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Der Welt-Detektiv Band 6

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Ein Vampir – 2. Teil

Ein Vampir
Aus: Die Plauderstube
Eine Sonntagsausgabe zur Erheiterung für Stadt und Land
Beilage zum Landshuter Wochenblatt und Kurier für Niederbayern, November/Dezember 1865
2. Teil

Am Abend desselben Tages, an welchem die geschilderten Ereignisse vorfielen, saßen drei Herren in der Laube eines kleinen freundlichen Gartens im eifrigen Gespräch beisammen.

Auf dem gedeckten Tisch vor ihnen standen Speisen und einige Flaschen Wein, deren Inhalt von einem der drei Herren fleißig in die Gläser geleert wurde.

Dieser Mann, welcher sich so eifrig dem Dienst widmete, den Durst seiner beiden Genossen zu löschen, war der Herr des Gartens und des an denselben stoßenden Hauses, die anderen beiden waren seine Gäste.

In einem von den Letzteren erkennen wir den Offizier, welcher die militärische Expedition zum Friedhof angeführt hatte. Der Zweite ist zwar in Zivil, hat aber doch einen militärischen Charakter, er ist Oberarzt.

Was den Hausherrn anbelangt, so stellen wir in ihm den Lesern eine gewichtige oder eigentlich die gewichtigste Person des Fleckens vor, den Mann, der in sich zwei ansehnliche Würden vereinigte: die eines Gemeindevorstandes und eines Richters.

Ihr Gespräch drehte sich um die Vorgänge des Tages. Der Richter hatte seinen beiden Gästen, welche erst seit kurzer Zeit in den Flecken eingezogen waren, Vieles zur Aufklärung zu erzählen.

»Ja, meine Herren«, sprach er, nachdem er in unermüdlicher Weise aufs Neue die Gläser gefüllt hatte, »dieser unselige Wahn, der Glaube an Vampire, ist unter unserem Gott nicht auszurotten. Wir haben ihn von Serbien herüber bekommen, wo dieser Aberglaube vielleicht seit einem Jahrhundert zu Hause ist, und weder Belehrung noch Strafe hat bis heute etwas dagegen gefruchtet. Zwar muss ich es sagen, dass solche Gräuelszenen wie die heutige hier in unserem Ort seit vielen Jahren nicht vorgekommen sind, aber vor nicht langer Zeit haben sie drüben in Serbien wie in mehreren diesseitigen Grenzorten nicht zu den Seltenheiten gehört, sodass sich die Regierung wiederholt veranlasst gesehen hat, mit energischen Maßregeln dagegen einzuschreiten.«

»Und was ist denn eigentlich das Wesen dieses Vampirismus?«, fragte der Leutnant.

»Wie, Sie wissen nicht einmal, was das Volk unter einem Vampir versteht?«, lautete die Gegenfrage des Richters.

»Ich habe schon einiges davon sprechen gehört«, entgegnete der Leutnant, »aber hier in dem eigentlichen Sitz dieses Aberglaubens dürfte ich denn doch Näheres und Ausführlicheres über dieses Thema vernehmen.«

»Nun, ich will Ihnen sagen, was ich darüber weiß. Ein Vampir ist ein Unhold, der ob der bösen Taten, die er bei Lebzeiten vollführt, im Grab keine Ruhe hat und nächtlicher Weile als ein lebendiger Toter umherwandelt zur Pein und Qual des noch lebenden Geschlechts. Er schleicht sich in die Schlafkammern der Menschen und saugt den Schlafenden das Blut aus, bis sie tot sind. Der Volksglaube nimmt aber an, dass eine solche von einem Vampir getötete Person gleichfalls zum Vampir wird, sodass es nie an solchen Unholden fehlt. Um aber einen Vampir unschädlich zu machen, bedarf es außerordentlicher Mittel. Die Leiche desselben muss ausgegraben und ihr ein Pfahl ins Herz gestoßen werden, worauf sie verbrannt wird, dass nichts von ihr übrig bleibt als ein Häuflein Asche.«

Der Leutnant wollte eben wieder eine Frage an den Hauswirt richten, als ein Pandur eiligen Schrittes über den Kiesweg, der zu der Laube führte, daherkam und in respektvoller Haltung vor den drei Herren stehen blieb.

»Nun, Jancsi, was bringst du Neues?«, fragte der Richter den Pandur.

»Alles vergebens,« erwiderte dieser, »der alte Gyuri ist unauffindbar. Wir haben die ganze Umgegend in allen Richtungen durchforscht, an jeder Hütte, an jeder Csarda angeklopft, nirgends war er zu finden.«

»Und bis Morgen muss ich ihn haben, hörst du, Jancsi!«, rief der Richter mit erhobener Stimme, »er war der Rädelsführer und Gerechtigkeit muss geschehen. Bringst du ihn bis morgen Früh nicht zur Stelle, so jage ich dich mit Schanden aus den Diensten des Komitates.«

»Ich werde mein Möglichstes tun«, sprach der Pandur, »habe ich doch noch eine ganze Nacht vor mir.«

»Gut, du kennst mich und weißt, dass ich Wort halte. Was ist mit dem Sarg, Herr Oberst«, fragte der Richter weiter.

»Auch von dem Sarg war bis jetzt keine Spur aufzufinden«, erwiderte der Pandur.

»Wirklich seltsam!«. meinte der Richter zu seinen beiden Gästen gewendet.

»In der Tat«, meinte der Arzt, »dieses spurlose Verschwinden des Sarges …«

»Du kannst gehen«, unterbrach der Richter den Sprechenden, indem er dem Panduren gebieterisch mit der Hand winkte, »du kannst jetzt gehen und merke dir, was ich gesagt habe.«

Der Pandur entfernte sich. Die drei Herren setzten ihr Gespräch fort.

»Ja«, begann der Richter wieder, »die Geschichte mit dem Sarg ist es eigentlich, die meine Gedanken am meisten beschäftigt. Ich bin geneigt, anzunehmen, dass der alte Gyuri davon weiß. Er hat gewiss den ganzen grausigen Spektakel nur deshalb angezettelt, um seinen Helfershelfern die Möglichkeit zu geben, den Sarg unbemerkt wegzutragen. Nun, wenn ich ihn in meinen Händen habe, werde ich ihm schon die Wahrheit herauskitzeln. Ich weiß mit diesen Leuten umzugehen, mir schwatzt man nichts von Vampiren vor.«

»Wer war jener Tote eigentlich«, fragte der Leutnant, »dessen Grab so geschändet wurde?«

»Darüber kann ich den Herren keine Auskunft geben, der alte Gyuri wird schon wissen, warum er gerade dieses Grab gewählt hat. O, wenn ich ihn nur schon in meinen Händen hätte. Im Laufe des morgigen Tages werden sie vom Komitat herüberkommen, der Stuhlrichter und wahrscheinlich auch der Vizegespan selbst, um die Untersuchung persönlich an Ort und Stelle vorzunehmen und die Schuldigen zu strafen. Ich habe schon vor einigen Stunden einen reitenden Boten mit einem Rapport über das Vorgefallene an die Komitatsbehörde abgesendet und möchte, wenn die Herren morgen eintreffen, ihnen schon mit fertigen Resultaten entgegenkommen. Es wird einen interessanten Prozess geben: Entweihung eines Grabes, Leichenschändung, Aufwiegelung und dazu noch Waldfrevel, da das Holz, welches sie zum Scheiterhaufen verwendeten, Eigentum der Grundherrschaft war. Wenn nur schon mein Schreiber hier wäre. Muss der gerade an einem solchen Tage sich einen Urlaub erbitten!«

»Und wozu brauchen Sie ihn denn?«, fragte der Arzt, »haben Sie nicht den Rapport schon abgeschickt?«

»Freilich«, lautete die Antwort des Richters, »aber er wäre mir sehr nützlich gewesen, um die Expedition zur Habhaftwerdung des Gyuri zu leiten. Er ist ein findiger und gescheiter Kopf, und darum vermisse ich ihn gerade heute so ungerne. Freilich, des Morgens, als er mich um die Erlaubnis bat, sich auf vierundzwanzig Stunden entfernen zu dürfen, konnte er noch keine Ahnung von den Dingen haben, die hier vorgehen würden.«

»Ich muss aufrichtig gestehen«, sprach nun der Oberarzt, »dass mich die Vorfälle des heutigen Tages nicht nur mit Entsetzen, sondern auch mit schmerzlicher Überraschung erfüllt haben. Wohl habe ich so manches über den Vampirismus gehört und gelesen, und erst unlängst ein Werk in Händen gehabt, welches diese Materie ausführlich behandelt, aber dass ich solchen Ausbrüchen des düstersten Aberglaubens je in der Wirklichkeit begegnen würde, daran hätte ich nie gedacht.«

»Wie, Sie haben ein solches Werk, Doktor?«, rief der Leutnant, »lassen Sie mir es zukommen.«

»Warum denn nicht? Der vollständige Titel dieses Werkes heißt Traktat von dem Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern, worin die wahre Beschaffenheit der ungarischen Vampirs und Blutsauger gezeigt, auch alle von dieser Materie bisher zum Vorschein gekommenen Schriften rezensiert werden.

»In der Tat, ein vielversprechender Titel«, meinte der Leutnant.

»Und in dem Buche«, fügte der Arzt hinzu, »fand ich auch alles bestätigt, was uns der Herr Richter eben über die Vampire gesagt hatte. Es heiße darin, dass sich oft die Bewohner ganzer Dörfer umsetzten in grauenhafte Vampire. Auch die Vertilgung und Unschädlichmachung derselben wird in derselben Weise angegeben, wie wir sie aus dem Mund unseres gastfreundlichen Wirtes gehört haben. Ferner heißt es in dem Buch, dass diese scheußlichen Kreaturen oft nicht in eigener Gestalt erscheinen. So ist ein Brief abgedruckt, den ein Offizier aus Belgrad an einen berühmten Doktor in Leipzig schrieb, um sich nach der eigentlichen Natur des Vampirismus zu erkundigen. In diesem Briefe wird Folgendes erzählt: In einem Dorf, Kinklina genannt, hat es sich zugetragen, dass zwei Kinder von einem Vampir geplagt worden, weswegen eines um den anderen gewacht, da es denn wie ein Hund die Tür geöffnet, auf Anschreien aber gleich wieder davongelaufen, bis endlich einmal beide eingeschlafen, da es denn dem einen in einem Augenblick einen roten Fleck unter dem rechten Ohr gesaugt, worauf es dann in drei Tagen davon gestorben.

»Und in demselben Werk«, fuhr der Oberarzt fort, »heißt es in einem Akt über die Auffindung und Vernichtung eines Vampirs: Weil sie nun ersahen, dass es ein wirklicher Vampir sei, so haben sie demselben einen Pfahl durchs Herz geschlagen, wobei er einen wohlvernehmlichen Ächzer getan und häufiges Geblüte von sich gelassen.«