Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Adventskalender 2021 – 2. Türchen

O du wunderselige Weihnachtszeit!
Aus: Tante Lisbeths Weihnachtsbuch, Regensburg, 1902

An einem traulichen Winterabend trat der kunstliebende Professor W… in das gemütliche Zimmer, wo seine sieben Kleinen – anders nannte der Professor seine Kinder nie – um den großen Wachstuchtisch saßen und sich nach ihrer Weise amüsierten. Leni und Toni lasen eben friedlich Die Galoschen des Glücks, Lisbethchen frisierte ihre Puppe Aurora, Paul ließ mit Max und Otto seine Zinnsoldaten aufmarschieren und Waldi, der zweijährige Benjamin, legte mit Pauls Bausteinen unbeschreibliche Figuren. Das wussten die Kleinen, wenn Papa sich im Spielzimmer sehen ließ, dann hatte er ihnen etwas zu zeigen oder gar zu schenken. Froh hüpften alle dem Eintretenden entgegen. Waldi rief sogleich, indem er in die Händchen klatschte: »Papa, da, da, da!«

Richtig! Papa hielt eine große, weiße Rolle in der Hand, und bald umlagerten die sieben Kleinen den guten freundlichen Herrn auf dem altmodischen Sofa, welches Mama anderswo gar nicht unterzubringen gewusst hatte und deshalb in die Kinderstube gewandert war , wo es aber auch den Ehrenplatz behauptete.

»Ist das nicht schön?«, fragte nun Papa und faltete die Rolle auseinander.

»Ah, ha, ah«, klang es da von den frischen Kinderlippen. Waldi, der sich den besten Platz an Papas Seite zu verschaffen gewusst hatte, tippte schon mit seinem Fingerchen auf die Hauptfigur des schönen Bildes: »Engel, Engel, da, Papa.« Und Toni ergänzte: »Ja, ein Engel mit zwölf kleinen Bübchen.«

So war es in der Tat. Das Bild zeigte in der Mitte einen großen, wunderschönen Engel mit einer Palme in der gesenkten Linken und einem Perlendiadem auf dem Haupt. Die emporgehobene Rechte hielt ein sich schlängelndes Spruchband mit der Inschrift Gott schenkt sie euch alle zum Segen und Heil.

Ja, was schenkt denn der liebe Gott? Ei, die zwölf kleinen Bübchen, die den großen Engel umschweben. Alle sind sie hübsch und doch alle verschieden. Das eine hat ein Pelzkäppchen auf, und seine Händchen stecken in einem warmen Müffchen; das andere hält ein Sträußchen Schneeglöckchen und Veilchen in der Hand; dieses dort erquickt sich an einer saftigen Traube, jenes wischt sich die Schweißperlen von der Stirn; sein kleiner Nachbar umschlingt gar mit den kurzen Ärmchen eine Garbe goldgelber Ähren. Wieder eines streut aus einem Füllhorn Blüten und Blumen; das winzige dort schaut recht ernst drein, ei, es vermag kaum, sich mit seinem Schirmchen gegen den rieselnden Regen zu schützen … Und da unten, zuletzt, da steht gar eines mit einem Tannenbäumchen!

Wisst Ihr nun wohl, wer die zwölf Bübchen sind? Die Kinder des Professors hatten es schnell heraus, noch ehe sie die Namen der Zwölf, die sehr klein unter ihnen standen, entdeckt hatten.

»Papa, Papa, die zwölf Monate sind es, die Monate, die Monate!«

Und Otto, der auch schon lesen konnte, zitierte feierlich: »Gott schenkt sie euch alle zum Segen und Heil.«

»Ja, die Monate«, wiederholte nun auch Waldi, der gerne zeigen wollte, dass er auch schon etwas von der Sache verstehe. Das Bübchen fügte mit schelmischem Lächeln bei, indem es auf das Tannenbäumchen zeigte: »Papa, das Waldi schenken, das am liebsten haben.«

Alle Geschwister lachten, und Papa lachte mit.

Als er dann fragte, »dann sagt mal alle, welches Bübchen euch das Liebste ist«, da riefen alle wie aus einem Mund: »O, das Dezemberbübchen, weil es uns das Christkindchen bringt.«

Ich habe es in meiner Kindheit mit den Professorskindern gehalten, und heute, wo ich die alte Tante Lisbeth bin, habe ich noch immer eine große Vorliebe für die liebliche, trauliche Weihnachtszeit. Ja, nicht nur das glückselige Fest, welches uns das Christkindchen bringt, nein auch die Tage, die ihm vorangehen und die ihm folgen, bis zu jenem, an dem die Kerzen am Tannenbaum zum letzten Mal flimmern. Das war in meinem Elternhaus der Dreikönigstag – diese ganze Zeit ist mir besonders wert und teuer. Ich nenne sie von Herzen die fröhliche, die selige, die gnadenbringende Weihnachtszeit.

Ich will euch durch dieselbe führen, will liebe Erinnerungen, Selbsterlebtes, Gehörtes und Erdachtes zum bunten Strauß zusammenbinden. Am Krippchen lege ich dies Sträußchen nieder, und wenn das liebe Jesuskindchen es euch bringt, dann, liebe Kinder, betet für jene, die es mit großer Liebe für euch gepflückt hat. Betet, damit das holde Krippenkindlein ihr verleihe, zum Wohl seiner Lieblinge – und das seid ihr – noch manches kleine Scherflein beizutragen.

Tante Lisbeth