und mit einem erwi­dernd, der seinen Gegner leblos zu seinen Füßen niederstreckte.

In dem Triumph des Augenblicks vergaß er seine eigene verzweifelte Lage, und mit wildem, frohlockendem Lachen setzte er seinen Fuß auf den Körper seines am Boden liegenden Feindes.

Aber eine tödliche Mattigkeit bemächtigte sich seiner. Er versuchte, das Gewölbe zu verlassen, aber es war zu spät. Seine Stärke war völlig dahin. Mit lautem Stöhnen fiel er dicht neben seinem Feind auf den Boden nieder.

Da lagen sie, der Sterbende und der Tote, län­ger als eine Stunde. Nach Verlauf dieser Zeit wur­den sie von der Wache entdeckt. Mompesson atmete noch, und als das Fackel­licht auf die Szene des Entsetzens fiel, erhob er matt seinen Kopf, deutete mit grässlichem Lächeln auf seinen gemordeten Gegner und starb.

 

Ende des vierten Bandes