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Nick Carter – Ein Kampf um Millionen – Kapitel 5 Teil 2

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein Kampf um Millionen
Ein Detektivroman

Ein verhängnisvoller Kuss – Teil 2

Es war schon Nacht geworden, als Patsy die Augen wieder aufschlug. Rings um ihn herrschte undurchdringliche Finsternis. Verstört starrte der mit schmerzendem Kopf Sitzende eine lange Weile vor sich ins Leere, bemüht, seine Gedanken zu sammeln und sich darauf zu besinnen, was eigentlich mit ihm vorgegangen war.

Dann, nach einer Weile, tagte die Erinnerung in ihm. »Damned!«, flüsterte er hastig vor sich hin. »Die Schauspieler und das Weib … sie haben mich schön über die Ohren gehauen!«

Wieder dachte er angestrengt nach. »Natürlich, ich tappte plump in die Falle«, stöhnte er. »Während das Frauenzimmer mir um den Hals fiel, goss Renfrew die Tropfen in mein Glas!«

Er sprang auf und begann in seinen Taschen zu suchen, überzeugte sich aber bald, dass es auf keinen Raubüberfall abgesehen gewesen war, denn Uhr und Geldtasche, Messer und Revolver, kurzum alles, was er bei sich trug, war nicht angetastet und er offenbar gar nicht durchsucht worden.

Kopfschüttelnd nahm er sein Taschenfeuerzeug hervor. Bei seinem Schein sah er sich im Raum um. Auf dem Tisch stand ein Leuchter mit einem Kerzenrest darin. Schnell zündete Patsy das Licht an; dann verfiel er in erneutes Kopfschütteln und befühlte seine Arme und Beine.

»Well, das ist das kurioseste Abenteuer, das mir je passiert ist«, brummte er, nachdem er eine Weile auf irgendwelche Geräusche im Haus gelauscht, doch nichts gehört hatte. »Was denken sich die Leute eigentlich? Geben mir regelrecht den Knockout, verschleppen mich an einen fremden Platz – und dann rauben sie mich nicht aus, nein, sie binden mich nicht einmal – ja, zum Daus, warum haben sie mich dann betäubt?«

Als er sich der einen Tür nähern wollte, um nachzusehen, ob man ihn eingeschlossen hatte, blieb er wieder stehen. Ein leises Pfeifen kam von seinen Lippen und ein listiges Lächeln erhellte seine Züge. »Well, nun geht mir ein Licht auf … Dieser Renfrew ist unser Mann … Damned den alten Schwätzer von einem Mert Heston … Hätte der nicht alles ausgeplaudert, so würde der Schurke nicht gewarnt worden sein … So verlor er den Kopf und bekam es mit der Angst zu tun … Diese Blanche und ihr Begleiter Loomis saßen mit Renfrew gestern Abend in der Loge, da wette ich meinen Kopf darauf … Und Renfrew verrichtete die Arbeit als Clumsey Mikey … Well, ihm lag daran, mit seinen Kumpanen zu verduften … Ans Leben wollten sie mir nicht … Entweder sind sie noch zu anständig für richtig hartgesottene Verbrecher oder zu grün … Ich meine das Letztere, wenn es mir auch ganz angenehm ist, dass sie mir den Hals nicht abgeschnitten haben … Doch eine unverzeihliche Dummheit von ihnen bleibt es deshalb trotzdem. Was dachten sich die Leutchen nur? Sie mussten doch damit rechnen, dass ich wieder zu Bewusstsein kommen und aus ihrem Verhalten meine Schlüsse ziehen würde.«

Dann lachte er fröhlich auf. »By Jove, sie haben gar nichts gedacht … Sie hatten Angst, ich würde ihnen das Verbrechen auf den Kopf zusagen, und darum wollten sie sich meiner um jeden Preis entledigen … Well, das ist eine ganz nette Entdeckung, die ich da gemacht habe, und um diesen Preis kann man auch einen Knockout mit in Kauf nehmen … Das Bier schmeckte abscheulich!«

Die Tür erwies sich als unverschlossen. Sie führte in das Vorderzimmer, das wie die im Oberstock befindlichen Zimmer ein Bild wüsten Durcheinanders aufwies. Zigaretten- und Speisereste, ausgetrunkene Bier- und Whiskeyflaschen, verknitterte Papierkragen und sonstige zurückgelassene Kleidungsstücke; lauter wertloser Plunder lag auf den Tischen, Stühlen und am Boden umher.

Patsy faltete ein auf dem Klavier vorgefundenes Notenblatt zusammen und steckte es ein. Dann begab er sich vorsichtig ins Souterrain hinunter, den Leuchter in der Hand. Doch weder im Esszimmer noch in der an dieses grenzenden Küche fand er irgendetwas, das seine Aufmerksamkeit besonders erregt hätte.

Es wurde ihm immer klarer, dass er der einzige Mensch im Haus war und dessen Bewohner es in überstürzter Hast verlassen hatten.

In einer Ecke lag zusammengeknülltes Papier. Patsy hob es auf und glättete es sorgsam. Es war der Theaterzettel eines Vaudevilletheaters in Chicago und bereits sechs Monate alt. Das Programm enthielt eine Nummer, welche Patsy aufmerksam las: Das lustige Kleeblatt in der unübertroffenen komischen Posse Alles durcheinander. Dargestellt von Blanche Everitt, Frank Renfrew (Clumsey Mike) und Albert Loomis.

»Well, das ist des Mitnehmens wert!«, konstatierte Patsy lachend, den Zettel in die Taschen steckend.

Nach kurzem Suchen fand er ein zerknittertes, der Länge nach von einem Brief abgerissenes Stück Papier, welches Ort und Datumsangabe sowie folgende Zeilen enthielt: Promfret, England, 10. Oktober 1990. Ganz unten war zu lesen … rt Risley – die beiden Buchstaben stellten augenscheinlich das abgerissene Ende eines Vornamens dar. Aus den wenigen Worten, welche die einzelnen Briefzeilen aufwiesen, wurde Patsy vorläufig nicht klug. »Well, das ist eine Nuss für den Meister zu knacken«, meinte er und steckte das Blatt ein.

Weitere Fundstücke waren in den Räumen nicht vorhanden. Die Haustür war verschlossen; doch es kostete Patsy nur wenig Zeit, durch ein Souterrainfenster zu klettern und auf diesem Weg die Straße zu erreichen. Seine Uhr wies gerade auf acht Uhr abends.

An der Straßenecke traf Patsy einen Policeman, der ihm auf seine Nachfrage bereitwillig Auskunft erteilte. Sämtliche Häuser in der kleinen Nebenstraße gehörten einem Privatmann und wurden durch ein nahebei befindliches Hypotheken-Büro, welches glücklicherweise noch geöffnet war, verwaltet.

Auch der Agent, welchen Patsy ungesäumt aufsuchte, erwies sich als mitteilsam. Er erklärte, dass er das Haus ausmöbliert an Mr. und Mrs. Horace Batell vermietet und die Miete für drei Monate im Voraus empfangen habe. Soviel der Agent anzugeben wusste, handelte es sich um ein Schauspielerehepaar. Die von ihm gemachte Beschreibung wies klar auf Frank Renfrew und Blanche Everitt.

Das war die ganze Auskunft, welche der Grundstücksmakler zu erteilen vermochte; sie genügte indessen Patsy vollkommen. Dieser nahm an, dass Nick Carter sich nun im Folly Variete-Theater befinden würde, und begab sich deshalb ungesäumt dorthin.

Seine Vermutung erwies sich als richtig. Nick und Chick hatten eine Loge inne, von welcher aus sie den von Mlle. Viola gebrauchten Trapezapparat mit all seinen Hilfsmitteln genau übersehen und bewachen konnten.

»Well, Patsy, wo weiltest du so lange?«, empfing der Detektiv den in die Loge Eintretenden.

»Sagt, Meister, beabsichtigt Ihr, Clumsey Mike bei einer neuen Gastrolle abzupassen?«, fragte der Jüngling unter fröhlichem Auflachen zurück, indem er sich neben Nick Carter setzte.

Als dieser nickte, lachte Patsy von Neuem. »Well, unser Mann hat die Stadt verlassen.«

Der Detektiv stutzte. »Well, Patsy, was gibt es Neues?«, erkundigte er sich rasch.

»Nichts Besonderes, ich kenne jetzt das Verbrecherkleeblatt und unseren Clumsey Mike«, sagte Patsy stolz.

»Bravo, das sieht dir ähnlich!«, sagte der Detektiv erfreut.

Anscheinend interessiert die Vorgänge auf der Bühne verfolgend, berichtete Patsy nun dem Detektiv alles, was er wusste. Da die seinem Bier beigemischten Knockouttropfen nur eben stark genug gewesen waren, seinen Körper zu lähmen, nicht aber auch sein Bewusstsein zu trüben, so hatte der Jüngling die von dem Kleeblatt in der Kutsche geführte Unterredung mitanhören können, und er übermittelte sie nun fast wörtlich dem Detektiv.

Der Letztere drückte seinem jungen Gehilfen anerkennend die Hand. »Brav gemacht, Patsy«, sagte er und wendete sich dann zu seinem Vetter: »Begib dich auf die Bühne, Chick, und teile Mlle. Viola und Adams mit, dass wir den Halunken aufgespürt haben und dass heute Abend kein weiterer Mordversuch gewagt werden wird. Das dürfte die junge Lady beruhigen.«

Als Chick sich entfernt hatte, wendete sich der Detektiv wieder Patsy zu.

»Du hast gute Arbeit geleistet und ganz sicher jene Verbrechersippe aufgespürt. Nur sind wir leider damit nicht viel weitergekommen. Immerhin haben wir jetzt einen Anhaltspunkt!«

Auch Chick war in der Zwischenzeit nicht müßig geblieben, wie er Patsy berichtete, als er nun neben diesem in der Loge wieder Platz nahm. Er hatte einen alten Schauspieler aufgetrieben, der 1883 mit Bellew bei Wallacks engagiert gewesen war. Er konnte sich seiner sowie Julians noch deutlich entsinnen. Seiner Angabe nach war Julian ein sehr talentvoller Schauspieler, Bellew dagegen damals lediglich ein blutjunger Anfänger gewesen. Er war, nachdem Julian wieder nach England zurückgekehrt war, eine weitere Saison in New York geblieben und hatte kleinere Rollen gespielt. Dann hatte er sich nach Westen gewendet, und einige Jahre später war der alte Schauspieler in San Franzisko mit Bellew wieder zusammengetroffen.

Zu jener Zeit hatte sich Bellew schauspielerisch zwar vervollkommnet, galt aber als anrüchiger Charakter und wurde von den besseren Kollegen gemieden. Schon damals war er in verschiedene bedenkliche Geschichten verwickelt gewesen. Er hatte auch unter der Anklage gestanden, in einer Spielhölle einen Mann niedergeschossen zu haben, war aber mangelnder Beweise halber außer Verfolgung gesetzt worden. Plötzlich war Bellew in Begleitung eines von ihm entführten Mädchens aus San Franzisko verschwunden, vorgeblich von deren empörten Vater, der ihn zu töten geschworen hatte, verfolgt.

Wieder Jahre darauf hatte der alte Schauspieler den immer tiefer Gesunkenen als Mitglied einer sogenannten Turkey Show – einer herumziehenden Schauspielertruppe letzter Ordnung – neuerlich getroffen. Das war in St. Louis gewesen, und Bellew hatte seine Kunst nur noch als Vorwand benutzt, in Wirklichkeit war er zum verzweifelten Falschspieler geworden.

Hierauf hatte der Gewährsmann seinen Kollegen völlig aus den Augen verloren. Erst etwa vor sechs Wochen hatte er ihn zufällig in New York wieder getroffen, gealtert und allem Anschein nach in schlechten Verhältnissen. Bellew hatte seine Identität abzuleugnen gesucht und war rasch weitergegangen; doch der alte Schauspieler hatte ihn an einer auffälligen Narbe unter dem linken Ohr mit Bestimmtheit wiedererkannt.

»Well, Renfrew hat eine solche Narbe!«, versetzte Patsy lebhaft.

Hier musste ihre Unterhaltung enden, denn inzwischen war Mlle. Violas Nummer an die Reihe gekommen, und das Haus dröhnte unter dem stürmischen Applaus, mit welchem der Liebling des New Yorker Publikums empfangen wurde.

Der Beifall wollte kein Ende nehmen; immer von Neuem jubelte die enthusiasmierte Menge der Königin der Lüfte zu, und Minuten hindurch musste diese sich immer wieder verbeugen und lächelnd für die Ovationen danken. Dann kam ihr ein plötzlicher Einfall; mit nicht misszuverstehender Gebärde wies sie auf die Loge, in welcher die drei Detektive bisher unerkannt gesessen hatten – wie um darzutun, dass diesen eigentlich die Ehrung zukam.

Nicht gerade angenehm überrascht blickten Nick Carter und seine Begleiter, die sich eben über die Logenbrüstung gebeugt hatten, um das Funktionieren des Seilapparates besser überwachen zu können, auf, als sie sich so unvermutet zum Zielpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit des ihnen zujubelnden Publikums gemacht sahen. Wohl zogen sie sich unter der stürmischen Heiterkeit des Hauses schleunig in den Hintergrund der Loge zurück. Doch das half ihnen nichts; sie mussten vortreten und sich immer von Neuem wieder dankend verbeugen, ehe es ruhig genug geworden war, um Mlle. Viola den Beginn ihrer Produktion zu gestatten.

Nachdem die reizende Künstlerin unter dem tosenden Beifall des Hauses ihre Vorstellung mit dem gewohnten atemberaubenden Trick glücklich zu Ende geführt hatte, eilten die drei Detektive zur Bühne, um sie und das Adams’sche Ehepaar zu befragen, ob sie auf ihren Reisen mit einem Schauspieler namens Renfrew zusammengetroffen seien.

»Selbstverständlich!«, beeilte sich Berenice zu versichern, »er hat mit Blanche Everitt und Albert Loomis zusammen einen ganz amüsanten Akt, den sie Alles durcheinander nennen. Auf offener Bühne kleidet er sich neunmal um – auch als Clumsey Mike erscheint er. Wir haben in den Theatern des Westens häufig mit ihm zusammen gespielt.«

»Wie lange ist das schon her?«, wollte Nick Carter wissen.

»Lassen Sie mich nachdenken … vielleicht zwei Jahre«, antwortete Berenice.

»Hatten Sie vielleicht Unannehmlichkeiten mit den Leuten, Mlle. Viola?«, erkundigte sich Nick.

»Niemals«, verneinte das Mädchen, »ich habe nie mit ihnen gesprochen.«

»Vielleicht verübeln sie Ihnen gerade diese Zurückhaltung?«

»Unmöglich!«, beharrte die junge Künstlerin. »Wir fanden gar keine Gelegenheit zu irgendwelchem Verkehr. Ihr Akt war regelmäßig schon vorüber, wenn meine Nummer drankam. Bis ich fertig war, hatten sie das Theater längst verlassen – und nach der Vorstellung trafen wir uns nie.«

»Und wie steht es mit Ihnen, Adams?«, wendete sich der Detektiv an diesen.

»Ich kam mit Renfrew und Loomis immer gut aus«, versicherte der Gefragte. »Wir plauderten oder tranken wohl auch hin und wieder ein paar Gläser zusammen; im Gegenteil, Renfrew ist ein gefälliger Bursche, er half mir häufig genug bei der Bedienung der Seile. Well, ja«, setzte er nach kurzem Nachdenken hinzu, »das kam so. Ich mag es grundsätzlich nicht, dass sich jemand außer mir am Apparat zu schaffen macht. Doch Renfrew meinte, es sei eine Ehre für ihn – und da er wirklich ein anständiger Kerl war, so ließ ich es durchgehen … Es war auch nur die reine Spielerei … Ich sah ihm dabei scharf auf die Finger.«

»Hm, jedenfalls ist Renfrew dadurch mit der Handhabung des Apparates bekannt geworden und lernte dessen schwache Punkte ausfindig machen«, warf der Detektiv nachdenklich ein. »Nun, jedenfalls ging es heute ohne Unfall ab«, bemerkte er, sich kurz verabschiedend. »Bleiben Sie auf dem Posten, Freund Adams, die Gefahr ist noch lange nicht vorüber!«