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Adventskalender 2021 – 8. Türchen

Georg Keil
Märchen und Geschichtchen eines Großvaters
Leipzig, 1847
Der Teekessel und das Milchkännchen

Es war Nacht! Im Kamin glimmten die Kohlen und über ihnen stand ein gelber, blanker Teekessel. Das Wasser, dass er in seinem Leib hatte, kochte und siedete, und der Kessel seufzte und stöhnte: »Uff! Uff!«

Und die Kohlen sagten: »Ätsch! Ätsch!«, wenn er vor Schmerz ein Tränchen in sie fallen ließ, und machten sich über ihn lustig, denn sie waren ihm böse, dass er sie so oft auslöschte, wenn er überlief.

Auf dem Tischdaneben stand die Kaffeekanne. Sie hatte wie eine vornehme Dame ein prächtiges Kleid an mit einer dünnen, zierlichen Taille und einen weiten Reifrock; das Kleid und der Rock waren aber von feinem weißen Porzellan mit bunten Blümchen und Goldborten, und auf dem Kopf trug sie ein Hütchen, obenauf mit einer roten Rose. Das war nun so damals die Mode; und sie sah wirklich schön aus in ihrem Putz, wenn sie nur nicht eine so dicke Nase und ein so großes Nasenloch gehabt hätte. Das Nasenloch stand noch dazu immer offen. Fi! Das war nicht hübsch!

»Was seufzt und stöhnst du denn so laut, Schwager Teekessel, dass man kein Auge zutun und ruhig schlafen kann?«, so fragte die Kanne.

»Ach! Liebe Schwägerin Kaffeekanne«, jammerte der Tee­kessel, »ach! Mir ist so schlimm und ich bin recht krank! Es brennt wie Feuer in meinem Leib! Sie haben mich gestern Abend auf den Kohlen stehen lassen, und der Windzug hat sie in der Nacht wieder angeblasen, sodass ich fast verbrenne! Ach, komm und hilf mir herunter, liebe Schwägerin!«

Die gute Kaffeekanne stieg vom Tisch und ging hin, dem armen Kessel zu helfen. Aber wie konnte sie das! Der Teekessel war so schwer und unbehilflich, dass ihre Kräfte nicht hinreichten. Er hatte einen so dicken, runden Bauch, dass er nicht einmal hinab auf seine Füße sehen konnte, und die Kaffeekanne war so schmächtig und zart und wollte auch ihr schönes Kleid nicht mit den Kohlen beschmutzen.

Sie weckte deshalb ein Paar Messingleuchter, die auf dem Kamin standen, und bat sie, ihrem Schwager, dem Teekessel, zu helfen.

»Mit Vergnügen!«, sagten sie und kamen auch sogleich, denn es waren ein Paar sehr gutmütige und gefällige Leuchter, besonders Damen gegenüber. Der eine fasste ihn auf der rechten, der andere auf der linken Seite, und so halfen sie ihm herunter vom Dreifuß, obwohl mit vieler Mühe.

Die Leuchter waren ein Paar Zwillingsbrüder, und beide ein Paar galante Kavaliere. Sie hatten glänzende gelbe Röcke an und trugen um den Hals fein gefältelte Halskrausen von weißem Briefpapier. An ihrer Seite hingen die stählernen Lichtscheren wie ein Paar Schwerter. Das sah so nett aus und stand ihnen so gut! Aber ihre schönen weißen Halskrausen waren versengt und geschwärzt bei der Arbeit, und sie hielten doch so viel auf saubere weiße Wäsche! Sie setzten aber schnell ihre Löschhütchen auf, damit man es nicht so sehen sollte.

Der arme Teekessel stieß noch immer laute Seufzer aus und pustete heißen Dampf durch seine Nase. Er konnte sich noch gar nicht erholen! Darüber erwachte das Milchkännchen. Es war die älteste Tochter der Kaffeekanne, ein schnippisches Ding, das sein Stumpfnäschen sehr hoch trug. Es hatte wie seine Mutter ein bunt geblümtes Porzellankleid an und auf dem Kopf ein zierliches Hütchen mit einer Aurikelblüte.

»Was lärmt Ihr denn so, Ihr dicker Nimmersatt, dass Ihr alles aus dem Schlaf weckt, mitten in der Nacht? Gewiss habt Ihr einmal wieder Durst!«

So sagte das Milchkännchen zu dem Teekessel; aber seine Mutter, die Kaffeekanne, schelte es aus und sagte: »Warte, du naseweises Ding! Ich will dir Respekt lehren vor dem guten Teekessel, der doch dein naher Verwandter und dein leib­licher Onkel ist!«

Eins nach dem anderen wurde nun wach. Die zwölf kleinen Kinderchen der Kaffeekanne, die Kaffeetassen, fingen zu schreien an und mit ihren Kinderklappern, den silbernen Kaffee­löffeln, zu lärmen. Sie hatten alle weiße Porzellankleider an, oben und unten mit goldenen Börtchen eingefasst. Aber Gott bewahre! Wie sahen die schmutzig aus! Sie waren am Abend nicht gewaschen worden!

Selbst der Kanarienvogel, der in einem Bauer an der Wand hing, machte seine hellen Augen auf, um zu sehen, was es gäbe. Wie er aber merkte, dass ihn der Lärm nichts anging, so machte er die Augen wieder zu, steckte sein Köpfchen unter den Flügel und schlief wieder ein.

Zulegt erwachte die Teekanne, welche die Frau des Teekessels war. Sie hörte ein bisschen schwer, darum hatte sie der Lärm nicht früher geweckt. Sie war eine gute, brave Haus­frau, das sah man gleich an ihrem alten braunen Hauskleid von Steingut. Das Kleid war noch dazu hie und da besto­ßen und von der Arbeit abgeschliffen. Deshalb mochte die Kaffeekanne, ihre Schwester, nicht gern mit ihr auf die Promenade gehen, Sie schämte sich, denn sie war so elegant.

»He! Was gibt es denn?«, fragte die Teekanne; aber niemand antwortete ihr.

Für die Stutzuhr auf dem Kamin war aber der Lärm am fatalsten. Sie wurde dadurch in ihrem Rechnen und Zählen gestört, und sie musste doch recht aufpassen, damit sie sich nicht verzählte. Um nicht irre zu werden, fing sie deshalb laut zu zählen an:

Tick – tack!
Tick – tack!
Loses – Pack!
Tick – tack!
Dummer – Schnack!
Tick – tack!

Der gute Teekessel hatte sich nun wieder erholt und war ganz munter und heiter geworden. Er war ein lustiger Mann und machte gern ein Späßchen mit, wie alle dicken Leute. Er drehte sich ein paar Mal im Kreis herum, obwohl ihm das sehr sauer wurde, und sagte dann mit lauter Stimme: »Hört mich an, Ihr alle! Die Nacht ist bald zu Ende, und wenn es Tag wird, müssen wir wieder an die Arbeit! Wir sind alle munter, lasst uns wach bleiben und was Lustiges beginnen! He?«

Alle riefen, wie aus einem Mund: »Ja, ja! Der Tee­kessel hat recht! Das wollen wir!« Nur das Milchkännchen, das immer etwas Apartes haben wollte, verzog sein Stumpfnäschen und machte ein saures Gesicht. Es war die Nacht zu Ball gewesen und hätte lieber noch ein Weilchen geschlafen. Da aber alle Ja gesagt hatten, so konnte es allein nicht Nein sagen; auch fürchtete es den Zorn der Mutter Kaffeekanne, denn die war eine sehr strenge Frau.

Die Kaffeekanne aber sagte: »O, es ist aber so kalt und finster hier! Bei der Dunkelheit muss man ja fürchten, sich die Nase zu zerstoßen und die Kleider zu beschmutzen!«

Da sprang die dienstfertige Feuerzange auf und lief mit großen Schritten zum Kamin, fasste mit ihren langen dür­ren Armen Kohlen und Holz und warf es auf die glim­mende Asche. Auch der alte Blasebalg wackelte auf seinen kurzen Beinen keuchend herbei, denn er hatte eine schwache Brust, und fing an, in die Kohlen zu blasen. Bald brannte ein flackerndes Feuer und es war so hell wie am Tage.

Alle, welche den dicken Teekessel nun beim Licht besahen, lachten laut auf, denn er war gar verwunderlich anzusehen. »Nein, Teekessel! Wie siehst du aus! Du hast wohl schwarzen Peter gespielt?« So riefen ihm alle entgegen. Er hatte in die Kohlen gegriffen und sich das Gesicht ganz schwarz gefärbt; aber er machte sich gar nichts daraus.

Nun wurde allerlei vorgeschlagen, womit man sich die Zeit vertreiben wollte, bis es Tag wurde: Blinde Kuh, der Fuchs geht um und Märchen. «Ja, ja! Märchen und Liederchen!«, riefen allesamt, »und das muss nach dem Los gehen!«

So wurde es beschlossen, und das Los traf den alten Blasebalg. Man setzte sich im Kreis herum auf den Fuß­boden, der Blasebalg stellte sich in die Mitte und wollte eben zu erzählen anfangen, als die Kaffeetassen von Neuem schrien und lärmten, wie es kleine ungezogene Kinder immer tun, wenn sie aus dem Schlaf geweckt werden. Ihre Kindermuhme, die Zuckerdose aus Kristallglas, die man aus Paris hatte kommen lassen, lief zu ihnen hin, um sie zu beschwichtigen. Sie ließ sich aber nur Demoiselle und Ma Bonne nennen, denn sie war ja eine Französin. Deutsch sprach sie gar nicht, das war ihr viel zu gemein!

»Soyez sages, mes enfants!«, sagte sie zu den Tassen und steckte jeder ein Stückchen Zucker zu. So waren sie alle still und der Blasebalg fing an.

»Ich will euch ein Schelmenstückchen aus meiner Jugend erzählen, denn Jugend hat keine Tugend! Ihr könnt mir glauben, ich war ein ganz hübscher Geselle, als ich jung war, und ich hielt viel auf schöne Kleider. Mein Rock war mit prächtigen bunten Blumen bemalt und mit vielen blinkenden Messingknöpfen besetzt, und das sah so vornehm aus! Da trug ich nun Sorge, dass alles an mir recht nett und glän­zend war, vorzüglich die Messingknöpfe. Ich hing mit meiner Freundin, der Feuerzange da, die es bezeugen kann, neben dem Kamin an einem Haken. Mit uns zugleich wohnten ein Mops und eine Katze in derselben Stube. Der Mops war ein gutmütiger Bursche, der sehr verträglich war und den ich recht lieb hatte. Die Katze aber hatte einen bösen Charakter und fing immer mit dem guten Mops und mit mir Händel an. Sie setzte sich auf die Hinterpfoten, richtete sich mit den Vorderpfoten an mir in die Höhe, dehnte sich und zerkratzte mir mit ihren scharfen Nägeln die bunten Blumen auf meinem Rock und riss mir manchen Messingknopf ab. Ich konnte mich ihrer gar nicht erwehren, denn ich hatte keine so scharfen Nägel.

In einer Nacht konnte ich nun einmal nicht schlafen. Die Katze lag rechts neben mir und schnarchte, der Mops links, und schnarchte ebenfalls. Das war nun fein schönes Konzert ! Als ich merkte, dass beide so fest schliefen, da stach mich der Kitzel. Ich beschloss, der bösen Katze einen Schabernack zu spielen. Ich fing an, erst leise, dann immer stärker der Katze kalten Wind unter die Nase zu blasen, sodass er zuletzt zu einem wahren Sturmwind wurde. Die Katze erwachte und dachte, der Mops hätte sie so angeblasen. Sie sprang auf, rüttelte ihn aus dem Schlaf und schimpfte: ›Du dummer, dicker Mops, du! Was störst du mich im Schlaf!‹

Der schlaftrunkene Mops knurrte und sagte: ›Ich weiß gar nicht, was du willst! Lass mich in Ruhe!‹

Als sie beide wieder fest schliefen, fing ich nun an, den Mops anzublasen, so lange bis er aufwachte. Der glaubte nun gewiss, dass die Katze ihn so angeblasen hatte. Er sprang auf, packte sie beim Fell, schüttelte sie und biss sie in das Bein. Sie balgten sich eine Weile im Dunkeln herum, dann legte sich eines in diese, das andere in jene Ecke des Zimmers, weit voneinander entfernt. Als es Tag geworden war, sah ich, dass die Katze hinkte und ihr Bein leckte, der Mops aber knurrte, so oft sie ihm nahe kam. Darüber freute ich mich, denn so hatte doch die böse Katze ihren Lohn, und ich wusste, wie ich sie künftig loswerden sollte. Sie wagte es aber gar nicht mehr, mich zu fragen, denn wenn sie mir zu nahe kam, blies ich sie nur an. Da erschrak sie so sehr, dass sie fortsprang und mich in Ruhe ließ.«

»Bravo! Bravo!«, riefen alle, denn allen hatte das Ge­schichtchen gefallen.

»Es ist so gemütlich!«, sagte die Kaffeekanne.

»Und so lustig!«, rief der Teekessel.

»Und so lehrreich!«, setzte die Teekanne hinzu.

Die Stutzuhr aber sagte: »Tick – tack! Loses – Pack! Tick – tack!«

Alle wunderten sich nur, dass der ernsthafte Blasebalg in seiner Jugend solche Streiche gemacht hatte. Das hatten sie ihm gar nicht zugetraut.

Das Milchkännchen rümpfte aber sein Näschen und sagte: »So ein dummes und langweiliges Geschichtchen, wie kann man das nur schön finden! Das sind lauter einfältige Lügen! Ein Blasebalg ist doch ein lebloses Ding, und wie kann er denn da ein Geschichtchen erzählen! Wahrlich! Gebil­dete Leute sollten einen besseren Geschmack haben!«

Der Teekessel aber antwortete ihm: »Du, Nichtchen, du bist doch eine kleine Kratzbürste! Nichts ist dir recht, an allem hast du etwas zu mäkeln und zu tadeln!« Die anderen wagten es gar nicht, dem Kännchen etwas zu sagen. Sie fürchteten sich alle vor seiner scharfen Zunge. Aber ein Glück war es , dass die Kaffeekanne nicht gehört hatte, was das Milchkännchen sagte. Die würde es gewiss ausgezankt haben und es hätte ihr doch nichts erwidern dürfen, da sie seine Mutter war.

»Nun ein Liedchen, ein Liedchen!«, riefen alle, und das Los traf das Milchkännchen. Alle wussten, dass es eine schöne, helle Stimme hatte, aber es zierte sich und sagte, es wäre hei­ser von dem gestrigen Ball, und machte viele Umstände. Das half aber nichts, das Los hatte es getroffen, und es musste sin­gen. Da es sah, dass kein Ausreden half, so stellte es sich in den Kreis und fing zu singen an:

Bim! Baum! Kessel!
Morgen wird’s besser,
Übermorgen trag’n wir Wasser ‘nein
Fällt der Kessel gar ein!

»Bravo! Bravo!«, riefen einige, die seine Freunde waren, und die Feuerzange klatschte in ihre dürren Hände.

»Wie liebenswürdig naiv!«, sagte der eine der Messing­leuchter, »und wie geistreich liederlich! Ganz die Heine’sche Schule!« Sie waren aber beide in das Milchkännchen verliebt.

»Oh! C’est charmant!«, lispelte die französische Zucker­dose und klappte die silberne Zuckerzange auf und zu, wie einen Fächer.

Die Stutzuhr aber zählte: »Tick – tack! Dummer – Schnack! Tick – tack!«

Der lustige Teekessel merkte nun wohl, dass das Liedchen auf ihn gemünzt war. Er fing unaufgefordert mit lauter Stimme zu singen an:

Klipper, Klapper, Kännchen!
Kännchen sucht ein Männchen,
Männchen will das Kännchen nicht,
Zu dem Kännchen Männchen spricht …

Er wollte fortfahren, als die Tür knarrte und das Stubenmädchen mit einem Besen in der Hand her­eintrat, da es Tag geworden war. Das Mädchen wunderte sich, als es den Kessel, die Kannen und Tassen, die Leuchter, den Blasebalg und die Feuerzange mitten in der Stube auf der Erde herumstehen und liegen sah.

»Was ist nun das einmal für eine Wirtschaft hier!«, sagte es, »das hat gewiss die verwünschte Katze getan!«

Es räumte alles beiseite, nahm die schmutzigen Tassen, steckte sie in heißes Wasser und wusch und scheuerte sie, dass ihnen Hören und Sehen verging.