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Ein Vampir – 1. Teil

Ein Vampir
Aus: Die Plauderstube
Eine Sonntagsausgabe zur Erheiterung für Stadt und Land
Beilage zum Landshuter Wochenblatt und Kurier für Niederbayern, November/Dezember 1865
1. Teil

Es war im Frühjahr 18..

Wir wollen die Jahreszahl nicht näher bezeichnen und unterlassen es auch, den Ort

namhaft zu machen, in welchem unsere Geschichte spielt. Noch leben Personen, welche in ihrer Kindheit oder in ihren zarten Jugendjahren Zeugen jener düsteren Szenen waren, die wir zu schildern haben und in den Familien, die davon betroffen wurden, verbreitet die Erinnerung daran noch heute wehmutsvolle Trauer.

Wir dürfen uns nur mit der Andeutung begnügen, dass die Ereignisse, von denen wir zu berichten haben, in die ersten Jahre unseres Jahrhunderts fallen, und dass der Schauplatz ein Flecken an der Grenze von Ungarn und Serbien bildet.

Es war also im Frühjahr, die Sonne schien bereits heiß hernieder und den vom tiefsten blau gesättigten Himmel trübte nicht ein einziges Wölkchen.

Die Bewohner des Fleckens, Jung und Alt, Männer und Frauen, waren alle auf den Beinen und bewegten sich in langer Reihe hinaus zum Friedhof, der unten am Abhang eines Berges lag.

Dem Zug voraus wurde von acht kräftigere Burschen ein Sarg getragen, auf welchem ein frischer Kranz ruhte.

Dicht hinter dem Sarg gingen weiß gekleidete Mädchen einher, Klagelieder singend.

Es wurde eine Jungfrau zu Grabe getragen, die in der Blüte ihrer Jugend und Schönheit plötzlich vom kalten Tod dahingerafft worden war. Sie hatte sich abends gesund und wohlauf zu Bett gelegt und als ihre Mutter – ihr Vater war nicht mehr am Leben – sie des Morgens wecken wollte, fand sie, dass das Töchterchen tot war.

Der Trauerfall erregte im Ort die allgemeinste Teilnahme, die sich denn auch bei dem Begräbnis der Jungfrau in der regsten Weise kundgab.

Unter lautem Schluchzen und Klagen wurde der Sarg, nachdem der Zug auf dem Friedhof angelangt war, an dem bereit gehaltenen offenen Grab niedergelassen.

Die arme bedauernswerte Mutter hatte ihr Kind nicht zum Grab geleiten können; der Trauerfall hatte sie so sehr erschüttert, dass sie selbst aufs Krankenlager geworfen wurde. Von den nächsten Verwandten der Toten war nur ihr einziger Bruder zugegen, ein Husar, der vor einigen Wochen in seinen Heimatort zurückgekehrt war, um daselbst einen Urlaub zu verbringen, den ihm sein Rittmeister bewilligt hatte.

Pista (Stefan), so hieß der Husar, hatte seine Schwester Oerzsi (Elise) sehr geliebt. Heiße Tränen rannen ihm in den Schnurbart hinab, während der Priester zum letzten Mal die Einsegnung der Leiche vollzog.

Die Zeremonie war endlich vorüber und der Totengräber mit seinen Gehilfen schickte sich an, den Sarg an langen Stricken ins Grab hinabzulassen, als mit einem Mal eine kräftige Stimme Einhalt gebot.

Alles blickte auf.

Ein alter Mann mit grauem Bart hatte sich vorgedrängt und stand nun an derselben Stelle, die seither der Priester eingenommen hatte.

»Halt!«, rief der Greis mit einer Stimme, deren Kraft seltsam mit seinem Alter kontrastierte. »Halt! Nicht eher darf die Tote eingestellt werden, als bis mir noch eine letzte Pflicht an ihr erfüllt ist, die Pflicht der Rache!«

Ein dumpfes beifälliges Gemurmel lief durch die Menge. Es war, als ob der alte Mann den Gefühlen aller einen Ausdruck gegeben hätte.

Die Augen Pistas, des Husaren, leuchteten in unheimlichem Feuer auf.

»Ja, Rache für das arme Opfer«, fuhr der Alte fort, »und Beruhigung für uns. Denn wer bürgt uns dafür, dass der gespenstische Unhold, der im Grab keine Ruhe hat, heute oder morgen nicht an der Tür des einen oder des anderen in der Gemeinde anklopft und sich sein blutiges Opfer holt, wie er es hier geholt hat.«

Des Gemurmel der Menge steigerte sich, es wurde drohend.

»Ich habe die arme Oerzsi gesehen«, sprach der Alte weiter, »wie sie aufgebahrt dalag, und ich habe sie genau betrachtet. Oben am Hals, dicht hinter dem linken Ohr, hatte sie einen roten Fleck. Es ist dies das untrügliche Zeichen der Todesart, der sie zum Opfer fiel. Euch brauche ich es aber nicht zu sagen, wo wir den Unhold zu suchen haben, der die schöne Oerzsi gemordet hat. Des Volkes Stimme hat ihn schon lange bezeichnet. Drum auf und folget mir, tun mir, was unsere Pflicht ist!«

Der Alte schritt nach diesen Worten vom Sarg weg. Der Priester, welcher noch zugegen war, wollte nun vortreten und durch seine Rede das Unheil abwenden, welches er kommen sah, aber es war zu spät.

In dem lauten Geschrei, welches sich nun von allen Seiten erhob, verhallte seine Stimme und die Menge, deren Leidenschaft wild erregt war, stürzte dem Greis nach, der eiligen Fußes durch die Reihen der Gräber dahinschritt, bis er an die Mauer des Friedhofes gelangte, wo er an einem Grab stehen blieb.

Es begab sich nun Entsetzliches.

Männer, Pista voran, hatten sich der Werkzeuge des Totengräbers bemächtigt. Sie waren in leidenschaftlichem Eifer bemüht, das Grab aufzuwühlen, bei welchem der Alte stehen geblieben war. Hurtig fuhren Schaufel und Spaten in die Erde, dass die Schollen weit wegflogen. So wurde der Sarg, welcher unten in der Tiefe ruhte, gar bloßgelegt. Stricke wurden nun hinabgelassen und der Sarg heraufgezogen. Als aber die lange hölzerne Truhe das Niveau der Oberfläche des Friedhofes erreicht hatte, wurde sie nicht behutsam niedergestellt, sondern die Männer, welche sie heraufgezogen hatten, schleuderten sie von sich weg, sodass sie mit dumpfen Getöse umschlug und auf dem etwas abschüssigen Terrain dahinrollte. Dabei geschah es, dass der Sargdeckel aufging und die Leiche, welche im Sarg war, herausfiel und nun vor aller Augen dalag.

Bisher hatte von dem Moment an, als die Männer sich anschickten, das Grab zu öffnen, unter der Menge, welche den Schauplatz der grausen Tat umwogte, die tiefste Stille geherrscht. Bei dem Anblick der Leiche aber wurde die Mut und Leidenschaft aufs Neue entfesselt, alles stürzte mit lautem wildern Geschrei auf den entseelten Körper los. Da trat wieder der Greis vor. Sich gleichsam zum Schutz vor die Leiche stellend, erhob er seinen Arm mit einem gebieterischen Wink.

Die Menge wich scheu zurück. Der Alte übte offenbar einen Einfluss auf sie aus, dem sie sich nicht zu entziehen vermochte.

»Was macht Ihr?«, rief der Greis mit erhobener Stimme. »Ihr droht das Werk der Rache zu verderben. Lasst nur mich machen, denn ich allein weiß es, wie man mit diesen Ungeheuern umzugehen hat, um sie fernerhin unschädlich zu machen. Bildet einen Kreis!«

Die Menge gehorchte. Von dem Greis wendeten sich aller Blicke zu der Leiche.

Die Kleider, mit welchen man den Körper vor Monaten vielleicht in das Grab gesenkt hatte, waren zerfallen und vermodert, doch erkannte man an ihnen noch, dass die Leiche welcher sie zur Hülle gedient hatten, die eines Mannes war.

»Bringt einen Pfahl herbei!«, gebot der Alte.

Einige Bursche sprangen über die niedere Friedhofsmauer und in einen naheliegenden Weinberg hinein. Hier rissen sie einige von den Stecken aus, an welche die Reben gebunden waren, und eilten damit auf den Friedhof zurück.

Der Alte wählte unter den Stecken den spitzesten aus und überreichte ihn dem Husaren Pista.

»Dir, Pista«, sagte er, »dir, dem Bruder der Toten, kommt es zu, den Stoß zu führen. Tu es und zittere nicht.«

Pista trat vor, erfasste den Pfahl und mit einem kräftigen Fluch stieß er ihn der Leiche in die Brust, dort, wo einst das Herz geschlagen hatte.

Ein Schauer durchlief die Menge.

»Noch ist das Werk nicht vollendet«, begann jetzt der Alte wieder, »noch bleibt uns eines zu tun übrig.«

Pista hatte den Pfahl in der Brust der Leiche stecken lassen und blickte den Alten an, bereit, alles zu erfüllen, was dieser heißen würde.

»Wir müssen den Körper des Verdammten verbrennen«, fuhr der Greis fort, »denn erst dann können wir Ruhe haben, wenn seine Asche in die vier Winde zerstreut ist.«

Der Raum, auf welchem die eben erzählten Vorfälle sich ereigneten, war noch von Gräbern leer. Zwischen dem hart an der Friedhofsmauer gelegenen Grab, aus welchem man soeben die Leiche gerissen hatte, und jenem Platz, wo inmitten von anderen Grabhügeln sich die frisch aufgeworfene Grube befand, in welche der Sarg mit der Leiche Oerzsis gesenkt werden sollte, befand sich nicht ein einziges Grab. Die Menge, welche diesen leeren Zwischenraum einnahm, hatte also Platz genug, um gleich an Ort und Stelle alles zu vollführen, was der Alte anordnete.

Sie beeilte sich auch, seiner letzten Weisung nachzukommen.

Eifrig übersprangen die jungen Leute unter der Menge die Umzäunungsmauer und nach wenigen Minuten schon flogen Reisig, Äste und Holzstücke, ein Material, das sich in dem links vom Friedhof gelegenen Wäldchen reichlich vorfand, herüber und geschäftige Hände, diesmal mengte sich das Weibsvolk darunter, machten sich daran, einen kunstgerechten Scheiterhaufen aufzuschichten.

Aus der Kammer des Totengräbers wurde nun eine Fackel herbeigeholt, dieselbe angezündet und in den Holzstoß geworfen.

Bald flackerte eine hohe Flamme knisternd und prasselnd empor und der grausam misshandelte Leichnam wurde von den Burschen erfasst und mitten in das Feuermeer hineingeschleudert. Im selben Augenblick ertönte von Ferne Trommelschall. Alles horchte auf.

»Militär kommt«, tönte es von Mund zu Mund, und die Menge, in ihrer Furcht vor einem Konflikt mit der bewaffneten Macht, zerstob nach allen Seiten.

In der Tat rückte Militär an. Der Priester hatte, da er wohl ahnen mochte, was da kommen würde, den Totengräber zu der kleinen Kaserne des Fleckens entsendet. Er selbst hatte sich gleichzeitig vom Friedhof entfernt, um nicht Zeuge der Gräuelszenen sein zu müssen. Aber auch die bewaffnete Macht konnte dieselben nicht mehr verhindern. Als sie kam, war es, wie die Leser wissen, bereits zu spät, die Entheiligung des Grabes, die Schändung einer Leiche war bereits geschehen.

Als die Abteilung Soldaten den Friedhof betrat, hörte der Trommelschlag auf, die bewaffneten Männer schritten in tiefster Stille zwischen den Gräbern dahin, von ihrem Offizier geführt, an dessen Seite der Totengräber einherging.

Ihr Weg führte sie an dem offenen Grab vorbei, welches bestimmt war, die irdische Hülle des jungen Mädchens aufzunehmen. Als sie aber an demselben anlangten, blieb der Totengräber entsetzt stehen. Der Sarg mit der Leiche Oerzsis war verschwunden!