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Der Detektiv – Der Löwe von Flandern – Teil 8

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 20
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Der Löwe von Flandern

Die Horna-Fee Teil 3

Als wir dann gerade beim Mittagessen im Wohnsalon saßen, meldete Pedersen unseren Landsmann Schlimp an. Das war ein kleiner, hagerer, quecksilbriger Mensch von einigen fünfzig Jahren. Er freute sich offenbar ehrlich, hier ein deutsches Schiff mit Deutschen darauf begrüßen zu können. Er blieb bis zum Einbruch der Dunkelheit. Von ihm bekamen wir die Tragödie der zehn Verschwundenen zum dritten Mal zu hören.

Abermals lenkte Harst die Unterhaltung nur nach seinem Willen. Freilich, was er mit diesem sprunghaften Wechsel des Gesprächsgegenstandes beabsichtigte, ahnte ich zunächst nicht, bis ich plötzlich aufmerksam wurde, als Harst aus dem Landsmann herauslockte, dass dessen Frau blond und sehr groß sei.

Also: eine blonde, große Frau! Und – da zuckte mir ein seltsamer Gedanke durch den Kopf. Wenn Schlimp etwa diese Fee erscheinen ließ? Wenn es seine Frau war?

Ich beobachtete ihn nun mit Augen, die der Argwohn geschärft hatte. Er war ein Prahlhans. Er rühmte sich seines ehrlich erworbenen Reichtums zu sehr. 2300 Schafe besaß er. Die Wolle allein warf viel Gewinn ab. Im Frühjahr wollte er einen Versuch mit der Herstellung von Fleischkonserven machen.

Mir fiel jedoch nichts weiter an ihm auf. Als er gegangen, hatte Maler Henke versprochen, wir würden morgen seine Tischgäste zu Mittag sein.

Harst etwas von meinem Argwohn hinsichtlich Frau Schlimp mitzuteilen, hütete ich mich. Als wir dann zu dem neben der Kirche liegenden Haus des Ortsvorstehers gingen, fing er selbst von Schlimp zu sprechen an.

»Der Mann ist wertvoll«, meinte er unter anderem. »Ich wette, er weiß mehr, als er sagt.«

»Über die Horna-Fee?«

»Nein, über Preegraves Versteinerungen. Als ich diese so nebenbei einflocht, wurde sein Fuchsgesicht noch fuchsähnlicher.«

Der Abend bei Sven Björka wurde recht feucht-fröhlich.

Ich gebe zu: Ich hatte zu viel getrunken. Maler Henke spielte aber nur den Angeheiterten. Wir kehrten gegen halb zwölf an Bord zurück. Die Nacht war eisig kalt. Ein scharfer Wind kam den Fjord herunter. Wir saßen dann noch bis nach Mitternacht in der Wohnkajüte im Dunkeln. Ich schlief verschiedentlich ein. Harst weckte mich schließlich nur mit Mühe, zog mich halb die Treppe empor und sagte ärgerlich: »Bist du denn auf den Kisteninhalt gar nicht neugierig?«

Ich nahm mich zusammen. Wir schlichen nach links das Bollwerk entlang auf den Schoner Old England zu, hockten dann dicht an dem Stapel der mit Eisenbändern benagelten Holzkisten. Harst hatte ein kleines Brecheisen und eine Zange mitgebracht. Wir schauten uns erst vorsichtig nach allen Seiten um, bevor wir von einer der Kisten, die sehr schwer waren, möglichst leise den Deckel so weit lockerten, dass Harst hineinlangen konnte.

Er holte einen schmalen, kantigen Gegenstand unter der Heuschicht hervor. Ich fühlte: Es war Metall!

Für einen Moment beleuchtete Harsts Lampe diesen Metallbarren.

»Silber!«, flüsterte er.

Dann legte er den Barren wieder zurück.

Silber! Und … kistenweise! Preegrave musste hier eine überaus reiche Silberader entdeckt haben, wenn er ganz allein imstande war, so viele Barren einzuschmelzen. Sven Björka hatte uns ja erzählt, der Schoner ginge alle sechs Wochen nach London ab – stets mit einigen dreißig Kasten voll Versteinerungen, außerdem mit Schafwolle, Häuten und anderer Fracht.

Harst verschloss die Kiste wieder sehr sorgfältig, in dunkler Nacht keine Kleinigkeit. Denn es sollte ja nicht auffallen, dass sie geöffnet worden war.

Ich hatte mich auf eine andere, aus dem Stapel herausgezogene Kiste gesetzt und war schon wieder in eine Art Halbschlaf verfallen, schreckte erst hoch, als … es zu spät war.

Ein Hieb traf meinen Hinterkopf, wie ein Sack kippte ich bewusstlos nach vorn über. Zum Glück hatte meine dicke, wollene Mütze (Björka hatte uns jedem eine vorhin geschenkt) den Schlag gemildert, da ich sie tief über die Ohren der Kälte wegen herabgezogen hatte. Ich kam bald wieder zu mir. Langsam wurde ich mir bewusst, dass ich in einem Wagenkasten gebunden lag. Außerdem war ich noch in eine Decke eingewickelt, die wie eine Rolle mit Stricken umwunden war.

Der Wagen fuhr schnell, aber ziemlich lautlos. Ich hörte nur das Quietschen der Achsen und das Klappern der Rentierhufe auf dem gefrorenen Boden.

Dann – ein Stoß in die Seite! Dann eine dumpfe Stimme: »Schraut – bei Bewusstsein?«

»Ja!«

Es war Harst.

»Meine Fesseln lassen sich nicht abstreifen. Versuch es mit den deinen!«

Es war umsonst. Es waren dünne, weiche Riemen.

»Unmöglich!«, meldete ich mich nach wohl fünf Minuten krampfhafter Anstrengungen.

»Dann spielen wir weiter die Ohnmächtigen«, befahl Harst.

Nach vielleicht einer halben Stunde hielt der Wagen. Über uns raschelte es. Es waren die Geräusche, die eine geölte Leinwand macht, wenn sie beiseite geschoben wird.

Man hob mich auf, trug mich von dannen. Es waren zwei Personen. Sehen konnte ich nichts. Nur fühlen, hören und riechen! Ja … ich roch nun, als man mich niedergelegt hatte, Apothekendüfte.

Preegraves Laboratorium – kein Zweifel!

Ich hörte Flüstern, hörte auch das Rascheln von Weiberröcken.

Da – soeben hatte jemand auf Englisch gesagt: »Es bleibt dann nichts als Asche von ihnen übrig. Man soll nur nach ihnen suchen!«

Mir drang eiskalter Schweiß aus allen Poren. Schmelzofen – Silber – verbrennen! Irrten Gedankenfunken durch mein halb irres Hirn.

Dann Stille ringsum. Nur Türen hörte ich noch öffnen und schließen. Nun seit endlosen Minuten keinen Laut mehr.

Herr Gott – lag ich etwa schon in einem Schmelzofen? Würde vielleicht in Kurzem sengende Glut mich umspielen, mich rösten, mich in Staub verwandeln? Ah – nun doch ein Geräusch. Ein Schatten, Poltern.

Ich lauschte. Dann … Harsts so dumpf wie aus einem Keller hervordringende Stimme.

»Schraut?«

»Hier!«, meldete ich mich. Nochmals dann: »Hier!«

Wieder das Scharren, Poltern. Nun wusste ich, was es war: Harst rollte und wand sich trotz seiner wohl ähnlichen Umschnürung auf mich zu.

Nun lag er neben mir.

»Schraut, wir sind verloren, wenn wir uns nicht sehr bald befreien«, hörte ich ihn sprechen. »Wir müssen uns irgendwie retten! Die Schufte wollen uns verbrennen! Die Räder des Wagens hatten sie umwickelt. Keine Spur wird verraten, wo wir geblieben sind. Ich glaube nicht, das Preegrave, in dessen Laboratorium wir liegen, mit der Horna-Fee etwas zu tun hat. Er ist um sein Silbergeheimnis besorgt, hat sicher schon Unsummen Zoll unterschlagen. Solltest du von hier fliehen können, ist es eine Kleinigkeit, Preegrave, seinen Diener und seine Frau verhaften zu lassen. Sie alle drei sind Mitwisser, falls man mich beseitigt. Wie … weißt du! So, und nun lass mich überlegen, ob mir nicht etwas einfällt, wodurch wir diese verdammten Rentierriemen los werden.«

Ich wartete – wartete. Ich hörte, wie Harst sich sehr bald dauernd bewegte, hörte Töne wie das Zerreißen von Stoff. Dann – Harsts deutlichere Stimme: »Ich habe ein Loch in die Decke gebissen. Ich kann sehen. Der Mond scheint durch die drei Fenster herein.«

Wieder eine lange Pause. Dann rutschte er von mir weg. Er hatte gehofft, auf einem Tisch ein Messer zu finden. Er richtete sich auf, kniete, fand eine kleine … Stichsäge, bekam sie mit den Zähnen zu packen, kehrte zu mir zurück, hatte den Griff der Säge im Mund, durchschnitt die Riemen meiner Decke, sodass ich mich herausrollen konnte, durchsägte meine Handfesseln.

Da waren wir frei! Standen nun mitten im Laboratorium, horchten atemlos.

Kein Laut. Nur der Wind heulte leise um das Gebäude.

Harst befühlte seine Taschen.

»Alles hat man uns abgenommen!«, flüsterte er. »Schauen wir uns nach irgendeiner Waffe um.«

Er huschte hierhin und dorthin. In einer Ecke war ein Bücherschrank. Er zog die Schublade unten auf, winkte mir zu.

Zwischen allerlei Handwerkszeug lagen da drei Revolver, System Colt. Patronenschachteln waren ebenfalls vorhanden.

Harst lud die Revolver, gab mir den einen.

»So – nun werden wir hier Polizei spielen!«, sagte er drohend.

Das Laboratorium hatte zwei Türen. Eine führte ins Freie und war von innen verschlossen. Die andere mündete in einen Flur und war nur eingeklinkt.

Hier im Flur rieb Harst ein Hölzchen an. Wir sahen links einen Garderobenständer, rechts eine Tür und geradeaus eine.

Ich will nicht allzu eingehend schildern, wie wir schließlich bis zu Preegraves Schlafzimmer gelangten. Er schnarchte laut.

Harst ließ ihn vorläufig schlafen. Wir fanden auch in einem Anbau das Zimmer des Spaniers, der ebenfalls bei unverschlossener Tür im Bett lag. Sein Atem ging tief und regelmäßig.

Sein Erwachen war für ihn sehr unangenehm. Harst hatte ihn halb erwürgt, ehe es uns gelang, den kräftigen, schwarzbärtigen Menschen zu fesseln und zu knebeln. Wir banden ihn so an die Bettpfosten ausgestreckt fest, dass er kein Glied rühren konnte.

Dann kam Thomas Preegrave an die Reihe. Um ihn schneller zu bewältigen, versetzte Harst ihm einen Hieb mit dem Revolverkolben gegen die Stelle rechts von der Schläfe. Der Engländer war ein baumlanger Kerl und hätte es wohl mit uns beiden aufgenommen. So aber kehrte ihm die Besinnung erst zurück, als er bereits gebunden war.

Wir konnten nur annehmen, das Preegraves Frau im Obergeschoss schlief. Sehr bald hatten wir dort auch ein Damenschlafzimmer entdeckt. Aber … das Bett war unberührt.

»Sie muss außerhalb des Hauses sein«, meinte Harst.

Wir gingen in den Hof hinab. Wir stellten fest, dass der Kastenwagen fehlte. Im Stall stand nur ein zweirädriger, ganz leichter Zweisitzer, ein sogenannter Sandschneider.

»Warten wir. Sie dürfte bald zurückkommen. Jedenfalls vor Tagesanbruch«, erklärte Harst und trat vor das Haus, musterte die Umgebung.

»Wir müssen die Rentiere schon auf weite Entfernung hören«, meinte Harst. »Mag es ruhig ganz dunkel werden. Geh doch nach oben in das Frauenschlafzimmer und sieh zu, ob du nicht etwas findest, wodurch wir den Vornamen dieser Frau erfahren. Ich möchte gern feststellen, wo sie mit dem Wagen so allein gewesen ist. Vielleicht gelingt es mir durch plumpe List.«

Ich fand auf dem Nachttischchen oben ein Buch, einen englischen Roman. Darin stand mit Tintenstift in sehr energischer, großer Schrift:

Edith Alix Preegrave
Juli 1902

Harst war zufrieden »Mit dem Edith Alix lässt sich schon etwas anfangen! Glückt es nicht, ist es auch nicht schlimm!«

Der Mond hatte sich längst hinter die Berge gesenkt, als gegen sechs Uhr morgens etwa das Klappern der Rentierschalen (Hufe) das Nahen des Wagens anmeldete.

Der Wagen bog in den Hof ein. Wir standen hinter der angelehnten Hintertür. Undeutlich war die Gestalt einer Frau zu erkennen, die nun leichtfüßig vom Wagen sprang und die drei Rentiere abschirrte.

Harst öffnete die Tür weiter, rief leise: »He – wie steht’s, Edith?«

Die Frau fuhr hoch, erwiderte dann: »Alles in Ordnung, Tom.«

Nun trieb sie die Tiere in eine Umzäunung, kam nun die drei Steinstufen hoch.

Wir standen weiter zurück im Dunkeln.

Und dann … dann erhielten wir den besten Beweis, dass die Frau Harsts List durchschaut hatte, und wie schlau und energisch sie war.

Schüsse knallten – eins – zwei – sechs hintereinander. Die Kugeln sausten an uns vorbei. Hätte Harst mich nicht schon nach dem ersten Schuss blitzschnell zu Boden gerissen, dann wären wir sicher verwundet worden.

Dann ein Krach. Die Tür flog ins Schloss.

Harst war mit einem Satz wieder hoch, riss sie auf … aber die Frau war schon im Dunkel der Nacht untergetaucht.

»Eine missliche Lage«, meinte Harst. »Am sichersten sind wir mit unseren Gefangenen oben.«

Wir schleppten Preegrave und den Spanier die Treppe empor, zündeten drei Lampen an und saßen auf der obersten Stufe, bis der Morgen heraufzog. Erst als es hell genug war, auch auf weitere Entfernung draußen alle Gegenstände unterscheiden zu können, gingen wir in den Hof hinab.

Harst hob die Ölleinwand von dem Kastenwagen. Darin lagen ein leerer Korb und ein leeres Fässchen.

Harst zog den Stöpsel aus dem Spundloch des Fässchens und prüfte den Inhalt.

»Hm – klares Wasser ist es«, sagte er kopfschüttelnd. »Sehen wir uns den Korb genauer an.«

Aber er schien nichts von Wichtigkeit entdeckt zu haben.

Dann besichtigten wir noch oberflächlich den an das Laboratorium angebauten Schmelzofen, den Preegrave sehr raffiniert scheinbar als Räucherofen hergerichtet hatte.

Harst war nun mit einem Mal sehr einsilbig geworden. Schweigend spannte er (es kostete Mühe genug) die drei Rentiere vor den Wagen. Und auch während der Fahrt nach Barnjaröp blieb er wortkarg, obwohl doch unsere Gefangenen hinten im Wagenkasten Stoff genug zu Gesprächen geboten hätten.

Der Weg war unschwer an den Räderspuren zu erkennen. Nur einmal machte Harst eine besondere Bemerkung.

»Mein lieber Alter«, sagte er, »vielleicht finden wir den Weg zu der Lösung des Rätsels der Horna-Insel ebenfalls sehr bald!«

Wir hielten vor dem Haus des Ortsvorstehers an. Der brave Isländer fiel aus allen Wolken, als wir ihm unsere Gefangenen ablieferten und Harst erklärte, weshalb der sehr ehrenwerte Master Preegrave ein sicheres Gefängnis verdiene.

»Verhaften Sie auch den Kapitän und den Steuermann des Schoners«, fügte Harst hinzu. »Sie dürften eingeweiht sein in diese … Ausfuhrgeschäfte in Versteinerungen.«

Als wir noch vor dem Haus standen, kam unser Landsmann Schlimp dazu, begrüßte uns herzlich, hörte mit an, dass Preegrave und der Spanier uns hatten rösten wollen, rief dann:

»Himmel – da habe ich ja was Schönes angerichtet! Ich will nur ehrlich sein, meine Herren: Der Schoner hatte mir die neuesten deutschen Zeitungen mitgebracht und darin fand ich eine Jacht Optimus erwähnt, die im Christianiafjord einen gewissen Harald Harst an Bord gehabt hatte, jenen Detektiv, der dann dort das Geheimnis des Gespensterwracks enthüllte. Als nun hier der Optimus auftauchte, da habe ich mir gleich gedacht: Ob nicht Herr Harst jetzt bei uns eine Gastrolle geben will? Habe Sie beide schärfer beobachtet und kam zu der Überzeugung, Sie seien Harst und Schraut. Dies erzählte ich abends Preegrave, ohne zu ahnen, was ich damit anrichtete. Er wird …«

»Schon gut!«, meinte Harst. »Nun wissen wir ja, weshalb Preegrave seine Kisten bewacht und uns dann niedergeschlagen hat.«

*